Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.03.2001

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, wahrscheinlichkeit, zahl, unhcr, staatliche verfolgung, regierung, gefahr, verdacht

Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 4845/96.A
Datum:
30.03.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 4845/96.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 11634/93.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als sie auf die Verpflichtung
der Beklagten gerichtet ist festzustellen, dass die Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der im Jahre 1968 geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer
Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge verließ er Sri Lanka am 29. Juli 1993 mit
einem in Colombo ausgestellten Reisepass auf dem Luftweg und reiste am 7.
September 1993 aus Moskau kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Am 9. September 1993 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner
Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
(Bundesamt) am selben Tag machte er unter anderem geltend: Er habe seit seiner
Geburt bis 1991 in Arali und anschließend für 1 ½ Jahre in Settiyamadam gelebt.
Danach sei er unmittelbar nach Colombo gegangen. Seine letzte Anschrift in Colombo
sei gewesen "Neu Moor Street 164, Colombo 12". Dort habe er sich seit April 1993
aufgehalten.
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Bis 1990 habe er als Fischer, anschließend bis 1991 als Landwirt gearbeitet. Danach
habe er wegen Schwierigkeiten mit der Armee nicht mehr gearbeitet und bis zu seiner
Ausreise von eigenen Mitteln gelebt. Er habe sich in Sri Lanka nicht politisch betätigt.
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Seinen Pass habe ihm der Schlepper abgenommen. Bei den Grenzkontrollen sei er von
einem Beamten fest gehalten und vernommen worden, ob er mit der LTTE etwas zu tun
habe. Dann habe er gehen können.
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Zu seinen Ausreise- und Asylgründen befragt, erklärte der Kläger: Er sei im März 1993
mit mehreren Jugendlichen von der LTTE festgenommen und zwei Tage fest gehalten
worden. Die LTTE habe von ihm Informationen über Militärstützpunkte in der Nähe von
Arali haben wollen. Er sei zunächst in Sanganai gewesen und habe dann in ein
Ausbildungslager gebracht werden sollen. Er sei nach Verstecken und
Angriffsmöglichkeiten auf den dort liegenden Militärhafen befragt worden. Er sei in einer
Wohnung mit Küche und mehreren Zimmern fest gehalten worden. Aus Angst vor der
Verbringung in ein Ausbildungslager sei er in der Nacht des zweiten Tages durch ein
rückwärtiges Fenster des Hauses, das nur auf der Vorder-, nicht jedoch auf der
Rückseite bewacht worden sei, geflohen. Um das Haus herum sei lediglich ein niedriger
Zaun gewesen, über den er hinübergesprungen sei; er habe sich dann zunächst zu
Hause versteckt. Die LTTE habe nach ihm gesucht, dabei Angehörige seiner Familie
geschlagen und angekündigt, ihn zu töten. Er habe sich dann nur noch nachts zu Hause
aufgehalten. Wegen der Luftangriffe in der Region sei das Verstecken schwierig
gewesen. Deshalb habe er am 5. April 1993 seinen Heimatort verlassen und sei mit
Hilfe eines Bekannten nach Colombo gegangen.
5
Der Bekannte habe ihn bis Vavuniya gebracht. Die Reise sei zunächst mit dem Boot
von Kilali nach Pooneryn und dann mit einem LKW bis Vavuniya erfolgt. Er habe dabei
keinen Passagier-, sondern einen Gütertransport benutzt. Bei Vavuniya habe eine
Militärkontrolle stattgefunden, danach seien sie mit dem LKW weiter bis Colombo
gefahren. Eine Genehmigung der LTTE zum Verlassen von Jaffna habe er nicht dabei
gehabt. Sie sei nicht nötig gewesen, weil er illegal gereist sei. Gütertransporte von
Jaffna nach Colombo würden von der LTTE nicht stark kontrolliert. Auch er sei nicht von
der LTTE kontrolliert worden.
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In Colombo habe er sich in einer Pension aufgehalten. Am 10. April 1993, nach zwei
oder drei Tagen in Colombo, sei er von der Polizei festgenommen worden. Er sei fünf
Tage fest gehalten und von der Polizei wegen des Verdachts von Verbindungen zur
LTTE brutal geschlagen worden. Der Pensionsinhaber habe dann seine Freilassung
erreicht, indem er der Polizei die ihm verfügbaren Informationen über ihn, den Kläger,
gegeben habe. In der Pension hätten noch drei Landsleute gewohnt. Diese seien
Anhänger der LTTE gewesen. Dies habe er erst erfahren, als sie nach der Ermordung
des Präsidenten festgenommen werden sollten. Am 4. Mai 1993 habe die Polizei ihn
nachts mit den drei Kollegen festnehmen wollen. Einige Polizisten hätten unten im Hotel
gestanden, einige oben. Sie seien "dazwischen" gewesen und er habe auf dem Weg
nach unten flüchten können.
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Das Hotel habe zwei Stockwerke gehabt. Die Polizei sei ganz oben und im Parterre
gewesen. Auf "dem Weg im Treppenhaus nach unten habe es einen Weg auf das Dach"
gegeben, den er benutzt habe. Von dem Dach sei er dann auf ein niedrigeres
Nachbarhaus gesprungen und sei auf die Straße gelangt. Die Polizisten hätten sich
oben und auch in "seiner" Etage befunden. Es habe zwei Treppen zum Dach gegeben,
eine vom Erdgeschoss, eine andere direkt von seiner ersten Etage. Diese Treppen
kämen im ersten Stock zusammen.
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Er sei geflohen aus Furcht, mit den LTTE-Anhängern in Verbindung gebracht zu
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werden. Nach der Flucht sei er nach Sanganai gegangen.
Er sei dann mit dem Auto zu einem moslemischen Bekannten gefahren; hierbei handele
es sich um die bereits zuvor angegebene Anschrift. Dieser Bekannte, dem er alles
erzählt und erklärt habe, dass er ein Versteck brauche, habe ihm geholfen. Er, der
Kläger, habe dann am 12. Mai 1993 einen Brief an seine Mutter geschrieben und diesen
Brief einem Bekannten mitgegeben. Daraufhin sei seine Mutter Ende desselben Monats
nach Colombo gekommen. Sie habe Kontakt mit einem Agenten aufgenommen und
diesem 300.000 Rupien für die Ausreise gezahlt. Sie hätten sehr viel Geld gehabt und
es vielen Leuten geliehen, als ihre Landwirtschaft noch gut gelaufen wäre. Dieses Geld
hätte seine Mutter wahrscheinlich zurückgefordert. Der Agent habe ihm bei den
Reisevorbereitungen, bei der Besorgung des Passes und bei der Durchführung der
Reise geholfen.
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Mit Bescheid vom 29. September 1993 lehnte das Bundesamt das Asylbegehren des
Klägers ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz
(AuslG) nicht vorliegen und erließ eine Ausreiseaufforderung mit
Abschiebungsandrohung nach Sri Lanka. Ferner stellte das Bundesamt fest, dass ein
Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Sri Lanka vorliege.
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Gegen den ihm am 3. November 1993 zugestellten Bescheid hat der Kläger hat am 15.
November 1993 Klage erhoben, mit der er unter Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes die Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung und zur
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG begehrt hat. Zu seinen
Erlebnissen vor der Ausreise aus Sri Lanka hat er geltend gemacht: Er sei in Colombo
nur unter vagem, nicht konkretisierten Verdacht fünf Tage inhaftiert und brutal
geschlagen worden. Sein Vortrag zur Flucht vor drohender Verhaftung sei lebensnah,
detailreich und auch vor dem Hintergrund der Ermordung von Staatspräsident
Premadasa glaubhaft. Als Vorverfolgter sei er als Asylberechtigter anzuerkennen. In der
mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 17. Juli 1996 wies der Kläger
ergänzend darauf hin, er habe als Folge eines in Deutschland erlittenen Unfalls Narben
am rechten Bein, die ihn in Sri Lanka verdächtig machen würden. In der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger seine Klage insoweit
zurückgenommen, als sie die Feststellung des Bundesamtes betraf, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 AuslG vorliegen.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die
Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes
vom 29. September 1993 verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und eine Abschiebung nicht nach Sri
Lanka erfolgen darf; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Auf den nach Zustellung des Urteils am 28. August 1996 gestellten Antrag des
Beteiligten vom 5. September 1996 hat der Senat durch Beschluss vom 20. November
1996 die Berufung zugelassen für den sinngemäßen Antrag,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, soweit sie
die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG betrifft.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er macht geltend: Die Situation in Sri Lanka habe sich zwischenzeitlich verschlechtert.
Ausweislich des Runderlasses des Innenministeriums NRW vom 19. Februar 2001
würden abgelehnten Asylbewerbern vor einer Rückführung vom srilankischen
Generalkonsulat in Bonn keine Reisepässe (mehr) ausgestellt. Bei einer Rückkehr mit
einem Passersatzpapier wären Tamilen für mehrere Monate ohne Ausweispapiere und
in dieser Zeit in besonderem Maße Kontrollen und den hieraus resultierenden
Gefährdungen ausgesetzt. Hinsichtlich der Dauer bis zur Beschaffung von
Ausweispapieren und der erhöhten Gefährdung bei einem Aufenthalt ohne gültige
Ausweispapiere sowie hinsichtlich der Richtigkeit seiner Angaben in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat zur Adresse der von ihm bewohnten Lodge in Colombo
werde hilfsweise die Einholung von Sachverständigengutachten des Herrn Keller-
Kirchhoff aus Dortmund beantragt.
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Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.
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Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2001
ergänzend zu seinen Asylgründen befragt. Insoweit wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zum überwiegenden Teil begründet. Das angefochtene Urteil ist zu
ändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als der Kläger die Feststellung
begehrt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (I.). Lediglich
hinsichtlich der Benennung von Sri Lanka als Zielstaat der Abschiebung ist der
Bescheid des Bundesamtes vom 29. September 1993 demgegenüber rechtswidrig,
sodass es insofern bei der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Aufhebung des
Bescheides zu verbleiben hat (II.).
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I. Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
23
In dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegen die materiellen
Voraussetzungen für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht
vor.
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Wegen der für die Beurteilung des Begehrens maßgeblichen Ansatzpunkte und
Kriterien wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502, 1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die
Asylberechtigung dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend
relevant, auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
25
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1 GG und
§ 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts
und des politischen Charakters der Verfolgung BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9
C 59.91 -, NVwZ 1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters
bei Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer
26
Konvention (GK) BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 45, 42 =
NVwZ 1994, 497 (498 f.)
Für die Beurteilung, ob der Kläger politisch Verfolgter ist, ist nicht darauf abzustellen, ob
er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist,
sondern darauf, ob ihm politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht,
denn er ist nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist; mithin kommen nur Nachfluchttatbestände in Betracht.
27
Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 und
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 (369) = NVwZ 1992,
578 m.w.N.; zur Übereinstimmung der Maßstäbe nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1
AuslG und Art. 1 A Nr. 2 GK in der praktischen Rechtsanwendung vgl. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9
C 48.92 -, a.a.O.
28
1. Vorverfolgung
29
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, während
hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen genügt, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergibt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 212, ferner zur Verfassungsmäßigkeit der Substantiierungslast BVerfG,
Beschluss vom 23. Dezember 1985 - 2 BvR 1063/84 -, NVwZ 1987, 487.
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Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, dass er Sri Lanka aus einer
ausweglosen Lage unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender politischer
Verfolgung verlassen hat.
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Die nach den Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt für das Verlassen der
Halbinsel Jaffna Anfang 1993 ausschlaggebende Verhaftung durch Angehörige der
LTTE und die Suche nach ihm nach seiner Flucht sind nicht als politische Verfolgung
anzusehen. Maßnahmen von Seiten der LTTE können dem srilankischen Staat, der die
LTTE in der Heimatregion des Klägers mit allen Mitteln als Bürgerkriegsgegner
bekämpft und auch im Übrigen alles unternimmt, die Aktionen dieser Gruppierung zu
unterbinden und ihrer Mitglieder habhaft zu werden, nicht zugerechnet werden.
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Auch die vom Kläger angesprochenen staatlichen Maßnahmen im Rahmen der
Kampfhandlungen zwischen der srilankischen Armee und der LTTE in seiner
Heimatregion wie Luftangriffe und Bombardierungen stellen keine politische Verfolgung
dar. Der srilankische Staat hatte in dieser Region zur damaligen Zeit keine effektive und
umfassende Gebietsgewalt inne, sondern führte im Rahmen des herrschenden
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Bürgerkrieges mit militärischen Mitteln einen Kampf um die Rückeroberung bzw. gegen
die Loslösung eines Teils seines Staatsgebiets. Obwohl die - nach Vertreibung der
übrigen Bevölkerungsgruppen durch die LTTE dort faktisch allein noch ansässige -
tamilische Zivilbevölkerung durch militärische Aktionen sowie Einschränkungen der
Versorgung und der Zugänglichkeit der Halbinsel Jaffna erheblich beeinträchtigt wurde,
war die Art und Weise der Kampfführung dabei nicht auf die physische Vernichtung von
nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet, die keinen
Widerstand mehr leisten konnten oder wollten oder am militärischen Geschehen nicht
oder nicht mehr beteiligt waren; sie ist auch nicht auf Grund sonstiger Umstände als
asylerheblich zu bewerten. Die Aktionen der Sicherheitskräfte zielten vielmehr trotz ihrer
Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung ihrer objektiv erkennbaren
Gerichtetheit nach nicht auf asylerhebliche - namentlich ethnische -
Persönlichkeitsmerkmale der Opfer, sondern betrafen sie allein wegen der Tatsache der
Anwesenheit im umkämpften Gebiet bzw. zum Zwecke der Ergreifung von LTTE-
Kämpfern oder -Unterstützern und dienten der Informationsgewinnung über den auch
aus dem Umfeld der tamilischen Zivilbevölkerung heraus operierenden
Bürgerkriegsgegner. Der Senat hat dies wiederholt entschieden (vgl. etwa die Urteile
vom 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A - und - 21 A 914/91.A -, 15. März 1993 - 21 A
1354/92.A - sowie vom 1. Oktober 1996 - 21 A 3050/96.A -). Auf diese Entscheidungen,
die auf Auskunftsmaterial aufbauen, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt
worden ist, wird wegen der Begründung im Einzelnen Bezug genommen; ferner wird auf
die nachfolgenden Ausführungen zur Bürgerkriegssituation im Norden verwiesen.
Eine politische Vorverfolgung des Klägers ergibt sich auch nicht aus seinen
Schilderungen zu der angeblichen Inhaftierung und dem späteren Festnahmeversuch
seitens der staatlichen Sicherheitskräfte in Colombo. Der Senat vermag den
diesbezüglichen Angaben des Klägers keinen Glauben zu schenken, ohne dass es
insoweit auf die vom Kläger hilfsweise unter Beweis gestellte Anschrift der von ihm
bewohnten Lodge in Colombo ankäme; der diesbezügliche Hilfsbeweisantrag ist daher
abzulehnen.
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Der Senat verkennt zunächst nicht, dass sich das Vorbringen des Klägers zu den
angeblichen Geschehnissen in Colombo in der mündlichen Verhandlung am 30. März
2001 im Großen und Ganzen im Rahmen dessen hält, was er bereits zuvor vor dem
Bundesamt angegeben hatte; insbesondere fällt auf, dass der Kläger in der Lage war,
sämtliche dort gemachten Angaben zu Daten verschiedenster Ereignisse exakt auf den
Tag genau zu wiederholen, ohne dass Diskrepanzen aufgetreten oder
Erinnerungsschwächen erkennbar geworden wären. Gerade diese genaue Wiedergabe
auch von Daten, denen im Rahmen seiner Erlebnisse eher geringere Bedeutung
beizumessen ist, lässt es bei einer mehr als sechs Jahre nach den berichteten
Geschehnissen liegenden Befragung als möglich und sogar nahe liegend erscheinen,
dass die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf einer eingehenden
Vorbereitung unter Zuhilfenahme des Protokolls über die Befragung beim Bundesamt
und weniger auf präsenter Erinnerung beruhen.
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Der Senat vermag vor diesem Hintergrund die Konstanz der Angaben des Klägers nicht
als ausschlaggebendes Argument für die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens zu
bewerten. Vielmehr fallen sowohl erhebliche Diskrepanzen als auch eine fehlende
Plausibilität hinsichtlich gerade auch zentraler Umstände des Berichteten und die
Reaktion des Klägers auf den Vorhalt dieser Umstände während der mündlichen
Verhandlung am 30. März 2001 entscheidend ins Gewicht. Sie führen in der
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Gesamtwürdigung des Vorbringens dazu, dass der Senat dem Kläger seine Schilderung
der Vorgänge in Colombo nicht als wahres, von ihm tatsächlich so erlebtes Geschehen
abnimmt.
Widersprüchlich sind zunächst die Angaben des Klägers dazu, wie der Inhaber der von
ihm bewohnten Lodge seine Freilassung aus der Polizeihaft bewerkstelligt haben soll.
So wusste der Kläger beim Bundesamt als Grund für seine Freilassung einen - offenbar
routinemäßigen - Ablauf zu schildern, nach dem Pensionsinhaber von der Polizei über
Festnahmen informiert würden, daraufhin zur Polizei gehen und Angaben über ihre
Gäste machen müssten, woraufhin die Sicherheitspolizei auf Grundlage der Angaben
die Entscheidung über eine Freilassung treffe und die Polizei verständige. Hierzu im
Widerspruch steht die Darstellung, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu
den Umständen seiner Freilassung gegeben hat: Nunmehr berichtete er, der Lodge-
Inhaber habe seine Freilassung dadurch erreicht, dass er mit einem Bekannten
gesprochen habe, der Angehöriger des CID sei, und der wiederum auf einen höheren
Polizeibeamten eingewirkt habe, der für Fragen der Haft zuständig gewesen sei. Eine
ausreichende Erklärung für die deutlich unterschiedlichen Darstellungen - hier eine
routinemäßige Verfahrensweise, dort individuelle Bemühungen des Lodge-Inhabers
unter Inanspruchnahme besonderer Verbindungen zum CID -, die sich nicht etwa auf
untergeordnete Details, sondern auf einen für die angebliche Haft entscheidenden
Umstand beziehen, hat der Kläger trotz Vorhalts nicht zu geben vermocht. Zweifel
daran, dass der Kläger bezüglich der Inhaftierung eigene Erlebnisse wiedergegeben
hat, ergeben sich ferner daraus, dass er - von Antworten auf konkrete Fragen zu dem
asylrelevanten Kerngeschehen abgesehen - zu seiner angeblichen immerhin fünf Tage
dauernden Inhaftierung trotz Nachfrage keine Einzelheiten benennen konnte.
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Widersprüche sind auch festzustellen hinsichtlich der Angaben des Klägers zu
zentralen Details seiner angeblichen Flucht vor einer Verhaftung in Colombo. In der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. März 2001 knüpfte der Kläger seine
angebliche Furcht vor einer Inhaftierung unter dem Verdacht einer Verbindung zur LTTE
zunächst daran, dass die Polizisten zu seinem Zimmer in der Lodge gekommen seien,
um seine beiden Zimmmergenossen, deren Namen ihnen bekannt gewesen seien,
festzunehmen; dem habe er entnommen, dass es sich hierbei um Anhänger der LTTE
handele, nachdem er zuvor nur einen diesbezüglichen Verdacht gehegt habe.
Demgegenüber hatte der Kläger vor dem Bundesamt erklärt, es habe sich um drei
Landsleute gehandelt, die seinerzeit hätten festgenommen werden sollen, weil es sich
um Anhänger der LTTE gehandelt habe. Auch diesen Widerspruch zu einem zentralen
Detail des angeblichen Festnahmeversuchs hat der Kläger nicht überzeugend
aufzulösen vermocht. Die gegenüber dem Senat auf Vorhalt abgegebene Erläuterung,
auch im Nachbarzimmer habe sich noch eine Person aufgehalten, von der er vermute,
dass sie gleichfalls hätte festgenommen werden sollen, leuchtet bereits deshalb nicht
ein, weil der Kläger seine Erkenntnis der angeblichen LTTE-Mitgliedschaft seiner
beiden Zimmergenossen zuvor gerade und allein darauf gestützt hatte, dass die
Polizisten deren Namen nannten, während dies auf den angeblichen Dritten, den der
Kläger im Übrigen - in der mündlichen Verhandlung - erstmals auf den diesbezüglichen
Vorhalt erwähnt hat, auch seinen eigenen Angaben nach nicht zutraf. Die Berufung des
Klägers auf diesen "unbekannten Dritten" lässt sich nach Überzeugung des Senats
allein dadurch erklären, dass der Kläger diese Person nach dem Vorhalt seines
widersprüchliches Vorbringens hat "aufleben" lassen, um seinen Vortrag in der
mündlichen Verhandlung seinen bisherigen Darstellungen anzupassen.
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Gegen die Darstellung des Klägers zu den Umständen des angeblichen
Festnahmeversuchs spricht ferner, dass das angebliche Verhalten der Polizei
schlechthin nicht nachvollziehbar ist. Wenn die Polizisten in den angeblichen
Zimmergenossen des Klägers, die ein Zimmer im ersten Obergeschoss bewohnten,
tatsächlich Mitglieder der LTTE und Beteiligte an dem wenige Tage zuvor in
unmittelbarer Nähe zur Lodge verübten Attentat auf den Staatspräsidenten vermutet
hätten, widerspricht es in jeder Hinsicht einem planmäßigen Polizeieinsatz der mit der
Verfolgung von an Terroranschlägen Beteiligten seit Jahren befassten srilankischen
Polizei, diese Personen vor einer bevorstehenden Festnahme durch lautes Rufen ihrer
Namen schon auf der Treppe zu warnen, wie dies der Kläger berichtet. Jedenfalls
erscheint es dann wenig plausibel, dass die Polizei keine Anstalten gegen eine Flucht
aus dem Fenster und über die "zweite" Treppe ergriffen haben soll; die angebliche
unbehelligte Flucht des Klägers über die Dächer der Lodge und des Nachbargebäudes
auf die Straße zeigt jedoch, dass dort offenbar keine Polizisten postiert waren.
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Ebenfalls widersprüchlich sind die Angaben des Klägers dazu, wann er den
angeblichen Brief an seine Mutter geschrieben haben will. Während er die Abfassung
des Briefes sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch zunächst in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich auf den 12. Mai 1993 datiert hat, ist er von
dieser Darstellung abgerückt, nachdem ihm die - erklärungsbedürftig lange - Zeitspanne
zu der angeblichen Flucht aus der Lodge am 4. Mai 1993 vorgehalten worden war.
Wenngleich es sich bei dem Zeitpunkt der Abfassung des Briefes nicht um ein für das
angebliche Verfolgungsgeschehen bedeutsames Detail handelt, so zeigt jedoch auch
diese Korrektur der mehrfachen und übereinstimmenden abweichenden Angaben des
Klägers, dass sein Aussageverhalten durch das Bestreben bestimmt war, seine
prozessuale Situation zu verbessern.
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Der letztgenannte Schluss drängt sich dem Senat auch angesichts der Angaben des
Klägers zu den Umständen seiner Ausreise aus Sri Lanka auf. Während der Kläger
beim Bundesamt die Frage nach Problemen bei den Grenzkontrollen noch bejahte und
erklärte, er sei von einem Beamten von der Grenzkontrolle festgehalten, vernommen
und nach Verbindungen zur LTTE befragt worden - eine Darstellung, die er mit der
Erläuterung, er sei freigekommen, weil er "ihnen" gesagt habe, dass er "mit der LTTE
nichts zu tun habe" und dass er "ein armer Mann" sei, zunächst auch in der mündlichen
Verhandlung aufrechterhalten hat -, hat er auf den Vorhalt, dass eine reguläre Ausreise
über den Flughafen im Widerspruch zu dem gegen ihn angeblich bestehenden Verdacht
stehe, auch diese Schilderung geändert und erklärt, "dies alles" sei von seinem Agenten
"organisiert" worden. Auch für diese Änderung seines Vorbringens ist der Kläger eine
nachvollziehbare Erklärung schuldig geblieben.
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Kann dem Kläger hiernach die zuletzt aufgestellte Behauptung, dass die Ausreise nur
wegen des Eingreifens seines Agenten geglückt ist, als allein prozesstaktisch motiviert
nicht geglaubt werden, weckt die tatsächlich offenbar problemlos mögliche Ausreise
über den Flughafen mit einem auf die Personalien des Klägers lautenden Pass - von
einer Unrichtigkeit der Papiere war nie die Rede, jedenfalls aber führte der Kläger
offenbar seine "identity-card" mit sich - unter Absolvierung der üblichen
Ausreisekontrollen auch durchgreifende Zweifel an der Plausibilität der Schilderung des
Klägers zu dem angeblich gegen ihn bestehenden Verdacht. Es ist nicht
nachvollziehbar, dass der Kläger sich relativ kurze Zeit nach dem behaupteten
Festnahmeversuch durch eine Ausreise auf diesem regulären Wege mit der
zwangsläufigen Folge des Durchlaufens der Grenzkontrollen der Gefahr einer
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Ergreifung aussetzte, wenn er - wie er eigenen Angaben nach befürchtete - bei den
Sicherheitskräften, denen seine Personalien bei der ersten - angeblichen - Inhaftierung
von dem Lodge-Inhaber bekannt gegeben worden waren, in einem - durch seine Flucht
noch untermauerten - Verdacht einer Beteiligung an der Ermordung des Präsidenten
stand.
In einer Zusammenschau aller vorgenannten Umstände vermag der Senat den
Darstellungen des Klägers zu seinen angeblichen Erlebnissen in Colombo keinen
Glauben zu schenken; vielmehr rechtfertigen insbesondere die dargestellten
Einlassungen des Klägers in Reaktion auf den Vorhalt von Unstimmigkeiten und
Plausibilitätsbedenken nur den Schluss, dass seine Schilderungen zum angeblichen
Vorfluchtschicksal den Zweck verfolgen, Abschiebungsschutz zu erlangen, ohne dass
ihnen ein tatsächlich erlebtes Geschehen zu Grunde liegt.
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2. Beachtliche Nachfluchtgründe
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Nachfluchtgründe greifen nicht ein.
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a) Subjektive Nachfluchtgründe
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Eine nach dem Verlassen Sri Lankas selbst herbeigeführte Verfolgungsgefahr, die
einen subjektiven Nachfluchtgrund ergeben könnte, ist nicht ersichtlich; insbesondere
gibt die Stellung eines Asylantrages dafür nichts her (AA 19.01.1999 S. 11; 28.04.2000
S. 23; UNHCR 25.04.1997).
48
b) Objektive Nachfluchtgründe
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Auch ein objektiver, also aus der jetzt gegebenen Situation in Sri Lanka folgender
Nachfluchtgrund liegt nicht vor. Es fehlt dazu an der erforderlichen beachtlichen
Wahrscheinlichkeit einer bei der Rückkehr drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
50
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen,
wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen.
51
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 32.87 - Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 - BVerwGE 79, 143 (150, 151) = NVwZ
1988, 538, und vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992,
582 (584) m.w.N.
52
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
53
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
54
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
56
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
57
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht, 2.
Auflage, S. 791 und sinngemäß wiedergegeben in UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge",
August 1987, S. 8, 9.
58
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
59
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501 m.w.N., und vom 18. Januar 1994
- 9 C 48.92 -, a.a.O., S. 500 und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden
Sicherheit" u.a. BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70,
169 (171) und vom 26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 (178 f.) m.w.N.;
Göbel- Zimmermann, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Bd. II, B 1
Art. 16 a GG Rdnr. 42 m.w.N. (Bearbeitung November 1996).
60
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
61
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
62
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
63
aa) Einreise nach Sri Lanka
64
Die Einreise nach Sri Lanka ist über den Flughafen von Colombo möglich, ohne dass
Rückkehrern bei den regelmäßigen und eingehenden Personenkontrollen, die
insbesondere auch wegen der Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für
65
Anschläge ausgebildeten LTTE-Kadern stattfinden (KK 24.02.1997 S. 2), mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen drohen, die als politische Verfolgung zu
bewerten sind. Allein die Tatsache des Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines
Asylbegehrens im Ausland stellen bei der Einreise keine Anknüpfungspunkte für
Übergriffe der Sicherheitskräfte dar (AA 16.01.1996 S. 9 f.; 19.01.1999 S. 11 und 19;
28.04.2000 S. 23; UNHCR 25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz eines gültigen
srilankischen Reisepasses sind, ist die Einreise in aller Regel unproblematisch (AA
28.04.2000 S. 22).
aaa) Identitätskontrollen
66
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen die Rückkehrer rechnen, die nicht über
einen Reisepass, sondern lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen
auf der Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "emergency certificate" (AA 23.09.1997; KK 02.09.1997; UNHCR --
.07.1998 S. 5) verfügen (AA 18.04.2000 S. 6 f.; 28.04.2000 S. 22; amnesty international -
ai - 01.03.1999 S. 3), weil sich bei diesem Personenkreis die Fälle häuften, in denen die
aus den Reisedokumenten hervorgehenden Personalien nicht mit den von den
Rückkehrern am Flughafen angegebenen richtigen Personalien übereinstimmten (AA
18.04.2000 S. 6 f.) und damit der Verdacht besteht, dass die Ausreise illegal, d.h. mit
gefälschten Papieren stattgefunden hat (so KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 4 f.). Bei
Zweifeln an der Identität, die der Betroffene nicht ausräumen kann, kann es für die
Dauer der Identitätsfeststellung zum Festhalten bzw. zur Festnahme und Inhaftierung
kommen (AA 19.01.1999 S. 20; 28.04.2000 S. 23; 11.07.2000 S. 1). Der
Sachverständige Keller-Kirchhoff schätzt die Lage dahin ein, dass es seit 1998/1999 -
verglichen mit den Jahren zuvor - zu einer "erheblichen Zunahme" von Inhaftierungen
bei der Einreise gekommen ist (KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 4 f.). Weiter wird davon
berichtet, dass seit dem 1. Januar 2000 von den weltweit etwa 3.000 nach Sri Lanka
abgeschobenen Tamilen etwa 2.000 - darunter mehr als 100 aus Deutschland
Abgeschobene - in Untersuchungshaft genommen worden seien (Busch 02.11.2000 S.
4).
67
Wenn die Personenüberprüfung nicht innerhalb von Stunden oder eines Tages
abgeschlossen werden kann, erfolgt (innerhalb von 24 Stunden) eine Vorführung vor
den örtlich zuständigen Haftrichter in Negombo (Magistrate's Court), der darüber
entscheidet, ob ein weiteres Festhalten durch die Polizei zulässig ist, sei es zum
ausschließlichen Zweck der Personenüberprüfung (AA 28.04.2000 S. 23), sei es wegen
eines Verstoßes gegen die Einreise- oder Ausreisevorschriften (Busch 02.11.2000 S. 4)
oder aus anderen Gründen. Wird Untersuchungshaft angeordnet, so erfolgt offenbar
regelmäßig (nach Angaben des "Magistrate" in Negombo in 98 v.H. der Fälle "sofort",
AA 18.04.2000 S. 7) eine Freilassung gegen eine Kaution ("personal bail", AA
18.04.2000 S. 7, KK 28.03.2000 S. 3), die offenbar erst bei einem Verstoß gegen die
gleichzeitig vom Gericht angeordneten Auflagen fällig wird (Busch 02.11.2000 S. 4). Die
vereinzelte Behauptung, eine derartige Kaution müsse von einem Verwandten des
Festgenommenen unterschrieben werden (Busch 02.11.2000 S. 4), findet in den übrigen
dem Senat vorliegenden Auskünften keine Bestätigung und erscheint vor dem
Hintergrund, dass 98 v.H. der zunächst festgenommenen Rückkehrer vom Magistrate
Court in Negombo gegen Bürgschaft sofort auf freien Fuß gesetzt werden (AA
18.04.2000 S. 6 f.), nicht plausibel. Von einer derartigen Beschränkung des für die
Stellung einer Kaution in Frage kommenden Personenkreises kann daher nicht
ausgegangen werden.
68
Diesen allgemeinen Erkenntnissen entspricht es, dass am 15./16. März 2000 bei einer
"Sammelrückführung" von 20 srilankischen Staatsangehörigen (19 Tamilen und einem
Moslem )aus Deutschland, von denen nur einer über einen Reisepass verfügte (AA
18.04.2000 S. 7; 25.05.2000, S. 2), achtzehn der Betroffenen nach einer Vorführung vor
dem Magistrate Court in Negombo noch am Ankunftstag gegen Kaution auf freien Fuß
gesetzt wurden (AA 13.04.2000 S. 1; 25.05.2000 S. 2; KK 10.09.2000 S. 1). Zwei
Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis zu dem auf den 21. März 2000
anberaumten Gerichtstermin in Untersuchungshaft genommen, weil weitere
Nachforschungen hinsichtlich der Identität und ein Strafregisterabgleich erfolgen
mussten (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000 S. 2); sie wurden erst an diesem Tag gegen
Kaution freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2). Ein weiterer Rückgeführter
aus der Gruppe wurde erst später am 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommen
und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 3). Liegen
in Fällen der Personenüberprüfung bis zu dem vom Untersuchungsrichter
gegebenenfalls anberaumten weiteren Gerichtstermin - wie in der Regel - keine
Erkenntnisse gegen den Betroffenen vor, wird das Überprüfungsverfahren eingestellt
(AA 28.04.2000 S. 23).
69
Soweit es bei derartigen Identitätskontrollen - wie im Regelfall - bei Festnahmen und
kurzzeitigen Inhaftierungen ohne zusätzliche asylerhebliche Rechtsgutverletzungen
bleibt, liegen diese Maßnahmen insgesamt unterhalb der Schwelle asylrechtlich
erheblicher Eingriffsintensität und können schon deshalb im Weiteren außer Betracht
bleiben.
70
bbb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
71
Allerdings kann das Festhalten von Personen im Rahmen der Identitätskontrollen im
Einzelfall nach den vorliegenden Erkenntnissen längere Zeit, mitunter mehrere Wochen
dauern (ai 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wird (KK 20.03.1998; UNHCR --.07.1998 S. 5; ai
01.03.1999 S. 2), betreffen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die
Tatsache der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf
geprägt waren, sodass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall
fehlt und verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April
1997 sind ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen
Rückkehrern aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR --.07.1998 S. 5; KK
08.12.1998). Diese (Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des Umstandes, dass
jährlich mehrere Hundert abgelehnte Asylbewerber aus westlichen Ländern über den
Flughafen Colombo nach Sri Lanka abgeschoben werden (AA 19.01.1999 S. 21;
27.05.1999 S. 3), nicht den Schluss auf eine "Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt
schon an der beim Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer
"Gruppenverfolgung" zu fordernden Dichte der Zugriffe bezogen auf die nach
erfolglosem Asylverfahren aus Europa Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe
unter ihnen. Abgesehen davon richtet sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes
Festhalten, solange es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur
Annahme eines Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der
Identitätsabklärung dient, und nicht mit sonstigen schwer wiegenden
Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht gegen den Betroffenen in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale. Es ist daher nicht als Akt politischer Verfolgung zu
72
qualifizieren. Dies gilt auch für diejenigen allein mit "emergency certificates"
zurückkehrenden und daher einer intensiveren Überprüfung unterzogenen srilankischen
Staatsangehörigen, bei denen die Polizei einer Freilassung auf Kaution widerspricht -
wie dies zunächst bei zwei der am 15./16. März 2000 aus Deutschland zurückgeführten
Tamilen der Fall war (AA 25.05.2000 S. 2) - oder bei denen eine Freilassung etwa
deshalb scheitert, weil sich niemand findet, der für die Kaution unterschreibt.
ccc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
73
In Einzelfällen wird davon berichtet, dass aus Deutschland abgeschobene Personen im
Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt werden; dies ist etwa dann
der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka zurückkehrende
Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die srilankischen
Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei (CID) ein Geständnis in Bezug auf die im
Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren ablegen
oder wenn das in Deutschland gefundene gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt wird und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangt; strafrechtlich nicht
verfolgt werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und andere illegale
Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit "Schleppungen"
einhergehen (AA 28.04.2000 S. 24). Strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen
gegen die Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen sind nicht als politische
Verfolgung zu qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine
Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu
geschaffenen, sondern seit 1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften -
Straftatbestände (insbesondere Ein- oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass,
Nachmachen oder Fälschen von Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter
oder nachgemachter Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer
Reisedokumente oder unbefugter Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person)
sind zur Kontrolle der Außengrenze des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und
ergeben so keinen Hinweis für eine politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle
srilankischen Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige
(Südasien Büro 14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and Emigrants Act").
Soweit unter Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines tamilischen
Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte Gesetz treffe insbesondere
tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien 2/99, S. 11, abgedruckt in:
Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine tatsächliche Folge aufgezeigt, die als
solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Selbst wenn in
die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die Einflussnahme von
Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend tamilischer
Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass die ihrer
Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen Reiseverkehrs
zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit gerichtet
sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der Schleppertätigkeit
von Gewicht. Lediglich wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen durch
Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben, oder wenn die
Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren gesetzmäßigen
Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit eingeräumt, den
Tamilen aber vom srilankischen Staat verwehrt würde, könnte Anlass bestehen, eine
Gerichtetheit der in der Bestrafung liegenden Beeinträchtigungen auf die tamilische
74
Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen. Dafür lässt sich dem vorliegenden Material,
das den gegenwärtig möglichen Kenntnisstand umfassend widerspiegelt, nichts
Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil liegen Erkenntnisse vor, nach denen Angehörige
anderer Bevölkerungsgruppen ebenfalls in relevanter Zahl von Maßnahmen auf der
Grundlage des "Immigrants and Emigrants Act" betroffen sind (KK 08.03.2000, insb.
Listen C, D und E). Die nicht weiter untermauerte Aussage, dass das "verschärfte
Strafmaß in der Regel und Praxis nur auf rückkehrende (abgeschobene) Tamilen und
nicht auf Singhalesen derzeit angewandt" werde (Wingler 01.04.1999), ist daher
fragwürdig. Sie ist im Übrigen aber auch unergiebig, weil die Verstöße, um deren
Ahndung es geht, sich zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe häufen, die in
besonderem Maße ins Ausland drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht auch die
schon angesprochene Erklärung eines Abgeordneten, das Gesetz treffe "insbesondere"
Tamilen, und die dazu gegebene Begründung, diese müssten "sich oft gefälschter
Papiere bedienen". Auch die in dieser Begründung enthaltene Aussage zur
Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine
drohende politische Verfolgung. Denn dafür, dass die in Sri Lanka bestehende
Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gelten würde, spricht nichts (AA 16.04.1999 S.
2). Die Möglichkeit, sich einen Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen in gleicher
Weise eröffnet wie srilankischen Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit (AA
28.04.2000 S. 24). Allerdings mag für sie die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit durch
die Bedingungen des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo faktisch erschwert
sein; da die Situation in Colombo aber - wie unter I.2. bb) bbb) im Einzelnen noch
dargetan wird - den Aufenthalt insbesondere auch nicht aus Gründen, die auf eine
Gerichtetheit gegen Tamilen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale schließen
lassen, unzumutbar macht, kann keine Rede davon sein, die Tamilen könnten nicht
ohne Verstoß gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder
dorthin zurückkehren. Einer gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch
entgegen, dass nach der Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten
von Asylverfahren srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit
gewonnen hat, die behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem
bloßen Verweis darauf erklärt wurde, auch die Gestaltung der Ausreise habe der
Schlepper übernommen, ohne dass in diesem Zusammenhang auf Probleme bei der
Beschaffung des Passes hingewiesen worden wäre. Ferner stünde einem solchen
Schluss die hohe Zahl der in den vom Senat bearbeiteten Verfahren betroffenen
Tamilen entgegen, die nach ihren Angaben mit einem gültigen Pass ausgereist sind und
bei denen es erst im Zuge und zur Förderung der Weiterreise sowie der Einreise ins
westliche Ausland zu Manipulationen am Pass oder zur Abgabe des Passes gekommen
ist (vgl. dazu auch AA 16.04.1999 S. 2; 28.04.2000 S. 24).
Da mithin tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Strafverschärfungen bei
Passvergehen objektiv darauf gerichtet sind, tamilische Flüchtlinge gerade (auch)
wegen ihrer Volkszugehörigkeit einer strafrechtlichen Sanktion zu unterwerfen, nicht
ersichtlich sind, kann dahinstehen, ob bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen
Verstoß gegen die Vorschriften des Ein- und Ausreise- sowie des Passrechts mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Strafverfolgung zu rechnen ist.
75
ddd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und
Folter
76
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die
genannten Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen
77
Anhalt und damit missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt
werden.
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
wird in der Zeitschrift "Südasien" berichtet, ein "soeben in London erschienener Bericht"
der "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture" habe "Beweise für
systematische Folterungen von Tamilen durch die srilankische Polizei und die Armee"
vorgelegt (Mertsch, Südasien 4/00 vom 05.07.2000, S. 4). Diese Aussage trifft jedoch
nicht zu. Der genannte Bericht ("Caught In The Middle: a study of Tamil torture survivors
coming to the UK from Sri Lanka") enthält zwar Feststellungen über in Sri Lanka
erlittene körperliche Misshandlungen und Folterungen von der "Medical Foundation" in
Großbritannien untersuchter und befragter srilankischer Asylbewerber. Hinreichende
Anhaltspunkte dafür, dass die srilankische Polizei in Colombo oder an anderen Orten in
den südlichen Landesteilen "systematisch", also nach einem bestimmten "System" oder
gar generell Folterungen an verhafteten oder sonst aufgegriffenen und inhaftierten
Tamilen vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt, lassen sich dieser Studie aber
nicht entnehmen. Solches ergibt sich auch nicht aus anderen Erkenntnisquellen.
78
Allerdings enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und
Journalisten die allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen
in Sri Lanka "nach wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999 S. 1, vgl. auch ai
16.01.2001 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1). Diese Aussage lässt sich jedoch allenfalls für
Personen erhärten, denen von den Sicherheitskräften Beziehungen zur LTTE unterstellt
werden. Nach der Einschätzung von amnesty international hat dieser Personenkreis
"aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Ankunft in Colombo mit der Verhaftung und
längeren Inhaftierung zu rechnen" (ai 01.03.1999 S. 2). Vor allem bei Inhaftierungen
wegen eines konkreten und individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter
gerechnet werden (AA 12.07.1995 S. 2; 28.04.2000 S. 18: "schwer wiegende Verstöße
kommen ... weiter vor"; ai, torture in custody, --.06.1999 S. 8 f., 01.03.1999 S. 4,
16.01.2001 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dabei nimmt die
Gefahr von Folter bei längeren Inhaftierungen zu (vgl. u.a. ai 01.03.1999 S. 2; KK
04.01.1996 S. 56). Auch die in London ansässige "Medical Foundation" schätzt die
Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass
diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als zwei Tagen rechnen müssen, falls sie
bei ihrer Einreise oder danach von den srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt
werden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft bestehe dann für sie das Risiko von
körperlicher Misshandlung und Folter (Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53).
79
Mit der Bewertung, dass die Aussage sich allenfalls für Personen erhärten lässt, denen
von den Sicherheitskräften Beziehungen zur LTTE unterstellt werden, korrespondiert,
dass die Anwendung von Folter nach Einschätzung einer Menschenrechtsorganisation
während der sich an eine Festnahme am Flughafen anschließenden Inhaftierung
ungewöhnlich ist (KK 22.06.1999, Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999). Auch
die bekannt gewordenen Umstände der Sammelabschiebung von 20 srilankischen
Staatsangehörigen am 15./16. März 2000 aus Deutschland rechtfertigen nicht die
Annahme, dass tamilischen Rückkehrern generell oder in relevanter Zahl im
Zusammenhang mit der Einreise körperliche Misshandlungen von asylerheblicher
Intensität drohen. Soweit dazu behauptet wird, zwei vom 16. bis 21. März 2000 in
80
Untersuchungshaft genommene Rückkehrer, seien "nachweislich gefoltert worden"
(Wingler --.05.2000 S. 4; abweichend bereits Wingler 12.10.2000 S. 5: "sollen
misshandelt worden sein"), steht diese Aussage im Widerspruch zu aktuelleren
Erkenntnissen. So weist etwa amnesty international darauf hin, die Behandlung der
Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai 18.07.2000). Das
Auswärtige Amt berichtet, entgegen einer Meldung der der LTTE nahe stehenden
Nachrichtenagentur "Tamilnet" sei die deutsche Botschaft nicht auf Folterungen
hingewiesen worden; lediglich ein einziger Betroffener, der bis zum 21. März 2000
inhaftiert worden sei, habe auf Nachfrage eines Botschaftsangehörigen erklärt, einen
Schlag erlitten zu haben, der "einer Ohrfeige vergleichbar" gewesen sei und keine
gesundheitlichen Folgen oder länger andauernde Schmerzen verursacht habe (AA
25.05.2000 S. 2 f.). Auch die Behauptung eines der Zurückgeführten, "ungefähr zehn"
der Abgeschobenen seien Misshandlungen ausgesetzt gewesen, die "weit über eine
Ohrfeige hinausgegangen seien" (KK 10.09.2000 S. 2), ist nach den übrigen
Erkenntnissen zu der Sammelrückführung nicht zu verifizieren. Diese Aussage steht
sowohl zu den bereits angeführten Angaben des einen Inhaftierten als auch zu den
Erklärungen anderer Rückgeführter im Widerspruch. So soll ein Betroffener am Tag
nach der Rückführung gegenüber Angehörigen der deutschen Botschaft zwar von dem
bereits oben erwähnten Schlag berichtet (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 2), im
Übrigen aber erklärt haben, er selbst und die Anderen seien korrekt behandelt worden
(AA 25.05.2000 S. 2). Auch der zweite bis zum 21. März 2000 Inhaftierte und andere zu
dem genannten Termin Abgeschobene sollen auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt
haben, von der Polizei korrekt behandelt worden zu sein (AA 25.05.2000 S. 2 f.). Ein
weiterer an diesem Tag Zurückgekehrter soll gegenüber einem Angehörigen einer
niederländischen Hilfsorganisation ebenfalls erklärt haben, er sei nach seiner Ankunft
am Flughafen nicht geschlagen worden (KK 10.09.2000 S. 4). Angesichts dieser
Erklärungen unmittelbar Betroffener gegenüber Angehörigen der deutschen Botschaft
kann auch der pauschalen Erklärung von amnesty international, "die jüngeren Männer
der Gruppe soll[t]en allerdings während ihrer Befragung durch den CID am Flughafen
geschlagen worden sein" (ai 18.07.2000), kein ausschlaggebendes Gewicht
beigemessen werden.
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht der LTTE- Unterstützung gerät und deshalb
damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis zwei Tage zur Identifizierung,
sondern längerfristig mit der Gefahr schwerer körperlicher Misshandlung und Folterung
inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts des vorliegenden Erkenntnismaterials nur
eingeschränkt generalisierend und fallübergreifend beantworten.
81
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten
in Zusammenhang gebracht werden und dies zu einem Verfahren nach den
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung, namentlich nach dem Prevention of
Terrorism Act (PTA) oder den Emergency Regulations (ER) führt, spricht nichts. Zwar ist
zu berücksichtigen, dass die LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem (AA
08.01.1999 S. 5; 06.05.1999 S. 2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender
Berichte in der deutschen Tagespresse im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland
geführten Organisationen zur politischen Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben
82
von Geld bei den dort lebenden Tamilen einsetzt und so zum großen Teil ihre
militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert. Auch ist anzunehmen, dass die
srilankischen Strafverfolgungsbehörden wegen der Auslandsaktivitäten der LTTE
gegenüber tamilischen Rückkehrern den Verdacht hegen können, die LTTE durch
freiwillige oder erzwungene finanzielle Zuwendungen im Ausland unterstützt zu haben.
Ein solcher pauschaler Verdacht löst aber in der srilankischen Praxis nicht mit der
erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein Strafverfolgungsinteresse mit der
Folge längerer Inhaftierung im konkreten Einzelfall aus, sodass der Frage nach dem
Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte politischer Verfolgung nicht
nachzugehen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft in Colombo bewertet nach den
Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die bloße finanzielle Unterstützung der LTTE
durch Exilsrilanker im Ausland nicht als Verwicklung in terroristische Aktivitäten der
LTTE in Sri Lanka, sondern als einfache exilpolitische Betätigung, die in Sri Lanka nicht
strafbar ist (AA 19.01.1999 S. 11; 28.04.2000 S. 17 f.). Diese Aussage findet ihre
nachvollziehbare Erklärung und Bestätigung in der gutachtlichen Stellungnahme des
Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 22. Juli 1998 zur Einschlägigkeit der
Straftatbestände des PTA nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein
greifbarer Anhaltspunkt, die Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des
Auswärtigen Amtes zur in Rede stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen.
Diese bieten vielmehr vor dem Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem
sonstigen umfassenden und ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine
tragfähige Beurteilungsgrundlage dahin, dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei
Personen besteht, die in verantwortlicher Position in nicht unerheblichem Ausmaß an
Aktivitäten im Rahmen der LTTE- Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird
regelmäßig vermutet, dass es neben den Unterstützungshandlungen im Ausland auch
zur Beteiligung an terroristischen Aktivitäten der LTTE im Inland gekommen ist (AA
08.01.1999 S. 6; 19.01.1999 S. 11; 28.04.2000 S. 17). Dementsprechend muss auch bei
sonstigen Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre Frontorganisationen nach der
Bedeutung der Unterstützungshandlung unterschieden werden. So wirkt etwa die
Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen und das Anprangern von
Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebenso wenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE
nahe stehenden Organisationen (AA 20.04.1999 S. 2; 28.04.2000 S. 17; KK 20.05.1998
S. 3). Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen
aus vom Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999
S. 6; 19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 28.04.2000 S. 18). Zudem
sprechen Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den
Bericht eines Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die
Überlastung der Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei
einer Vielzahl von Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit gegen eine hohe
Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung (KK
08.12.1998, 12.03.1999, 22.06.1999 und 28.07.1999) ist ohne tragfähige Grundlage und
findet in vorliegenden Erkenntnissen keine Bestätigung.
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür,
dass ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht
geraten könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und Ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs im Zusammenhang
83
mit der Einreise. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu
Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo verwiesen. Denn es bestehen keine
Anhaltspunkte, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen - über die Verfolgung von
Passdelikten und relevanten Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien anlegen als
bei Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo.
bb) Allgemeine Verhältnisse in Sri Lanka
84
Auch im Übrigen tragen die Verhältnisse in Sri Lanka die Schlussfolgerung auf eine der
Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer vorliegend möglicherweise relevanten
Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung
weder für das gesamte Land noch für einzelne Landesteile.
85
aaa) Keine landesweite staatliche oder mittelbare Verfolgung
86
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-) Verfolgung von Tamilen findet nicht statt (AA 07.07.1995 S. 1;
28.04.2000 S. 8; ai 28.09.1995 S. 3); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
sind selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie
verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4; 28.04.2000 S. 13
f.). Die Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen
Kräften und der LTTE. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses
bewaffneten, Überfälle und Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete
einschließenden Konflikts stellen sich die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in
den verschiedenen Gebieten Sri Lankas unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet
ergibt sich dabei für keinen Bereich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung.
87
bbb) Großraum Colombo
88
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem Staat nicht zuzurechnen; soweit diese einer
Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an der
Verfolgungsdichte.
89
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
90
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im
Großraum Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen
und groß angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen
führen, die sich nicht ausweisen oder keine zufrieden stellende Erklärung über den
Zweck ihres Aufenthalts geben können (AA 16.01.1996 S. 7; 28.04.2000 S. 8 f.; KK
22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen Maßnahmen - die vor allem im
Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten zu sehen sind, zu denen es
seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche zwischen der Regierung und der
91
LTTE und dem Wiederausbruch der offenen Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas
seit April 1995 erneut kommt - sind in erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts
im Alter zwischen etwa 15 bis 40 Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersstufen
betroffen (AA 28.04.2000 S. 8; ai --.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK Südasien 1/00;
Wingler --.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von anlassbezogenen
Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze Zeiträume - schon
bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende Personen (KK
04.01.1996 S. 55; 13.05.1996 S. 3; 20.03.1998 S. 2 ff.; Wingler 31.05.1998 S. 27, 33). So
haben auch in jüngster Zeit verschiedene der LTTE zugerechnete Anschläge (u.a.
Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und Bombenanschlag bei einer
Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18. Dezember 1999 mit zusammen über
30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des Amtssitzes der Premierministerin am 5.
Januar 2000 mit 11 Toten) zu verstärkten Personenüberprüfungen und Razzien geführt,
in deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen festgenommen wurden (AA
18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen Monaten; KK 29.02.2000 S.
3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000 Personen allein im Januar bis Mitte Februar 2000;
ferner ai 23.02.2000 an VG Hannover S. 4).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind
auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in
solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die
politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus
der staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab,
insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen
Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie
Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen
landesweit, insbesondere im hier betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl
gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert sind, ist Inhaftierungen mit einer
überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche
Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung
bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S.
32; ai 16.01.2001 S. 6) kommt, da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen,
keine den jeweiligen Eingriff prägende Bedeutung zu. Insofern ist auch nicht ersichtlich,
dass die Dauer der Inhaftierungen in einer nennenswerten Zahl von Fällen über das für
die Identitätsfeststellungen (jeweils) Erforderliche hinausgeht oder in ihrer Summe ein
solches Ausmaß erreicht, dass gleichwohl ein "Umschlagen" in asylerhebliche
Verfolgung festzustellen ist.
92
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 1427.
93
(2) Inhaftierung länger als zwei Tage
94
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht
den Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage,
1 v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 28.04.2000 S. 8 und
27.07.2000 S. 3; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62 f., 75, 13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996
S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23; weniger als 20 v.H. ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger (5 v.H. Schweizerische Flüchtlingshilfe --
.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S. 32 bzw. über 100 von 5.000 Wingler
31.05.1998 S. 27, 28). Dem steht die Mitteilung von amnesty international, der
überwiegende Teil von 1.500 am 06./07. Januar 2000 in Colombo Verhafteten sei nach
einer Meldung der "NZZ vom 10.02.2000" am 28. Januar 2000 wieder auf freien Fuß
gesetzt worden (ai 16.01.2001 S. 1), nicht entgegen. Hierbei handelt es sich ersichtlich
um eine Fehlmeldung von amnesty international. Die Aussage bezieht sich als
Referenzquelle ersichtlich auf den Bericht der benannten NZZ vom 10. Januar 2000,
dem zu entnehmen ist, dass die srilankische Polizei von den 1.500 Verhafteten
mindestens 329 Personen noch am Tag der Festnahme und mehr als 1.200 Personen
am nächsten Tag, dem 8. Januar 2000, auf freien Fuß gesetzt hat. Bei den Maßnahmen
der letzten Zeit sollen über 98 v.H. der mit auf die Wache genommenen Personen
innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt worden sein
(AA 18.04.2000 S. 2).
95
Von den etwa 10 v.H. der insgesamt über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben
etwa die Hälfte länger als drei Tage in Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche
hinaus etwa jeder Zehnte (AA 10.03.1999 S. 2; 28.04.2000 S. 8). Auch wenn bei groß
angelegten Sicherheitsüberprüfungen mitunter Tausende festgenommen und hiervon
jeweils Hunderte länger als zwei Tage fest gehalten werden, kann nach der absoluten,
gemäß den Auskünften durchgängig jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden
Gesamtzahl der Inhaftierten die Haftdauer in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die
Zeit von zwei Tagen jedenfalls nicht wesentlich überschreiten.
96
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225
Personen angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht
einer Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit auf bis zu 2.000 (AA 21.08.1997 S. 2;
28.04.2000 S. 21; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6, US State Department,
--.02.2001 S. 8) geschätzt.
97
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Es greift zu
kurz, von einer zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im
Einzelfall bestehenden konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an
oder des Wissens um terroristische Aktivitäten zu Grunde liegen, auf den Charakter als
politische Verfolgung zu schließen. Ob eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende,
98
zielgerichtete Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals
erfolgt, ist vielmehr anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren
Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede
stehenden Inhaftierungen in maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an
ausreichendem Anhalt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein
Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen
Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in
jedenfalls prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-
Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes abzuwehren. Insofern wird auf die
für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die Freilassung wie etwa den
Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der
Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle
oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA 16.01.1996 S.
8 f.; 28.04.2000 S. 8 f.; ai 23.02.2000 S. 4; European Union, The Council - EU -
02.04.1997 S. 10; KK 02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung, die die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt,
zu einer schnellen Haftentlassung (KK 04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von
mehr als einer Woche, die srilankische Menschenrechtsorganisationen "bei einer
substantiellen Anzahl von Personen" feststellen, werden außer auf den Aspekt der
Erwartung von Bestechungsgeld auf die Überprüfungen und deren schleppende
Durchführung bei Einschaltung verschiedener Sicherheitsstellen zurückgeführt
(Südasien 6/97 S. 8). Schließlich weist auch der Umstand, dass der weit überwiegende
Anteil der zunächst Festgenommenen alsbald wieder freigelassen wird, auf eine über
die Tatsache der Zugehörigkeit zur Gruppe der Tamilen - auch eines bestimmten Alters
und Geschlechts - hinausgehende Prüfung anhand zusätzlicher Kriterien und damit
darauf hin, dass der Grund einer Fahndung nach LTTE- Angehörigen für die
Verhaftungen nicht lediglich vorgeschoben ist. Die erörterten Maßnahmen betreffen
zwar gerade und nahezu ausschließlich Tamilen, sie bezwecken aber nicht die
Schlechterstellung dieser Volksgruppe als solche, sondern dienen der Abklärung von
LTTE-Verbindungen und der Verhinderung weiterer Straftaten. Dass der staatliche
Zugriff zwangsläufig Tamilen trifft, ist rein faktischer Natur ohne Aussagegehalt für die
objektive Gerichtetheit im Sinne der politischen Verfolgung.
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die
Dauer von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen
Volkszugehörigen wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche
Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber
hinaus die Intensität der abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist
zu berücksichtigen, dass die Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr
zugerechnet werden, darauf angelegt sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl
unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu
erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE
Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu
binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995,
auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das
Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998
(AA 28.04.2000 S. 4) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe des
Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen
Bombenanschläge um die Jahreswende 1999/2000. Der Druck auf die staatlichen
Stellen, dem zu begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich, weil bei einer
99
Destabilisierung zu besorgen ist, dass es über die unmittelbare
Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu ausgreifenden Unruhen und
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt. Die Ausführung der
Anschläge durch Selbstmordkommandos oder entsprechende Einzeltäter, zumindest
durch Täter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu, dem möglichen Umfeld
des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die Durchführung und das
verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung bedarf, besondere
Aufmerksamkeit zu schenken. Die Spannweite möglicher Ziele der Terroranschläge
lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig erscheinen. Dieses hohe
und schwer einzudämmende Gefahrenpotential sowie die nicht zuletzt durch den
Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der Bevölkerung bedingten
Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität Festgenommener sind geeignet,
auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen wegen mangelnder Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale den Charakter einer politischen Verfolgung zu nehmen, wenn
und solange die Identität des Betroffenen nicht geklärt ist und/oder Zweifel an den
Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo vorliegen. Anderes kann dann
gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, die
ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an asylerhebliche Merkmale wie
etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das angemessene Maß hinausgehen.
Insbesondere bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen
sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass sie nicht nur der
Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen zumindest auch wegen seiner
asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 1427.
100
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus
dem bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen. Ergänzend wird auf die
nachfolgenden Ausführungen zu (4) verwiesen.
101
(3) Bestechungsgeld
102
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht
dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der
Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4,
12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon
routinemäßig" -, Wingler 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 6/97 S. 8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um
Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter handelt -
103
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
104
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit
des kriminellen Tuns.
105
(4) Misshandlungen während Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
106
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
allgemein gegebenen Verhältnissen (AA 28.04.2000 S. 22; KK 28.03.2000 S. 5 f.) -
hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen kommt, die den
Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylerhebliche
107
Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das alles an
Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft werden konnte,
nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur Identitätsabklärung
Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in custody, S. 9,
01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren Inhaftierungen zu (ai
01.03.1999 S. 2; KK 04.01.1996 S. 56); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines
konkreten und individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter gerechnet werden (AA
12.07.1995 S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle", 28.04.2000 S. 18: "schwer
wiegende Verstöße kommen aber weiter vor", 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8 f., 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9, 22.06.1999,
Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2, 08.10.1997 S.
33, 30.09.1998 S. 3, 4, 27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --
.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer
Besorgnis). Insoweit sind Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID
Headquarters, das Crime Detective Bureau, die Security Coordinating Division und das
Terror Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig
führende LTTE- Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
28.04.2000 S. 7; 27.07.2000 an VG Neustadt S. 4). Im Übrigen kommen Berichte über
Fälle von Folter und Tod in Haft zumeist aus den nördlichen und östlichen Gebieten, in
denen Auseinandersetzungen mit der LTTE statffinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; KK
28.03.2000).
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 28.04.2000 S.
18). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als
früher (dazu AA 23.06.1992 S. 8 f.; 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der
Konvention gegen Folter in nationales Recht ab 1994 angegangen. Sie kann mit
erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die
Verantwortlichen disziplinarischen Maßnahmen und können zu
Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 28.04.2000 S. 18 ff.; ai --.06.1999,
torture in custody, S. 4 ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und einer
ungerechtfertigten Verlängerung der Haftdauer sehen die Notstandsgesetze vor, dass -
jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee Festgenommene der nächstgelegenen
Polizeistation zu überstellen sind - dies wird im Allgemeinen beachtet (US State
Department (--.02.2001 S. 7) - und dass Festnahmen durch die Polizei dem
"Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet werden müssen (AA 06.04.1998 S. 10;
28.04.2000 S. 21). Spätestens nach 48 Stunden müssen die Festgenommenen dem
Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es sei denn, ein höherrangiger Beamter
oder Offizier erlässt eine "Detention Order", die ein Festhalten ohne richterlichen
Haftbefehl von bis zu 60 bzw. - seit Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 3.
Mai 2000 - 90 Tagen ermöglicht (KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21; 01.08.2000).
Nach dem Prevention of Terrorism Act kann die Polizei einschlägig Verdächtige bis zu
72 Stunden festhalten. Danach müssen sie grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs-
bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt werden, es sei denn, das
Verteidigungsministerium erlässt eine Detention Order, die - unter Berücksichtigung
möglicher Verlängerungen - ein Festhalten von insgesamt 18 Monaten ermöglicht. Von
einer solchen Dentention Order wird allerdings wegen der Anforderungen, die der
108
Oberste Gerichtshof an sie stellt, so gut wie kein Gebrauch mehr gemacht (AA
06.04.1998 S. 7; 28.04.2000 S. 22, 01.08.2000). Die Unterbringung der nach dem
Notstandsrecht Verhafteten darf nur in Einrichtungen erfolgen, die vom
Verteidigungsminister dafür zugelassen worden sind (AA 28.04.2000 S. 21; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 12; KK 05.02.1997 S. 5). Menschenrechtsorganisationen
sowie Mitglieder des UNHCR und des IKRK können diese Einrichtungen besuchen (EU
11.11.1998 S. 16; UNHCR 23.07.1996 S. 3; AA 28.04.2000 S. 22). Auch sonst sind
Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S. 5; Wingler 30.01.1998 S. 12).
Die nicht auf Grund gerichtlichen Haftbefehls Festgehaltenen sind regelmäßig einem
Richter zu melden, der einmal im Monat die Haftanstalten aufsuchen soll (AA
28.04.2000 S. 21). Von einer Inhaftierung sind Verwandte oder Freunde des Verhafteten
in Kenntnis zu setzen, der mit diesen Kontakt aufnehmen und sie über Verhaftung und
Aufenthaltsort unterrichten kann (KK 22.02.1997 S. 16 f.).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Right Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen.
Diese unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri
Lankas tätige Nachfolgeeinrichtung der früheren Human Rights Task Force hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, dass die in den PTA und ER vorgesehenen Regelungen
eingehalten werden (AA 21.08.1997 S. 3). Ferner ist im Sommer 1998 eine aus
Parlamentariern und Ministern gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur
Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden wegen Belästigungen und
Misshandlungen bei Verhören eingerichtet worden (Anti Harrassment Committee - AHC
-, AA 31.08.1998 S. 2; 28.04.2000 S. 7; Wingler 30.09.2000 S. 3, 5).
109
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen
(KK 22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; UNHCR --.07.1998 S. 3 f. m.w.N.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen der
vorgegebenen Fristen, die aber auch außerhalb der Verhaftungen auf Grund der
Notstandsregelungen festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17). Auch sonst sind
Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der Sicherheitskräfte festzustellen (AA
19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle Verschlechterung ist insoweit jedoch auch
nach dem Verbot der LTTE (Wingler 31.05.1998 S. 39) nicht eingetreten, sodass die
grundsätzliche Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe
belegt und ihnen wird nachgegangen (AA 16.01.1996 S. 11; 11.07.1997 S. 2; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen -
was zum Teil auf das srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum
Teil auf die sachlich bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der
Beweisführung (AA 19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch
die Strafandrohung und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz
nicht aus. Daneben besteht die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten
Gerichtshof zu wenden, wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999,
torture in custody, S. 26 f.). Auch gibt es Anwälte, die sich in Fällen der
Menschenrechtsverletzungen engagieren (AA 19.01.1999 S. 26). Wenngleich Prozesse
gegen Sicherheitskräfte oder die Heranziehung der Verantwortlichen zur Zahlung von
Entschädigungsleistungen - anders als Entschädigungsleistungen des srilankischen
Staates (ai --.06.1999, torture in custody, S. 27) - zunächst noch nicht bekannt geworden
sind (Wingler 08.10.1997 S. 35; 27.05.1999 S. 4) bzw. nur wenige Verantwortliche für
Menschenrechtsverletzungen sich vor Gericht verantworten mussten und in den
110
seltensten Fällen verurteilt wurden und darüberhinaus allgemein beklagt wird, dass
Menschenrechtsverletzungen weitgehend ungeahndet bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3;
ai --.06.1999 S. 4), so zeigen die geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls insofern
Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie Auskünfte übereinstimmend belegen - im
Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
111
Nach dem Vorstehenden ist für zurückkehrende Tamilinnen und Tamilen festzuhalten,
dass die Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und
eventuell daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden,
gering ist. Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je
nach den Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt
werden, mit geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu
stehen oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer
ihrer Frontorganisationen verstrickt zu sein.
112
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu ein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände:
fehlende oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel,
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener
Verdacht einer LTTE- Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten
der Sicherheitskräfte und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation
--.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen
Innenministeriums; ai 16.01.2001 S. 7; ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu
einzelnen Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler
30.09.1998 S. 2, 13).
113
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur eingeschränkt treffen. Angesichts der bei einigen der
Kriterien möglichen "Bandbreite" ihrer Erscheinungsformen sowie der Mannigfaltigkeit
der möglichen Kombinationen bei den einzelnen Asylbewerbern ist eine
generalisierende und fallübergreifende Schlussfolgerung auf eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung weder für die Gruppe der nach Sri Lanka aus
dem Ausland zurückkehrenden Tamilinnen und Tamilen noch für eine nach
allgemeinen Merkmalen eingrenzbare Untergruppe hiervon möglich. Vielmehr kann der
Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nur Ergebnis
einer Würdigung aller vorliegenden Risikofaktoren in jedem konkreten Einzelfall in
Bezug auf den jeweiligen Asylbewerber und seine konkrete Situation sein. Dabei ist von
folgenden Grundsätzen auszugehen:
114
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna-Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus
115
einer Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober
1997 bis Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998 S. 2 ff.); asylrelevante Eingriffshandlungen
knüpfen an diese Kriterien aber nicht mit einer für die Annahme einer
Gruppenverfolgung notwendigen Dichte an. Dies macht schon ein Vergleich der Zahl
der für längere Zeit nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten
und der geringen Zahl bekannt gewordener Fälle von Misshandlung und Folter während
Lang- und Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der im Großraum Colombo lebenden
Tamilen andererseits deutlich. Wie oben bereits ausgeführt, sind landesweit etwa 2.000
Personen nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung inhaftiert. Von Folter
und Misshandlungen während einer Kurzzeit- oder Langzeithaft wird - wie sich ebenfalls
aus den oben unter I.2.b)bb)bbb)(4) angeführten Erkenntnissen ergibt - lediglich in einer
letztlich nicht über Einzelfälle hinausgehenden Zahl berichtet; für weiter gehende
Behauptungen fehlt es an jeglichen Belegen. Dem ist gegenüberzustellen, dass etwa
400.000 Tamilen im Großraum Colombo leben, von denen ca. 150.000 aus dem Norden
und Osten des Landes stammen (EU 11.11.1997 S. 13). Im Ergebnis nichts anderes gilt
bezogen auf den Anteil der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die
Altersgruppe der 15- bis 30-jährigen (so AA 28.04.2000 S. 8) bzw. der 15- bis 40-
jährigen (so KK 04.01.1996 S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders betroffen;
auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein hierzu:
Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen,
offenbar weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als
"Suicid-Bombers" beteiligt waren (AA 28.04.2000 S. 8; KK [Keller] Südasien 1/00). Der
Anteil der in Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch, dass sich die aktuelle
Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen dieser Gruppe nicht
feststellen lässt.
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200 (203) und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
116
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14- bis 40- jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von
Colombo nichts Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise
240.000 bzw. - soweit zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des
Landes abgestellt wird - 80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe
angehören.
117
Anhaltspunkte dafür, dass die vorgenannte Einschätzung unzutreffend oder in Folge der
jüngeren Entwicklungen überholt sein könnte, sodass die vom Kläger hilfsweise
beantragte erneute sachverständige Begutachtung der Gefährdung insbesondere für
solche Tamilen, die nicht über gültige Ausweispapiere verfügen - wie dies für geraume
Zeit auch bei Rückkehrern der Fall sein kann, die allein mit einem "emergency
certificate" nach Sri Lanka einreisen (vgl. ai, 16.01.2001 S. 6 unter Hinweis auf eine
Auskunft des UNHCR) - geboten wäre, sind bei Auswertung der vielfältigen auch
aktuellen Erkenntnisse zur Situation namentlich im Großraum Colombo nicht erkennbar;
insbesondere ergibt sich aus dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers
im Verfahren 21 A 645/96.A nicht, dass das Fehlen von Ausweispapieren in einer
relevanten Zahl von Fällen Maßnahmen der Sicherheitskräfte nach sich zieht, die bei
objektiver Bewertung nicht allein durch die Notwendigkeit einer anderweitigen
Identifizierung der Betroffenen bedingt sind. Den dem Senat vorliegenden Auskünften
118
des von den Beigeladenen benannten Gutachters Keller-Kirchhoff auch aus jüngerer
Zeit ist ebenfalls kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass in einer nennenswerten Zahl von
Fällen allein das Fehlen von Ausweispapieren asylerhebliche Maßnahmen der
srilankischen Sicherheitskräfte ausgelöst hätte; auch spricht nichts für eine Veränderung
der diesbezüglichen Lage in jüngster Zeit, die die Aussagekraft des dem Senat
vorliegenden Erkenntnismaterials, das eine hinreichende Sachkunde zur Beurteilung
der Situation vermittelt, in Frage stellt. Unabhängig hiervon sind die vom Kläger
hilfsweise unter Beweis gestellten Tatsachen zur Gefährdung von Tamilen ohne
Ausweispapiere für ihn schon deshalb ohne Bedeutung, weil er über eine srilankische
"identity-card" verfügt, die derzeit von der Ausländerbehörde einbehalten ist und sich in
der Ausländerakte befindet (Beiakte Heft 2). Da davon auszugehen ist, dass bei der
Einreise über den Flughafen Colombo mit einem von einer Auslandsvertretung
ausgestellten Passersatzpapier von den staatlichen Stellen in Sri Lanka nur dieses
Ersatzpapier einbehalten wird (AA 25.05.2000, S. 2; KK 28.03.2000 S. 2, 18.02.2000 S.
5: Einbehaltung gegen Ausstellung einer Quittung häufig), während andere gültige
Ausweispapiere belassen werden (AA 25.05.2000 S. 2), spricht nichts dafür, dass es
dem Kläger nach einer eventuellen Rückführung im Großraum Colombo nicht möglich
sein wird, sich mit dieser identity-card auszuweisen und sich damit den unter Beweis
gestellten, gerade an das Fehlen eines solchen Papiers anknüpfenden Gefahren zu
entziehen.
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden'" (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998
S. 2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht
mit der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.)
angibt, "etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem
Nord/Osten ohne ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden'
(befänden) sich im Rahmen der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in
widerrechtlicher Haft" - andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13), ist
die Aussage zum einen mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem
Hintergrund des sonstigen Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt
es an der erforderlichen Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als
politische Verfolgung, wie sie im Vorstehenden dargetan ist. Jedenfalls ist nicht
ersichtlich, dass Rückkehrer nach längerem Auslandsaufenthalt in einer mit derjenigen
der angesprochenen "Untergruppe" vergleichbaren Gefährdungssituation sind. Vielmehr
stehen sie nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (18.04.2000 S. 5) weit weniger
im Verdacht als etwa Tamilen, die erst kürzlich aus den östlichen oder nördlichen
Landesteilen nach Colombo gekommen sind. So sind in der schon wiederholt
angesprochenen Zusammenstellung (KK 08.12.1998) für den Zeitraum von etwa einem
Jahr lediglich drei Fälle längerfristiger Verhaftung von Personen belegt, die rund zwei
Wochen bis fünf Monate zuvor aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückgekehrt und in
Colombo verblieben waren. Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Kriterien, die die
Sicherheitskräfte bei den Sicherheitskontrollen anlegen - Identitätsnachweis und 'valid
reason' - für das Ausweiserfordernis von wesentlicher Bedeutung, dass eine
Vereinbarung zwischen der srilankischen Regierung und dem UNHCR getroffen wurde,
wonach den Einreisenden ihre Einreisepapiere zum Zwecke des Nachweises belassen
werden sollen (Wingler 11.10.1995 S. 3); allerdings wird dies nicht stets eingehalten,
vielmehr werden gerade die "emergency certificates" nach Verhören auf dem Flughafen
teilweise einbehalten und durch Ausweispapiere zur Meldung bei der örtlich
zuständigen Polizeistation in Colombo ersetzt (Wingler 31.05.1998 S. 30). Der
119
eigentliche Nachweis erfolgt durch die Identitätskarte (UNHCR 12.02.1998; KK
22.09.1997 S. 4), die mit sich zu führen jeder srilankische Staatsbürger ab 16 Jahren
verpflichtet ist (AA 28.04.2000 S. 22). Die zur Erlangung des Dokuments erforderliche
Geburtsurkunde können Rückkehrer im Regelfall - auch schon von Europa aus -
erhalten (Wingler 11.10.1995 S. 3 f., 31.05.1998 S. 40; EU 02.04.1997 S. 6). Zur
Erledigung der Formalitäten, insbesondere der Meldepflicht steht ein Beratungsbüro zur
Verfügung (AA 28.04.2000 S. 26). Dem umfangreichen Auskunftsmaterial, das den
Fragenkreis der Rückkehr detailliert behandelt, ist nicht zu entnehmen, dass die
Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt nach lange zurückliegender Aufgabe des
srilankischen Wohnsitzes und dem Verlust der Verbindung zum früheren Heimatort und
der damit verbundenen Notwendigkeit, in Sri Lanka wieder Fuß zu fassen, von
vornherein nicht als plausibler Grund für den Aufenthalt in Colombo als dem Ort, der im
Rahmen der Rückkehr als Erster erreicht wird, angesehen wird.
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zur
Bedeutung von Auslandsaktivitäten im Zusammenhang mit den Einreisekontrollen am
Flughafen von Colombo verwiesen. Vergleichbares gilt für eine zurückliegende LTTE-
Mitgliedschaft oder -Unterstützung in Sri Lanka. Wer die LTTE, insbesondere im Bereich
der von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karitativen Bereich (z.B. Essenausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligten LTTE-Kadern, die sich unter Bekenntnis zu ihrer
Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 28.04.2000 S. 10; vgl. auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S.
1 f.).
120
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt im Allgemeinen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1;
01.12.2000). Gefährdet sind allenfalls Rückkehrer, deren Angehörige eine höherrangige
aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den Sicherheitsbehörden bekannt
wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die verwandtschaftliche Beziehung, je höher
die Stellung des Verwandten in der LTTE ist und je spektakulärer seine Taten sind,
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen Familienangehörigen, selbst in
Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000, ASA 37-99.134, S. 2; siehe
auch KK 03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle ausdrücklich ein Bezug zu
Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige Aktivität für die LTTE, z.B.
die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der LTTE, führt demgegenüber
nicht zu einer erhöhten Gefährdung von Familienangehörigen des Verfassers (KK
17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen Rückkehrer regelmäßig unschädlich, wenn er nur
mit einem einfachen Kämpfer der LTTE verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es
zahlreiche Familien gibt, die - häufig zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA
05.09.1997 S. 1 f.), die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen
demgegenüber aber vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus,
121
dass "derzeit nicht von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen
ausgegangen werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige
Einzelfälle hinaus keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen
bekannter oder mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000, ASA 37-
99.135, S. 4). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen
oftmals nur schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen
"Dienstzeit" Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende bekannt
geben (AA 09.11.1996 S. 3.).
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA
25.01.2000 S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE-Kämpfer zugezogen haben
kann (so ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
Straßenverkehrs- und häusliche Unfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S.
1 f.), sodass ein etwaiger Anfangs-Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer erheblicher
Verdachtsmomente - regelmäßig nichts für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine Schusswunde kann jemand nicht nur
als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
122
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete
allgemeine Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm im Falle seiner
Rückkehr konkret drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in
seiner Person konkret verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner
individuellen Situation bewertet werden. Insofern wird auf die Darlegungen im
Anschluss an die Bewertung der allgemeinen in Sri Lanka gegebenen Situation unter I.
2. b) cc) der Entscheidungsgründe verwiesen.
123
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
124
Die Situation, mit der aus dem Ausland nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert
sind, trägt auch nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf
die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder
einer nach asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der
Aufenthalt ist zwar schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie
überhaupt die für eine Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem
solchen Grade, dass auf die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige
Dichte geschlossen werden kann, bzw. lassen sie sich weithin und in entscheidendem
Umfang nicht auf ein staatliches Handeln mit der eine politische Verfolgung
ausmachenden Gerichtetheit auf asylerhebliche Merkmale zurückführen.
125
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo
126
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere in Folge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997, Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo
jedenfalls nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden aus dem Ausland
zurückkehrenden Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche
Regelungen in dieser Hinsicht - mit der anzunehmenden Folge einer verbreiteten
Durchsetzung - bestehen nicht (AA 02.10.1997; 30.01.1998; 28.04.2000 S. 28; UNHCR
12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4; 18.02.2000 S. 2 f.; Wingler 08.10.1997 S. 40). Zwar ist
zu beobachten, dass Rückkehrer, die sich bei der zuständigen Polizeistation melden,
um sich dort registrieren zu lassen, ein so genanntes "stay permit" regelmäßig jeweils
nur für wenige Wochen erhalten und bei der Erteilung und Verlängerung - zumal
mangels klarer Vergabevorschriften - Korruption und Willkür eine Rolle spielen (KK
18.02.2000). Auf der anderen Seite fehlt es aber an nachvollziehbaren Referenzfällen
über zwangsweise Rückführungen von aus dem Norden oder Osten zugewanderten,
geschweige denn von aus Europa zurückkehrenden Tamilen in ihre Heimatgebiete.
Vielmehr wird berichtet, dass gerade die aus dem Ausland abgeschobenen oder
zurückgekehrten Asylbewerber es vorziehen und es ihnen vielfach auch gelingt, im
Großraum Colombo ihren Wohnsitz zu nehmen (AA 28.04.2000 S. 28). Es fehlt damit
schon an einer tatsächlichen Grundlage für den Schluss, jedem Rückkehrer aus der
Volksgruppe der Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe drohten mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang, Colombo
zu verlassen, erweisen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete ausweichen
könnte, in denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht konfrontiert
wäre. Soweit zurückkehrenden Tamilen durch Meldeauflagen, das Erfordernis von
Ausweispapieren und eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt sowie durch - unter
Umständen bei Nichterfüllen dieser Anforderungen - drohende Festnahme bei den
zahlreichen Kontrollen und die im Umgang mit den Sicherheitskräften bestehenden
sprachlichen Schwierigkeiten (KK 22.09.1997 S. 4; 08.12.1998 S. 3; Südasien 6/97 S. 8;
EU 11.11.1997 S. 13) der Aufenthalt in Colombo erschwert und - wie in den Auskünften
zum Teil gefolgert wird - faktisch verwehrt wird (Wingler 08.10.1997 S. 40; KK
22.09.1997 S. 4, 22.06.1999 S. 8; Südasien 1-2/98 S. 14), ist auf die vorstehenden
Ausführungen zur Möglichkeit, eventuell fehlende Papiere zu erlangen, und zu
mangelnden Anhaltspunkten dafür, dass gerade bei Rückkehrern die Anerkennung
eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt verneint wird, zu verweisen. Ein genereller
Grund, die Meldeauflagen als unzumutbar nicht zu befolgen oder nicht erfüllen zu
können, ist daher auch nicht ersichtlich. Da der in Auskünften angesprochene Druck,
Colombo zu verlassen, letztlich aus den drohenden Festnahmen gefolgert wird (KK
08.12.1998 S. 4 ff.), kann insofern auf das oben zur mangelnden Intensität und Dichte
derartiger Übergriffe Gesagte verwiesen werden.
127
(b) Existenzbedingungen
128
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die aus dem
Ausland zurückkehrende Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere
nach noch nicht asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
129
besorgen oder sind nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu
werten. Arbeit zu finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon wegen der
herrschenden Arbeitslosigkeit, also in Folge der allgemeinen Wirtschaftslage nicht
einfach. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen verwiesen wird, weil potentielle
Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften
befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 49, 22.06.1999 S. 9), kann ungeachtet der
Frage nach der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht von einer politischen
Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK 08.12.1998 S. 3) trotz
des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA 27.05.1999 S. 2)
Bedeutung haben und inwieweit sie durch Vorteile wie etwa während des
Auslandsaufenthalts gesammelte Ersparnisse oder erworbene Fach- und
Sprachkenntnisse aufgewogen werden (AA 06.05.1998 S. 2) mag dahinstehen; hier
fehlt jeder Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die Möglichkeit, sich eine
Unterkunft zu verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine Knappheit an Wohnraum in
Colombo und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die Sicherheitslage mit der
Folge von Kontrollen und unter Umständen auch Schließung von Unterkünften geprägt
(KK 08.12.1998), sodass dieselben Erwägungen wie zur Arbeitssituation eingreifen und
zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender
Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und Aufenthaltsberechtigung
entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt, insbesondere unter dem
Aspekt des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden kann. Für eine weit
verbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial nichts Greifbares
zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in einem der
zahlreichen Billighotels (lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S. 2; KK
20.07.2000 S. 2). Dass Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige
schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist
nicht festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln
oder Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zu Grunde liegt. Fälle der
Verelendung oder eines bloßen Dahinvegetierens am Rande des Existenzminimums
sind nicht bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 27.05.1999 S. 4; KK 08.12.1998 S. 8). Selbst
wenn ein für die Rückkehrer eingreifendes System der sozialen Grundsicherung nicht
besteht (AA 27.05.1999 S. 1; KK 08.12.1998 S. 1 ff.), ist dies kein tragfähiges Indiz für
eine in dem erforderlichen Grade konkretisierte Gefahr der Rechtsgutverletzung.
Insofern sind die in Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu beachten, nach denen die
Familien und die Dorfgemeinschaften traditionell für Hilfsbedürftige einstehen (AA
06.05.1998 S. 1), und sich demgemäß ein fest gefügtes System der Sicherung nicht
entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund kommt der Feststellung der tatsächlichen
Lebensmöglichkeiten entscheidendes Gewicht gegenüber dem Fehlen einer
organisierten und geregelten, regelmäßigen Unterstützung - nur diese wird von Keller-
Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch für die Hilfe der Volksgruppe sowie karitativer
Organisationen und Einrichtungen verneint - zu. Für Feststellungen, dass es in einer
relevanten Dichte zu Fällen von Verelendung tatsächlich gekommen ist oder kommen
wird, gibt das umfassende Auskunftsmaterial nichts her.
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
130
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen
Staates. Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo
131
ansässigen Tamilen zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut
verlor, ist es seitdem trotz fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr
gekommen. Ereignisse wie die Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle
(AA 12.10.1995 S. 3; Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf
indien-tamilische Siedler im Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde
(Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im
Oktober 1995 in Colombo (KK 26.10.1995 S. 7) sowie am 25. Oktober 2000 ein Vorfall
im Bezirk Bandarawela, bei dem Singhalesen etwa 30 tamilische Insassen eines
"Rehabilitationslagers" getötet haben sollen (Busch 02.11.2000 S. 2), sind - verglichen
mit der Bevölkerungszahl im Süden des Landes - verschwindend gering und haben bei
weitem nicht das Ausmaß der früheren Pogrome erreicht. Zudem ergreift der
srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen, um derartige Übergriffe zu verhindern bzw.
gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären. So wurden die Ausschreitungen im
Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden Singhalesen verhaftet (KK
24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes Handeln im
Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen
(KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte Staatspräsidentin
Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62). Auch am Abend des
Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am 25. Juli 1996 mit ca.
70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996 S. 4), sodass die
gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler --.09.1996 S. 41). Dass
Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur Besonnenheit
mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt der
Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf das buddhistische
Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach dem Attentat auf die
Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten Ausschreitungen kam
(AA 28.04.2000 S. 14). Schließlich hat die Präsidentin auch im Zusammenhang mit dem
oben angesprochenen Vorfall in Bandarawela, dessen Hintergründe noch nicht im
Einzelnen geklärt sind, angekündigt, alle Schritte zu unternehmen, um die Situation
unter Kontrolle zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (Busch
02.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Bei dieser Sachlage fehlt es an
Anhaltspunkten dafür, dass es in absehbarer Zukunft zu pogromartigen
Ausschreitungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit kommt, die dem
srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen jeden Tamilen die konkrete Gefahr
eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
ccc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
132
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet. Seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem
Bruch der "Vereinbarung zur Einstellung der Feindseligkeiten" (KK 20.02.1995 S. 3;
Wingler 31.03.1995 S. 2) kam es zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna-Halbinsel
(KK 04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der "Vanni-Region" - hierzu zählen die Distrikte
Mullaitivu, Kilinochchi sowie Teile von Vavuniya und Mannar - (Wingler 30.01.1998 S.
14; 31.05.1998 S. 16 ff.; 30.09.1998 S. 19; 01.04.1999 S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es gelang, die LTTE zurückzudrängen
(AA 19.01.1999 S. 5, 18). Seit Anfang November 1999 befand sich die LTTE wieder auf
dem Vormarsch und hat erhebliche Geländegewinne sowohl auf der Halbinsel Jaffna
als auch in der Vanni-Region erzielt, wobei sie zahlreiche Gebiete zurückerobert hat, in
die sich die Regierungstruppen in den vergangenen Jahren vorgekämpft hatten (ai
23.02.2000 S. 1; AA 28.04.2000 S. 14 f.); so konnte sie etwa im April 2000 den
133
strategisch wichtigen "Elephant Pass" einnehmen (AA 28.04.2000, S. 15; 11.07.2000 S.
1) und beherrscht damit die wichtigste Zufahrtsstraße zur Jaffna- Halbinsel. Der weitere
Vormarsch der LTTE auf die Stadt Jaffna konnte von den Regierungstruppen gestoppt
werden (AA 11.07.2000 S. 1). Den Auskünften über die Auseinandersetzungen ist zu
entnehmen, dass die im Kampfgebiet lebende Zivilbevölkerung erheblich in
Mitleidenschaft gezogen wird (ai 23.02.2000 S. 2; AA 11.07.2000 S. 1). Darüber hinaus
kommt es in Folge des Kampfgeschehens zur Zerstörung und Beschädigung sozialer,
kultureller und religiöser Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.; Wingler 30.09.1998 S.
20; ai 23.02.2000 S. 2). Militäroffensiven lösen ferner Fluchtbewegungen mit in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlingen aus (AA 19.01.1999 S. 18; KK 04.01.1996 S.
6; Wingler 01.11.1995 S. 6; 30.01.1998 S. 14; 31.05.1998 S. 19); daneben führt auch
Zwang von Seiten der LTTE zu Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 28.04.2000 S.
15).
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose
können neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die
Erkenntnisse zum staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt
werden. Es mangelt an Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei
räumlicher Verlagerung qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die
Beurteilung beeinflussen können. Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge
der LTTE und die Entwicklungen in jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem
langjährigen Auf und Ab des Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der
Kriegsgegner den anderen kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden
Informationen - weitere Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - lassen sich dabei keine
Ansatzpunkte dafür entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr eine
neue, den bisherigen Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende Entwicklung
eingeleitet worden wäre.
134
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in
einer Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem
Maße vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen
bieten aber keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen
Sicherheitskräfte die Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als
Partei im Bürgerkrieg möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist
(wie hier OVG Lüneburg, Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19.
September 1996 - 12 L 2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 -
A 16 S 60/97 -, S. 87 ff.; VGH Kassel, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 -,
S. 26 ff., vom 3. Mai 2000 - 5 UE 4657/96.A -, S. 38 ff., und vom 29. August 2000 - 10 UE
3556/69.A -, S. 52 ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2000 - 3 B 47.95 -, S. 26 ff.;
ähnlich OVG Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 -, S. 48 ff.; in der
Bewertung abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 1996 - 11 A 11369/96 -
, S. 8 f., im jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -, S. 5 als "sehr zweifelhaft"
bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte
nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit dem Ziel der
Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter Gebiete
(KK 24.10.1995 S. 9 f.; 04.01.1996 S. 22; 20.03.1996 S. 6) sowie der Abwehr,
Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; 19.01.1999 S. 19;
Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
135
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
136
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
Netz mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S.
2) und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (Wingler 01.11.1995 S. 4,
8; KK 04.01.1996 S. 41; AA 16.01.1996 S. 6) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden- Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise der Armee bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung
ist nicht festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3; 12.10.1995 S. 3;
28.04.2000 S. 15: "ethnische Säuberung") ausschließlich Tamilen leben. Der Umstand,
dass die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine (Wingler 20.07.1995 S. 4)
oder nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf eventuell mitbetroffene Zivilisten
nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig prägen, stellt allein jedoch keinen
Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfende staatliche
Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl. BVerfGE 80, 341), zumal die
Sicherheitskräfte angewiesen wurden, bei Kampfhandlungen die Verluste unter der
Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten (AA 28.04.2000 S. 8; 01.12.2000 S. 2).
So wurde etwa die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA
19.01.1999 S. 19; US State Department --.02.2001, S. 10). Für die Opfer einer
irrtümlichen Bombardierung durch die Luftwaffe im September 1999, bei der in einem
Dorf bei Puthukkudiyiruppu 22 Zivilisten den Tod fanden, ordnete die Regierung die
Zahlung einer Entschädigung an (US State Department, --.02.2001 S. 4, 10). Angesichts
des Umfangs der Offensiven, des eingesetzten Kriegsgeräts, der im Kampfgebiet
herrschenden Bevölkerungsdichte, die sich in den Zahlen der Flüchtlinge niederschlägt,
sowie der Dauer und Härte der Auseinandersetzungen tragen die Zahl der
Vorkommnisse mit erheblicher Einbeziehung der Zivilbevölkerung und die Zahl der
Opfer nicht den Schluss, dass die Aktionen objektiv auch auf die physische Vernichtung
oder schwer wiegende Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
137
Für die Jaffna-Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive von 234 toten
und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler 03.10.1995 S.
24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten und ca. 188.000
Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im Dezember 1995 zur
Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im Oktober 1995
neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und LTTE-Kämpfern
104 Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996 S. 12) und führte
zu 200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl der getöteten oder
verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende 1995/Frühjahr 1996 mit 800
angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22: 800 Tote), für die Zeit bis
Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der Kämpfe im Frühjahr 2000
wird von erheblichen Verlusten der Zivilbevölkerung auf der Jaffna- Halbinsel berichtet
(AA 11.07.2000), wobei allein der Vormarsch der LTTE auf Jaffna im April und Mai mehr
als 100 zivile Opfer gefordert haben soll, hierunter auch Opfer von Bombardierungen
und Artilleriebeschuss seitens der srilankischen Streitkräfte (US State Department --
138
.02.2001 S. 10). Insofern ist von Bedeutung, dass nach der Rückeroberung Jaffnas
durch die Regierungstruppen etwa 500.000 Einwohner zurückgekehrt sind (AA
28.04.2000 S. 14), die nunmehr von den neuerlichen Kampfhandlungen betroffen
werden.
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen
Bevölkerung von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15), ca. 490.000 (US State
Department, --.02.2001 S. 10 oder weit mehr als 500.000 Personen (Wingler 31.05.1998
S. 19) auszugehen. Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wird von 37 bei
Bombardierungen (von beiden Kampfparteien) getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1
zu UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest, dass bei den Militäraktionen bis
Sommer 1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren als bei der Eroberung Jaffnas
1995 (Wingler, 10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe Ende 1999 wird von einer
massiven Betroffenheit der Zivilbevölkerung berichtet und als Beispiel ein Granatangriff
auf die Kirche von Madhu bei Mannar genannt, bei dem 44 Zivilisten getötet und 50
Menschen verletzt worden sind (ai 23.02.2000 S. 2). Für das Jahr 2000 wird insgesamt
von mehr als 100 zivilen Opfern im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg gegenüber
2000 Toten in den Reihen der Kriegsparteien berichtet (US State Departement, --
.02.2001 S. 9 f.)
139
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen
seien geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall
sei (AA 28.04.2000 S. 8). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer
beeinträchtigenden Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.)
in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen
Regierungstruppen standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach
auf das objektive Ziel einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen
schließen ließe, kann nicht festgestellt werden. Die von Wingler als
"Flächenbombardierungen" zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im
Einzelnen benannte Ansiedlungen (Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend
gegen von der LTTE kontrollierte Orte richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996
S. 1), lassen einen militärischen Bezug der Angriffe insofern erkennen, als sie den
Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler 29.04.1996 S. 22) und die
benannten Orte später von den Regierungstruppen eingenommen wurden (AA
16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR (UNHCR --.07.1998, S. 2,
Anlage 1, Rdn. 151) stellt in Bezug auf die angeführten Menschenrechtsverletzungen
der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum Bürgerkriegsgeschehen besonders
heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile Ziele können ebenfalls keine
tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele hinausgehende Gerichtetheit
der Aktionen entnommen werden; insofern wird beispielsweise auf den Bombenangriff
auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen, bei dem wohl 130 Menschen den
Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt, insbesondere steht die Möglichkeit
im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion eines nahe gelegenen
Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4; AA 16.01.1996 S. 3).
Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die Kirche von Madhu
wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und LTTE-
Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 S. 2); von welcher Seite der Angriff ausging,
wird nicht berichtet.
140
(2) "Gegenterror"
141
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 21 ff.) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet
ist, die im LTTE-Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar
beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder
Beeinträchtigung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann
ebenfalls nicht festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen
Regierung verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige)
politische Konzept zur Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw.
Regionalisierung der Macht und teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete
sowie das in den vergangenen Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg
durchgeführte Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA
16.01.1996 S. 5; 28.04.2000 S. 15, 16). Ferner spricht dagegen, dass von der Regierung
etwa im Fall Navali die Untersuchung durch eine Kommission angeordnet wurde und
die berichteten schwer wiegenden Angriffe auf zivile Ziele eher Einzelfälle geblieben
sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt verfügten (AA 28.04.2000 S. 9)
Pressezensur für die Berichterstattung über Vorfälle im Zusammenhang mit Aktionen
der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (AA 30.08.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 9;
01.08.2000 S. 2; KK 04.01.1996 S. 10; Wingler 31.05.1998 S. 18; 30.09.1998 S. 19)
möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es während ihrer Geltung zu
schwer wiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf zivile Ziele gekommen ist,
da diese jeweils nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen bekannt geworden
wären und der Propagandaapparat bzw. "Auslandsinformationsdienst" der LTTE
unabhängig von den Zensurmaßnahmen in der Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten
(Wingler 03.10.1995 S. 45 f.); derartige Meldungen fehlen auch für die gegenwärtige
Situation.
142
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
143
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine
Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine
Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden
gerichtet sind, ist ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der
medizinischen ist in den Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote
für Waren, die der LTTE für die Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee
die Verbote zum Teil auch auf nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 28.04.2000 S.
27; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.). Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 vorübergehend erfolgten Kürzung der Lebensmittellieferungen an die
Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt die Regierung aber immer wieder
Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung, insbesondere unter Einschaltung
des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA 28.04.2000 S. 27). Die Lage ist
danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel festzustellen war (vgl. dazu KK
04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weit gehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile von
Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2; 19.01.1999 S.
18), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
144
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstrukur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna zur
freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen in den Jahren 1998 und 1999 geführt hat
(AA 28.04.2000 S. 15, 16).
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
145
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu
Zivilisten zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es
die wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung
zweier junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der
Ermordung dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne
Aussagegehalt für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden,
dass in derartigen Fällen Armeeangehörige verhaftet (Südasien 7-8/96 S. 17; KK
24.02.1997 S. 6) und in einem aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige
als Täter zum Tode und weitere zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind
(South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10; AA 24.04.2000 S. 19, 20). Es zeigt sich,
dass die Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als Mittel
einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
146
ddd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
147
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist
und der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen
der jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung für Rückkehrer nicht festzustellen.
148
(1) Allgemeine Sicherheitslage
149
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große
Zahl von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna-Halbinsel geflüchteten Tamilen ist
nach der Einnahme weiter Gebiete der Jaffna-Halbinsel durch die Armee (Südasien-
Büro 15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27;
AA 28.04.2000 S. 15). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa
500.000 angegeben (AA 28.04.2000 S. 15). Ein singhalesischer Journalist berichtete
nach einer Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung
bemüht sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch
nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.) wird
die Rolle der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi und in
dem die Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat auch ein
Abgeordneter im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Armee
und Bevölkerung beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung wurden
alsbald große Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die
Zivilbevölkerung zu versorgen (Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit
Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele Schulen, die Universität und Krankenhäuser
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA 30.08.1996 S. 9; 27.05.1999 S. 6;
28.04.2000 S. 15; Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum Aufbau einer zivilen Verwaltung auf
der Jaffna-Halbinsel entsandte die Regierung tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3
150
f.); im Januar 1998 fanden kommunale Wahlen statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und
die Situation in Jaffna verbessert sich trotz weit greifender Kontrollen durch das Militär
zusehends (UNHCR --.07.1998 S. 4 und zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die
Menschenrechtslage wird gegenüber derjenigen vor Juni 1997 als erheblich verbessert
beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler 30.09.1998 S. 10). Anhaltspunkte dafür, dass
sich das Verhalten der Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von
ihnen beherrschten Gebieten im Norden in Folge des Wiederaufflammens der
kriegerischen Auseinandersetzungen ab Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
151
Anlass zu Bedenken im Hinblick auf eine politische Verfolgung geben die Berichte über
Festnahmen und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl.
insoweit die Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai --.11.1997 nebst
Anhängen A und C) durch die Armee - nur von dieser, nicht auch von der Polizei sind
entsprechende Aktionen bekannt (ai --.11.1997 S. 8). Für den jetzigen Zeitraum sowie
die weitere Entwicklung - auch in künftig wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte
gelangenden Bereichen - und für den Personenkreis der Rückkehrer nach längerem
Auslandsaufenthalt ergeben die Vorgänge jedoch im Sinne der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nichts Tragfähiges.
152
(a) Vorfälle im Jahr 1996
153
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter
den Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an
unbekannte Orte - auch im Süden des Landes - verbracht worden sein, wobei spätere
Freilassungen nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach
Bombenanschlägen zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S.
12, 36). Für den Herbst 1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in
Militärhaft genommen worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach
Zusammenstellungen eines Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und
dem Januar 1997 wurden in jener Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten
als verschwunden (KK 24.02.1997 S. 5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996
über 700 Personen als verschwunden (AA 18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des
Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S. 1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt
umgebracht worden oder unter Folter zu Tode gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19).
Hierauf deutet auch die Aussage eines angeklagten Armeeangehörigen zu
Massengräbern in der Region um Chemmani hin (South-Asia Bureau, Inform --.07.1998
S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die hieran anschließenden
Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von 15 Leichen führten
(AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser Größenordnung -
gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene Fälle - zu Grunde
gelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai --.11.1997 S. 9)
- doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der
LTTE oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7; AA 28.04.2000 S.
19), auch für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben,
ob aus den Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende
Verfolgungsdichte geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind
154
nämlich für die heutige Situation und für Tamilen, die nach jahrelangem
Auslandsaufenthalt zurückkehren, ohne tragenden Aussagegehalt.
(b) Entwicklung nach 1996
155
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme
der bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle
habe sich 1997 wiederum erhöht - soweit damit nicht die über mehrere Jahre
fortgeschriebene Gesamtzahl gemeint ist -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel -
Jaffna ist neben Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - nicht zu
Grunde gelegt werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf
tragfähige Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch
dem Material, auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen
Unterlagen Sri Lanka als das Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997
bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer 348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und
in Bezug auf den hier zu betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die
ersichtlich zeitlich weit greifende Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten
seien über Jahre hinweg so zahlreich, häufig und ernstlich, dass man nicht von
isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151).
Demgegenüber enthält das sonstige Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit
unterschiedlichen Quellen genaue Angaben und ergibt ein in den Grundzügen
übereinstimmendes Bild, sodass den pauschalen und ohne Bestätigung gebliebenen
Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden kann: Für die erste Jahreshälfte
1997 wird von 35 bzw. 41 Verschwundenen berichtet. In der Folgezeit ist zunächst kein
Fall dieser Art auf der Jaffna-Halbinsel mehr bekannt geworden (ai --.11.1997 S. 2;
Wingler 30.01.1998 S. 19; AA 28.04.2000 S. 20; US State Department, --.02.2001 S. 5).
Im Dezember 2000 ereignete sich dann ein weiterer Vorfall mit 7 oder 8
Verschwundenen - und letztlich Getöteten - bei Mirusevil auf der Halbinsel Jaffna (US
State Department, --.02.2001 S. 3, 5), der unmittelbar nach Bekanntwerden zur
Festnahme der verantwortlichen Soldaten wegen Folter und Mordes führte (US State
Department, --.02.2001 S. 3, 5). In den übrigen Gebieten des Nordens können im Jahr
1999, wenn überhaupt, nur vereinzelte Fälle von Verschwindenlassen bekannt
geworden sein, da die landesweite Zahl möglicher Verschwundener mit 10 angegeben
wird, von denen allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet werden (AA 28.04.2000 S.
20). Entsprechendes gilt für das Jahr 2000, für das bis Ende September von einer
Gesamtzahl von 11 Verschwundenen in den Gebieten Vavuniya und Trincomalee
berichtet wird, für die Sicherheitskräfte oder paramilitärische Gruppen verantwortlich
gemacht werden (US State Department, --.02.2001 S. 5).
156
Darüber hinaus gibt es weitere Umstände, die es plausibel erscheinen lassen, dass sich
die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen Stand reduziert hat, bei dem
ersichtlich die für eine Gruppen- oder Untergruppenverfolgung erforderliche Dichte, also
eine Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer (Unter-)
Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass
daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit,
sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht -
157
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S.
158
203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, a.a.O. - ,
nicht gesprochen werden kann. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen
der Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben
zum Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur
Anwendung zu bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - so werden etwa Mitteilungen über eine
Verhaftung erstellt (Wingler 31.05.1998 S. 44) - sowie das Bewusstsein für die
Menschenrechte in der Armee zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der
Rekruten- als auch bei der Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den
Ausbildungskatalog aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2; 28.04.2000 S. 8); bei den in
Jaffna stationierten Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten"
- human right cells - eingerichtet (AA 28.04.2000 S. 20; US State Department, --.02.2001
S. 10). Insbesondere aber ist Wirkung davon zu erwarten, dass es - wie etwa im
Anschluss an den erwähnten Vorfall in Mirusuvil - zu Verfahren kommt, in denen die
Verantwortlichkeit von Armeeangehörigen für schwer wiegende Vorkommnisse geklärt
werden soll und über die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997 S. 2: "Signal für die
Sicherheitskräfte"; AA 28.04.2000 S. 20) - in einem Strafverfahren gegen
Armeeangehörige, die im Norden eingesetzt waren, ist es inzwischen zu einer
Verurteilung gekommen (South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA 28.04.2000 S.
20). Armee- und Polizeiführung haben die Verschwundenenfälle kritisiert und
angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. (US State Department, -
-.02.2001 S. 5). Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch
staatlich eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim
Verteidigungsministerium ein Board of Investigation eingerichtet worden, dem Hunderte
von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt
worden sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen über ein Büro in Jaffna verfügt
(Wingler 30.01.1998 S. 19), eingeschaltet, die über 270 Fällen nachgeht (ai --.11.1997
S. 2, 12, 13). Schließlich wird dem Vorgehen der Armee insbesondere im Hinblick auf
das Verschwinden von Zivilisten auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit gewidmet.
So hatte eine in Colombo erscheinende Wochenzeitung eine regelmäßige Rubrik mit
Namen von als verschwunden geltenden Personen eingerichtet (KK 22.02.1997 S. 5);
ferner warfen Richter des Obersten Gerichtshofs den Verfolgungsbehörden öffentlich
Rechtsverletzungen und Folter vor (KK 24.02.1997 S. 4; ai 23.02.2000 S. 5). Auch der
Aussage eines wegen der Tötung von Zivilisten zum Tode verurteilten
Armeeangehörigen zur Existenz von Massengräbern von der Armee Getöteter wird
durch staatliche Stellen, die hierbei internationale Menschenrechtsorganisationen
beteiligen, unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit nachgegangen (AA 28.04.2000
S. 20).
159
(c) Gefährdungsminderung für Rückkehrer aus dem Ausland
160
Für die Frage der Gefährdung von Rückkehrern nach einem mehrjährigen
Auslandsaufenthalt ist zudem die Übertragbarkeit dessen, was die Gefährdungssituation
in den hier betroffenen Gebieten insbesondere für junge männliche Tamilen ausmachte,
in einem für die Dichte wesentlichen Umfang zu verneinen. Denn als Vergleichsfälle
sind die Vorkommnisse auszuschließen, die nach der Beendigung des offenen
Bürgerkrieges zur Sicherung der wiedererlangten Gebietshoheit dort darauf gerichtet
waren, LTTE-Verdächtige in der Bevölkerung, insbesondere unter den Flüchtlingen
festzunehmen - was auf die Mehrzahl der im Jahr 1996 in Jaffna festgestellten
Verschwundenenfälle zutreffen soll (AA 28.04.2000 S. 19 f.) - und - unterhalb der
Schwelle, die zu politischer Verfolgung führen könnte - Informationen über LTTE-
161
Aktivitäten zu gewinnen. Insofern ist der Umstand, sich in der letzten Zeit der LTTE-
Herrschaft in dem Bereich aufgehalten zu haben, ein wesentliches Merkmal für den
Kreis der Betroffenen, das die Rückkehrer aus dem Ausland nicht teilen.
Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 1998 - 9 B 136.98 -.
162
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
163
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - für die Zeit von Januar bis
September 1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen
durchgeführt worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - ist auf die
vorstehenden Ausführungen zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen.
Auch insofern greifen die Maßnahmen zur stärkeren Disziplinierung der Soldaten,
sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten auszugehen ist, die nicht als politische
Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt es auch hier an der erforderlichen Dichte
der Übergriffe.
164
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
165
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - und "Tamil Eelam
Liberation Organisation" - TELO -. Diese Organisationen geben zum einen
Informationen über LTTE-Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der
Identifikation von LTTE-Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern
von ihnen aufgegriffene LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 28.04.2000 S.
14). Zum anderen führen die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen
und Verhaftungen durch, in deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige
Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des
Verschwindenlassens (AA 28.04.2000 S. 14; ai 01.03.1999 S. 4; 16.01.2001 S. 5; US
State Department, --.02.2001 S. 2, 6 ff.).
166
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen
Vorfällen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser
Organisationen gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung
oder jedenfalls Duldung unterliegt und diesem daher zuzurechnen sind, oder ob der
Staat in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen ergreift, um
Übergriffen entgegenzuwirken, was einer Qualifizierung als mittelbare staatliche
Verfolgung bereits vom Ansatz her entgegenstünde. Von einer Duldung illegaler
Inhaftierungen geht amnesty international unter Hinweis auf die Beobachtung von
Armeefahrzeugen und Soldaten in illegalen Haftzentren der PLOTE aus (ai 23.02.2000
S. 3). Wingler meint, die Aktivitäten entzögen sich "fast jeder Kontrolle" und die
Regierung habe "keine klaren Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken (Wingler
--.05.2000 S. 2). Das Auswärtige Amt spricht von einem "entschiedenen Eingreifen" der
Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Aktivitäten der PLOTE und TELO in Vavuniya in
167
der zweiten Hälfte des Jahres 1999 (AA 04.02.2000 S. 2; 01.12.2000 S. 4); insofern
berichtet das US State Department von einer Entwaffnung der PLOTE und TELO durch
die Regierung im Anschluss an eine bewaffnete Auseinandersetzung in Colombo im
Mai 1999 (US State Department, --.02.2001, S. 2, 6), die allerdings als nicht effektiv
eingeschätzt wird (US State Department, --.02.2001 S. 4). Die Angaben in den
vorliegenden Erkenntnissen ergeben jedenfalls nicht, dass diejenigen Übergriffe von
Seiten der genannten Organisationen, die nicht bereits bei objektiver Bewertung auf die
Bekämpfung der LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin erschöpfen, von
einer derartigen Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren hunderttausend) Tamilen
im betroffenen Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne Anknüpfung an
irgendwelche über Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausgehenden
individuellen Merkmale Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. So
beziffert etwa amnesty international die Zahl der in illegalen Haftzentren der PLOTE in
"unbestätigter Haft" gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen sich
die Fälle von Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird
(Nachweise etwa in Anlage 1 zu KK 26.01.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen
zudem staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK 26.01.1999). Soweit
davon berichtet wird, nach einer Meldung der Zeitung "The Island" vom 24. März 2000
werde die PLOTE in einem Untersuchungsbericht für die Tötung von 620 Menschen in
verschiedenen Teilen des Landes verantwortlich gemacht, wobei sie Unterstützung von
Armeeangehörigen erhalten habe (ai 16.01.2001 S. 5), bezieht sich die Zahlenangabe
ersichtlich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und hat keinen Bezug zu aktuellen
Entwicklungen. So hat das Auswärtige Amt in jüngster Zeit noch einmal bekräftigt, dass
die Regierung seit 1999 verschärft gegen Eigenmächtigkeiten der PLOTE vorgehe und
dass sich die Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des Jahres 1999, insbesondere nach
der Ermordung eines örtlichen PLOTE-Führers im September 1999, verbessert hätten
(AA 01.12.2000 S. 4). Für eine gegenteilige Entwicklung sind keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
eee) Östliche Landesteile
168
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten zwar Gefährdungen von Leib
und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche oder staatlich geduldete bewaffnete
Kräfte. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung unerlässliche Dichte von
derartigen Übergriffen, also eine Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos auf die
Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut
fallen, dass daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine
Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den
Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder
eine Untergruppe nicht festzustellen.
169
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
170
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995
S. 45; 31.01.1996 S. 39; Südasien 7- 8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug
der Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der
Einflussbereich der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32;
171
Südasienbüro 15.04.1996 S. 2). Nach ihrer Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie
ihre Präsenz im Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996
S. 13; Wingler --.09.1996 S. 36; AA 28.04.2000 S. 14 f.: einzelne Gebiete); die
srilankische Regierung hielt und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den
Landstreifen an der Küste und die dortigen (größeren) Ortschaften (EU 02.04.1997 S. 4;
Wingler 31.05.1998 S. 19; AA 28.04.2000 S. 15; KK 04.01.1996 S. 32). Zu militärischen
Aktionen, die zum Teil auch zivile Opfer, ganz überwiegend aber Opfer unter den
staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE fordern, kommt es nur vereinzelt
(Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S. 18, AA 28.04.2000 S. 15);
Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen Urwaldeinrichtungen der LTTE
gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht statt (KK 04.01.1996 S. 18).
Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler Ziele berichtet wird
(UNHCR --.07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen der geringen Zahl
der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine Zahl von 37
Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die zudem
zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das militärische
Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet prägendes
Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen im Norden
Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in erhöhte
Alarmbereitschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE militärisch
entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als
politische Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE- Aktionen/"Verschwindenlassen"
172
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend
außergesetzlicher Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und
für November 1995 in einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von
der Tötung von drei oder sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem
besonders gravierenden Vorfall mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern
und auch Frauen (KK 20.03.1996 S. 4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9
f.). Gegen Ende 1996 wurde eine Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner
ganzer Ortschaften ins offene Feld getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte
Zahl nach der Festnahme durch die Armee verschwunden ist und mehrere Personen
getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30, 40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner
Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner belegt, wobei auch Personen zu
Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997 S. 23 f.). Für die ersten acht
Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und davon, dass die Fälle
unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass Tötungen von den
Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben werden, um so
eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im September
1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt oder
verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge Tamilen
verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens von
tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - etwa nach Festnahmen durch die
173
Sicherheitskräfte bei Kontrollen, die in diesem Landesteil ebenfalls, wenn auch in
geringerem Ausmaß als etwa in den südlichen Landesteilen durchgeführt werden (KK
04.01.1996 S. 54, 64) - festzustellen (UNHCR --.07.1998 S. 3), wobei die Zahl den
Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung und
Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird
für den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30
angegeben (KK 04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den
Osten einige Fälle von Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis
auf die von amnesty international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf
Trincomalee kein Fall mehr benannt (AA 28.04.2000 S. 20). Für den Bezirk Batticaloa
wird berichtet, im ersten Halbjahr 1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --.11.1997
S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA 28.04.2000 S. 20). Für die ersten 9 Monate des
Jahres 2000 wird für das Gebiet um Vavuniya und den Osten Sri Lankas zusammen die
Zahl von 9 Personen genannt, die aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte
verschwunden sind (US State Department --.02.2001 S. 1). Der UNHCR teilt mit, im
Osten seien Fälle von Verschwindenlassen sowie schwer wiegende Misshandlungen
im Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S.
4); konkretere Angaben lassen sich seiner Stellungnahme und dem in Bezug
genommenen Material allerdings nicht entnehmen. Eine Liste mit den Namen von 2.000
Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler 08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum
nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht nicht deutlich wird - allein auf die Zeit
nach dem Regierungswechsel, den Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen
der LTTE-Übergriffe bezogen wird, wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab
1990/1991, die ein nachhaltig anderes Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des
Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - 21 A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung junger tamilischer Männer trugen. Da der
Verfasser der Liste seit langer Zeit in Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation
der Bevölkerung befasst, ist anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste
handelt; angesichts der sich nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden
Beobachtung der Entwicklung durch Menschenrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S.
5) kann trotz des oben aufgezeigten Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt
gewordenen Zahl in der genannten Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch
der Angabe von Wingler (Wingler --.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von Verschwinden
und Tod in Haft werden derzeitig aus dem Osten berichtet", ist keine Aussage zu einer
hohen Zahl derartiger Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet vielmehr ihre Erklärung
in dem allgemein in Sri Lanka konstatierten Rückgang derartiger Übergriffe, der sich
etwa in der Zahl von landesweit 10 Verschwundenenfällen im Jahr 1999, hiervon
allerdings 6 im Raum Batticaloa (AA 28.04.2000 S. 20), widerspiegelt.
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa
(KK 24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte
von Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5;
28.04.2000 S. 13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der
LTTE sind Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von
Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf
eine Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52,
08.10.1997 S. 26; EU 02.04.1997 S. 12).
174
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
175
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich
aufhaltende Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob
hinter den vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine
politische Verfolgung beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei
braucht nicht auf die Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine
Qualifizierung von Vorfällen als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der
Annahme eines Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und
Spannweite der vorstehend aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen
sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon
ausgegangen werden, die Regierung lasse die Situation gewollt unkontrolliert und
dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen, etwa um diese als
Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen.
Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall
von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA
30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997 alsbald zur
Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (KK 22.02.1997 S. 6 f.). Als Folge eines
Vorfalls in Thamapalakamam in der Nähe von Trincomalee im Februar 1998, bei dem
Polizei und Heimwehren acht Tamilen, darunter drei Kinder getötet haben sollen, wird
von der Inhaftierung von 31 Polizisten und 10 Mitgliedern der Heimwehren berichtet, von
denen 4 Personen wegen Mordes und 17 Personen wegen Bildung einer kriminellen
Vereinigung angeklagt worden sind (US State Department, --.02.2001 S. 3). Die
eingeleiteten Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der Verantwortlichkeit
und abschließenden Maßnahmen (Wingler 08.10.1997 S. 25), sie stehen aber der in
dem angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992 - 21 A 914/91.A - noch maßgeblich mit
herangezogenen Schlussfolgerung entgegen, die Tamilen seien Übergriffen völlig
hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In diesem Zusammenhang ist auch zu
sehen, dass - wie insbesondere die wiederholt angeführten Auskünfte Winglers zeigen -
in den Medien von den Übergriffen berichtet wird und Politiker Vorfälle aufgreifen sowie
zum Gegenstand von Protesten machen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht
des UNHCR vom Juli 1998 wiedergegebene Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-
Menschenrechtskommission über eine "systematische Praxis des
Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage wird in keiner Hinsicht
konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit welchen Kriterien in
Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig verdeutlicht wie die
tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in bestimmter Weise
anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht entnehmen;
insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende Bericht
die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik von
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdn. 151).
176
(b) Dichte der Übergriffe
177
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
178
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge
sind im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die
Situation ist seit Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen
auf strategisch wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34;
AA 17.03.1997 S. 4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34;
Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu
Übergriffen der LTTE mit in Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung - so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im
Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK 24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten
Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S.
23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über 500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34),
allein im Januar 1997 betrug sie über 200 (Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf
Armeelager und Polizeistellen, die teilweise mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben
fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal als fast täglich geschehend dargestellt
(Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9, 10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1).
Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --
.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; FAZ 29.11.2000). Eine Situation, bei der praktisch
nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen ist, ist daher
nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von Personen bei Gelegenheit der
Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die Vergewaltigungen
sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts einfließen muss -
Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst bei
Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass für jeden
aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen Eintritt
zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen
Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das
Heranziehen zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem
umfangreichen Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu
bringen war, sodass auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem
erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
fff) Absehbare weitere Entwicklung
179
Die Beurteilung der Situation der Tamilen durch den Senat beruht auf Erkenntnissen
über einen Zeitraum von mehreren Jahren und kann, da tragfähige Anhaltspunkte für
eine Entwicklung hin zum Schlechteren fehlen, auch bei der gebotenen Prognose zu
Grunde gelegt werden. Die Ereignisse aus jüngster Zeit, namentlich die in der
Tagespresse berichteten militärischen Aktionen der LTTE und der Sicherheitskräfte auf
der Jaffna-Halbinsel und in der Vanni-Region sowie die Vorfälle während des
Wahlkampfes für die Parlamentswahlen im Oktober 2000 geben nichts Greifbares dafür
her, dass sich die Situation zu Lasten der tamilischen Bevölkerung in asylrelevanter
Weise verschärfen könnte. Der Stand der militärischen Auseinandersetzungen im
Norden Sri Lankas lässt keine grundlegend neue und abweichend von den obigen
Ausführungen zu bewertende Entwicklung erwarten, nachdem die Regierungstruppen
mit ihren im Vorfeld der Wahlen begonnenen verstärkten militärischen Anstrengungen
nach den in der jüngeren Vergangenheit beobachteten Geländegewinnen der LTTE
Erfolge erzielten (NZZ vom 02.09.2000, Die Welt vom 07.09.2000, FAZ vom
18.09.2000). Auch die innenpolitischen Entwicklungen geben keinen Anlass für die
Annahme einer asylerheblichen Verschärfung der Sicherheitslage. Während der Dauer
180
des Parlamentswahlkampfes war eine Verstärkung von hiermit in Zusammenhang
gebrachten (NZZ vom 11.10.2000, FR vom 13.10.2000) militärischen Aktionen,
Anschlägen und Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen sowie der Reaktionen
der Sicherheitskräfte hierauf zu verzeichnen. Nach dem Ende des Wahlkampfes dürfte
eher mit einer Verminderung von Zahl und Gewicht solcher Ereignisse zu rechnen sein,
zumal bei der Parlamentswahl die bisherige Regierung einen - knappen - Wahlsieg
errungen hat (FR vom 13.10.2000, NZZ vom 24.10.2000) und eine Änderung der von
dieser verfolgten Politik nicht zu erwarten ist. Dies gilt insbesondere auch vor dem
Hintergrund einer norwegischen Friedensinitiative, in deren Rahmen der Führer der
LTTE der srilankischen Regierung Verhandlungen ohne Vorbedingungen angeboten
haben soll (NZZ vom 11.11.2000, FR vom 27.11.2000, FAZ vom 29.11.2000) und
aktuell Gesprächsbereitschaft von beiden Seiten signalisiert wird (NZZ vom 21.12.2000,
FAZ vom 12.03.2001, FAZ vom 15.03.2001). Die in absehbarer Zeit danach zu
erwartende Entwicklung fügt sich ohne Weiteres in das schon in der Vergangenheit
wiederholt zu verzeichnende Auf und Ab der staatlichen Maßnahmen entsprechend der
jeweiligen Einschätzung der Sicherheitslage ein, das zu einer Neubewertung der
Situation im Hinblick auf ihre Asylrelevanz keinen Anlass gibt. Zweifel an dieser
Einschätzung ergeben sich auch nicht aus der im Vorangegangenen schon mehrfach
erwähnten Stellungnahme von amnesty international vom 16. Januar 2001 oder dem
Menschenrechtsbericht des US State Department von Februar 2001 für das Jahr 2000.
Die in diesen Unterlagen angesprochenen Vorfälle und Ereignisse liegen, soweit sie in
nachvollziehbarer Weise konkretisiert sind, in qualitativer und quantitativer Hinsicht im
Rahmen dessen, was der Senat seiner Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht zu Grunde
legt.
cc) Individuelle Anknüpfungspunkte für eine politische Verfolgung
181
Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende
Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit
gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht ersichtlich. Der Kläger weist zwar
mit Blick auf seine Herkunft, sein Alter und seine Sprachkenntnisse einzelne
Risikofaktoren auf; diese tragen aber allein nicht den Schluss, dass ihm mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit asylerhebliche längerfristige Inhaftierungen mit einhergehenden
körperlichen Misshandlungen drohen. Der Kläger teilt hinsichtlich der vorhandenen
Risikofaktoren das Schicksal der Mehrzahl der nach Sri Lanka zurückkehrenden
Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren liegt, die keine oder nur
geringe singhalesische Sprachkenntnisse haben und deren Geburts- oder Herkunftsort
auf der Jaffna-Halbinsel liegt. Hierdurch allein weckt er nicht, wie bereits zur
allgemeinen Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein gesteigertes Interesse der Sicherheitsbehörden.
Weitere Risikofaktoren sind in seiner Person nicht verwirklicht. Insbesondere fehlt jeder
Anhaltspunkt dafür, dass sich die Sicherheitsbehörden wegen eines in Polizeiberichten
oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts einer LTTE-
Mitgliedschaft, einer Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der
Sicherheitskräfte oder der Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen für ihn interessieren,
da der Kläger sich eigenen Angaben nach weder in Sri Lanka noch im Bundesgebiet für
die LTTE betätigt hat und das Vorbringen des Klägers zu seinen angebliche Problemen
mit Sicherheitskräften vor der Ausreise, wie ausgeführt, unglaubhaft ist. Soweit der
Kläger in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung auf Narben am rechten Bein
als Folge eines in Deutschland erlittenen Unfalls hingewiesen hat, ergibt sich auch
hieraus keine derartige Steigerung des Risikos einer intensiveren Überprüfung durch
182
die Sicherheitskräfte mit der Gefahr von asylerheblichen Weiterungen, dass ihm eine
Rückkehr unzumutbar wäre. In Sri Lanka hat eine Vielzahl von Personen Verletzungen
nicht nur im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, sondern auch
durch Arbeits-, Straßenverkehrs- und häusliche Unfälle erlitten (AA 25.01.2000 S. 1 f.).
Angesichts dessen ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die
Sicherheitskräfte in Sri Lanka ohne Vorliegen anderer gewichtiger Verdachtsmomente
allein aus dem Vorhandensein solcher, ersichtlich nicht auf Kampfhandlungen im
Bürgerkrieg beruhender (vgl. hierzu, AA 25.01.2000 S. 1 f.; Wingler 01.04.1999, S. 5:
"Verletzung, die auf einen Kampfeinsatz hinweist"; ai 30.08.1999 S. 1: "jegliche Art von
Narben, die sich jemand ... als LTTE-Kämpfer zugezogen haben kann"; nach KK
12.03.1999 S. 1 f. erhöhen Narben ohne Differenzierung nach ihrer Art das
Festnahmerisiko) Narben, die der Kläger zudem auf Nachfrage plausibel als
Unfallverletzung erklären könnte, auf eine Verwicklung des Klägers in Aktivitäten der
LTTE schließen werden. Auch der Kläger misst seinen Narben offenkundig keine
besondere Bedeutung bei. Er hat sie im gesamten Berufungsverfahren nicht
angesprochen. Abgesehen hiervon besteht für den Kläger im Falle seiner Rückkehr
nach Sri Lanka eine im Vergleich zur Mehrzahl erfolglos gebliebener srilankischer
Asylbewerber eher verminderte Gefahr eines Zugriffs der srilankischen
Sicherheitskräfte, weil er über eine echte Identity-Card verfügt. Mit diesem
Ausweispapier, mit dem er seine Identität belegen kann, hat er sowohl Aussichten, die
oben dargestellten intensiven Identitätskontrollen durch srilankische Sicherheitskräfte
bei der Einreise zu verkürzen; ferner kann er sich bei eventuellen Routinekontrollen im
Großraum Sri Lankas ausweisen.
II. Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Zielstaates Sri Lanka
183
Hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Teilaufhebung der
Abschiebungsandrohung insoweit, als Sri Lanka als Zielstaat der Abschiebung benannt
ist, hat das angefochtene Urteil demgegenüber Bestand.
184
Der genannte Ausspruch des angefochtenen Urteils ist zwar nicht bereits deshalb in
Rechtskraft erwachsen, weil sich die Berufung des Beteiligten hierauf nicht bezieht.
Denn das Zulassungs- und Berufungsbegehren des Beteiligten, nach dem sich
angesichts der unbeschränkten Berufungszulassung durch den Senat der Gegenstand
des Berufungsverfahrens bestimmt, ist bei sach- und interessengerechter Auslegung
gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass es das angefochtene Urteil in dem
Umfang erfassen soll, in dem es der Klage stattgegeben hat und sich damit nicht auf den
Ausspruch des Verwaltungsgerichts zum Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
beschränkt, sondern auch auf dessen Umsetzung durch Teilaufhebung der
Abschiebungsandrohung bezogen ist, die das Verwaltungsgericht allein mit seinem
Ausspruch zu § 51 Abs. 1 AuslG begründet hat. Für eine abweichende Auslegung
dahingehend, dass der Beteiligte mit seiner Berufung ausschließlich die Klärung die
Frage des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG erstrebte und die lediglich
auf dem Erfolg des Hauptantrags zu § 51 Abs. 1 AuslG beruhende Aufhebung
hinnehmen und rechtskräftig werden lassen wollte, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.
185
Vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 1998 - 9 B 135.98 -, S. 6 f. des amtl.
Umdrucks; OVG Weimar, Beschluss vom 9. Dezember 1999 - 3 KO 401/96 -, NVwZ-
Beilage 2000, 69.
186
Die Teilaufhebung der Abschiebungsandrohung durch das Verwaltungsgericht ist aber
187
in der Sache nicht zu beanstanden. Der Androhung der Abschiebung des Klägers nach
Sri Lanka steht die bestandskräftig gewordene Feststellung des Bundesamtes in dem
Bescheid vom 29. September 1993 entgegen, dass in der Person des Klägers ein
Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 1 AuslG vorliegt. Zwar darf einem
Asylbewerber trotz einer solchen Feststellung die Abschiebung angedroht werden (vgl.
§ 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Sie darf in diesem Fall aber nicht in den Staat angedroht
werden, in dem das Abschiebungshindernis besteht. Vielmehr muss dieser Staat in der
Abschiebungsandrohung im Gegenteil als Staat bezeichnet werden, in den der Kläger
nicht abgeschoben werden darf (§ 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Dieser Mangel führt zur
Rechtswidrigkeit der konkreten Zielstaatsbestimmung mit der Folge, dass die
Abschiebungsandrohung insoweit aufzuheben ist; er lässt die Rechtmäßigkeit der
Abschiebungsandrohung im Übrigen - die nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens
ist - hingegen unberührt (vgl. § 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG).
III. Nebenentscheidungen
188
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gründe,
die Revision zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.
189