Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.03.1999

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Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 1546/98
Datum:
17.03.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 A 1546/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 2 K 5496/97
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der allein dargelegte
Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
des angefochtenen Urteils) nicht eingreift.
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Soweit der Beklagte ernstliche Richtigkeitszweifel daraus ableitet, daß das
Verwaltungsgericht einen zu milden Maßstab an die Obliegenheit des Klägers zum
Nachweis hinreichender (eigener) Bemühungen um die Anmietung einer
preisgünstigeren Unterkunft angelegt habe, kann dem der Senat nicht folgen. Vielmehr
teilt er die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, daß die Anforderungen an die
Dokumentation der Wohnungssuche nicht an einem stets gleichen Maßstab, sondern an
den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles auszurichten sind. Dabei ist
insbesondere danach zu differenzieren, ob dem jeweiligen Hilfebegehrenden während
seiner Wohnungssuche vor Augen stand, daß er nachfolgend - gegebenenfalls sogar
beträchtliche Zeit später - noch Einzelheiten seiner Bemühungen benennen und
belegen muß. Es leuchtet dem Senat ohne weiteres ein, daß von einem auf seine
Dokumentationsobliegenheit hingewiesenen Hilfeempfänger (deutlich) mehr
Einzelheiten über seine Bemühungen auf dem Wohnungsmarkt erwartet werden können
als von einem in dieser Hinsicht Uninformierten. Dies bedeutet nicht, daß der jeweilige
Sozialhilfeträger zu ausdrücklichen Belehrungen über die Dokumentationsobliegenheit
des wohnungssuchenden Hilfeempfängers "verpflichtet" wäre. Es geht lediglich darum,
daß die Sozialhilfegewährung nicht von Gedächtnisleistungen abhängig gemacht
werden darf, die in der jeweils konkreten Situation redlicherweise nicht erwartet werden
können; etwas anderes geht auch nicht aus der vom Beklagten angezogenen
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen hervor.
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An der vom Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Wohnungssuche des Klägers
getroffenen Bewertung bestehen auch nicht deshalb (ernstliche) Zweifel, weil die - vom
Beklagten als günstig eingeschätzte - allgemeine Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht
hinreichend berücksichtigt worden wäre. Daß der Wohnungsmarkt relativ entspannt war,
zeigt sich schon in der Anzahl der vom Kläger angegebenen Nachfragen und
Besichtigungen; es ist nicht anzunehmen, daß das Verwaltungsgericht aufgrund dieser
offenkundigen Verhältnisse von einem Angebotsmangel ausgegangen ist. Die
Sichtweise des Verwaltungsgerichts ist vielmehr dahingehend zu beschreiben, daß der
Kläger bei seiner Suche nach einer preiswerten Unterkunft nicht wegen eines absoluten
Mangels gescheitert ist, sondern wegen seiner schlechten Vergabechancen gerade in
dem vom Beklagten für allein angemessen gehaltenen Angebotssegment der
möblierten Zimmer. Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach der Kläger
als jüngerer sozialhilfebeziehender Ausländer allenfalls geringe Aussichten auf ein
(untervermietetes) Zimmer, also gleichsam auf eine Unterkunft mit "Familienanschluß",
hatte und ihm auch das studentisch geprägte Wohnen, etwa in Wohngemeinschaften
oder auf sog. Studentenetagen, weitgehend verschlossen war, leuchtet dem Senat ein.
Sie steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts.
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Vgl. Urteil vom 30. Mai 1996 - 5 C 14.95 -, BVerwGE 101,194 = FEVS 47,97 = NJW
1996,3427.
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Dieses hat ausgeführt, daß die Anforderungen an den Nachweis ausreichender
Suchaktivitäten durch die Verhältnisse am örtlichen Wohnungsmarkt entscheidend
mitbestimmt werden. Damit wird aber weder die allgemeine Marktlage zum alleinigen
Kriterium erhoben, noch wird gefordert, individuelle Erschwernisse in der Person des
Wohnungssuchenden aus den Überlegungen auszublenden. Daher konnte das
Verwaltungsgericht ohne Abweichung von höchstrichterlich formulierten Grundsätzen
davon ausgehen, daß der allgemeinen Marktlage jedenfalls dann keine
alleinentscheidende Bedeutung für die Bestimmung der Anforderungen an die
Konkretisierung von vergeblichen Bemühungen der Wohnungssuche zukommt, wenn
der betreffende Hilfebedürftige vom Sozialhilfeträger auf eine Unterkunftsart verwiesen
wird, die ihm aufgrund personenbezogener Umstände nur schwer zugänglich ist. Daher
konnten vorliegend trotz - unterstellt - günstiger Wohnungsversorgung im Stadtgebiet die
glaubhaften individuellen Schwierigkeiten des Klägers beim Auffinden eines möblierten
Zimmern berücksichtigt werden. Auch die weitergehende Behauptung des Beklagten,
die Erfolgsaussichten für wohnungssuchende Ausländer bzw. für Sozialhilfebezieher
seien derzeit groß, ist nicht im Hinblick auf die hier in Rede stehende Unterkunftsart des
möblierten Zimmers spezifiziert worden und deshalb zur Darlegung ernstlicher Zweifel
iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ungeeignet. Wenn schließlich an anderer Stelle die
diesbezüglichen Schwierigkeiten von Ausländern als allgemeines Problem bezeichnet
werden, ist das noch kein hinreichender Grund, diese Schwierigkeiten unberücksichtigt
zu lassen.
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Vor diesem Hintergrund unterliegt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der
Kläger habe seine Bemühungen um eine angemessene Unterkunft in (noch)
ausreichendem Maße konkretisiert, keinen ernstlichen Zweifeln. Soweit es die
Bemühungen um ein möbliertes Zimmer betrifft - und unter Zugrundelegung der
Rechtsauffassung des Beklagten kommt es allein auf diese Bemühungen an -, war vom
Kläger im mehrmonatigen zeitlichen Abstand nicht mehr ohne weiteres zu erwarten, daß
er sich an die Namen oder genauen Ortsangaben zu den telefonisch nachgefragten
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Zimmerangeboten erinnern konnte; das gilt insbesondere angesichts der vom Kläger
angegebenen Zahl von etwa 100 Anrufen. Im übrigen vermitteln die vom Kläger im
erstinstanzlichen Verfahren geschilderten Aktivitäten zur Suche von Kleinwohnungen
bzw. Appartements den Eindruck hinlänglicher Bemühungen. Soweit der Beklagte auch
insoweit Einzelheiten wie Vermieternamen, genaue Belegenheit der Wohnungen oder
Besichtigungsdaten vermißt, hat das aus den schon geschilderten Umständen auch
nach Auffassung des Senats keine durchgreifende Bedeutung. Außerdem vermochte
der Kläger Defizite bei der Erinnerung an Namen und Daten dadurch auszugleichen,
daß er statt dessen relativ genaue Angaben über den Zuschnitt besichtigter Wohnungen
oder den Ablauf der Besichtigungen sowie der dabei geführten Gespräche machen
konnte; indem der Beklagte wegen dieser Detailschilderungen die Glaubwürdigkeit des
Klägers in Frage gestellt sieht, verkennt er auch nach Auffassung des Senats die
individuell unterschiedliche Ausrichtung der Merkfähigkeit.
Der Beklagte legt ernstliche Zweifel an der angefochtenen Entscheidung auch nicht im
Hinblick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Bemühungen des
Klägers um eine städtische bzw. eine öffentlich geförderte Wohnung dar. Selbst wenn
das Verwaltungsgericht mit seinem Ansinnen an den Beklagten, nähere Angaben zum
Angebot und zu den Preisen der örtlichen Wohnungsbaugesellschaften zu machen, die
insoweit geltende "Beweislastverteilung" verkannt haben sollte, würden allein daraus
noch keine ernstlichen Richtigkeitszweifel am Ergebnis des angefochtenen Urteils
folgen. Vielmehr hätte im Rahmen der Darlegungen zum Zulassungsgrund nach § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO glaubhaft vorgetragen werden müssen, daß die Einschaltung
öffentlicher Wohnungsbauunternehmen für den Kläger ein erfolgversprechender Weg
gewesen wäre; das muß um so mehr gelten, als möblierte Zimmer herkömmlicherweise
von Privatpersonen und nicht primär von Wohnungsbaugesellschaften vermietet
werden. Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger über die
kommunale Wohnungsvermittlungsstelle der Stadt eine Unterkunft hätte erlangen
können. Der Beklagte hat hierzu geltend gemacht, der Kläger habe es bereits versäumt,
dort auf eine besondere Dringlichkeit seines Umzugswunsches hinzuweisen und
überdies hinreichende eigene Bemühungen um eine angemessene Wohnung zu
belegen. Das Ergebnis des angefochtenen Urteils wäre aber nur dann ernsthaft in Frage
gestellt, wenn der Beklagte, anders als geschehen, dargelegt hätte, daß aufgrund der
damaligen persönlichen Situation des Klägers überhaupt eine hinreichende
Dringlichkeit als Voraussetzung für eine Wohnraumbenennung anerkannt worden wäre;
die bloße Beteuerung des Klägers, es sei dringend, hätte für eine solche Anerkennung
sicher nicht genügt.
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Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen sind ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit des angefochtenen Urteils zum weit überwiegenden Teil schon deshalb nicht
gegeben, weil der Kläger in jedem Falle die Übernahme des angemessenen Teils der
Unterkunftskosten durch den Beklagten beanspruchen konnte. Denn nach der unlängst
bekanntgewordenen neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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Urteil vom 1. Oktober 1998 - 5 C 6.98 -
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sind Aufwendungen für eine neue Unterkunft vom Sozialhilfeträger jedenfalls in
angemessener Höhe zu übernehmen. Diese Verpflichtung hängt nicht davon ab, daß
der Hilfesuchende dem Sozialhilfeträger die für den Wohnbedarf maßgeblichen
Umstände vor Abschluß des Vertrages über die neue Unterkunft mitgeteilt hat. Weiter ist
die aus § 3 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 der Regelsatzverordnung herzuleitende teilweise
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Übernahmeverpflichtung nicht davon abhängig, daß der Hilfesuchende bereit und in der
Lage ist, die Differenz zwischen den angemessenen und den tatsächlichen Kosten der
Unterkunft dauerhaft zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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