Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.08.2007

OVG NRW: örtliche zuständigkeit, sachliche zuständigkeit, geistige behinderung, jugendhilfe, abgrenzung, rechtsnatur, schulpflicht, abrede, deckung, sozialhilfeleistung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 1155/07
Datum:
01.08.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 1155/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 K 4403/04
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 23.637,50 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln im Sinne des als
Zulassungsgrund allein geltend gemachten § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Streitgegenstand ist allein das Bestehen eines Erstattungsanspruches gegen die
Beklagte, nicht aber die darüber hinausgehende abstrakte Frage, welcher Träger der
Sozialhilfe letztendlich für die Zahlung von Eingliederungshilfeleistungen zuständig ist.
Die insoweit entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die als
erstattungspflichtig in Anspruch genommene Beklagte sei indes nicht der (eigentlich) zu
Leistungen für die Beschulung des Hilfeempfängers bis Oktober 2004 verpflichtete
Leistungsträger gewesen, wird durch den Zulassungsvortrag des Klägers jedoch nicht in
Frage gestellt.
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Das gilt zum einen insoweit, als der Kläger § 100 BSHG anstelle von § 10 Abs. 2 Satz 2
SGB VIII a.F. zur Bestimmung der Zuständigkeit für maßgeblich erachtet. § 10 Abs. 2
Satz 2 SGB VIII a.F. wird vom Verwaltungsgericht jedoch richtigerweise lediglich zur
Abgrenzung der dem Hilfeempfänger zuteil gewordenen Art von Hilfe herangezogen,
während § 100 BSHG die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für
Leistungen regelt, deren Rechtsnatur als Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG
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überhaupt nicht zur Diskussion steht und bei denen es lediglich um die Ausfüllung des
Vorbehaltes in § 99 BSHG geht.
Zum anderen reichen die Darlegungen des Klägers auch nach wie vor nicht aus, um
eine Zuständigkeit der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Sozialhilfeträger dafür, dass
der Hilfeempfänger adäquat beschult wird, aus dem Sachzusammenhang mit der von ihr
gewährten Eingliederungshilfe im Wege der Heimerziehung herleiten zu können. Das
vom Kläger angeführte - nach Klagerücknahme und Abgabe übereinstimmender
Erledigungserklärungen hinsichtlich der Widerklage für wirkungslos erklärte (vgl. BverG,
Beschluß vom 18. Juni 2004 (5 C 16.03)) - Urteil des OVG Lüneburg vom 19. Mai 2003 -
12 LC 291/02 - (NDV-RD 2003, 106) ist insoweit nicht einschlägig und besagt für den
Fall eines Auseinanderfallens der Kostenlast für die Jugendhilfe einerseits und die
Sozialhilfe andererseits zur Erstattungsfrage im Gegenteil, dass "eine gesetzliche
Regelung etwa dahingehend, dass Kosten für nach BSHG erforderliche
Eingliederungsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Jugendhilfe entstehen, vom
Träger der Jugendhilfe zu tragen oder zu erstatten sind, fehlt. Ob eine solche Regelung
erforderlich ist, steht im Ermessen des Bundesgesetzgebers, sie kann nicht durch
rechtsfortbildende richterliche Auslegung oder analoge Anwendung gesetzlicher
Regelungen geschaffen werden." Dass Aussagen zu Kostenerstattungsansprüchen
zwischen Sozialhilfeträgern nach § 104 BSHG - so etwa auch die vom Kläger
angeführte Fundstelle bei Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Auflage § 104 Randnr. 15 -
keine verwertbaren Anhaltspunkte für eine Erstattung auch zwischen Jugendhilfeträger
einerseits und Sozialhilfeträger andererseits beinhalten, hat schon das
Verwaltungsgericht festgestellt. Dem entsprechend verhält sich auch die neuste
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur örtlichen Zuständigkeit für sog.
"Zusammenhangskosten", also Sozialhilfekosten, die mit der Eingliederungshilfe in der
Wohneinrichtung zwar im mindestens zeitlichen Zusammenhang stehen, aber in einer
anderen Einrichtung als der Wohneinrichtung selbst anfallen,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Oktober 2006 - 5 C 29.05 -, FEVS 58, 300, und - 5 C 26.06
-, BVerwGE 127, 74,
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ausschließlich zum Verhältnis verschiedener in Frage kommender Sozialhilfeträger
zueinander, nicht aber zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Sozialhilfeträger
einerseits und Jugendhilfeträger andererseits.
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Inwieweit das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis bei einer genaueren
Auseinandersetzung mit dem niedersächsischen Ausführungsgesetz zum damaligen
Bundessozialhilfegesetz und dem niedersächsischen Schulrecht anders hätte ausfallen
können, wird mit der Zulassungsbegründung gleichfalls nicht nachvollziehbar dargelegt.
Dass die Beschulung des Hilfeempfängers in der Heilpädagogischen
Tagesbildungsstätte auf einen Eingliederungsbedarf wegen geistiger Behinderung
zurückzuführen ist, wird vom Kläger nicht in Abrede gestellt, sondern vielmehr den
Ausführungen zur Maßgeblichkeit der Entscheidung der Schulbehörden darüber, wo der
Hilfeempfänger seine Schulpflicht erfüllt, als Ausgangspunkt gerade zugrunde gelegt.
Nur für den Fall, das der konkrete Beschulungsbedarf nicht auf die geistige Behinderung
des Hilfeempfängers zurückzuführen sein sollte, hat aber das Verwaltungsgericht
Zweifel am Eingliederungsbedarf als solchem angemeldet. Dass die der
Jugendhilfemaßnahme zugrunde liegende seelische Behinderung des Hilfeempfängers
für die Kosten der Beschulung in der Tagesbildungsstätte "mitursächlich" gewesen ist,
weil der Wechsel von der Jugendhilfeeinrichtung im Landkreis D. in die Einrichtung im
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Landkreis H. der Deckung des durch die seelische Behinderung des Hilfeempfängers
hervorgerufenen Bedarfs diente, macht den Fall des Hilfeempfängers nicht zu einem
"Mischfall" mit Auswirkungen auf die Bestimmung der Rechtsnatur der Hilfemaßnahme.
Maßgeblich für die Abgrenzung ist nämlich nicht, welche Ursachen mittelbar den Bedarf
an einer Beschulung in der betreffenden Einrichtung ausgelöst haben, sondern der
Zweck, dem die Maßnahme dient.
Vgl. auch das vom Kläger angeführte Urteil des Niedersächsischen OVG vom 19. Mai
2003 - 12 LC 291/02 -.
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Der für die Abgrenzung von Sozialhilfeleistung zu Jugendhilfeleistung maßgebliche
Bedarf, der durch die Beschulung des Hilfeempfängers in der heilpädagogischen
Tagesbildungsstätte gedeckt werden sollte, erwuchs ausschließlich aus der geistigen
Behinderung des Hilfeempfängers.
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Letztendlich steht dem Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung auch nicht der in §
109 BSHG enthaltene Gesichtspunkt des sog. "Schutzes der Einrichtungsorte"
entgegen. Ungeachtet der Frage, ob sich unter dessen Berücksichtigung die örtliche
Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40, 96 ff. BSHG a.F. hier nach § 97
Abs. 1 BSHG oder nach § 97 Abs. 2 BSHG gerichtet hat, kommt eine
Leistungsverpflichtung speziell des Beklagten jedenfalls nach beiden Vorschriften nicht
in Betracht und war über die örtliche Zuständigkeit im Übrigen nicht zu entscheiden.
Ebenso wenig ist es Gegenstand des vorliegenden Erstattungsrechtsstreites, ob dem
Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz im Hinblick auf nicht
abwälzbare Restkosten zusteht, deren Entstehen er mangels rechtzeitiger Beteiligung
am Hilfeplanverfahren seitens des Jugendhilfeträgers nicht hat abwenden können. Dass
ein etwaiger Entschädigungsanspruch den Übergang der Zuständigkeit auf den
Entschädigungspflichtigen zur Folge hat, ist auch dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2006 - 5 C 26.06 - (BVerwGE 127, 74)
nicht zu entnehmen. Darüber hinaus kann auch das Berufungszulassungsverfahren
vorliegend nicht dazu dienen, Probleme der Zuständigkeit nach §§ 97 und 100 BSHG,
die die als Erstattungsschuldnerin in Anspruch genommene Beklagte nicht unmittelbar
betreffen, zu lösen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 2. Halbsatz VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3, 68 Abs. 1 Satz 5
GKG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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