Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2007

OVG NRW: hauptsache, erlass, abrede, aktiven, bahn, dispositionen, entlassung, beamtenverhältnis, beamtenrecht, wiederherstellung

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 B 385/07
Datum:
07.05.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 B 385/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 15 L 1864/06
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. Februar 2007 ist
mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung unwirksam.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro
festgesetzt.
Gründe
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Das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist infolge der
übereinstimmenden Erklärungen des Antragstellers und des Antragsgegners in der
Hauptsache erledigt; eines erledigenden Ereignisses bedarf es weiter nicht. Der
angefochtene Beschluss ist entsprechend § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO
unwirksam. Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist nur noch über die Kosten des Verfahrens zu
entscheiden. Dies hat nach billigem Ermessen zu geschehen; der bisherige Sach- und
Streitstand ist zu berücksichtigen. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, den
Antragsgegner mit den (vollen) Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers zu belasten.
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Der Senat hat sich hierbei vor allem von der Erwägung leiten lassen, dass es der
Antragsgegner gewesen ist, der maßgeblich durch sein Verhalten - Nachgeben
gegenüber dem Begehren des Antragstellers, von seinem Dienstherrn ärztlich
untersucht zu werden - die Umstände gesetzt hat, welche notwendig zur Erledigung der
Hauptsache geführt haben. Diese Billigkeitsentscheidung war nicht mit der
weitergehenden Erwägung zu korrigieren, dass das Rechtsmittel des Antragsgegners
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bereits bei überschlägiger Beurteilung voraussichtlich Erfolg gehabt hätte und mit Blick
darauf ein maßgebliches Abstellen auf die bewusste Herbeiführung der Erledigung ggf.
unbillig wäre. Solche sich aufdrängenden Erfolgsaussichten bestanden auf der
Grundlage des Sach- und Streitstands im Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits in
der Hauptsache nicht:
Die vom Antragsgegner dargelegten Beschwerdegründe hätten nicht überwiegend
wahrscheinlich auf einen Erfolg des Rechtsmittels mit dem Ergebnis geführt, dass dem
vom Antragsgegner weiterverfolgten erstinstanzlichen Antrag entsprochen und der
Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt worden wäre. Den vom
Verwaltungsgericht angenommenen Anordnungsanspruch des Antragstellers hat der
Antragsgegner mit seinem Beschwerdevorbringen letztlich nicht durchgreifend in Frage
gestellt.
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Das Verwaltungsgericht hat die Ansicht vertreten, § 45 Abs. 4 Satz 2 BBG sei im
vorliegenden Fall anwendbar, auch wenn der Antragsteller noch nicht
Ruhestandsbeamter sei, und sich zur Begründung auf das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1997 - 2 C 7.97 - berufen. Dem hat der
Antragsgegner (auch) im Beschwerdeverfahren entgegen gesetzt, diese Norm verlange
begrifflich die vorangegangene Zurruhesetzung. Dies hat jedoch auch das
Verwaltungsgericht nicht in Abrede gestellt, sondern maßgeblich darauf abgehoben,
dass der Beamte angesichts der möglichen Verfahrensdauer nicht auf seine formelle
Rechtsstellung als (Nicht-)Ruhestandsbeamter verwiesen werden könne. Es drohe das
Überschreiten der Fünf-Jahresfrist des § 45 Abs. 2 BBG und damit der Verlust des
Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Reaktivierungsbegehren.
Gegen diese Erwägung hat der Antragsgegner nichts eingewendet. Ihm ist zwar
zuzugeben, dass dann kein Raum mehr für die Anwendung des § 45 BBG ist, wenn das
Verwaltungsgericht im noch anhängigen Zurruhesetzungsverfahren (VG Köln - 15 K
1215/06 -) die Dienstunfähigkeit des Antragstellers verneinen sollte. Dies stellt die
tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, die auf den drohenden Rechtsverlust
für den gegenteiligen Fall abstellt, jedoch nicht in Frage.
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Die Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts dürfte sich überdies unter dem
Gesichtspunkt rechtfertigen, dass die Zeitpunkte für die Beurteilung der Dienst(un)fähig-
keit im Zurruhesetzungsverfahren und im Reaktivierungsverfahren unterschiedlich sind.
Während es im ersteren Fall auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung,
mithin den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2006, ankommt, ist im
letzteren Fall der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem (jeweils) erkennenden
Gericht maßgeblich. Da es danach auf die Frage der Wiedergesundung des
Antragstellers für die Zeit nach dem 15. Februar 2006 im o. g. anhängigen
Klageverfahren nicht ankommt, ist kein letztlich überzeugender Grund dafür ersichtlich,
die vom Antragsteller behauptete Verbesserung seines Gesundheitszustands nicht
bereits jetzt - nach Ablauf von immerhin über einem Jahr - im Rahmen eines
Reaktivierungsverfahrens ärztlich überprüfen zu lassen. Dieser Einsicht verschließt sich
nunmehr offenbar auch der Antragsgegner nicht. Medizinisch ist die erneute Prüfung
jedenfalls indiziert, wie sich aus dem vom Antragsgegner in der
Zurruhesetzungsverfügung vom 29. August 2005 in Bezug genommenen bahnärztlichen
Gutachten des Dr. P. vom 20. Juni 2005 ergibt:
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„Aus medizinischer Sicht wird empfohlen, den Beamten in den Ruhestand zu versetzen;
Reaktivierungsprüfung wird empfohlen in 18 Monaten."
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Mit den weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Antragsgegner im
Einzelnen nicht auseinandergesetzt, sondern erstmals im Beschwerdeverfahren
vorgebracht, er sehe keinen Ermessensspielraum für eine Reaktivierung des
Antragstellers; dieser Umstand stehe bereits - gleichsam vorgreiflich - dessen Anspruch
entgegen, sich ärztlich auf seine Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen (§ 45 Abs. 4
Satz 2 BBG). Dieser vom Antragsgegner vorgetragenen Überlegung steht im
gedanklichen Ansatz zunächst entgegen, dass § 45 Abs. 2 BBG dem Dienstherrn kein
Ermessen für die Reaktivierung eröffnet. Auch eine hiermit in ihren Auswirkungen
vergleichbare Beurteilungsermächtigung ist ihm mit Blick auf das negative
Tatbestandsmerkmal der zwingenden dienstlichen Gründe nicht eingeräumt.
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Vgl. zum wortgleichen § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW Senatsurteil vom 10. November
2006 - 1 A 777/05 -, Juris, m. w. N.
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Der Beamte hat vielmehr - vorbehaltlich der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des
§ 45 Abs. 2 BBG - einen Anspruch auf Reaktivierung. Auch in der Sache spricht für die
vom Antragsgegner nicht näher begründete rechtliche Konstruktion, in § 45 Abs. 4 Satz
2 BBG die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 BBG hineinzulesen, -
jedenfalls nach dem für die Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO
maßgeblichen Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses und
überschlägiger Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels - nichts
Durchgreifendes. Das Gesetz selbst stellt für das Untersuchungsverlangen des
Beamten eine über die bloße Absicht einer Antragstellung nach Abs. 2 hinausgehende
Voraussetzung jedenfalls nicht auf.
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Allenfalls dann, wenn unter jeder denkbaren Betrachtungsweise selbst bei unterstellter
Wiederherstellung der begrenzten (vgl. §§ 45 Abs. 3, 42a BBG) oder vollen
Dienstfähigkeit ein Reaktivierungsanspruch des Beamten von vornherein ausscheiden
würde, mag der Argumentation des Antragsgegners in der Sache zu folgen und dem
Antragsteller ein berechtigtes Interesse, sich ärztlich untersuchen zu lassen,
abzusprechen sein. Gründe, die einer Reaktivierung bereits zum jetzigen Zeitpunkt
zweifelsfrei und durchgreifend entgegen gehalten werden könnten, hat der
Antragsgegner jedoch mit seiner Beschwerdebegründung, auf deren Überprüfung der
Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht aufgezeigt. Zwar wird in der
Literatur und auch in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass
personalpolitische und -wirtschaftliche sowie haushaltsrechtliche Gründe (z. B. eine auf
absehbare Zeit fehlende Planstelle) dem Anspruch auf Reaktivierung als zwingende
dienstliche Gründe entgegen gehalten werden können.
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Vgl. die Nachweise im - zu einem anderen Ergebnis gelangenden - Senatsurteil vom 10.
November 2006 - 1 A 777/05 -, Juris.
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Unabhängig davon, ob dem im vorliegenden Fall zu folgen wäre - was nach den im
zitierten Senatsurteil aufgeworfenen Maßstäben, die an die Annahme zwingender
dienstlicher Gründe zu stellen sind, eher fern liegt - hat die Beschwerdebegründung
jedoch nichts aufgezeigt, was auf zwingende dienstliche Gründe schließen ließe. Der
Antragsgegner hat zunächst in Abrede gestellt, dass der Antragsteller bei ihm, dem C. ,
im Falle der Reaktivierung beschäftigt werden könne. Dieser sei technischer Beamter;
da das C. keine technische Laufbahn besitze, könne es also weder technische Beamte
beschäftigen noch entsprechende Posten oder Planstellen vorhalten. Dieser Einwand
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verfängt jedoch nicht. Der Anspruch auf Reaktivierung nach § 45 Abs. 2 BBG zielt nicht
auf die Beschäftigung des Antragstellers im konkret- funktionellen Sinn, sondern auf
seine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis. In welcher Weise er danach -
amtsangemessen - beschäftigt wird, ist nicht Gegenstand des Reaktivierungsverfahrens.
Sofern der Antragsgegner darauf hinweist, dass bereits jetzt für viele der der Deutschen
Bahn AG zugewiesenen Beamten keine amtsangemessene Beschäftigung vorhanden
sei, kann dieser vom Dienstherrn zu verantwortende rechtswidrige Umstand
- vgl. hierzu anlässlich der bei einem Postnachfolgeunternehmen beschäftigten
Beamten grundlegend BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2006 - 2 C 26.05 -, BVerwGE 126,
182; OVG NRW, Beschluss vom 27. Oktober 2004 - 1 B 1329/04 -, Juris -
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nicht dem Rechtsanspruch des Antragstellers auf Reaktivierung entgegen gehalten
werden. Es bliebe vielmehr einem nach der Reaktivierung ggf. durchzuführenden
Verfahren vorbehalten, auch (noch) den Anspruch des Antragstellers auf
amtsangemessene Beschäftigung durchzusetzen.
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Der Antragsgegner hat im Übrigen für den konkreten, sich durch die Besonderheit eines
zur Zeit noch aktiven Beamten auszeichnenden Fall nicht dargelegt, warum es ihm nicht
möglich sein sollte, Dispositionen dafür zu treffen, dass im Falle eines Misserfolgs der
vom Antragsteller gegen seine Entlassung angestrengten Klage die von diesem
augenblicklich besetzte und bei ihm - dem Antragsgegner - geführte Planstelle
zumindest für die Dauer des ärztlichen Untersuchungsverfahrens, wenn nicht gar bis
zum Abschluss des Reaktivierungsverfahrens weiterhin vorgehalten wird. Unabhängig
hiervon wäre zu erwägen, ob der Antragsteller im Falle seines berechtigten
Reaktivierungsbegehrens u. U. in eine - nötigenfalls neu zu schaffende - Planstelle
einzuweisen wäre.
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Vgl. Senatsurteil vom 10. November 2006 - 1 A 777/05 -, a. a. O.
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Auszuschließen ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand auch nicht, dass dem
Reaktivierungsbegehren des Antragstellers ggf. mit der Maßgabe Rechnung getragen
werden könnte oder - sogar - müsste, dass die zwingenden dienstlichen Gründe - künftig
- wegfallen, wenn z. B. eine Planstelle wieder frei wird.
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Vgl. Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 48 Rn. 29.
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Dass unter Beachtung dieser vom Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung
nicht (näher) thematisierten, eine Reaktivierung ggf. sichernden Begleitmaßnahmen ein
Reaktivierungsanspruch des Antragstellers von vornherein und unter jedem denkbaren
Gesichtspunkt ausgeschlossen wäre, ist danach nicht erkennbar.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 und 2, § 47
Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
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