Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 09.03.2001

OVG NRW: aufschiebende wirkung, gebäude, vollziehung, dispositionen, ermessensfehler, rechtsgrundlage, risikoverteilung, rechtsschutz, posten, kiosk

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 1480/00
Datum:
09.03.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 1480/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1069/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der behauptete Verfahrensfehler
(Zulassungsgrund gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) liegt ebenso wenig vor wie die behaupteten
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung
(Zulassungsgrund gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Die Aufklärungsrüge, das Verwaltungsgericht habe den Gebietscharakter aufgrund
fehlerhafter Sachverhaltsermittlung zu Unrecht als Gemengelage beschrieben und
ebenso fehlerhaft eine Verstärkung der Beeinträchtigungen der Antragsteller
angenommen, greift nicht durch.
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Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bedarf der Sachverhalt - wie
im Hauptsacheverfahren - nur insoweit der Erforschung von Amts wegen, als es für die
Subsumtion unter die vom Verwaltungsgericht als streitentscheidend angesehenen
Rechtsgrundlagen erforderlich ist.
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Vgl. z.B. BVerwG, Beschluss v. 24. Sep-tember 1996 - 1 B 165.96 - NVwZ 1997, S. 501
(zur Revisionszulassung); Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung,
Baden- Baden, Stand Juli 2000, § 124 Rn 242 m.w.N.
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Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
kommt hinzu, dass es sich um eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage
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handelt, die letztlich von einer Interessenabwägung abhängt, in die der wahrscheinliche
Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache als ein wesentliches Element einzustellen
ist.
Diese Vorgaben hat das Verwaltungsgericht ersichtlich berücksichtigt.
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Der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, hier liege eine Gemengelage aus Wohn-
und Gewerbenutzung vor, wird durch die vorliegenden Karten und die von den
Beteiligten zu den Akten gereichten Photographien bestätigt. Den diesbezüglichen
Vortrag im Zulassungsantrag, das Wohnhaus der Antragsteller stelle "praktisch das
einzige ausschließlich der Wohnnutzung dienende Gebäude neben ansonsten nur
vorhandenen Gewerbebetrieben dar", es handele sich um ein "Gewerbegebiet laut
Ausweisung durch den Flächennutzungsplan", hat der Beigeladene in seinem
Schriftsatz vom 7. November 2000 modifiziert. Sein Vortrag, auf den angrenzenden
Grundstücken befänden sich ausschließlich Gewerbebetriebe, im näheren Umfeld
jedoch auch Gebäude, die der Wohnnutzung dienten, bestätigt nunmehr den
Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts.
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Die Aufklärungsrüge greift auch insofern nicht durch, als der Beigeladene behauptet,
das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft eine Verstärkung der Beeinträchtigungen der
Antragsteller angenommen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit die nähere Umgebung
gewürdigt ("Kfz-Werkstatt, Getränkeeinzelhandel, Gaststätte mit Außengastronomie"
und "Bushaltestelle") und festgestellt, dass eine gewerbliche Nutzung in Gebieten, in
denen auch Wohnnutzung vorhanden bzw. zulässig ist, samstags ab 16.00 Uhr sowie
sonntags und an gesetzlichen Feiertagen üblicherweise ruht. Das liegt auch auf der
Hand.
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Ernstliche Zweifel an der vom Verwaltungsgericht getroffenen Ermessensentscheidung
bestehen aus den vom Beigeladenen vorgetragenen Gründen nicht. Das
Verwaltungsgericht hat die widerstreitenden Interessen der Antragsteller und des
Beigeladenen - wie es § 80 Abs. 5 VwGO vorschreibt - gegeneinander abgewogen und
entschieden, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs insoweit angeordnet
werde, als die Baugenehmigung die Öffnung des Kiosks bzw. der Trinkhalle samstags
nach 16.00 Uhr, sonntags und an gesetzlichen Feiertagen gestattet.
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Der Vortrag, allein drei weitere Trinkhallen und Kioske in L. -R. hätten täglich bis 22.00
Uhr geöffnet, so dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliege,
begründet keine ernstlichen Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Eine Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche
Vorschriften nicht entgegenstehen, § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW. In einem solchen
Fall gebundener Entscheidung ist für die Anwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes kein Raum.
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Dass der Antragsgegner im vorliegenden Fall von seiner - hier auf der Grundlage des
Vorbringens der Beigeladenen unterstellten - üblichen Verwaltungspraxis abweichen
muss, ist im Übrigen zwangsläufige Folge der gerichtlichen Anordnung. Dass ein
Verwaltungsgericht weder bei der rechtlichen Überprüfung einer vom Nachbarn
angegriffenen Baugenehmigung noch bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden
Ermessensentscheidung an die "übliche Verwaltungspraxis" gebunden sein kann, liegt
auf der Hand. Die Auffassung der Beigeladenen läuft darauf hinaus, dem Nachbarn den
ihm zustehenden Rechtsschutz zu verweigern.
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Der weitere Vortrag, hier würden gewerberechtliche Auflagen erteilt, die nicht in die
Baugenehmigung gehörten, verkennt, dass das Verwaltungsgericht nicht den
Antragsgegner verpflichtet hat, den Inhalt der Baugenehmigung zu ändern, sondern eine
vorläufige Regelung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren getroffen hat.
Rechtsgrundlage der Regelung ist § 80 Abs. 5 VwGO.
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Auch der Vortrag, die Einschränkung der Öffnungszeiten des Kiosks sei unzumutbar, da
dies nicht nur seine, des Beiegeladenen, Kalkulation vollkommen durcheinander bringe,
sondern auch - wie er in seinem Schriftsatz vom 6. März 2001 noch einmal dargelegt hat
- seine Existenzgrundlage bedrohe, kann keinen Ermessensfehler des
Verwaltungsgerichts begründen. Es ist grundsätzlich das Risiko des Bauherrn, eine
Baugenehmigung, die durch einen Nachbarn angefochten ist, noch im Laufe des
Anfechtungsverfahrens auszunutzen und seine finanziellen und wirtschaftlichen
Dispositionen daran zu orientieren. § 212a Abs. 1 BauGB privilegiert zwar insofern den
Bauherrn, als ein Nachbarwiderspruch nicht schon kraft Gesetzes aufschiebende
Wirkung hat, so dass es Sache des Nachbarn ist, eine gerichtliche Regelung der
Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu beantragen. An der grundsätzlichen
Risikoverteilung, die sich daraus ergibt, dass auch eine angefochtene, aber gleichwohl
ausgenutzte Baugenehmigung als rechtswidrig erkannt werden kann bzw. ernstliche
Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
Widerspruchs führen können, ändert dies aber nichts.
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Der weitere Vortrag des Beigeladenen zur Wohnsituation einschließlich bisheriger
Vorbelastungen lässt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht in
einem anderen Licht erscheinen. Die Annahme des Verwaltungsgerichtsgerichts, es
liege eine Gemengelage aus Wohnen und Gewerbe vor, ist in diesem Verfahren - wie
dargelegt - nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die weitere Annahme, dass
Lärmbelästigungen samstags nach 16.00 Uhr, sonntags und an gesetzlichen Feiertagen
von Anwohnern in einer Gemengelage wie hier üblicherweise nicht zu erwarten seien.
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Im Übrigen spricht schon einiges dafür, dass der Beigeladene weiter gehende
Öffnungszeiten schon deshalb nicht erwarten durfte, weil ein Kiosk den Vorschriften des
Gesetzes über den Ladenschluss - LadschlG - unterliegt. Kioske sind als
Verkaufsstellen im Sinne dieses Gesetzes ausdrücklich benannt, § 1 Abs. 1 Nr. 2
LadschlG. Die allgemeinen Ladenschlusszeiten sehen vor, dass Verkaufsstellen u.a. an
Sonn- und Feiertagen und samstags ab 16.00 Uhr geschlossen sein müssen, § 3 Abs. 1
Satz 1 Nrn. 1 u. 3 LadschlG. Für Kioske besteht zwar eine Ausnahmeregelung, wonach
sie an Samstagen bis 19.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 11.00 bis 13.00 Uhr
geöffnet sein dürfen, dies ist aber beschränkt auf den Verkauf von Zeitungen und
Zeitschriften, § 5 LadschlG. Zudem spricht einiges dafür, dass diese Ausnahmeregelung
nur für solche Kioske gilt, die durch den Zeitungs- und Zeitschriftenverkauf ihr Gepräge
erhalten.
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Vgl. VG Düsseldorf, Urteil v. 28. Okto-ber 1986 - 3 K 3142/85 -, Juris- Doku-ment
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Dass die Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung vorliegen, ist nicht ersichtlich.
Nach der Baubeschreibung ist Gegenstand des Geschäfts der "Verkauf von belegten
Brötchen u.ä, Getränke kalt + warm, Zigaretten, Zeitschriften, Süßwaren". Zeitschriften
sind demnach nur ein Posten unter anderen.
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Angesichts dessen ist es nicht ermessensfehlerhaft, eine vorläufige Regelung dahin zu
treffen, zusätzlichen ruhestörenden Lärm an Sonn- und Feiertagen sowie samstags
nach 16.00 Uhr für die Antragsteller auszuschließen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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