Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.12.2005

OVG NRW: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, erlass, dokumentation, widerspruchsverfahren, mieter, rechtswidrigkeit, mangel, verwaltungsverfahren, fehlerhaftigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 1761/05
Datum:
01.12.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 1761/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1123/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das
Beschwerdeverfahren auf 2.875,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde ist unbegründet.
2
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der
Antragstellerin gegen den Zwangsgeldfestsetzungsbescheid des Antragsgegners vom
28. Juni 2005 nur bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides und nicht in vollem
Umfang angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach Bestandskraft der
Grundverfügung vom 31. Mai 2001 sei ein Vollstreckungshindernis eingetreten, weil die
Wohnung mittlerweile vermietet sei, aber noch nicht die erforderliche vollziehbare
Duldungsverfügung gegenüber dem Mieter ergangen sei; dieser Rechtsmangel lasse
sich aber bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides heilen. Das Verwaltungsgericht
hat ferner angenommen, der Antragsgegner habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt,
weil er davon ausgegangen sei, dass sein Ermessen auf Null reduziert sei, weil er im
Interesse des Nachbarn einschreiten müsse. Diese Annahme sei fehlerhaft, weil der
Nachbar vorliegend keinen eigenen Anspruch auf Einschreiten gegen die
Antragstellerin habe. Auch der Ermessensfehler könne aber im Laufe des
Widerspruchsverfahrens durch Nachholung der entsprechenden
Ermessenserwägungen geheilt werden. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen
Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, und das darauf
abzielt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vollständig und nicht nur in
zeitlich begrenztem Umfang anzuordnen, gibt zu einer anderen Beurteilung keinen
Anlass.
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Die Antragstellerin trägt vor, ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
hätte ohne zeitliche Beschränkung auf den Erlass des Widerspruchsbescheides
stattgegeben werden müssen. Da die in § 80b VwGO geregelte Dauer der
aufschiebenden Wirkung den Regelfall darstelle und eine Befristung der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Sache nach eine Teilablehnung darstelle, bedürfe es einer
nachvollziehbaren Begründung. Diese Ausführungen stellen die Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses nicht Frage. Das Gericht trifft im Rahmen der Entscheidung
über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO selbst eine "Ermessens"-Entscheidung, die
daran ausgerichtet ist, ob und in welchem Umfang dem Suspensivinteresse oder dem
behördlichen Vollzugsinteresse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der
Vorzug zu geben ist. Häufig wird es dabei angezeigt sein, die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs unbeschränkt anzuordnen, sofern das Interesse des Antragstellers an
der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegenläufige
Interessen überwiegt, etwa weil der Verwaltungsakt, um dessen Vollziehung es geht,
bei summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.
Allerdings ist die Möglichkeit, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs (gegen eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, wie hier die
angefochtene Zwangsgeldfestsetzung) zu befristen, in § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO (i.V.m.
§ 8 Satz 2 AG VwGO NRW) ausdrücklich vorgesehen. Bei der im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes zu treffenden Entscheidung, ob einem Antrag gemäß § 80
Abs. 5 VwGO nur in zeitlich beschränktem Umfang entsprochen wird, darf das Gericht
berücksichtigen, ob die bei summarischer Überprüfung festgestellte Fehlerhaftigkeit des
angefochtenen Verwaltungsakts nur "vorläufig" ist. Von einer (nur) vorübergehenden
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kann es insbesondere dann ausgehen, wenn der
im Entscheidungszeitpunkt gegebene Mangel in einem weiteren Verwaltungsverfahren
oder im Widerspruchsverfahren ohne Weiteres behebbar ist und wenn greifbare
Anhaltspunkte dafür sprechen, dass diese Heilung auch erfolgen wird.
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Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Februar 1994 - 14 S 42/94 -,
NVwZ-RR 1994, 389 f. sowie Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO,
Loseblattsammlung, Stand: Januar 2003, § 80 Rz. 363 i.v.m. 295 m.w.N.
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Die Voraussetzungen dafür, dem Widerspruch aufschiebende Wirkung nur bis zum
Erlass des Widerspruchsbescheides zu geben, sind hier nach wie vor erfüllt. Bereits das
Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss (dort S. 5 Abs. 2 und S. 6 Abs.
4) eine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben, warum es die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin nur bis zum Erlass des
Widerspruchsbescheides angeordnet hat. Beide von ihm aufgezeigten Fehler (Fehlen
einer Duldungsverfügung gegenüber dem Mieter, Annahme einer
Ermessensreduzierung auf Null) sind im Widerspruchsverfahren ohne Weiteres heilbar.
Die bereits seinerzeit gegebenen Anhaltspunkte dafür, dass die Behebung dieser
aufgezeigten Fehler zu erwarten ist, haben sich im Zeitpunkt der Entscheidung des
Senats noch verdichtet. Der Antragsgegner hat unter dem 9. November 2005 mitgeteilt,
er werde gegenüber den Mietern sofort vollziehbare Duldungsverfügungen erlassen und
seine Ermessenserwägungen ergänzen.
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Die von der Antragstellerin zitierten Gerichtsentscheidungen stützen ihre
Rechtsauffassung, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung habe hier unbeschränkt
erfolgen müssen, nicht. Dies gilt insbesondere für die von ihr als "sinnvoll und
pragmatisch" eingestuften Beschlüsse des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts
7
vom 23. Januar 1997 - 3 S 522/96 -, SächsVBl 1997, 214 f.
8
und des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein
9
vom 16. August 1996 - 3 M 51/96 -, JURIS-Dokumentation.
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Die genannte Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts verhält sich zu
der Frage, wie lange die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gemäß § 80 Abs.
1 VwGO fortwirkt, betrifft aber nicht den Fall, dass - wie hier - die aufschiebende Wirkung
des gegen eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung gerichteten Widerspruchs
entfällt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bzw. Satz 2 VwGO i.V.m. § 8 AG VwGO NRW) und die
aufschiebende Wirkung lediglich zeitlich befristet angeordnet wurde. Die zitierte
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein, die im Übrigen vor
Inkrafttreten des § 80b VwGO durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz vom 1. November
1996 ergangen ist, führt aus, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ende
gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich erst mit der Unanfechtbarkeit des
angefochtenen Verwaltungsaktes. Darum geht es hier aber aus den genannten Gründen
nicht. Die von der Antragstellerin weiter zitierten bzw. referierten Beschlüsse des
Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg
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vom 25. November 1992 - 11 S 2528/92 - und vom 3. April 1989 - 11 S 348/89 -, beide
JURIS-Dokumentation,
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und des Oberverwaltungsgerichts Hamburg
13
vom 8. Juli 1998 - 6 Bs 29/98 -, JURIS-Dokumentation,
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betreffen im Wesentlichen die Frage, ob vorläufiger Rechtsschutz im Verfahren nach §
80 Abs. 5 oder Abs. 7 VwGO zu gewähren ist, wenn das Verwaltungsgericht einem
Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz - unanfechtbar - nur bis zum Erlass des
Widerspruchsbescheides stattgegeben hat, wenn dieser Widerspruchsbescheid zu
Ungunsten des Betroffenen ausfällt. Auch darum geht es hier aus den genannten
Gründen nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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