Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2002

OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesellschafter, einfache streitgenossenschaft, beitragsfestsetzung, feststellungsklage, anfechtungsklage, verwaltungsakt, grundstück, zustellung

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 5299/00
Datum:
07.05.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 A 5299/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 7 K 4576/98
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert. Es wird festgestellt, dass durch
den dem Kläger bekannt gegebenen Bescheid vom 12. August 1998 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1998 keine
Beitragsfestsetzung und kein Zahlungsgebot gegenüber dem Kläger
erfolgt ist.
Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit
in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger und sein Bruder K. M. sind die beiden Gesellschafter einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR), zu deren Gesellschaftsvermögen - neben einem weiteren,
hier nicht verfahrensgegenständlichen Grundstück - das Grundstück G. weg 14 g - l in L.
(Gemarkung B. , Flur 6, Flurstück 335) gehört. Im Grundbuch sind die beiden Herren M.
"als Gesellschafter bürgerlichen Rechts" als Eigentümer eingetragen. Im Rechtsverkehr
tritt die Gesellschaft unter dem Namen "Gebrüder M. GbR" mit Angabe einer Anschrift,
einer Telefon- und Telefaxnummer sowie einer Bankverbindung auf dem Briefbogen
auf. Das Grundstück ist 1996 durch Teilung aus dem Vorgängergrundstück Flurstück 88
entstanden und liegt nunmehr - vom G. weg aus gesehen - hinter dem Flurstück 333. Im
G. weg liegt seit alters her ein Mischwasserkanal. Das Vorgängerflurstück 88 ist 1962 zu
einer Anschlussgebühr nach dem Frontmetermaßstab herangezogen worden. Das
Flurstück 335 liegt über 50 m vom G. weg entfernt. Die Bebauung des seinerzeitigen
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Flurstücks 88 und deren Legalität ist zwischen den Beteiligten streitig. 1996 wurde für
das Flurstück 335 eine Baugenehmigung erteilt. Das darauf errichtete Gebäude ist seit
1998 an den Kanal im G. weg angeschlossen, wobei die Zuleitung über ein
Vorderliegerflurstück durch Baulast gesichert ist.
Durch zwei gleich lautende Heranziehungsbescheide vom 12. August 1998 an K. M.
und den Kläger setzte der Beklagte einen Kanalanschlussbeitrag "für Ihr Grundstück" in
Höhe von 20.891,25 DM fest. Sodann heißt es in dem Bescheid: "Für diesen Betrag
werden Sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts M. , Hans- Friedrich/M. , K. GbR in
Anspruch genommen. Einen gleich lautenden Bescheid hat auch der andere
Gesellschafter erhalten. Selbstverständlich ist der Betrag jedoch nur einmal zu zahlen."
Daran anschließend erfolgt ein Zahlungsgebot. Den vom Kläger unter dem Briefkopf
"Gebrüder M. GbR" erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch gleich lautende
Widerspruchsbescheide gegenüber den Kläger und K. M. vom 28. Oktober 1998 zurück.
Dabei wurde im Betreff als Beitragspflichtige die "GbR H. -F. und K. M. " genannt. Die
Widerspruchsbescheide enthielten eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. Der
Widerspruchsbescheid an den Kläger war an die Anschrift G. weg 14 g gerichtet, die
Privatwohnung des Klägers. Nach der Postzustellungsurkunde wurde der
Widerspruchsbescheid am 5. November 1998 dem zur Familie des Empfängers
gehörenden erwachsenen Hausgenossen/im Dienst der Familie stehenden
Erwachsenen P. W. unter der Zustelladresse übergeben. Zwischen den Beteiligten ist
unstreitig, dass in Wirklichkeit der Widerspruchsbescheid Frau W. nur im Geschäftsbüro
G. weg 17 übergeben worden sein kann.
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Gegen den ihm bekannt gemachten Bescheid erhob K. M. Anfechtungsklage, in deren
Verlauf der Beklagte den "im Streit stehende(n) Verwaltungsakt" mit Schriftsatz vom 9.
September 1999 aufhob. Im Verlauf eines Telefongesprächs zwischen einer
Mitarbeiterin des Beklagten und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10.
Dezember 1998 erfuhr der Prozessbevollmächtigte, dass auch gegen den Kläger ein
Widerspruchsbescheid ergangen sei, den der Beklagte für bestandskräftig hielt.
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Mit am 23. Dezember 1998 erhobener Klage hat sich der Kläger gegen den ihm
gegenüber ergangenen Heranziehungsbescheid gewandt. In der Klageschrift hat er
vorgetragen: Es bestünden Zweifel, ob tatsächlich von zwei getrennten Bescheiden
ausgegangen werden könne, da Miteigentümern eines Grundstücks gegenüber ein
einheitlicher Beitragsbescheid erlassen werden könne. Um wirksam zu werden, müsse
in einem solchen Fall jedem der Miteigentümer eine Ausfertigung bekannt gegeben
werden. Es bleibe dann dennoch dabei, dass es sich um einen einheitlichen
zusammengefassten Bescheid handele. Dann reiche es aus, dass nur einer der
inhaltlich übereinstimmenden in Anspruch genommenen Miteigentümer Widerspruch
einlege und Klage erhebe. Diese Klage gelte dann auch als Klage des anderen. Sollte
man sich dieser Rechtsauffassung nicht anschließen und von separaten
Heranziehungsbescheiden ausgehen, werde die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand beantragt. Der Kläger sei gemeinsam mit seinem Bruder davon ausgegangen,
dass es sich um ein einheitliches Verfahren gehandelt habe. Die Gebrüder M. hätten
den Prozessbevollmächtigten aus noch nicht genau geklärten Umständen lediglich den
Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1998, der an K. M. adressiert gewesen sei,
übergeben. Deshalb seien die Prozessbevollmächtigten irrtümlich davon ausgegangen,
dass nur ein Widerspruchsbescheid zugestellt worden sei. Erst durch den Anruf der
Mitarbeiterin des Beklagten am 10. Dezember 1998 hätten sie davon erfahren, dass
offensichtlich ein zweiter separater Widerspruchsbescheid an den Kläger zugestellt
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worden sei.
Der Kläger hat vorgetragen, dass die Zustellung an Frau W. unwirksam gewesen sei,
sodass schon deshalb keine Klagefrist habe ausgelöst werden können. Es habe
nämlich keine Zustellung an den Kläger persönlich in dem Geschäftslokal als
Ersatzzustellung vorgenommen werden dürfen. Darüber hinaus habe Frau W. weder
eine Postvollmacht für den Kläger persönlich gehabt, noch sei sie überhaupt für den
Kläger oder die Gesellschaft bürgerlichen Rechts tätig gewesen. Vielmehr sei sie bei
der M. Hoch- und Tiefbau GmbH & Co. KG beschäftigt gewesen.
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Im Protokoll zum Erörterungstermin vom 14. Juni 1999 vor dem Verwaltungsgericht
heißt es: "Der Kläger erklärt hierzu, ihm sei zwar die Frau P. W. bekannt, es sei jedoch
so, dass es sich hier um eine Mitarbeiterin der Firma M. GmbH & Co. gehandelt habe,
nicht jedoch um ein Mitglied seiner Familie oder um einen in seinem Dienst stehenden
Erwachsenen. Er weist des Weiteren darauf hin, dass das Gebäude G. weg 14 g seine
Wohnanschrift sei, wo er allein lebe. Die Büroräume der Baufirma M. seien in dem
Gebäude G. weg 17. Der Kläger vermutet, dass die Zustellung auch in diesem Gebäude
erfolgt sein könnte, mit Sicherheit jedoch nicht in dem Gebäude G. weg 14 g, weil dort
die Frau P. W. grundsätzlich keinen Zutritt habe." In der Niederschrift zur mündlichen
Verhandlung vom 18. September 2000 vor dem Verwaltungsgericht heißt es: "Der
Prozessbevollmächtigte des Klägers weist hier erneut darauf hin, dass Frau P. W. , die
laut Postzustellungsurkunde vom 5. November 1998 den Widerspruchsbescheid in
Empfang genommen hat, keine Angestellte der M. GbR gewesen sei, sondern der Firma
Hoch- und Tiefbau GmbH & Co. KG. Er weist des Weiteren darauf hin, dass die beiden
Widerspruchsbescheide, die an den Kläger ergangen sein sollen, bislang nicht
aufgetaucht seien. Der Kläger habe sie nicht, auch in dem Anwaltsbüro seien sie nicht
aufgetaucht."
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Zur materiellen Rechtslage hat der Kläger ausgeführt, dass die Beitragsforderung
verjährt sei, da ein Kanalanschlussbeitrag für das seinerzeit einheitlich genutzte
Flurstück 88 schon vor langer Zeit entstanden sei.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 12. August 1998 und den
Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1998 aufzuheben,
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sowie vorsorglich dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat vorgetragen: Der Kläger sei für eine Gesamtschuld als Gesellschafter der GbR in
Anspruch genommen. Daher handele es sich bei den Bescheiden gegenüber dem
Kläger und dem Bruder K. M. um getrennte Bescheide, die ein eigenes rechtliches
Schicksal haben könnten. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids an Frau W. als
Gewerbegehilfin des Klägers sei wirksam gewesen, sodass die Klagefrist versäumt sei.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
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Dagegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung des Klägers,
mit der er vorträgt: Die Klageerhebung sei rechtzeitig, da der Widerspruchsbescheid
nicht wirksam zugestellt worden sei und damit die Klagefrist nicht habe auslösen
können. Zustellungsrechtlich sei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts wie eine GmbH
zu behandeln, sodass an einen Gesellschafter gerichtete Privatpost nicht in den
Geschäftsräumen ersatzzugestellt werden könne. Darüber hinaus sei Frau W. keine
Gewerbegehilfin des Klägers, sondern der Firma M. Hoch- und Tiefbau GmbH & Co. KG
gewesen, sodass auch deshalb eine wirksame Zustellung nicht möglich gewesen sei.
Darüber hinaus habe die Klageerhebung von K. M. auch zu Gunsten des Klägers
gewirkt. Durch die Bescheide seien die Gesellschafter nicht als Gesamtschuldner,
sondern als Gesamthänder herangezogen worden. Es handele sich um einen Bescheid,
der lediglich in mehreren Ausfertigungen erteilt worden sei. Auch der Beklagte sei von
einer Inanspruchnahme der GbR ausgegangen, wie sich aus der Bestätigung des
Eingangs des Widerspruchs und aus dem Bescheid über die Aussetzung der
Vollziehung ergebe. Aus alledem ergebe sich, dass die Klage in jedem Falle rechtzeitig
erhoben worden sei. Jedenfalls aber müsse dem Kläger Wiedereinsetzung gewährt
werden, da er den Widerspruchsbescheid nicht erhalten habe. In der Sache wiederholt
der Kläger seine Auffassung von der Festsetzungsverjährung der Beitragsschuld.
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Der Kläger hat mit Einwilligung der Beklagtenseite (der Vertreter des öffentlichen
Interesses hat auf die Beteiligung an allen Prozesshandlungen mit Ausnahme des
Rechts auf Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet) die Klage im Hauptantrag auf eine
Feststellungsklage umgestellt und das Passivrubrum um die Beklagte erweitert.
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Der Kläger beantragt,
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unter Änderung des angefochtenen Urteils gegenüber der Beklagten festzustellen, dass
durch den dem Kläger bekannt gegebenen Bescheid vom 12. August 1998 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1998 keine Beitragsfestsetzung und kein
Zahlungsgebot ihm, dem Kläger, gegenüber erfolgt ist
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hilfsweise,
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nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie halten mit dem Verwaltungsgericht die Klage für unzulässig, da die Klagefrist
versäumt sei. Durch Übergabe des Widerspruchsbescheids an Frau W. sei wirksam an
die Geschäftsadresse des Klägers zugestellt worden. Frau W. sei berechtigt, Privatpost
entgegenzunehmen, wie sie es schon vielfach getan habe. Daher bestehe zumindest
eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht. Darüber hinaus sei der Kläger als
Gesamtschuldner in Anspruch genommen, sodass allenfalls eine einfache
Streitgenossenschaft mit dem Bruder K. M. bestehe. Für eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gebe es keine Gründe, da der Umstand, dass der Widerspruchsbescheid
nicht auffindbar sei, in der Klageschrift nicht vorgetragen worden sei. Zur Sache ist der
Beklagte der Auffassung, dass das jetzige Flurstück 335 in der Vergangenheit illegal
genutzt worden sei, sodass wegen dieser Nutzung eine Beitragspflicht nicht habe
entstehen können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen
Vorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist mit dem Hauptantrag begründet. Die im Wege einer gemäß §§ 91 Abs.
1, 125 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wirksamen
Klageänderung erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Mit der Feststellungsklage
kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
begehrt werden (§ 43 Abs. 1 VwGO), hier das Nichtbestehen eines durch den in Rede
stehenden Verwaltungsakt geregelten Beitragsfestsetzungsverhältnisses mit
Zahlungsgebot zwischen dem Kläger und der Beklagten.
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Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO.
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Vgl. zum Erfordernis der Klagebefugnis bei der Feststellungsklage BVerwG, Urteil vom
26. Januar 1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262 (271).
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Der Kläger macht nämlich das Nichtbestehen eines eigenen Rechtsverhältnisses
zwischen sich und der Beklagten zum Gegenstand der Feststellung.
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Das Feststellungsinteresse nach § 43 Abs. 1 VwGO ergibt sich daraus, dass sich die
Beklagte berühmt, wie sie es noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getan hat, sie
verfüge mit dem dem Kläger bekannt gegebenen Schreiben über eine dem Kläger
gegenüber erlassene bestandskräftige Festsetzung einer Gesamtschuld als
Gesellschafter der GbR.
31
Gerichtet ist die Feststellungsklage - im Gegensatz zur nunmehr nur hilfsweisen
Anfechtungsklage gegen den Beklagten zu 2) (vgl. § 78 VwGO) - zutreffend gegen den
Rechtsträger, dem gegenüber das Rechtsverhältnis nicht bestehen soll, hier also gegen
die Beklagte zu 1), die mit der subjektiven Klageänderung in das Verfahren eingeführt
wurde.
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Die so zulässige Feststellungsklage ist auch begründet. Das im Tenor genannte
Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht nicht.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in dem hier streitbefangenen Schreiben kein
Bescheid gegenüber dem Kläger persönlich zu sehen. In Wirklichkeit handelt es sich
nämlich bei den beiden Schreiben vom 12. August 1998, die den beiden Brüdern M.
bekannt gegeben wurden, nicht um zwei unterschiedliche Verwaltungsakte, mit denen
jeweils eine Beitragsschuld gegenüber einem Gesellschafter der GbR festgesetzt
wurde, sondern um einen einzigen Beitragsbescheid gegenüber der GbR, der lediglich
in zwei Ausfertigungen jedem der beiden - vorbehaltlich abweichender Regelungen
gemäß §§ 709 Abs. 1, 714 BGB gesamtvertretungsberechtigten - Gesellschafter bekannt
gegeben worden ist.
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Schon der Wortlaut des Schreibens spricht für einen solchen Inhalt. Denn nach der
Festsetzung des Beitrages heißt es zum rechtlichen Charakter: "Für diesen Betrag
werden Sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts M. , H. -F. /M. , K. GbR in Anspruch
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genommen. Einen gleich lautenden Bescheid hat auch der andere Gesellschafter
erhalten." Damit wird dem Wortlaut nach eine Beitragspflicht der Gesellschaft, nicht des
Gesellschafters geltend gemacht. Mit diesem Verständnis deckt sich der
Widerspruchsbescheid, in dem es im Kopf heißt: "Beitragspflichtige: GbR H. -F. und K.
M. ". Der einzige auf eine Inanspruchnahme des Klägers persönlich deutende Umstand
kann darin gesehen werden, dass im Heranziehungsbescheid nach der Anrede "Sehr
geehrter Herr M. " von "Ihr(em) Grundstück" die Rede ist. Jedoch ist dieser Anhalt zum
einen zu schwach, um den Inhalt der genannten späteren Erläuterung zu erschüttern,
zum anderen wird auch diese Eigentumszuschreibung im Widerspruchsbescheid, der
für den Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend ist, anders vorgenommen, wenn es
dort in der Begründung heißt: "Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts H. -F. und K. M. ist
Eigentümer des Grundstücks ..."
Die so dem Wortlaut nach ausgesprochene Heranziehung der Gesellschaft statt des
Gesellschafters ist auch rechtlich möglich, wenn nicht gar erforderlich. In Abkehr von der
überkommenen Theorie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als "die Gesellschafter in
ihrer gesamthänderischen Verbundenheit" wird die GbR heute als rechtsfähig
angesehen, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten
begründet.
36
Vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00 -, NJW 2001, 1056 ff.
37
Danach kann die GbR, soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen, jede
Rechtsposition einnehmen, insbesondere Grundstückseigentümerin sein.
38
Vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 61. Aufl., § 705 Rn. 24.
39
Fraglich kann allenfalls die Grundbuchfähigkeit der GbR sein,
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vgl. dazu Ulmer/Steffek, Grundbuchfähigkeit einer rechts- und parteifähigen GbR, NJW
2002, 330; Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001,
993 (1002),
41
nicht aber die Fähigkeit, Eigentümer zu sein. Dass die GbR Eigentümerin war, ergab
sich aus der gemäß § 47 der Grundbuchordnung erfolgten Eintragung der Namen der
beiden Gesellschafter im Grundbuch mit dem Zusatz "als Gesellschafter bürgerlichen
Rechts".
42
Aus dieser Rechtsinhaberschaft am Grundeigentum i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 des
Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW), wonach
die Grundstückseigentümer beitragspflichtig sind, folgt, dass die Gesellschaft und nicht
die Gesellschafter beitragspflichtig sind.
43
Vgl. Stuttmann, Hinweise zur Festsetzung von Kommunalabgaben gegen
Gesellschaften bürgerlichen Rechts nach dem Urteil des BGH vom 29. Januar 2001,
KStZ 2002, 50.
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Die Gesellschafter schulden die Erfüllung der Gesellschaftsschulden nicht, sondern
haften lediglich dafür akzessorisch kraft Gesetzes wie bei einer OHG.
45
Vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00 -, NJW 2001, 1056 (1061).
46
Damit darf den Gesellschaftern gegenüber keine Beitragsfestsetzung für ein einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts gehörendes Grundstück erfolgen, vielmehr darf ihnen
gegenüber nur ein Haftungsbescheid gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW
i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO ergehen, wie es für das Steuerrecht, soweit die GbR als
Steuerschuldnerin bereits anerkannt war, schon früher galt.
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Vgl. BFH, Urteil vom 26. August 1997 - VII R 63/97 -, BFHE 183, 307; Kruse/Loose, in:
Tipke/Kruse, AO, Loseblattsammlung (Stand: November 2001), vor § 69 Rn. 43 f.;
Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Loseblattsammlung (Stand: November
2001), vor §§ 69 - 77 Rn. 52; Rüsken, in: Klein, AO, 7. Aufl., § 69 Rn. 156; zur
Rechtsqualität eines Steuerbescheids gegen eine GbR vgl. BFH, Urteil vom 22. Oktober
1986 - II R 118/84 -, BFHE 148, 331 (333 f.); vgl. dazu, dass eine GbR nach geläuterter
Rechtsauffassung auch Bauherrin sein kann, OVG Sachsen, Beschluss vom 16. Juli
2001 - 1 B 113/01 -, NJW 2002, 1361.
48
Ein Haftungsbescheid an die Gesellschafter der GbR setzt jedenfalls dann, wenn
derjenige persönlich beitragspflichtig ist, der im Zeitpunkt des Erlasses des
Beitragsbescheides Eigentümer ist, zwingend voraus, dass ein Beitragsbescheid an die
GbR ergangen ist. Denn da die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden
akzessorisch ist, also vom Bestand der Gesellschaftsschuld abhängt, die persönliche
Beitragspflicht aber erst durch Erlass eines Beitragsbescheides entsteht, setzt ein
Haftungsbescheid die Festsetzung der Beitragsschuld gegenüber der
beitragspflichtigen GbR voraus.
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Vgl. zum Unterschied von sachlicher und persönlicher Beitragspflicht OVG NRW, Urteil
vom 2. März 1976 - II A 248/74 -, OVGE 32, 7; zum Unterschied zum Steuerrecht vgl.
Stuttmann, Hinweise zur Festsetzung von Kommunalabgaben gegen Gesellschaften
bürgerlichen Rechts nach dem Urteil des BGH vom 29. Januar 2001, KStZ 2002, 50
(51).
50
Die dem Wortlaut nach hier erfolgte Beitragsfestsetzung gegenüber der GbR war somit
rechtlich möglich, wenn nicht gar erforderlich, um jedenfalls Haftungsbescheide
gegenüber den Gesellschaftern erlassen zu können. Ob der Beklagte dies tatsächlich
wollte oder vielmehr doch den Gesellschaftern gegenüber eine Beitragsfestsetzung
vornehmen wollte, wie es entsprechend dem Verständnis einer GbR vor dem BGH-
Urteil vom 29. Januar 2001 nur möglich gewesen war, bedarf keiner Klärung, da
Wortlaut und objektiv-rechtlicher Sinn des Bescheides ihn nach heutiger geläuterter
Rechtsauffassung nur als Beitragsfestsetzung gegenüber der Gesellschaft erscheinen
lassen.
51
Auf der Grundlage der vorgenannten Auslegung des Bescheides hat der Senat dem
Kläger in der mündlichen Verhandlung angeraten (§§ 86 Abs. 3, 125 Abs. 1 Satz 1
VwGO), sein Klagebegehren dahin umzustellen, statt der bis dahin allein erhobenen
Anfechtungsklage nunmehr vorrangig einen Feststellungsanspruch zu verfolgen. Die
Anfechtungsklage wäre nämlich selbst dann unzulässig gewesen, wenn sie im Wege
des Parteiwechsels auf die GbR als Klägerin umgestellt worden wäre. Sie würde sich in
keinem Fall gegen einen wirksamen Verwaltungsakt richten (§ 42 Abs. 1 VwGO). Der
dem Kläger mit Schreiben vom 12. August 1998 bekannt gegebene Verwaltungsakt ist
durch Schreiben des Beklagten vom 9. September 1999 im Verfahren des K. M. vor dem
Verwaltungsgericht Minden (7 K 4089/98) aufgehoben worden. Zwar bezog sich die
52
Aufhebung auf den gegenüber dem Mitgesellschafter K. M. ergangenen Bescheid. Der
dem Kläger gegenüber ergangene Bescheid betrifft jedoch dieselbe Festsetzung einer
Beitragsschuld der GbR, die nur einem weiteren Gesellschafter bekannt gegeben
worden ist. An der inhaltlichen Identität der beiden Ausfertigungen ein und desselben
Verwaltungsaktes ändert dies nichts. Daher ist mit dem genannten Schriftsatz
gegenüber K. M. die der GbR gegenüber erfolgte Beitragsfestsetzung insgesamt
aufgehoben worden, einer gesonderten "Aufhebung" der dem Kläger gegenüber
bekannt gegebenen Ausfertigung bedarf es nicht.
Vgl. zur Bedeutung der ersten Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes bei mehrfacher
Bekanntgabe Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 41 Rn. 21; Hennecke, in: Knack,
VwVfG, 6. Aufl., § 41 Rn. 4.2; für Widerspruchsbescheide BVerwG, Urteil vom 18. April
1994 - 5 B 18.94 -, S. 2 f.; Urteil vom 11. Mai 1979 - 6 C 70.78 -, BVerwGE 58, 100 (106).
53
Die Anfechtungsklage wäre auch nicht etwa deshalb zulässig, weil der vorliegende
Sachverhalt eines durch behördliche Aufhebung unwirksam gewordenen
Verwaltungsakts (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 124 Abs. 2 AO; vgl.
auch den entsprechenden § 43 Abs. 2 VwVfG) gleich zu behandeln wäre mit der
Konstellation eines nichtigen Verwaltungsakts (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW
i.V.m. § 125 AO; vgl. auch den entsprechenden § 44 VwVfG), gegen den nach
einhelliger Auffassung eine Anfechtungsklage zulässig ist.
54
Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 42 Rn. 12.
55
Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen einen nichtigen Verwaltungsakt beruht
darauf, dass einerseits die Abgrenzung von bloß rechtswidrigen und damit zweifelsohne
anfechtbaren Verwaltungsakten auf der einen Seite und nichtigen Verwaltungsakten auf
der anderen Seite im Einzelfall schwierig sein kann, und dass andererseits ein
Rechtsschutzinteresse an der Beseitigung eines nichtigen Verwaltungsaktes allein
schon wegen des durch seinen Erlass gegebenen Anscheins eines wirksamen
Verwaltungsaktes gegeben ist. Beides liegt bei einem durch die Behörde
aufgehobenen, allerdings mehreren Vertretungsberechtigten bekannt gegebenen
Verwaltungsakt nicht vor.
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Vgl. dazu, dass im Falle eines mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksamen
Verwaltungsaktes keine Feststellungsklage nach der zweiten Alternative des § 43 Abs.
1 VwGO (Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts) zulässig ist, BVerwG,
Urteil vom 21. November 1986 - 8 C 127/84 -, NVwZ 1987, 330.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit
ergibt sich aus § 167 i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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