Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.08.2004
OVG NRW: nichteheliche lebensgemeinschaft, schutz der ehe, form, heimatrecht, zgb, abschiebung, anschrift, trauung, absicht, ehevertrag
Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 1823/04
Datum:
24.08.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 1823/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 12 L 2159/04
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1250,- EUR
festgesetzt.
Der Beschlusstenor soll den Beteiligten vorab telefonisch übermittelt
werden.
Gründe: Die gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Prüfung des Senats ist auf die vom Antragsteller fristgerecht dargelegten Gründe
beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese rechtfertigen es nicht, den
angefochtenen Beschluss zu ändern und dem Antrag des Antragstellers gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO stattzugeben, der Antragsgegnerin einstweilen zu untersagen, ihn
abzuschieben.
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Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass seine
für heute, 24. August 2004, vorgesehene Abschiebung - was hier allein in Betracht
kommt - mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6
Abs. 1 und 2 GG) im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG aus rechtlichen Gründen unmöglich
ist. Letzteres ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Inhalt des Schriftsatzes des
Antragstellers vom 16. August 2004, auf den das Verwaltungsgericht im Beschluss vom
selben Tag nicht eingegangen ist. Das gilt insbesondere für die in diesem Schriftsatz
mitgeteilte Heirat des Antragstellers mit der deutschen Staatsangehörigen U. N. am 10.
August 2004, mit der er auf die Zweifel der Antragsgegnerin an der Gültigkeit des
religiösen Ehevertrages zwischen beiden Eheleuten vom 15. Dezember 2001 reagiert
hat. Auch diese (nach seinem Verständnis erneute) Eheschließung des Antragstellers
mit Frau N. ändert nichts an der Feststellung im angefochtenen Beschluss, dass eine
von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte eheliche Lebensgemeinschaft mit Frau N. weder aktuell
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bestehe noch unmittelbar bevorstehe. Es kommt nicht darauf an, ob der Antragsteller
und Frau N. , wie beide unter dem 20. August 2004 an Eides Statt versichert haben, seit
Dezember 2001 (oder früher) unter der Anschrift P. T. 6 in Bonn tatsächlich in häuslicher
Lebensgemeinschaft zusammenleben. Dafür mag unbeschadet der Ummeldung des
Antragstellers zu dieser Anschrift erst zum 20. Juli 2004 sprechen, dass er in amtlichen
Schriftstücken im Jahr 1999 und dann nach Unterbrechung im Jahr 2001 (T1.------straße
63) wieder im Jahr 2002 unter der Wohnanschrift P. T. 6 geführt wurde, wohin nach
einer in der Ausländerakte befindlichen Auskunft Frau N. bereits am 1. Dezember 1995
zugezogen war. Jedenfalls genießt eine tatsächliche Lebensgemeinschaft des
Antragstellers mit Frau N. derzeit nicht den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe aus
Art. 6 Abs. 1 GG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet das
Schutzgebot der Verfassung die Institution der Ehe nicht abstrakt, sondern in der
Ausgestaltung, wie sie den herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend
zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht. Art. 6 Abs. 1 GG setzt insoweit
gesetzliche Regelungen über die Form der Eheschließung und ihre sachlichen
Voraussetzungen voraus. Dies ergibt sich aus der untrennbaren Verbindung des
Grundrechts mit der Institutsgarantie der Ehe, die notwendig eine rechtliche Ordnung
verlangt. Es bedarf einer allgemeinen familienrechtlichen Regelung, welche diejenige
Lebensgemeinschaft zwischen Frau und Mann, die als Ehe den Schutz der Verfassung
genießt, rechtlich definiert und abgrenzt. Die Ehe ist ein öffentliches Rechtsverhältnis in
dem Sinne, dass die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar ist,
die Eheschließung selbst unter amtlicher Mitwirkung erfolgt und der Bestand der Ehe
amtlich registriert wird. Der dem Gesetzgeber eingeräumte Gestaltungsspielraum, wie er
die Form der Eheschließung und die sachlichen Voraussetzungen ausgestalten will, ist
durch die Forderung nach einer Eheschließung vor einem Standesbeamten in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgefüllt worden.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 1491/91 -, NJW 1993, 3316 (Sinti-
"Ehe"); ferner OVG NRW, Beschlüsse vom 13. November 2003 - 17 B 1829/03 - und 26.
Juni 2001 - 17 B 831/01 - (islamische "Ehe").
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Es liegt auf der Hand, dass der auf einem Papier der J. I. L. e. V. mit unleserlicher
Unterschrift des Ausstellers des Ehevertrags wie auch die Eheschließung nach
islamischem Ritus am 10. August 2004 keine nach deutschem Recht wirksame Ehe
begründet haben. Denn es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Mitwirkung des
Standesbeamten (§ 1310 BGB, Art. 13 Abs. 3 Satz 1 EGBGB).
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Allerdings erstreckt sich der Schutz des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur auf
nach deutschem Recht geschlossene Ehen. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 6
Abs. 1 GG als Schutznorm auch für verheiratete Ausländer angewandt, ohne der Frage
nachzugehen, ob deren Ehe nach deutschem Recht oder nach dem Recht ihrer
Heimatländer geschlossen worden war. Nach dieser Rechtsprechung ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Zustandekommen der
Eheschließung für jeden Verlobten nach seinem Heimatrecht zu beurteilen ist (Art. 13
Abs. 1 EGBGB) und unterliegt eine Ehe auch dann dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG,
wenn nach dem für den ausländischen Verlobten maßgebenden Heimatrecht eine
rechtsgültige Ehe vorliegt, während die Verbindung für den deutschen Verlobten (nach
deutschem Recht) als "Nichtehe" zu beurteilen ist. Wesentlich dafür ist die erklärte
Willensübereinstimmung der Verlobten, miteinander die Ehe als dauernde
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Gemeinschaft eingehen zu wollen, auch wenn es an der vorgesehenen Mitwirkung des
Standesbeamten als Voraussetzung für eine wirksame Eheschließung nach deutschem
Recht fehlt, und der Umstand, dass die beabsichtigte Lebensgemeinschaft durch die für
einen Partner maßgebliche Rechtsordnung anerkannt wird.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323 =
NJW 1983, 511 f. (sog. hinkende Ehe); BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 -,
NJW 1985, 2097 = InfAuslR 1985, 196 ("Mehrehe"). OVG NRW, Beschluss vom 13.
November 2003 - 17 B 1829/03 -; OVG Saarl., Beschluss vom 18. Januar 2002 - 1 W
9/01 -.
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Auch bei Übertragung dieser Grundsätze auf das Ausländerrecht unterfällt die
angeführte Verbindung des Antragstellers mit Frau N. nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1
GG. Denn eine Ehe ist zwischen beiden auch nach iranischem Recht, dem Heimatrecht
des Antragstellers, nicht rechtsgültig geschlossen worden. Anhaltspunkte dafür, dass
die Voraussetzungen für eine nach iranischem Recht wirksame Eheschließung
vorliegen, hat der Antragsteller auch in der Beschwerdebegründung nicht vorgetragen.
Davon kann auch sonst nicht ausgegangen werden.
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Auf Grund des Ehevertrages zwischen dem Antragsteller und Frau N. vom 15.
Dezember 2001, der nach dem Beschwerdevorbringen überdies ausschließlich zur
Regelung des Innenverhältnisses der Vertragspartner in Bonn geschlossen wurde, ist
nach iranischem Recht eine rechtsgültige Ehe nicht zustande gekommen. Nach Art. 6
des iranischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) sind auch bei einer Eheschließung im Ausland
die iranischen gesetzlichen Vorschriften über die Eheschließung anwendbar. Im Iran
wird die Ehe gemäß Art. 1062 ZGB durch Angebot und Annahme in Ausdrücken
geschlossen, die deutlich die Absicht erkennen lassen, eine Ehe einzugehen, und muss
die Eheschließung nach Art. 1 des iranischen Ehegesetzes in einem der gemäß der
Verordnung des Justizministeriums errichteten Notariatsbüros vollzogen und
eingetragen werden. In Anknüpfung daran ist gemäß Art. 969 ZGB, wonach die
Errichtung von Urkunden dem Recht des Ortes unterliegt, an dem sie errichtet werden,
in Verbindung mit der iranischen Rechtspraxis für die Form der Eheschließung das am
Eheschließungsort geltende Recht bestimmend.
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Vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderabschnitt Iran,
S. 10 f., 16 f., 23, 34.
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Demzufolge ist ungeachtet der Frage, durch welche "Autorität" der Ehevertrag vom 15.
Dezember 2001 durch Unterschrift ausgestellt worden ist, durch den Ehevertrag eine
rechtsgültige Ehe nach iranischem Recht nicht zustande gekommen, weil das am Ort
des Vertragsschlusses maßgebliche deutsche Recht, wie ausgeführt, diese Form der
Eheschließung ohne Mitwirkung des zuständigen Standesbeamten nicht vorsieht.
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Auch die wie geltend gemacht nach islamischem Ritus durch den Imam der F. C.
Moschee in Köln am 10. August 2004 vorgenommene Trauung ist keine nach
iranischem Recht rechtsgültige Eheschließung. Die Anerkennung einer in religiöser
Form in Deutschland eingegangenen Ehe im Iran ist von der Eintragung bei der
Konsularabteilung der Botschaft abhängig. Iranische Staatsangehörige können vor den
diplomatischen oder konsularischen Vertretungen Irans im Ausland die Ehe nur
schließen, wenn diese eine Ermächtigung des iranischen Justizministeriums erhalten
haben.
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vgl. Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 12.
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Dass diese Anforderungen in der iranischen Rechtspraxis gestellt werden, ist ohne
weiteres nachvollziehbar. Da eine Eheschließung im Iran der Mitwirkung eines der vom
Justizministerium eingerichteten Notariatsbüros bedarf, vor dem die Eheschließung
vollzogen werden muss, leuchtet unmittelbar ein, dass eine in religiöser Form im
Ausland geschlossene Ehe der beschriebenen Mitwirkung der konsularischen
Vertretung bedarf. Der Antragsteller hat aber nicht glaubhaft gemacht, dass die Trauung
vom 10. August 2004 diesen Anforderungen genügt.
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Die Berufung des Antragstellers auf die im Ergebnis anderslautende Rechtsprechung
des OVG Lüneburg,
15
Beschluss vom 17. Mai 2001 - 4 MA 911/01 -, InfAuslR 2001, 387,
16
überzeugt nicht, weil in dieser Entscheidung lediglich pauschal behauptet wird, auch
eine nach islamischem Ritus geschlossene Ehe sei nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützt,
ohne aber die vorstehend angeführte Voraussetzung der Rechtsgültigkeit der
Eheschließung nach dem jeweiligen Heimatrecht zu berücksichtigen.
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Zwischen dem Antragsteller und Frau N. besteht mithin allenfalls eine nichteheliche
Lebensgemeinschaft. Diese steht aber nicht unter dem Schutz der Rechtsordnung
dergestalt, dass ihretwegen ein Vollstreckungshindernis nach § 55 Abs. 2 AuslG in
Verbindung mit Art. 6 GG vorliegt. Allein die Ehe genießt als Institut neben der Familie
den besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, nicht dagegen eine andere Lebensform.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01 -, BVerfGE 105, 313 (345,
348) = NJW 2002, 2543 (2547 f.) m.w.N.
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Die (eheähnliche) nichteheliche Lebensgemeinschaft genießt daher nicht den
besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG und ist auch im Aufenthaltsrecht nicht der Ehe
gleichgestellt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1996 - 1 C 41.93 -, InfAuslR 1996, 294 (297) und
Beschluss vom 4. Juli 1995 - 1 B 223.94 -, InfAuslR 1995, 403 (404); OVG NRW,
Beschluss vom 14. Mai 2004 - 19 B 2056/03 -.
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Dies gilt auch für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, die, obwohl die Partner den
ernsthaften Wunsch zur Eheschließung haben, lediglich deshalb nicht in der Form einer
Ehe legalisiert werden kann, weil der Eheschließung Umstände entgegenstehen, auf
die die Partner schuldlos keinen Einfluss haben.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1981 - 1 B 61.81 - .
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Die Abschiebung des Antragstellers ist schließlich mit Blick auf die beabsichtigte
Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen nicht wegen Verstoßes gegen
die durch Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Eheschließungsfreiheit
im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG rechtlich unmöglich.
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Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Eheschließungsfreiheit und die rechtliche
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Unmöglichkeit einer Abschiebung kommen nicht schon bei Vorliegen eines
Verlöbnisses und der Absicht der Eheschließung und auch nicht schon dann in
Betracht, wenn der Zeitpunkt der Eheschließung völlig ungewiss ist, sondern erst, wenn
die Eheschließung unmittelbar bevorsteht,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 (131);
OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2004 - 19 B 735/04 -, m.w.N.
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Die nach dem oben Ausgeführten für den Schutz aus Art. 6 GG erforderliche
Eheschließung nach bürgerlichem Recht steht nicht unmittelbar bevor. Sie kann auch
nach Darstellung des Antragstellers erst nach der Scheidung von seiner früheren
deutschen Ehefrau Q. U1. -W. erfolgen, die nach seinen Angaben selbst bei einem
Verbleib im Bundesgebiet "realistischerweise ... noch ca. 6 Monate ... benötigt."
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Ohne Erfolg macht die Beschwerde weiter geltend, die Anwesenheit des Antragstellers
sei zur Durchführung dieses Scheidungsverfahrens vor dem Amtsgericht Bonn
erforderlich. Die (bislang wohl ergebnislosen) Nachforschungen nach dem
Aufenthaltsort von Frau U1. -W. , die das Familiengericht von ihm für die öffentliche
Zustellung des Scheidungsantrags fordert, kann der anwaltlich vertretene Antragsteller
auch aus dem Iran heraus betreiben. Für den Fall, dass seine Teilnahme an Terminen
erforderlich wird, kann er auf eine Betretenserlaubnis nach § 9 Abs. 3 AuslG verwiesen
werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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