Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.07.2006

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Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 3616/04
Datum:
13.07.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 A 3616/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3 K 2334/03
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des beklagten Landes abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 90,65 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom beklagten Land
allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) greift nicht durch.
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Die gerichtliche Prüfung im Zulassungsverfahren richtet sich an den in dem Antrag auf
Zulassung der Berufung angesprochenen Gesichtspunkten aus.
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Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Ausgehend davon ergeben sich keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124a Abs. 2
Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
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Der Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfe für das Präparat Thymoject, das seiner
an Brustkrebs erkrankten Ehefrau ärztlich verordnet worden ist. Das Verwaltungsgericht
hat das beklagte Land unter entsprechender Änderung des ablehnenden
Beihilfebescheids und Aufhebung des zugehörigen Widerspruchsbescheids verpflichtet,
über den Beihilfeantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Unter
Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Dr. med. C. , I. , vom 3. März
2004 hat es in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass das Präparat Thymoject
zwar weder zur Behandlung von Brustkrebs noch zur Stärkung des Immunsystems im
Rahmen einer gezielten Tumortherapie noch zur Linderung von Leiden im Sinne des §
4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Nr. 7 Satz 2 Buchstabe a der Beihilfenverordnung NRW (BVO)
wissenschaftlich anerkannt sei. Es bestehe jedoch nach dem Stand der Wissenschaft
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die begründete Erwartung einer wissenschaftlichen Anerkennung, so dass es nach § 4
Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, Nr. 7 Satz 2 Buchstabe a Halbsatz 2 BVO im Ermessen des
beklagten Landes stehe, die entsprechenden Aufwendungen für beihilfefähig zu
erklären. Von diesem Ermessen habe das beklagte Land im vorliegenden Fall keinen
Gebrauch gemacht.
Diesen Erwägungen ist das beklagte Land in seiner Antragsbegründung nicht
substantiiert entgegengetreten.
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Es trägt vor, dass nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft eine Anerkennung von
Thymoject nicht zu erwarten sei. Die Studien, auf die sich der Gutachter Dr. med. C. und
mit ihm das Verwaltungsgericht gestützt hätten, seien nicht wissenschaftlich fundiert,
sondern stammten von Interessenvertretern, die Thymuspräparate vermarkten wollten.
Dieser pauschale Einwand ist nicht geeignet, die Plausibilität des Gutachtens ernsthaft
in Frage zu stellen. Der Gutachter hat nach eigenem Bekunden alle einschlägigen
wissenschaftlichen Studien der letzten 20 Jahre ausgewertet. Er räumt selbst ein, dass
viele dieser Studien noch wissenschaftliche Schwächen aufwiesen. Bei seiner
Einschätzung, dass die Thymustherapie gleichwohl - jedenfalls bezogen auf das
Krankheitsbild der Ehefrau des Klägers - als noch nicht wissenschaftlich anerkannt im
Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, Nr. 7 Satz 2 Buchstabe a Halbsatz 2 BVO anzusehen
sei, stützt er sich immerhin u. a. auf die Ergebnisse sechs randomisierter Studien bei
Brustkrebspatientinnen sowie auf eine laufende Multicenterstudie. Dass er sich - wie
vom beklagten Land behauptet - ausschließlich oder auch nur maßgeblich auf
Erkenntnisse von Interessenvertretern gestützt hätte, die Thymuspräparate vermarkten
wollten, ist angesichts dessen nicht ersichtlich. Soweit er sich in seinem Gutachten auch
mit Forschungsberichten der Herstellerfirma biosyn - zum Teil kritisch -
auseinandergesetzt hat, spricht dies nicht gegen sein Gutachten. Das beklagte Land
verweist zur Begründung seiner These, dass eine Anerkennung von Thymoject nicht zu
erwarten sei, lediglich auf die Publikation "Krebsmedikamente mit fraglicher
Wirksamkeit". Die Vorlage einer solchen Publikation ohne nähere, auf den Einzelfall
bezogene Erläuterungen genügt den Anforderungen, die an die Darlegung der
Zulassungsgründe zu stellen sind, jedoch nicht. Davon abgesehen, dürfte die
vorgelegte Publikation auch nicht dem neuesten wissenschaftlichen Stand entsprechen.
Das Datum der Publikation ist vom beklagten Land nicht genannt worden; nach ihrem
äußeren Anschein (vgl. etwa die alten Postleitzahlen bei den Adressangaben der
Autoren) ist die Publikation spätestens Anfang der neunziger Jahre des 20.
Jahrhunderts erschienen. Die Studien, die dort referiert werden, reichen lediglich bis in
das Jahr 1982.
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Der weitere Einwand des beklagten Landes, es sei nicht auszuschließen, dass Eingriffe
in das Immunsystem mit Thymuspräparaten auch schädigend sein könnten, ist ebenfalls
unsubstantiiert. Der Gutachter Dr. med. C. hatte hierzu ausgeführt, dass bei den
Thymuspräparaten seit langem durch entsprechende nationale und EU-Normen
Infektionssicherheit z.B. gegen BSE gewährleistet sei. Dazu hat sich das beklagte Land
im Einzelnen nicht geäußert.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteils des Verwaltungsgerichts
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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