Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.09.2002

OVG NRW: venire contra factum proprium, behörde, gleichheit, hauptsache, eugh, gefahr, unternehmen, interessenabwägung, rechtssicherheit, fehlerhaftigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 680/02
Datum:
13.09.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 680/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 24 L 57/02
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 250.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Der Senat sieht keine Veranlassung, im Rahmen der Interessenabwägung nach §§ 80
Abs. 5, 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO den angefochtenen Beschluss zu ändern. Die
Beschwerde ist unbegründet, weil schon jetzt mit hinreichender Sicherheit erkennbar ist,
dass das Hauptsacheverfahren 24 K 252/02 (VG Köln) keinen Erfolg haben wird. Dies
allerdings nicht aus den in dem angefochtenen Beschluss dargelegten Gründen zur
materiellen Rechtslage. Jenen Ausführungen dürfte entgegenstehen, dass dort
gemeinschaftsrechtliche Fragen beurteilt worden sind, die der Europäische Gerichtshof
so noch nicht beantwortet hat.
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Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Dezember 1998 - 3 C-368/96 -, "Generics", Slg. 1998, I-7967 =
PharmaR 1999, 45 = LRE 36, 33, wo sich aus RZ 35 f in Verbindung mit RZ 25 ergibt,
dass der Maßstab der wesentlichen Gleichheit des Referenz- Arzneimittels und des
Generikums hinsichtlich der hier in Rede stehenden unterschiedlichen Bioäquivalenz
anders zu beurteilen sein könnte, als bei zusätzlichen Indikationen; vgl. auch die
Vorlage- Fragen in dem beim EuGH anhängigen Verfahren C-106/01, die z.T. auf die
hier in Rede stehende Problematik abzielen.
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Nach Klärung der europarechtlichen Lage könnte es erforderlich sein, § 24a des zuletzt
durch das 11. Änderungsgesetz vom 21. August 2002, BGBl I, 3348, geänderten
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Arzneimittelgesetzes (AMG) entsprechend Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a Ziffer iii der
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung
eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vom 6. November 2001, ABl 311 S.
67, (RL) gemeinschaftsrechtskonform auszulegen und das Erfordernis wesentlicher
Gleichheit zwischen den beiden zu vergleichenden Arzneimitteln durch Auslegung des
Begriffs Arzneimittel zu berücksichtigen sowie möglicherweise Neuzulassungen nach §
29 Abs. 3 AMG als erstmalige Zulassungen im Sinne von § 24a Satz 3 AMG anzusehen.
Anderer Ansicht wohl OVG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 1999 - 5 SN 15.99 -, n.v.
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Erscheint die in dem angefochtenen Beschluss voraus beurteilte Erfolgsaussicht der
Klage zur Hauptsache aus diesen Erwägungen eher offen, gibt es doch einen
durchgreifenden Gesichtspunkt, der vorrangig ist und die Klage zur Hauptsache
erkennbar aussichtslos erscheinen lässt:
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Dem zentralen Vorbringen der Antragstellerin, das damals zuständige
Bundesgesundheitsamt hätte eine "quasi" Neuzulassung nach § 29 Abs. 3 AMG
vorgenommen oder zumindest vornehmen müssen und dies habe eine neue
Zehnjahresfrist im Sinne von § 24a AMG in Lauf gesetzt mit der Folge, dass der
Beigeladenen keine Zulassung im vereinfachten Verfahren hätte erteilt werden dürfen
geht fehl. Der Bescheid vom 3. Mai 1994, dessen Verwaltungsaktqualität nicht fraglich
sein kann, hat entsprechend der Terminologie der Antragstellerin selbst
Änderungsanzeigen nach § 29 AMG zum Gegenstand, so dass seine Regelung
erkennbar nicht auf § 29 Abs. 3 AMG gestützt ist. Ob er darauf (oder gar wie im
Beschwerdeverfahren angeklungen auf § 21f AMG) hätte gestützt werden müssen, ist
nicht entscheidungserheblich, da einer etwaigen materiell-rechtlichen Fehlerhaftigkeit
die Bestandskraft des Bescheides entgegensteht. Die Antragstellerin hat diese
Entscheidung nach § 29 Abs. 2a AMG jahrelang auch hingenommen und sich weder mit
Anträgen noch mit einer Verpflichtungsklage um die Durchsetzung einer Neuzulassung
im Hinblick auf die wegen veränderter Galenik verbesserte Bioverfügbarkeit ihrer
Erzeugnisse bemüht; in diesem Zusammenhang ist darauf aufmerksam zu machen,
dass eine Zulassung nach § 29 Abs. 3 AMG einen Antrag - hierfür und nicht irgendeinen
Antrag - voraussetzt, was die Antragstellerin übersieht. Das Fehlen einer Zulassung von
S. O. ist entscheidend dafür, dass kein erneuter Lauf der zehnjährigen Frist für den
Unterlagenschutz nach § 24a AMG iVm Art. 10 Abs. 1 RL in Betracht gezogen werden
kann. Auf die materielle Rechtslage, insbesondere auch auf die Innovation des
veränderten Produkts kommt es demnach nicht an. Eine andere Sichtweise wäre mit
dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar. Wenn nicht darauf vertraut werden
könnte, dass es sich bei einem so beantragten und so bezeichneten
Änderungsbescheid tatsächlich um einen solchen Bescheid handelt, vielmehr die
Gefahr besteht, dass trotz Bestandskraft dieses Bescheides nach Jahren - wie der Fall
zeigt - komplizierte rechtliche und naturwissenschaftliche Wertungen zu dem Ergebnis
führen können, dass es sich bei dem Bescheid in Wahrheit um einen
Zulassungsbescheid handelt, wäre das für die zuständige Behörde wie die Generika-
Unternehmen unzumutbar. Der Senat vermag auch dem Vorbringen der Antragstellerin,
die Berufung auf das Fehlen einer förmlichen Zulassung durch die Antragsgegnerin
stelle ein unzulässiges "venire contra factum proprium" dar, nicht zu folgen. Wie die
Antragstellerin selbst ausgeführt hat, war die Sichtweise 1993/94 sowohl bei der
zuständigen Behörde wie bei ihr selbst hinsichtlich der Bedeutung einer wesentlichen
Änderung der Bioverfügbarkeit eine andere. Dies verdeutlicht, welche Schwierigkeiten
und welche Unsicherheit damit verbunden wäre, wollte man auf die heute für richtig
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gehaltene materielle Beurteilung abstellen.