Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.02.2005

OVG NRW: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, überwiegendes interesse, vollziehung, erlass, verfügung, androhung, benachrichtigung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 8 B 2736/04
28.02.2005
Oberverwaltungsgericht NRW
8. Senat
Beschluss
8 B 2736/04
Verwaltungsgericht Köln, 11 L 3020/04
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 25. November 2004 teilweise geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
29. Oktober 2004 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners
vom 30. September 2004 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet, soweit
die Antragstellerin darin unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe
von 250,00 EUR aufgefordert wird, dem Antragsgegner den
Fahrzeugschein für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen zur
Eintragung der zugleich verfügten Fahrtenbuchauflage vorzulegen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten beider Instanzen tragen die Antragstellerin zu 4/5 und der
Antragsgegner zu 1/5.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des
Verwaltungsgerichts für beide Instanzen auf 3.062,50 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist
sie unbegründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten
Interesse der Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
Ordnungsverfügung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben,
und dem öffentlichen Interesse an rascher Durchsetzung der Fahrtenbuchauflage fällt nur
hinsichtlich der über die Fahrtenbuchauflage hinausgehenden Anordnung der Vorlage des
Fahrzeugscheines zur Eintragung der Fahrtenbuchauflage und der darauf bezogenen
Zwangsgeldandrohung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Im Übrigen stellt das
Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO
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beschränkt ist, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.
1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von einem überwiegenden Vollziehungsinteresse
hinsichtlich der mit der angegriffenen Verfügung angeordneten Fahrtenbuchauflage
ausgegangen.
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrtenbuchauflage in der
streitbefangenen Ordnungsverfügung vom 30. September 2004 genügt den Anforderungen
des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach bedarf die Vollzugsanordnung einer
eigenständigen, das heißt für den Regelfall äußerlich und inhaltlich über die Begründung
der angeordneten Maßnahme hinausgehenden, am konkreten Einzelfall orientierten,
schriftlichen Begründung. Allerdings ist gerade für Maßnahmen der Gefahrenabwehr
anerkannt, dass sich die Gründe für den Erlass der Ordnungsverfügung mit denen für die
Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung decken können und die Begründung der
Vollzugsanordnung bei gleichgelagerten Konstellationen im Rahmen der
Massenverwaltung standardisiert werden kann.
Vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage
1998, Rn. 757 f. m.w.N.
Der Antragsgegner hat die Vollzugsanordnung in der angegriffenen Verfügung schriftlich
gesondert begründet. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der eine Fahrtenbuchauflage
nach § 31a StVZO rechtfertigenden Lebenssachverhalte ist nicht zu beanstanden, dass der
Antragsgegner dabei auf das bei der Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs
regelmäßig bestehende öffentliche Interesse verweist, kurzfristig zu verhindern, dass bei
zukünftigen Verkehrsverstößen der Führer des betroffenen Fahrzeugs nicht ermittelt
werden kann.
Das Verwaltungsgericht stützt die Annahme eines überwiegenden Vollziehungsinteresses
hinsichtlich der Fahrtenbuchauflage zunächst zutreffend auf den Umstand, dass sich die
Anordnung der Fahrtenbuchauflage bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist. Die
Ausführungen in der Beschwerdeschrift bezüglich der Frage, ob der Antragsgegner zu
Recht von der Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers des Verkehrsverstoßes
am 4. Oktober 2003 als Voraussetzung der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage
ausgegangen ist, weil hinreichende Ermittlungsbemühungen erfolglos geblieben sind,
gehen fehl. Es war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unerheblich, ob auch
eine erst drei Wochen nach Feststellung des Verkehrsverstoßes erfolgte Benachrichtigung
des Halters als noch 'angemessene' Ermittlungstätigkeit angesehen werden kann. Denn
die Antragstellerin wurde, wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, über den
streitbefangenen Verkehrsverstoß vom 4. Oktober 2003 mit Schreiben vom 17. Oktober
2003 innerhalb von zwei Wochen in Kenntnis gesetzt. Damit ist der Antragsgegner den
Anforderungen, die in der Rechtsprechung für eine unverzügliche Benachrichtigung des
Fahrzeughalters im Rahmen angemessener Ermittlungen wegen einer
Verkehrsordnungswidrigkeit regelmäßig angenommen werden,
vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 - 7 C 77.74 -, NJW 1979, 1054, Beschluss vom
25. Juni 1987 - 7 B 139.87 -, VRS 73, 400,
gerecht geworden.
Ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrtenbuchauflage ist
auch nicht deshalb zu verneinen, weil vom Zeitpunkt des ungeahndet gebliebenen
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Verkehrsverstoßes bis zum Erlass der Fahrtenbuchauflage knapp ein Jahr verstrichen ist.
Es ist Ziel der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage zu verhindern, dass mit dem
betroffenen Fahrzeug weiterhin gegen Verkehrsvorschriften verstoßen wird, ohne dass auf
den Fahrzeugführer zugegriffen werden kann. Um dieses der Verkehrssicherheit dienende
Ziel kurzfristig zu erreichen, ist es regelmäßig geboten, die sofortige Vollziehung der
Fahrtenbuchauflage anzuordnen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 - 7 C 77.74 -, NJW 1979, 1054.
Dieses Interesse wird grundsätzlich nicht dadurch gemindert oder verliert an
Rechtfertigung, dass bis zur Anordnung der Fahrtenbuchauflage mehr Zeit verstreicht, als
für die Ermittlungen in dem zunächst eingeleiteten Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren
und für einen ordnungsgemäßen Ablauf des nachfolgenden Verwaltungsverfahrens zur
Anordnung der Fahrtenbuchauflage zwingend erforderlich ist. Der Sachverhalt des
vorliegenden Verfahrens gibt keine Veranlassung zu näheren Ausführungen, ob extreme
Verfahrensverzögerungen im Einzelfall die Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Fahrtenbuchauflage in Zweifel ziehen können.
2. Das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der streitbefangenen
Ordnungsverfügung bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch sowie eines möglichen
weiteren Rechtsmittels verschont zu bleiben, überwiegt das Vollziehungsinteresse
insoweit, als der Antragsgegner die Antragstellerin über die Anordnung der
Fahrtenbuchauflage hinaus unter Androhung eines Zwangsgeldes verpflichtet hat, den
Fahrzeugschein zur Eintragung der Fahrtenbuchauflage vorzulegen. Denn bei
summarischer Prüfung spricht Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit dieser belastenden
Maßnahme.
Eine Ermächtigungsgrundlage für die Eintragung der Fahrtenbuchauflage in den
Fahrzeugschein und das Verlangen, diesen vorzulegen, um die Eintragung zu
ermöglichen, ist nicht ersichtlich. Eine solche ergibt sich nicht aus der
Straßenverkehrszulassungsordnung. § 31a StVZO enthält lediglich Regelungen über die
Voraussetzungen der Fahrtenbuchauflage (Absatz 1), über die Art und Weise des Führens
des Fahrtenbuchs (Absatz 2) sowie über die Verpflichtung, das Fahrtenbuch auf Verlangen
jederzeit der anordnenden Stelle zur Prüfung auszuhändigen und noch sechs Monate nach
Auslaufen der Dokumentationspflicht aufzubewahren (Absatz 3). Auch die Regelungen der
Straßenverkehrszulassungsordnung über Ausfertigung, Inhalt und Funktion des
Fahrzeugscheins (u.a. §§ 23 Abs. 7 - 9, 24, 27, 29d StVZO) sehen die Eintragung der
Fahrtenbuchauflage in den Fahrzeugschein nicht ausdrücklich vor. 'Weitere amtliche
Eintragungen' sieht der amtliche Vordruck für den Fahrzeugschein (Muster 2a, 2b im
Anhang zu StVZO) jedoch nur insoweit vor, als sie 'zugelassen' sind. Angesichts der
vorgenannten detaillierten Regelungen dürfte für einen Rückgriff auf
Ermächtigungsgrundlagen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts außerhalb des
Straßenverkehrsrechts (z.B. § 14 Abs. 1 OBG) kein Raum sein.
Ist folglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der
Antragstellerin gegen die Aufforderung, dem Antragsgegner den Fahrzeugschein zur
Eintragung der Fahrtenbuchauflage vorzulegen, geboten, fehlt es für die
Zwangsgeldandrohung schon an der nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW erforderlichen
Vollziehbarkeit der Grundverfügung. Deshalb ist die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin auch hinsichtlich der gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
VwGO i.V.m. § 8 AGVwGO NRW sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung anzuordnen.
Dabei versteht der Senat die Ordnungsverfügung nach ihrem maßgeblichen Tenor so, dass
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sich die Zwangsgeldandrohung nur auf die 'Aufforderung' bezieht, den Fahrzeugschein zur
Eintragung der Fahrtenbuchauflage vorzulegen (S. 2, 3. Absatz der Ordnungsverfügung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und entspricht dem anteiligen
Obsiegen und Unterliegen der Verfahrensbeteiligten.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Dabei ist der Senat
wie das Verwaltungsgericht für die Bemessung des Einzelstreitwerts für die
Fahrtenbuchauflage in Anlehnung an den Streitwertkatalog 2004 von einem Betrag von
400,00 EUR je Monat der Auflagendauer ausgegangen und hat den sich daraus
ergebenden Gesamtbetrag von 4.800,00 EUR im Hinblick auf die Vorläufigkeit des
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf die Hälfte reduziert. Für die Bemessung des
Streitwerts für die Eintragung der Fahrtenbuchauflage in den Fahrzeugschein legt der
Senat für jeden Monat der Dauer der Fahrtenbuchauflage einen Betrag von 100,00 EUR
zugrunde und nimmt anschließend ebenfalls eine Halbierung des Gesamtbetrages von
1.200,00 EUR auf 600,00 EUR vor. Die Zwangsgeldandrohung berücksichtigt der Senat
mit einem Viertel des angedrohten Zwangsgeldes, nämlich 62,50 EUR.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).