Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.02.1999

OVG NRW (ausbildung, beurlaubung, alleinerziehende mutter, allein erziehende mutter, abweisung der klage, student, tochter, verwaltungsgericht, sozialhilfe, schwangerschaft)

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 92/97
Datum:
26.02.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 A 92/97
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 2 K 985/94
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin
vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die 1962 geborene Klägerin studierte seit dem Wintersemester 1989/90 an der
Fachhochschule B. im Studiengang Architektur/Hochbau. Nach der Geburt ihrer Tochter
R. M. am 17. Januar 1993 ließ sich die Klägerin für die beiden darauffolgenden
Semester, d.h. vom 1. März 1993 bis zum 28. Februar 1994, vom Studium beurlauben.
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Am 3. Juni 1993 beantragte die Klägerin beim Beklagten für sich und ihre Tochter die
Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt
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Mit Bescheid vom 7. September 1993 bewilligte der Beklagte für die Tochter der
Klägerin ab Antragstellung ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Einschluß
anteiliger Unterkunftskosten; die Höhe der Leistungen belief sich bei Berücksichtigung
des Kindergeldes und der Unterhaltsleistungen des Vaters auf monatlich 166,32 DM.
Hinsichtlich der Klägerin wurde der Sozialhilfeantrag mit dem Hinweis auf das
fortdauernde Studium abgelehnt; dieses Studium sei dem Grunde nach förderungsfähig
und trotz der momentanen Beurlaubung der Klägerin nicht beendet. Ihre Situation als
alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes rechtfertige für sich genommen auch noch
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nicht die Annahme eines Härtefalles.
Nach überwiegend erfolglosem Widerspruchsverfahren - der Klägerin wurde durch den
Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14. März 1994 lediglich der Mehrbedarf für
Alleinerziehende mit einem Kind unter 7 Jahren zuerkannt - hat die Klägerin im März
1994 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Beklagte verkenne, daß sie
ihre Ausbildung im fraglichen Zeitraum nicht weiterbetrieben habe. Sie habe nur
deshalb Abstand von einer Exmatrikulation genommen, um später unter der eingangs
ihres Studiums geltenden Studien- und Prüfungsordnung die Diplomprüfung ablegen zu
können; anderenfalls wäre sie später praktisch zu einem Neubeginn des Studiums
gezwungen und könne dann auch nicht mehr mit BAföG- Leistungen rechnen. Sie gehe
davon aus, nach dem Ende der Beurlaubung noch etwa drei Semester bis zum
Abschluß der Ausbildung zu benötigen. Ihre Hilfebedürftigkeit hätte sich im Falle einer
Exmatrikulation nicht anders dargestellt als im Zeitraum der Beurlaubung. Ursächlich für
die Sozialhilfebedürftigkeit sei ausschließlich der Umstand, daß sie mit Rücksicht auf
das Alter ihres Kindes an einer Berufstätigkeit gehindert sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 7. September
1993 und des Widerspruchsbescheides vom 14. März 1994 zu verpflichten, ihr Hilfe zum
Lebensunterhalt für die Zeit vom 3. Juni 1993 bis zum 14. März 1994 zu bewilligen.
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Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf sein vorprozessuales Vorbringen die
Abweisung der Klage beantragt.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben.
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Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und diese ergänzend wie folgt
begründet: Das Verwaltungsgericht habe maßgeblich darauf abgestellt, daß im Falle
einer Beurlaubung nicht die vom Gesetzgeber mißbilligte Gefahr einer zweckwidrigen
Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln zur Finanzierung einer anderweitig
förderungsfähigen Ausbildung bestehe. Es sei nicht darauf Bedacht genommen worden,
ob eine förderungsfähige Ausbildung vorliege, sondern lediglich darauf, ob die
Beurlaubung förderungsrechtliche Auswirkungen habe. Diese Sichtweise führe zu einer
ungerechtfertigten Besserstellung von Hilfesuchenden, die sich im Rahmen ihres
Studiums beurlauben ließen, um es anschließend zeitgerecht zu Ende zu führen,
gegenüber denjenigen, die bei auftretenden Verzögerungen - etwa wegen einer
Schwangerschaft - von einer Beurlaubung abgesehen hätten, deshalb die
Förderungshöchstdauer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz überschritten
und in der Endphase der Ausbildung auch vom Bezug von Sozialhilfe für den
ausbildungsgeprägten Lebensbedarf ausgeschlossen seien. Ein rechtfertigender Grund
für die aufgezeigte Ungleichbehandlung bestehe nicht. Er liege insbesondere nicht
darin, daß während der Beurlaubung das Studium nicht betrieben werde. Vielmehr
dauere das Ausbildungsverhältnis auch während einer Beurlaubung an. Auch wenn
Vorlesungen und Seminare nicht besucht würden, könne dennoch die Ausbildung
jedenfalls für eine begrenzte Zeit auf andere Weise sinnvoll weiter betrieben werden,
etwa durch das Studium von Lehrbüchern oder das Nacharbeiten bereits besuchter
Vorlesungen. Eine Beurlaubung könne zudem auf ganz unterschiedlichen Gründen
beruhen und beispielsweise auch dazu dienen, sich auf eine Prüfung vorzubereiten
bzw. ein Praktikum oder ein Auslandssemester zu absolvieren; in derartigen Fällen
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werde ohne Zweifel die Ausbildung weiterbetrieben. Der beurlaubte Student bleibe
eingeschrieben und der Studentenausweis bleibe gültig, so daß die Vorteile und
Vergünstigungen für Studierende einschließlich der Erleichterungen bei der
Krankenversicherung weiterhin in Anspruch genommen werden könnten. Im übrigen sei
auch nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ein Ausbildungsverhältnis erst
dann beendet, wenn es vom Auszubildenden abgebrochen, das heißt endgültig
aufgegeben worden sei. Dem Sinn des Anspruchsausschlusses nach § 26 Satz 1
BSHG, die Zweckentfremdung der Hilfe zum Lebensunterhalt in Richtung auf eine
verdeckte Ausbildungsförderung zu verhindern, könne nur genügt werden, wenn vor der
(Wieder-)Aufnahme der Sozialhilfeleistungen die Ausbildung endgültig abgebrochen
werde. Da vorliegend im streitbefangenen Zeitraum eine endgültige Beendigung der
Ausbildung nicht vorgelegen habe, sondern die Klägerin durch die Beurlaubung gerade
auch Vorteile im Hinblick auf die für später beabsichtigte Wiederaufnahme des
Studiums habe sichern wollen, greife der Ausschlußtatbestand des § 26 Satz 1 BSHG
ein und führe, da auch eine Härte iSv § 26 Satz 2 BSHG nicht ersichtlich sei, zur
Versagung der Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt vor, sie habe wegen der Geburt ihrer Tochter und anschließend wegen der
Betreuung, Pflege und Erziehung des Kindes ab April 1993 keinerlei Studienleistungen
- auch nicht nebenher - erbringen können, so daß die Unterbrechung der Ausbildung
einer Aufgabe des Studiums gleichgekommen sei. Mit der Beurlaubung habe sie sich
lediglich für die spätere Wiederaufnahme des Studiums die "Segnungen" der alten
Studien- und Prüfungsordnung erhalten wollen. Wegen ihrer Lebensumstände im
streitbefangenen Zeitraum, die eine anderweitige Sicherstellung des notwendigen
Lebensunterhalts, etwa durch Aufnahme einer Arbeit, unmöglich gemacht hätten, seien
auch die Voraussetzungen einer Härte iSv § 26 Satz 2 BSHG gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Verfahrensakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat keinen Erfolg, weil die Klage begründet ist. Die Klägerin hat gemäß
den §§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 12 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der
vorliegend anzuwendenden Fassung vom 10. Januar 1991 (BGBl. I S. 94 und 808)
Anspruch auf die beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt, so daß die Bescheide des
Beklagten, soweit sie ihr diesen Anspruch für den Zeitraum vom 3. Juni 1993 bis zum
14. März 1994 unter Berufung auf § 26 Satz 1 BSHG versagen, rechtswidrig sind und sie
in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Senat nimmt zunächst
Bezug auf die zutreffenden Gründe des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen
Urteil (§ 130b VwGO), das sich auf die grundlegende Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 1993 - 5 C 16.91 -,
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BVerwGE 94, 224 = DVBl 1994, 428,
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gestützt hat. Das Berufungsvorbringen des Beklagten rechtfertigt keine für ihn
günstigere Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
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In der Kernfrage des vorliegenden Rechtsstreits ist der Senat ebenso wie das
Verwaltungsgericht der Ansicht, daß die Klägerin während des streitigen Zeitraums
wegen ihrer Beurlaubung keine Auszubildende im Sinne des § 26 Satz 1 BSHG war,
deren Ausbildung im Rahmen des Ausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach
förderungsfähig war.
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Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Ausbildung der Klägerin seinerzeit im
förderungsrechtlichen Sinne noch nicht beendet war; denn die Klägerin hatte die
Ausbildung nicht abgebrochen (§ 15b Abs. 4 BAföG), weil sie den Hochschulbesuch
noch nicht endgültig aufgegeben hatte (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 2 BAföG). Die Ausbildung
war vielmehr förderungsrechtlich unterbrochen, wobei es förderungsrechtlich
unerheblich war, ob die Klägerin sich zu diesem Zwecke beurlauben oder
exmatrikulieren ließ. Aber auch im Falle der Unterbrechung der Ausbildung kann es
sein, daß die Ausbildung während dieser Zeit nicht mehr dem Grunde nach
förderungsfähig ist und der Gewährung von Sozialhilfe nicht entgegensteht.
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Die Frage, welche Auswirkungen eine Unterbrechung der Ausbildung in
förderungsrechtlicher und sozialhilferechtlicher Hinsicht hat, läßt sich nicht generell und
einheitlich beantworten. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles bzw. der
betreffenden typischen Einzelfallgestaltung an. Unterbricht ein Student etwa durch einen
Vorlesungsstreik seine Ausbildung, so hat er für diese Zeit keinen Förderungsanspruch
und greift § 26 BSHG insoweit auch hinsichtlich der Gewährung von Hilfe zum
Lebensunterhalt als Hinderungsgrund ein. Unterbricht ein Student oder eine Studentin
aus Krankheitsgründen oder infolge einer Schwangerschaft die Ausbildung, so können
unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten. Nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 15
Abs. 2a BAföG wird Ausbildungsförderung auch geleistet, solange die Auszubildenden
infolge einer Erkrankung oder Schwangerschaft gehindert sind, die Ausbildung
durchzuführen, jedoch nicht über das Ende des dritten Kalendermonats hinaus. Erfolgt
aus diesen Gründen also eine Ausbildungsunterbrechung von höchstens drei Monaten,
so bleibt der Förderungsanspruch erhalten und kommt dementsprechend auch die
Hinderungsvorschrift des § 26 Satz 1 BSHG zum Tragen. Muß dagegen ein Student
oder eine Studentin wegen einer längeren Erkrankung oder komplizierten
Schwangerschaft die Ausbildung länger unterbrechen und lassen sie sich daher für ein
oder mehrere Semester beurlauben, so haben sie für die Zeit der Beurlaubung
förderungsrechtlich keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung; sie können aber Hilfe
zum Lebensunterhalt beanspruchen, ohne daß § 26 Satz 1 BSHG dem entgegensteht.
Der Ausschlußtatbestand des § 26 Satz 1 BSHG greift nach seinem Sinn und Zweck,
die Sozialhilfe von einer Ausbildungsförderung auf "zweiter Ebene" zu befreien,
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vgl. BVerwG aaO,
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nicht ein, weil der Auszubildende während dieser Zeit der Beurlaubung eine Ausbildung
weder rechtlich noch tatsächlich betreiben kann. Läßt sich ein Student dagegen
beurlauben, um ein Auslandssemester zu absolvieren, so liegt schon keine
Unterbrechung der Ausbildung vor, weil der Student seine Ausbildung fortsetzt,
allerdings an einer ausländischen Ausbildungsstätte. Die sich schließlich stellende
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weitere Frage, welche sozialhilferechtlichen Folgen eintreten, wenn ein Student sich
zum Zwecke der Examensvorbereitung beurlauben läßt, an deren Klärung die Vertreter
des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein besonderes Interesse
bekundeten, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich; denn die
Klägerin ist offensichtlich nicht aus diesem Grunde beurlaubt worden.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe sich zum Sommersemester 1993, also mit
Wirkung vom 1. März 1993 beurlauben lassen, weil am 17. Januar 1993 ihre Tochter R.
M. geboren sei. Seinerzeit konnte - und daran hat sich zwischenzeitlich nichts geändert -
in Nordrhein-Westfalen eine Beurlaubung vom Studium an einer Universität oder
Fachhochschule nur aus wichtigem Grund erfolgen (vgl. § 64 Abs. 7 Satz 2 WissHG -
jetzt UG - bzw. § 43 Abs. 7 Satz 2 FHG). Als wichtige Gründe werden in der Literatur
etwa genannt: Krankheit, Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes,
Examensvorbereitung usw.
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Vgl. Lenze, Gesetz über die Universitäten des Landes Nordrhein- Westfalen, Komm. 11.
ErgLfg. Februar 1996, § 64 Rn. 42; vgl. allgemein zur Beurlaubung: Thieme, Deutsches
Hochschulrecht, 2. Aufl. 1986, Rn. 626.
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Aus der von der Klägerin vorgelegten Studienbescheinigung der Fachhochschule B.
vom 19. Februar 1993 ist - wie üblich - nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die
Klägerin beurlaubt worden ist, sondern nur, daß sie "im SS 1993 beurlaubt" ist. Zur
Überzeugung des Senats steht aber fest, daß die Klägerin wegen ihrer Aufgaben
beurlaubt worden ist, die sie als allein- erziehende Mutter gegenüber ihrer sechs
Wochen vor Beginn des Urlaubssemesters geborenen Tochter R. M. wahrzunehmen
hatte. Dies ist vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen worden. Als beurlaubte
Studentin hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung. Ebenso wie
bei einer aus Krankheitsgründen beurlaubten Studentin konnte bei ihr die
Ausschlußvorschrift des § 26 Abs. 1 BSHG nach ihrem Sinn und Zweck nicht eingreifen;
denn es konnte während der Beurlaubungssemester keine Ausbildung stattfinden und
fand auch keine statt, und die begehrte Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt
konnte daher nicht als verdeckte Ausbildungsförderung angesehen werden. Durch die
Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt wird eine beurlaubte Hilfesuchende wie die
Klägerin nicht in die Lage versetzt, auf Kosten der Sozialhilfe eine Ausbildung zu
betreiben; vielmehr soll es ihr ermöglicht werden, ihre Aufgaben als alleinerziehende
Mutter wahrzunehmen.
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Das Verwaltungsgericht und der Senat befinden sich mit ihrer Rechtsansicht in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das in dem
genannten Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß Hilfebedürftige, die eine
Ausbildung der in § 26 Satz 1 BSHG genannten Art betreiben und nach den dafür
vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, in der Regel gehalten
sind, "von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen". Diese
Aussage setzt voraus, daß eine Ausbildung, von der vorübergehend Abstand
genommen wird, die also unterbrochen wird, der Gewährung von Hilfe zum
Lebensunterhalt nicht grundsätzlich entgegenstehen kann. Der Meinung des Beklagten,
die zitierte Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts lasse nicht zwingend den
Schluß zu, daß damit eine Unterbrechung im Rahmen einer Beurlaubung gemeint sei,
weil ein vorübergehendes Abstandnehmen von einer Ausbildung auch darin liegen
könne, daß - aus welchen Gründen auch immer - die Ausbildung zunächst beendet und
zu einem späteren Zeitpunkt erneut begonnen werde, vermag nicht zu überzeugen und
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berücksichtigt nicht die förderungsrechtliche Unterscheidung zwischen
Ausbildungsabbruch und Ausbildungsunterbrechung. Wer von einer Ausbildung
vorübergehend Abstand nimmt, unterbricht diese Ausbildung, und wer als Student für
ein oder mehrere Semester die Ausbildung unterbricht, kann dies rechtmäßigerweise
nicht nur bewerkstelligen, indem er sich exmatrikulieren läßt, sondern auch, indem er
von der Möglichkeit der Beurlaubung Gebrauch macht.
Das Verwaltungsgericht und der Senat befinden sich mit ihrer Rechtsansicht auch in
Übereinstimmung mit der Entscheidung des OVG Berlin in dessen Beschluß vom 2.
Februar 1987 - 6 S 87.81 -, FEVS 34, 189, 190, das darin leitsatzmäßig festgestellt hat:
"Wegen der nachgewiesenen Beurlaubung ist der Antragsteller z.Z. nicht
Auszubildender im Sinne von § 26 BSHG." Diese Ansicht macht sich offensichtlich auch
Brühl zu eigen.
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Vgl. LPK-BSHG, 5. Aufl. § 26 Rn. 11.
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Wenn der Beklagte für die Feststellung des OVG Berlin eine Begründung vermißt, so
kann dies darin begründet sein, daß diese Rechtsansicht für das OVG Berlin so
selbstverständlich war, daß es eine Begründung nicht für erforderlich hielt. Die
Beteiligten sind in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, daß auch
der erkennende 16. Senat, der sich seit über 20 Jahren mit dem Recht der
Ausbildungsförderung zu befassen hat, in streitigen Verfahren etwa wegen eines
verspäteten Fachrichtungswechsels bei vorgetragenen Hinderungsgründen einer
erheblichen Erkrankung die Meinung bekundet hat, die Auszubildenden hätten sich
dann beurlauben lassen müssen, um die dann förderungsrechtlich unerhebliche Zeit der
Beurlaubung notfalls mit Hilfe der Sozialhilfe zu überstehen.
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Soweit der Beklagte sich auf die Entscheidung des 8. Senats vom 19. September 1986 -
8 A 2913/84 - beruft, führt auch dies nicht zu einer für ihn günstigeren Beurteilung der
Rechtslage. In jenem Streitverfahren hatte der Kläger nach Überschreiten der
Förderungshöchstdauer (31.3.1981) keine Ausbildungsförderung mehr erhalten und -
gemäß dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils - vorgetragen, er habe die
Ausbildung unterbrochen; er habe zwar an einigen Tagen die Hochschule besucht, dort
aber keine Ausbildung betrieben, sondern z.B. ausgeliehene Bücher verlängert oder
Kommilitonen besucht oder auch Klausuren geschrieben. Der Kläger jenes Verfahrens,
der sich erst am 9. November 1983 exmatrikuliert hat, war offensichtlich in der
umstrittenen Zeit zuvor nicht beurlaubt, sondern weiterhin als ordentlicher Studierender
eingeschrieben. Für diese Fallgestaltung ist gegen die Schlußfolgerung des 8. Senats,
der Kläger habe die Ausbildung in dem fraglichen Zeitraum nicht endgültig
abgebrochen, wie dies mit Rücksicht auf den Zweck des § 26 Satz 1 BSHG zu fordern
sei, nichts einzuwenden. Sollten diese Ausführungen für den hier zu entscheidenden
Fall einer beurlaubten alleinerziehenden Studentin in gleicher Weise gedacht gewesen
sein, würde der Senat hieran nicht festhalten.
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Soweit der Beklagte befürchtet, eine Sozialhilfegewährung während der Beurlaubung
von einer förderungsfähigen Ausbildung eröffne die Möglichkeit, entgegen § 26 Satz 1
BSHG faktisch eine durch öffentliche Mittel geförderte Ausbildung weiterzubetreiben,
kann dies unter den Umständen des vorliegenden Einzelfalles nicht zur
Anspruchsversagung führen. Denn es bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür,
daß die Klägerin im streiterheblichen Zeitraum lediglich pro forma ihre Ausbildung
unterbrochen hat und die Beurlaubung als eine "taktische Auszeit" zur Ermöglichung
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einer von finanziellen Sorgen befreiten Verlängerung der Examensvorbereitung
anzusehen ist. Die Gründe der Klägerin für die Beurlaubung sind vielmehr die Geburt
ihrer Tochter und die Notwendigkeit der Kindesbetreuung als Alleinerziehende. Dem
Beklagten, der bei der Gewährung und Bemessung der Sozialhilfe die Besonderheiten
des Einzelfalles zu beachten hat (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BSHG), kann nicht das Bemühen
abgenommen werden, durch Ermittlung des jeweiligen Sachverhalts die Fälle eines
wirklichen Mißbrauchs von denjenigen Fällen zu unterscheiden, in denen wie
vorliegend die Mißbrauchsgefahr fernliegt; er wird dabei darauf abzustellen haben, ob
eine förmliche Beurlaubung vorliegt, die gemäß § 64 Abs. 7 Satz 2 UG bzw. § 43 Abs. 7
Satz 2 FHG an das Erfordernis eines wichtigen Grundes geknüpft ist und somit einen
wirksamen Filter darstellt, und ob die konkreten und nachgewiesenen
Beurlaubungsgründe - etwa schwere Erkrankungen oder wie hier familiäre Umstände -
nach allgemeiner Lebenserfahrung nennenswerten Ausbildungsbemühungen
entgegenstehen. Im übrigen wäre der vom Beklagten besorgte Mißbrauch auch dann
nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen, wenn sich der betreffende Hilfesuchende
vor der Sozialhilfebeantragung exmatrikuliert; denn auch eine Exmatrikulation vor dem
Erreichen eines Studienabschlusses bedeutet weder, daß das Ausbildungsziel
endgültig aufgegeben wird, noch steht sie zwingend einer Fortsetzung zeitaufwendiger
außeruniversitärer Studienaktivitäten entgegen.
Der Senat geht auch, anders als der Beklagte, nicht davon aus, daß die
Nichtanwendung des § 26 Satz 1 BSHG in Fällen der Beurlaubung wegen
nachgewiesener besonderer Umstände die Betroffenen in gleichheitswidriger Weise
gegenüber denjenigen bevorzugt, die gleichfalls infolge schwerwiegender persönlicher
Ausbildungshindernisse an der planmäßigen Beendigung der Ausbildung gehindert
sind, dies aber dennoch versuchen und wegen der nahezu zwangsläufigen
Überschreitung der Förderungshöchstdauer die Ausbildung ohne Leistungen nach dem
BAföG oder Hilfe zum Lebensunterhalt zu Ende führen müssen. Denn die zu
vergleichenden Fallgruppen unterscheiden sich in dem wesentlichen Punkt, daß der mit
Rücksicht auf Hinderungsgründe beurlaubte Auszubildende während der Zeit der
Beurlaubung keine Ausbildung iSv § 26 Satz 1 BSHG betreibt, während der von einer
Beurlaubung Absehende dies weiterhin, wenn auch in untauglicher Weise, versucht. Im
übrigen steht die Möglichkeit der Beurlaubung jedem Auszubildenden offen, der wegen
Krankheit, Schwangerschaft oder sonstiger vergleichbarer Umstände zeitweilig am
Betreiben seiner Ausbildung gehindert ist; wenn einzelne Betroffene aus Unkenntnis
dieser Möglichkeit oder in fehlerhafter Einschätzung ihres Leistungsvermögens davon
keinen Gebrauch machen, kann das kein Grund für eine Schlechterstellung auch derer
sein, die sich insofern konsequenter verhalten haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO, der
Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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