Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.09.2001

OVG NRW: örtliche zuständigkeit, volljährigkeit, form, jugendhilfe, aufenthalt, begriff, werk, eltern, beendigung, anwendungsbereich

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 5134/99
Datum:
14.09.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 5134/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 K 3304/97
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für Leistungen der
Jugendhilfe, die sie der Hilfeempfängerin, B. C. K. , im Zeitraum vom 1. August 1996 bis
zum 31. März 1998 gewährt hat.
2
Die am 16. Juli 1977 nicht ehelich geborene Hilfeempfängerin, deren Vater nicht
festgestellt werden konnte, lebte seit dem 15. August 1978 in der Pflegefamilie G. im
Stadtgebiet der Klägerin. Diese bewilligte hierfür Leistungen der Jugendhilfe in Form
der Vollzeitpflege. Die zunächst ebenfalls im Stadtgebiet der Klägerin lebende Mutter
der Hilfeempfängerin, Frau A. K. , verzog im Jahr 1984 in das Stadtgebiet der Beklagten.
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Mit Inkrafttreten des § 89 a SGB VIII am 1. April 1993 wandte sich die Klägerin an die
Beklagte und erbat die Übernahme der Kosten der Hilfe nach § 89a Abs. 1 SGB VIII ab
dem 1. April 1993. Unter dem 10. August 1993 erkannte die Beklagte gegenüber der
Klägerin ihre grundsätzliche Zuständigkeit aus § 86 Abs. 1 SGB VIII an und sicherte
gemäß
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§ 89a SGB VIII Kostenerstattung ab dem 1. April 1993 zu.
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Nach Eintritt der Volljährigkeit bewilligte die Klägerin der Hilfeempfängerin mit Bescheid
vom 1. August 1995 Hilfe gemäß § 41 i.V.m. § 33 SGB VIII als Hilfe für junge Volljährige
in der Pflegefamilie G. und teilte dies der Beklagten mit. Diese erstattete die Kosten
auch dieser Hilfe.
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Auf der Grundlage eines Hilfeplans vom 19. Juli und
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8. Oktober 1996 bezog die Hilfeempfängerin am 1. August 1996 eine an sie durch das
Diakonische Werk im Kirchenkreis R. e.V. - Evangelisches Kinderheim - (im Folgenden:
Diakonisches Werk) untervermietete Wohnung im Stadtgebiet der Klägerin. Mit
Bescheid vom 8. August 1996 bewilligte die Klägerin der Hilfeempfängerin Jugendhilfe
gemäß § 41 SGB VIII in Gestalt der Übernahme der durch das Diakonische Werk in
Rechnung gestellten Kosten des Lebensunterhalts sowie der Fachleistungsstunden.
Diese Hilfe setzte die Klägerin bis einschließlich zum 31. März 1998 fort. Die in dem
Zeitraum vom 1. August 1996 bis zum 31. März 1998 für die Hilfe aufgewandten Kosten
beliefen sich ausweislich einer Aufstellung der Klägerin vom 28. September 1999 auf
insgesamt 81.586,52 DM.
8
Bereits zuvor hatte sich die Klägerin mit der Auffassung an die Beklagte gewandt, diese
sei nunmehr nach Ausscheiden der Hilfeempfängerin aus der Pflegefamilie für die
Hilfegewährung zuständig. Mit Schreiben vom 25. Juli 1996 verneinte die Beklagte eine
Eigenzuständigkeit für die Hilfegewährung und zog die Kostenerstattungszusage vom
10. August 1993 mit Wirkung vom 1. August 1996 zurück. Eine Kostenerstattung für die
ab dem 1. August 1996 erbrachten Hilfeleistungen lehnte sie unter dem 29. Oktober
1996 ab.
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Am 9. Mai 1997 hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht: Die
Kostenerstattungspflicht ergebe sich aus § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Die Vorschrift
verlängere die Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII
über das Ende der Dauer der Hilfe der Erziehung in Vollzeitpflege hinaus bis zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Leis-tung für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII beendet werde.
Erheblich sei in diesem Zusammenhang nur die Weiterführung der Hilfe über die
Volljährigkeit hinaus, nicht die Form der gewährten Hilfe. Die Verpflichtung zur
Kostenerstattung treffe weiterhin den örtlichen Träger, der vor dem
Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewesen sei oder wäre.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zur Zahlung von 81.586,52 DM zu verurteilen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Regelung des § 89a SGB VIII erfasse allein die
Kosten, die durch die Hilfe in Form von Vollzeitpflege entstünden. Dies gelte auch,
wenn Hilfe für junge Erwachsene nach § 41 SGB VIII gewährt werde. Darauf deute
schon die amtliche Überschrift zu § 89a SGB VIII "Kostenerstattung bei fortdauernder
15
Vollzeitpflege" hin.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 8. Oktober 1999 die Beklagte verurteilt, an
die Klägerin 81.586,52 DM zu zahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend: § 89a Abs. 1
Satz 2 SGB VIII regele die Kostenerstattung u.a. für den Fall, dass die Vollzeitpflege bei
Erreichen der Volljährigkeit nach § 41 SGB VIII fortgesetzt werde. Eine andere
Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, dass generell Leistungen nach § 2 Abs. 2
SGB VIII gemeint seien, komme nicht in Betracht, da Satz 2 des § 89 a Abs. 1 SGB VIII
dem Wortlaut nach im Zusammenhang mit Satz 1 gesehen werden müsse. Die Worte
"die Leistung" in Satz 2 bezögen sich auf Satz 1, der ausdrücklich auf § 86 Abs. 6 SGB
VIII und damit auf die Vollzeitpflege verweise. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes
regeln wollen, hätte er sowohl eine andere Überschrift als auch eine andere
Gesetzesformulierung gewählt. Fortsetzung bedeute zudem denknotwendig, dass die
Leistung, für die die Erstattung begehrt werde, bereits vor Eintritt der Volljährigkeit
gewährt worden sei. Im Übrigen knüpfe die Zuständigkeitsbestimmung in § 86a Abs. 4
SGB VIII an die des § 86 Abs. 6 SGB VIII an. Aus dessen Satz 3 folge, dass die
fortgesetzte Zuständigkeit, die nach § 86 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB VIII begründet
worden sei, dann ende, wenn der junge Volljährige den Aufenthalt bei der Pflegeperson
beende. Werde die Hilfe für junge Volljährige dann in anderer Form geleistet, so sei die
Zuständigkeit nach § 86a Abs. 1 bis 3 SGB VIII neu zu bestimmen.
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Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
19
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen im
angefochtenen Urteil und trägt ergänzend vor: Weder die Argumentation zum Wortlaut
noch der Hinweis auf die amtliche Überschrift des § 89a SGB VIII zwinge zu einer
Beschränkung des Begriffs der Leistung auf die Hilfeform der Vollzeitpflege. Im Übrigen
verlangten Sinn und Zweck der Kostenerstattungsregelung des § 89a SGB VIII ein
weites Verständnis des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Durch die Regelung solle die
unangemessene Kostenbelastung ausgeglichen werden, die durch die
systemabweichende Regelung des § 86 Abs. 6 SGB VIII für sog. "Pflegestellenorte"
entstehen könne. Nur so sei es möglich, die Kostenerstattungsansprüche für alle
Leistungen zu sichern, die aufgrund der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII
gewährt worden seien. Mit Blick auf die Zuständigkeitsregelung des § 86a Abs. 4 SGB
VIII seien dies auch Hilfen für Volljährige, die bei geändertem Hilfebedarf gewährt
würden, solange sie eine einheitliche Maßnahme darstellten und somit einen
kontinuierlichen Hilfeprozess ermöglichten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend
verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beteiligten.
23
Entscheidungsgründe:
24
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
25
Die Klage ist zulässig und begründet.
26
Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß § 89a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB VIII
in der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Fassung des Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I
2775) ein Anspruch auf Erstattung der Kosten zu, die sie - die Klägerin - für die der
Hilfeempfängerin gewährte Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII
in dem Zeitraum vom 1. August 1996 bis zum 31. März 1998 aufgewandt hat (I.). Dieser
Anspruch ist auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 81.586,52 DM gerichtet (II.).
27
I. Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB
VIII aufgewandt hat, sind gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII von dem örtlichen Träger
zu erstatten, der zuvor zuständig war oder zuständig gewesen wäre. Nach § 89a Abs. 1
Satz 2 SGB VIII bleibt die Kostenerstattungspflicht u.a. dann bestehen, wenn die
Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt wird.
28
Die Voraussetzungen für eine fortbestehende Kostenerstattungspflicht nach Satz 2 des
§ 89a Abs. 1 SGB VIII sind hier gegeben: Bis zum Eintritt der Volljährigkeit der
Hilfeempfängerin bestand aufgrund einer örtlichen Zuständigkeit der Klägerin nach § 86
Abs. 6 SGB VIII eine Erstattungspflicht der Beklagten gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB
VIII (1.). Die Klägerin war, wie es nach § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für das
Fortbestehen der Erstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erforderlich ist, für
die der Hilfeempfängerin nach deren Volljährigkeit im entscheidungserheblichen
Zeitraum erbrachte Hilfe nach § 86a Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII "fortgesetzt"
zuständig (2.). Ohne diese fortgesetzte Zuständigkeit in Anwendung des § 86 Abs. 6
SGB VIII wäre, was Voraussetzung für die Erstattungspflicht ist, die Beklagte zuständig
geblieben (3.). Bei der streitbefangenen Hilfe handelte es sich auch um eine Leistung i.
S. des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII (4.).
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1. Die Beklagte war gegenüber der Klägerin gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für die
der Hilfeempfängerin vor Volljährigkeit am 16. Juli 1995 erbrachte Hilfe in Vollzeitpflege
gemäß §§ 27, 33 SGB VIII aufgrund ihrer - der Klägerin - örtlichen Zuständigkeit nach §
86 Abs. 6 SGB VIII erstattungspflichtig. Nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ist oder wird in dem
Fall, in dem ein Kind zwei Jahre bei einer Pflegeperson lebt und ein Verbleib bei dieser
Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist, abweichend von § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII der
örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Dies war bei der Hilfeempfängerin, die seit ihrem ersten Lebensjahr in
der Pflegefamilie G. im Stadtgebiet der Klägerin lebte, der Fall. Erstattungspflichtig für
diese Leistungen war - von ihr anerkannt - die Beklagte, da sie ohne die Anwendung
des § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständiger Leistungsträger für die der Hilfeempfängerin
gewährten Leistungen gewesen wäre. Ihre Zuständigkeit hätte sich aufgrund des
gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter der Hilfeempfängerin in ihrem Stadtgebiet und der
nicht ehelichen Geburt der Hilfeempfängerin sowie der nicht festgestellten Vaterschaft
aus § 86 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII in der Fassung des Ersten Gesetzes zur
Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993
30
(BGBl. 239) - F. 1993 - ergeben.
31
2. Für die nach Eintritt der Volljährigkeit im entscheidungserheblichen Zeitraum
erbrachte Hilfe war die Klägerin im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII "fortgesetzt"
zuständig. Eine Fortsetzung der Erstattungspflicht nach dieser Vorschrift setzt eine
Hilfegewährung voraus, die auf der Grundlage des § 86a Abs. 4 SGB VIII erfolgt und
mittelbar an die nach § 86 Abs. 6 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit für die vor
Volljährigkeit bewilligte Hilfe anknüpft. Eine (weitere) Zuständigkeit für die
Hilfegewährung nach Volljährigkeit unmittelbar aufgrund einer örtlichen Zuständigkeit
nach § 86 Abs. 6 SGB VIII scheidet nämlich aus. Die Zuständigkeitsbestimmung des §
86 Abs. 6 SGB VIII gilt nur für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, nicht
hingegen für die in § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII genannte Hilfe für junge Volljährige
nach § 41 SGB VIII. Da § 89a SGB VIII aber eine Erstattungspflicht (nur) für solche
Hilfen anordnen will, die im Hinblick auf eine örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6
SGB VIII gewährt worden sind,
32
BT-Drucks. 13/3082, S. 12,
33
s. auch Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, SGB VIII, Stand Dezember
2000, Vorb.
34
§§ 89-89h, Rdnr. 7,
35
erfaßt § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII den Anwendungsbereich des § 86a Abs. 4 SGB VIII
mit seinem Bezug auf § 86 Abs. 6 SGB VIII.
36
Vgl. auch Jans/Happe/Saurbier, SGB VIII, § 89a Rdnr. 14; Stähr in Hauck, SGB VIII,
Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, Stand August 2000, § 89a Rdnr. 6
37
Hier hat die Klägerin die der Hilfeempfängerin im streitbefangenen Zeitraum bewilligten
Hilfen aufgrund ihrer ört-lichen Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB
VIII erbracht. Denn die örtliche Zuständigkeit der Klägerin nach § 86 Abs. 6 SGB VIII für
die vor Volljährigkeit erbrachte Hilfe ist durch § 86a Abs. 4 SGB VIII für die nach
Volljährigkeit bewilligte Hilfe gemäß § 41 SGB VIII bis zu ihrer Beendigung am 31. März
1998 festgeschrieben worden.
38
§ 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bestimmt u.a., dass in dem Fall, in dem der Hilfe für junge
Volljährige nach § 41 SGB VIII eine Hilfe nach den §§ 27 bis 35a SGB VIII vorausgeht,
der örtliche Träger zuständig bleibt, der bis zu diesem Zeitpunkt zuständig war.
Hiernach blieb die Klägerin nicht nur für die der Hilfeempfängerin nach Volljährigkeit
zunächst weiterhin bewilligte Hilfe gemäß § 41 i.V.m. § 33 SGB VIII für den weiteren
Aufenthalt in der Pflegefamilie G. zuständig. Aus der Fixierung der bis zur Volljährigkeit
gegebenen örtlichen Zuständigkeit folgt zugleich die örtliche Zuständigkeit für die nach
dem Verlassen der Pflegefamilie gemäß § 41 SGB VIII bewilligte Hilfe, hier in Form
eines Aufenthalts in einer sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 34 SGB VIII - als sog.
betreutes Einzelwohnen in einer durch das Diakonische Werk angemieteten und an die
Hilfe-empfängerin untervermieteten Wohnung.
39
Vgl. zu dieser Hilfeform Wiesner, Kinder- und Jugendhilfe, SGB VIII, 2. Aufl., § 34 Rdnr.
25.
40
Der gegenteiligen Auffassung, derzufolge eine an § 86 Abs. 6 SGB VIII anknüpfende
41
fortgesetzte Zuständigkeit gemäß § 86a Abs. 4 SGB VIII ihren Abschluss findet, wenn
der Aufenthalt des Volljährigen bei der Pflegeperson endet (vgl. § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB
VIII), so dass eine neue Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 86a Abs. 1 bis 3 SGB VIII
für die in anderer Form gewährte Hilfe vorzunehmen ist,
so Wiesner, SGB VIII, 2. Auflage, § 86 a Rdnr. 10,
42
vermag der Senat nicht zu folgen.
43
Zwar bestimmt § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII, dass mit Beendigung des Aufenthalts bei
der Pflegeperson die Zuständigkeit nach Satz 1 endet. Diese Bestimmung führt indes
eine neue Zuständigkeitsprüfung dann nicht mehr herbei, wenn nach Volljährigkeit des
Hilfeempfängers die bis dahin gegebene örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB
VIII durch § 86a Abs. 4 SGB VIII auch für die weitere Hilfegewährung festgeschrieben
worden ist.
44
Für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 86a Abs. 4 SGB VIII durch §
86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII ergeben sich aus dem Wortlaut des § 86a Abs. 4 SGB VIII
keine Hinweise. Anknüpfungspunkt ist hiernach allein, dass der Hilfe für junge
Volljährige nach § 41 SGB VIII u.a. eine Leistung nach §§ 27 bis 35a SGB VIII "voraus"
geht, nicht dagegen, dass die konkrete Hilfeform - hier die Hilfe zur Erziehung in
Vollzeitpflege - als Hilfe für Volljährige fortgeführt wird. Anhaltspunkte für eine
Einschränkung lassen sich auch weder der Systematik der §§ 86 und 86a SGB VIII (a.)
oder dem Sinn und Zweck des § 86a Abs. 4 SGB VIII (b.) entnehmen noch der
Entstehungsgeschichte dieser Norm (c.).
45
a. § 86 SGB VIII - sowohl in der bis zum 31. Dezember 1995 maßgeblichen (F. 1993) als
auch in der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Fassung (F. 1995) -, der die örtliche
Zuständigkeit für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern regelt, knüpft
grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern an; haben diese verschiedene
gewöhnliche Aufenthalte oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt, treten für die örtliche
Zuständigkeit andere Aspekte in den Vordergrund, nämlich der gewöhnliche Aufenthalt
des personensorgeberechtigten Elternteils oder der gewöhnliche Aufenthalt oder der
tatsächliche Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen. Die Sonderregelung des Abs. 6
wiederum knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson des Kindes oder
Jugendlichen an. Dabei ist diesen Zuständigkeitsregelungen in § 86 SGB VIII gemein,
dass mit der Änderung des gewöhnlichen bzw. des tatsächlichen Aufenthalts der
maßgeblichen Person auch die örtliche Zuständigkeit "wandert".
46
Vgl. Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl., vor § 86, Rdnrn. 8 f., 11; Jans/Happe/Saurbier, SGB VIII,
Erl. § 86 Rdnr. 22.
47
§ 86a Abs. 1 bis 3 SGB VIII F. 1993 und F. 1995 dagegen enthalten in Abkehr von einer
"wandernden Zuständigkeit" für Leistungen für Kinder und Jugendliche und ihre Eltern
starre Zuständigkeitsregelungen für die Leistungen an junge Volljährige, die eine
örtliche Zuständigkeit grundsätzlich bis zum Ende der Leistung zum Begriff der Leistung
s. die zu 3. folgenden Ausführungen fixieren. Im Anwendungsbereich des § 86a Abs. 1
bis 3 SGB VIII lassen Änderungen des gewöhnlichen bzw. tatsächlichen Aufenthalts
des Kindes oder Jugendlichen demnach die einmal begründete Zuständigkeit
unverändert.
48
Vgl. Wiesner, SGB VIII, § 86 Rdnr. 2; Jans/Happe/Saurbier, SGB VIII, § 86 a Rdnr. 4,
Krug-Grüner-Dalichau, Kinder- und Jugendhilfe, Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch
(VIII), Stand Juli 2000, § 86 a Anm. V.
49
Dies gilt auch für § 86a Abs. 4 SGB VIII, der im Fall der Gewährung von in der Vorschrift
aufgeführten Hilfen bereits vor Volljährigkeit an die zu diesem Zeitpunkt bestehende
örtliche Zuständigkeit anknüpft und sie festschreibt.
50
Vgl. Jans/Happe/Saurbier, SGB VIII, § 86a, Rdnr. 11 f..
51
Dem würde es widersprechen, im Rahmen der Prüfung des § 86a Abs. 4 SGB VIII,
soweit die zuvor bestehende Zuständigkeit auf der Vorschrift des § 86 Abs. 6 SGB VIII
beruht, einen Zuständigkeitswechsel nach einmal begründeter Zuständigkeit für
Leistungen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII anzunehmen, wenn sich der
Aufenthalt des Hilfebedürftigen - durch Verlassen des Haushalts der Pflegeperson -
ändert.
52
b. Auch Sinn und Zweck des § 86a Abs. 4 SGB VIII sprechen gegen eine derartige
Einschränkung. Vor dem Hintergrund der Besorgnis, im Fall einer wechselnden,
gleitenden Zuständigkeit würden den "zureisenden" jungen Volljährigen nicht immer die
erforderlichen Leistungen gewährt,
53
vgl. Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl., § 86a, Rdnr. 5,
54
und des Umstandes, dass die durch die jungen Volljährigen in Anspruch genommenen
Hilfen oft "Auslaufcharakter" haben, dient die Festschreibung der Zuständigkeit des bis
zur Volljährigkeit örtlich zuständigen Trägers der Sicherung des seitherigen
Hilfeprozesses.
55
Vgl. Ziegler in Fieseler, Kinder- und Jugendhilferecht, Gemeinschaftskommentar zum
SGB VIII (GK-SGB VIII), Grundwerk 1998, § 86a Rdnr. 3, 11; Wiesner, SGB VII, 2. Aufl.,
§ 86a Rdnr. 11.
56
Ein Zuständigkeitswechsel, der bei Anwendung des § 86a Abs. 1 bis 3 SGB VIII nicht
auszuschließen wäre, würde diesem Ziel zuwiderlaufen.
57
Anderes folgt auch nicht aus dem Regelungszweck des § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII.
58
So aber Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl., § 86 a Rdnr. 10.
59
Die Vorschrift beruht darauf, dass mit dem Ende des Aufenthalts bei der Pflegeperson
auch der Grund für die Zuständigkeitsverlagerung weggefallen ist. Damit knüpft die
Vorschrift aber an das Grundprinzip der „wandernden Zuständigkeit" des § 86 SGB VIII
an, welches im Anwendungsbereich des § 86a SGB VIII gerade keine Geltung hat.
60
c. Die Gesetzesbegründung zu § 86a Abs. 4 SGB VIII schließlich, dessen
Vorgängerregelung in § 86 Abs. 5 SGB VIII des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder-
und Jugendhilferechts vom 26. Juni 1990 (BGBl. I 1163) schon eine fortgesetzte
Zuständigkeit des bisher tätigen Jugendamtes für Leistungen an junge Volljährige
bestimmte, wenn eine Leistung der Jugendhilfe bereits vor Eintritt der Volljährigkeit
eingeleitet worden war, bestätigt - ohne Einschränkung - den Zweck des § 86a Abs. 4
61
SGB VIII, eine fortgesetzte Zuständigkeit in den im Gesetz genannten Fällen zu
begründen.
Vgl. BT-Drucks. 12/2866, S. 22.
62
3. Ohne die fortgsetzte Zuständigkeit der Klägerin nach § 86a Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 6
SGB VIII, d.h. ohne die Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII wäre, was Voraussetzung
für die Erstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ist, die Beklagte zuständiger
Leistungsträger für die der Hilfeempfängerin gewährten Leistungen nach § 41 i.V.m. §
34 SGB VIII gewesen. Die bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin infolge
des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter der Hilfeempfängerin in ihrem Stadtgebiet
gegebene örtliche Zuständigkeit (vgl. die Ausführungen zu 1. und 2.) wäre über die
Vorschrift des § 86 a Abs. 4 SGB VIII festgeschrieben worden.
63
4. Bei der streitbefangenen Hilfe handelte es sich um eine Leistung i.S. des § 89a Abs. 1
Satz 2 SGB VIII. Die Klägerin hat, indem sie der Hilfeempfängerin Hilfe für junge
Volljährige zunächst in Form der in Vollzeitpflege gemäß § 41 i.V.m. § 33 SGB VIII und
sodann - nach Verlassen der Pflegefamilie - in Form des Aufenthalts in einer sonstigen
betreuten Wohnform gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII gewährt hat, im Sinne des § 89a
Abs. 1 Satz 2 SGB VIII "die Leistung" über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII
fortgesetzt.
64
"Leistung" i.S.d. § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ist nicht allein die sich an eine vor
Volljährigkeit gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege für Kinder und
Jugendliche anschließende Hilfe für junge Volljährige in Form der Vollzeitpflege gemäß
§ 41 i.V.m. § 33 SGB VIII.
65
So aber wohl Herigslack, Örtliche Zuständigkeit, Kostenerstattung und Heranziehung
nach dem KJHG unter Berücksichtigung des Kostenänderungsgesetzes zum SGB VIII,
ZfF 1993, 49, 52; Menzel, Jugendhilferecht: Eine zusammenfassende Darstellung für die
Praxis, 1997, Rdnr. 415; s. auch Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl. § 89a SGB VIII, Rdnr. 7,
wonach die Kostenerstattung mit Beendigung des Aufenthalts der Pflegeperson endet -
vgl. hierzu aber auch § 86a; Rdnr. 10.
66
Vielmehr bezieht sich der Begriff "Leistung" ausgehend von der durch § 2 Abs. 2 SGB
VIII vorgegebenen Systematik - übergreifend - auf die Art der Hilfe als Hilfe für junge
Volljährige gemäß § 41 SGB VIII. Dabei ist es unerheblich, in welcher Hilfeform, d.h.
konkreten Ausgestaltung, die Hilfe für junge Volljährige fortgesetzt wird und ob im Zuge
der Hilfegewährung nach § 41 SGB VIII - wie hier - noch ein Wechsel in der Hilfeform
eintritt.
67
So auch VG Minden, Urteil vom 8. Dezember 1999 - 7 K 1534/98 -, NDV-RD 2000, 58 f,
Zentrale Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten, Entscheidung vom 12. Februar 1998 - B
12/97 - EuG 53, 424 ff.; DIJuF - Rechtsgutachten vom 9. Oktober 2000 - J 3.312 Rei -,
DAVorm 2000, 986 f.; Jans/Happe/Saurbier, SGB VIII, § 89a Rdnrn. 3, 14 f., Ziegler in
GK-SGB VIII, SGB VIII, § 89a Rdnr. 11, Krug- Grüner-Dalichau, SGB VIII, § 89a Anm. II
a.E.
68
Soweit § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII eine Fortsetzung der Leistung verlangt, bezieht
sich dieses Erfordernis nicht auf eine unveränderte Weitergewährung der bereits vor
Volljährigkeit gewährten Leistung, wie die Beklagte ausführt. Denn die Volljährigkeit
69
bedingt bereits eine Änderung der Leis-tungsart, nämlich des Wechsels von der Hilfe
zur Erziehung (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII) zur Hilfe für junge Volljährige (§ 2 Abs. 2 Nr. 6
SGB VIII) - insoweit wird auf die zu a. folgenden Ausführungen verwiesen. Vielmehr wird
damit im Rahmen einer ganzheitlichen, auf die Jugendhilfemaßnahme als
"Gesamtmaßnahme" abstellenden Betrachtung an die zuvor gewährte Jugendhilfe
angeknüpft: Die nach Volljährigkeit geleistete Hilfe nach § 41 SGB VIII hat sich an die
vor Volljährigkeit auf der Grundlage des § 86 Abs. 6 SGB VIII geleistete Hilfe auf der
Grundlage eines kontinuierlichen Hilfeplans anzuschließen.
Letzteres war hier der Fall, wie der Hilfeplan vom 19. Juli und 8. Oktober 1996 belegt.
Der Hilfebedarf der Hilfeempfängerin nach Eintritt ihrer Volljährigkeit bestand fort. Sie
bedurfte im Anschluss an die zuvor gewährte Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege für
Kinder und Jugendliche gemäß
70
§§ 27, 33 SGB VIII der Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortlichen
Lebensführung auf der Grundlage einer Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII
und zwar zunächst in Form der Fortsetzung der Vollzeitpflege gemäß § 41 i.V.m. § 33
SGB VIII und sodann in Form der Hilfe zur Verselbständigung außerhalb der
Pflegefamilie im Rahmen einer sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 41 i.V.m. § 34
SGB VIII.
71
Für diese Auslegung des Begriffs der Leistung sprechen die Systematik des § 2 Abs. 2
SGB VIII sowie der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit gemäß §§ 86 ff. SGB VIII
und der Kostenerstattungsansprüche gemäß § 89 ff. SGB VIII (a.), Sinn und Zweck des §
89a SGB VIII (b.) und auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zu dieser Norm (c.).
Der Wortlaut und die amtliche Überschrift des § 89a SGB VIII stehen ihr jedenfalls nicht
entgegen (d.).
72
a. In den allgemeinen Vorschriften werden in § 2 Abs. 2 SGB VIII Leistungen der
Jugendhilfe zusammengefasst und nach bestimmten Hilfearten aufgeführt. Dies gilt
sowohl für die Hilfe zur Erziehung und die ergänzenden Leistungen gemäß §§ 27 bis
35, 36, 37, 39 und 40 (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII) als auch für die Hilfe für junge
Volljährige und Nachbetreuung nach § 41 SGB VIII (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 SGB VIII). Diese
Differenzierung nach Hilfearten in § 2 SGB VIII wird auch den Vorschriften über die
örtliche Zuständigkeit zugrundegelegt.
73
Vgl. BT-Drucks. 12/2866 S. 21.
74
Hiernach ist unter Leistung der Jugendhilfe, auf deren Beginn sich im Zweiten Abschnitt
des 7. Kapitels Regelungen über die örtliche Zuständigkeit beziehen (vgl. u.a. § 86 Abs.
2 Sätze 2 und 4, Abs. 4 und 5 SGB VIII, § 86a Abs. 1 und 3 SGB VIII, §§ 86b, 86d SGB
VIII), eine Leistung der in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 SGB VIII definierten Arten zu verstehen,
mit der Folge, dass ein Wechsel der Hilfeform innerhalb einer solchen Leistungsart - bei
Vorliegen eines einheitlichen Hilfeprozesses - die örtliche Zuständigkeit unberührt lässt.
75
Vgl. hierzu z.B.: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 1997 - 9 F 174/96 -
, FEVS 48, 131 (133) ff.; OVG NRW, Urteil vom 16. Februar 1994 - 16 A 3286/93 -,
FEVS 45, 286, 291 ff., zu § 85 Abs. 1 SGB VIII F. 1991, Bayerischer VGH, Urteil vom 19.
Februar 2001 - 12 B 00.1566 - und Urteil vom 13. August 1999 - 12 B 97.2814 -, FEVS
51, 370, 372f; OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. März 1992 - 4 M 2197/91 -, FEVS 44,
67 f. zu § 86 Abs. 5 KJHG; Wiesner, § 86 SGB VIII, Rdnr. 2; Jans/Happe/ Saurbier, § 86
76
SGB VIII Rdnr. 9, 12;
Heilmann in Lehr- und Praxiskommentar (LPK-SGB VIII), 1998, § 86 Rdnr. 12 f.;
Herigslack, ZfF 1993, 49, 50.
77
Mit den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 ff. SGB VIII stehen die
Vorschriften über die Kostenerstattung gemäß §§ 89 ff. SGB VIII - mithin auch die
Vorschrift des § 89a SGB VIII - in engem Zusammenhang. Denn mit der Begründung
einer örtlichen Zuständigkeit eines Trägers der Jugendhilfe wird diesem zugleich eine
Kostenlast auferlegt, die in den im Gesetz genannten Fällen mittels der Vorschriften
über die Kostenerstattung ausgeglichen werden soll. Dann aber wiederum liegt es nahe,
dem Begriff der Leistung im Sinne der Erstattungsvorschriften, so auch im Sinne des §
89a Abs. 1 SGB VIII, dieses Verständnis des Begriffs der Leistung aus § 2 Abs. 2 SGB
VIII und den Zuständigkeitsbestimmungen zugrunde zulegen.
78
b. Sinn und Zweck des § 89a SGB VIII sprechen ebenfalls für eine derartige Auslegung.
Durch die Kostenerstattungspflicht in § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll die
Kostenbelastung ausgeglichen werden, die durch die systemabweichende, indes aus
sachlichen Gründen sinnvolle Zuständigkeitsverlagerung durch § 86 Abs. 6 SGB VIII zu
Lasten der Träger der Jugendhilfe, in deren Bezirk sich die Dauerpflegestellen befinden,
geschaffen worden ist. Es soll vermieden werden, dass sich ansonsten insbesondere
am Rand von Ballungsgebieten und in Großstädten kaum mehr Pflegestellen finden,
weil die dort zuständigen Jugendämter befürchten müssen, nach zwei Jahren die
Kosten der Hilfegewährung übernehmen zu müssen.
79
Vgl. BT-Drucks. 12/2866, S. 24;
80
s. auch Stähr in Hauck, SGB VIII, § 89 a, Rdnr. 1.
81
Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für eine sich an die Hilfe für Kinder und
Jugendliche in Dauerpflegestellen anschließende Hilfe für junge Volljährige, wenn der
Träger der Jugendhilfe durch die festgeschriebene Zuständigkeit gemäß § 86a Abs. 4
i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig geblieben ist - und zwar ungeachtet der Frage, ob
die sodann nach Volljährigkeit konkret gewährte Maßnahme sich als Hilfe gemäß § 41
i.V.m. § 33 SGB VIII darstellt oder ob die Hilfe für junge Volljährige in einer anderen
Form, z.B. hier in der Ausgestaltung als Hilfe im Rahmen eines betreuten Wohnens
gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII erfolgt. Dass sich an die Hilfe für Kinder und
Jugendliche gemäß §§ 27, 33 SGB VIII in Dauerpflege eine Hilfe für junge Volljährige
anschließt, dürfte kein Ausnahmefall sein. Dann aber könnten Kostengesichtspunkte
von vornherein die Bereitschaft der Träger der Jugendhilfe in Ballungsgebieten und in
Großstädten gefährden, an der Suche nach Dauerpflegestellen mitzuwirken.
82
c. Die Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII spricht
ebenfalls für dieses Verständnis des Begriffs der Leistung. Sie bezieht sich nicht auf
eine Einschränkung der Form der Hilfe nach § 41 SGB VIII als Hilfe in Vollzeitpflege,
sondern begründet weit gefasst, Satz 2 dehne die Kostenerstattungspflicht auch für die
Dauer der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII aus.
83
Vgl. BT-Drucks. 12/2866, S. 24.
84
Für ein weites Verständnis der Vorschrift spricht ebenso die Beschlussempfehlung und
85
der Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 22.
November 1995
- BT-Drucks. 13/3082, S. 12 -
86
im Zusammenhang mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Achten Buches
Sozialgesetzbuch (BGBl. I 1775), mit dem die amtliche Überschrift des § 89 a SGB VIII
neu gefasst und die in § 89a Abs. 1 F. 1993 enthaltenen Worte "für Hilfe zur Erziehung
in Vollzeitpflege oder für Eingliederungshilfe bei einer Pflegeperson" gestrichen worden
sind. Mit dieser Änderung von Abs. 1 sollte das Ziel erreicht werden,
Kostenerstattungsansprüche für "alle Leistungen, die aufgrund einer Zuständigkeit nach
§ 86 Abs. 6 gewährt worden sind", zu sichern.
87
d. Der Wortlaut und die amtliche Überschrift des § 89 SGB VIII stehen schließlich der
vorgenommenen Auslegung jedenfalls nicht entgegen.
88
Es kann zunächst nicht festgestellt werden, dass aus der Verwendung des bestimmten
Artikels „die" - statt des unbestimmten „eine" - vor dem Begriff "Leistung" eine
Anknüpfung an die konkret nach Satz 1 gewährte Form der Maßnahme als der Hilfe in
Vollzeitpflege in einer Dauerpflegestelle folgt. Unter Zugrundelegung der im
Allgemeinen Teil in § 2 Abs. 2 SGB VIII niedergelegten Systematik sowie des oben
dargelegten Verständnisses des Begriffs der Leistung im Rahmen der Bestimmung der
örtlichen Zuständigkeit gemäß §§ 86 ff. SGB VIII hätte es insoweit einer Präzisierung
bedurft, wenn ein anderes Verständnis des Begriffs der Leistung beabsichtigt gewesen
wäre.
89
Die an eine Vollzeitpflege anknüpfende amtliche Überschrift des § 89a SGB VIII in der
am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Fassung "Kostenerstattung bei fortdauernder
Vollzeitpflege", die in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung des § 89a F.
1993 noch lautete "Kostenerstattung bei Zuständigkeitswechsel in der Vollzeitpflege",
steht dieser Auslegung ebenfalls nicht entgegen. Aufgabe der Überschrift einer Norm ist
es lediglich, den wesentlichen Inhalt der Norm zu beschreiben, nicht hingegen, alle in
der Norm geregelten Tatbestände zu erfassen. Hier bezieht sich die amtliche Überschrift
in beiden Fassungen des Gesetzes auf den Regelfall des Kostenersatzes gemäß § 89a
Abs. 1 Satz 1 für eine einem Kind oder Jugendlichen auf der Grundlage der
Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII gewährte Vollzeitpflege nach §§ 27, 33
SGB VIII.
90
II. Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung beläuft sich auf 81.586,52 DM.
91
Gemäß § 89f Abs. 1 SGB VIII sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die
Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspricht. Erstattet werden mithin
allein die materiell rechtmäßig getätigten Aufwendungen.
92
An der Rechtmäßigkeit der der Hilfeempfängerin für den streitbefangenen Zeitraum vom
1. August 1996 bis zum 31. März 1998 bewilligten Hilfe für junge Volljährige gemäß §
41 i.V.m. § 34 SGB VIII in Form der Hilfe in einer sonstigen betreuten Wohnform -
einschließlich der sog. Annexleistung der Sicherstellung des notwendigen Unterhalts
gemäß § 39 SGB VIII - zu zweifeln, sieht der Senat angesichts der Begründung der
Erforderlichkeit der Hilfegewährung in dem Hilfeplan vom 19. Juli und 8. Oktober 1996
und des Akteninhalts im Übrigen keine Veranlassung. Dies gilt auch für die Höhe des
93
geltend gemachten Erstattungsanspruchs. Die in der Aufstellung der Klägerin vom 28.
September 1999 aufgeführten Einzelbeträge entsprechen den durch das Diakonische
Werk für diesen Zeitraum monatlich in Rechnung gestellten Beträgen für das betreute
Wohnen gemäß § 34 SGB VIII (einschließlich der Fachleistungsstunden) sowie den
Kosten für den Lebensunterhalt gemäß § 39 SGB VIII (einschließlich
Schwangerschaftsbekleidungsbeihilfen) nebst der durch die Klägerin bewilligten
Verselbständigungsbeihilfe.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Hilfe und gegen die Höhe des von der
Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruchs werden im Übrigen von der
Beklagten nicht geltend gemacht. Sie hat in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht vom 8. Oktober 1999 ausgeführt, es werde nicht bestritten, dass
dieser Betrag der Höhe nach zutreffe.
94
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
95
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10, 711 ZPO.
96
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Fragen, ob eine Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4
i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII mit dem Verlassen der Pflegefamilie endet und welche
Form(en) der Hilfegewährung der Begriff der Leistung in § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII
erfasst, sind höchstrichterlich noch nicht geklärt.
97
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