Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.04.2003

OVG NRW: besondere härte, lebensgemeinschaft, psychische störung, trennung, unzumutbarkeit, behandlung, aufenthaltserlaubnis, kritik, subjektiv, beschwerdeschrift

Oberverwaltungsgericht NRW, 17 B 2548/02
Datum:
11.04.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 B 2548/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 16 L 2632/02
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss abzuändern
oder aufzuheben.
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Der Antragsteller hat innerhalb der maßgeblichen Beschwerdebegründungsfrist den
Beschluss des Verwaltungsgerichts lediglich insoweit in Frage gestellt, als dort das
Vorliegen einer "besonderen Härte" im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG
verneint worden ist. Er meint, eine besondere Härte, die es erforderlich mache, ihm nach
Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft den weiteren Aufenthalt im
Bundesgebiet zu ermöglichen, liege darin, dass seine deutsche Ehefrau ihn
"unvorstellbar in drängender Weise verfolgt, Telefonterror betrieben und ihn psychisch
fertig gemacht" habe. Er habe sich wegen stressbedingter starker Magenschmerzen in
hausärztliche Behandlung begeben müssen, was durch Bescheinigung der praktischen
Ärztin X. -N. vom 6. März 2002 belegt werde. Dieses Vorbringen erfüllt nicht den Begriff
der besonderen Härte im Sinne der genannten Vorschrift.
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Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG liegt eine besondere Härte im Sinne des Satzes 1 Nr. 2
insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen
Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche
Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (1. Alt.) oder wenn dem
Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere
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Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist (2. Alt.).
Eine besondere Härte, die sich aus seiner Rückkehrverpflichtung ergeben könnte, hat
der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht einmal im Ansatz dargelegt.
Insoweit ist davon auszugehen, dass § 19 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. AuslG bezweckt, Härten
zu begegnen, die sich daraus ergeben können, dass Ausländern - besonders Frauen -
aus bestimmten Herkunftsländern bei der Rückkehr in ihre Heimat gerade wegen der
Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft besondere Nachteile drohen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 -, Buchholz 402.240 § 19 AuslG
1990 Nr. 4, und Beschluss vom 30. September 1998 - 1 B 92.98 -, Buchholz, a.a.O., Nr.
5.
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Dafür ist im Falle des Antragstellers nichts ersichtlich.
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Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. AuslG (Unzumutbarkeit des
Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft) sind in der Beschwerdebegründung
ebenfalls nicht dargetan. Bereits aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. AuslG
("oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen
Belange das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist") folgt,
dass die Umstände, die die Unzumutbarkeit begründen sollen, während des Bestehens
der ehelichen Lebensgemeinschaft eingetreten sein müssen.
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Vgl. auch Igstadt in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Bd. 1, Stand: Juli
2002, § 19 Rn. 67.
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Spätere Vorkommnisse, die - nach einer aus sonstigen Gründen erfolgten Aufhebung
der Lebensgemeinschaft - (lediglich) eine Wiederaufnahme der ehelichen
Lebensgemeinschaft oder ein Festhalten an der Ehe als unzumutbar erscheinen lassen,
reichen demgegenüber zur Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 19 Abs. 1
Satz 2, 2. Alt. AuslG nicht aus.
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Bestätigt wird die vorstehende Auslegung durch die Entstehungsgeschichte der
Vorschrift. Zu deren Voraussetzungen heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf
(BT-Drs. 14/2368, zu Art. 1 Nr. 3), die Gesetzesänderung berücksichtige besondere
Umstände während der Ehe in Deutschland, die es dem Ehegatten unzumutbar
machten, zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts an der ehelichen
Lebensgemeinschaft festzuhalten. Solche Fälle lägen z. B. vor, wenn der
nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch
den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben habe oder der andere
Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt habe.
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So auch BVerwG, Beschluss vom 30. September 1998 - 1 B 92.98 -, a.a.O.; OVG NRW,
Beschluss vom 24. Januar 2003 - 18 B 2157/02 -; vgl. zum Ganzen ferner
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) vom 14. März
2000, BT-Drs. 14/2902.
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Gemessen an diesen Vorgaben hat der Antragsteller, dem insoweit die Darlegungs- und
Beweislast obliegt, keine Umstände glaubhaft gemacht, derentwegen es ihm
unzumutbar gewesen wäre, an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten. Er hat
bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er überhaupt wegen der angeblichen psychischen
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Drangsalierungen durch seine Ehefrau die eheliche Lebensgemeinschaft verlassen hat.
Es spricht vielmehr alles dafür, dass sein Vorbringen, seine deutsche Ehefrau habe ihn
"unvorstellbar in drängender Weise verfolgt, Telefonterror betrieben und ihn psychisch
fertig gemacht", auf die Zeit nach der Trennung bezogen ist. Denn bei einem
gemeinsamen Wohnsitz, wie von dem Antragsteller und seiner Ehefrau bis zum April
2002 innegehabt, wären eine "Verfolgung" und "Telefonterror" in der beschriebenen
Weise kaum denkbar. Auch der Umstand, dass der Antragsteller sich ausweislich der
Bescheinigung der praktischen Ärztin X. -N. wegen stressbedingter Magenschmerzen
(erst) "seit dem 18.11.02" in ihrer Behandlung befindet, obwohl die Trennung bei
Behandlungsbeginn bereits mehr als ein halbes Jahr zurücklag, lässt darauf schließen,
dass die in der Beschwerdeschrift behaupteten psychischen Ausfallerscheinungen
seiner Ehefrau die Zeit nach vollzogener Trennung betreffen.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass der Anspruch auf Verlängerung
des Aufenthaltsrechts nicht etwa in jedem Fall des Scheiterns einer ehelichen
Lebensgemeinschaft besteht, auch wenn es in aller Regel hierzu nur kommt, wenn das
Festhalten an der Lebensgemeinschaft von einem oder beiden Ehegatten subjektiv als
unzumutbar empfunden wird. Gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen,
Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von
Fällen trennungsbegründend wirken, machen für sich genommen das Festhalten an der
ehelichen Lebensgemeinschaft noch nicht unzumutbar im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2,
2. Alt. AuslG.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2003 - 18 B 2157/02 -.
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Es müssen vielmehr darüber hinausgehende schwer wiegende Umstände vorliegen, für
die aber mit der Beschwerde nichts vorgetragen ist.
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Die mit Schriftsatz vom 20. Januar 2003 vorgenommene weitere
Beschwerdebegründung hat für die Entscheidung des Senats unberücksichtigt zu
bleiben, da das Vorbringen erst nach Ablauf der einmonatigen Begründungsfrist des §
146 Abs. 4 Satz 1, Satz 6 VwGO bei Gericht eingegangen ist. Insoweit handelt es sich
nicht lediglich um eine nähere Erläuterung und Vertiefung des bisherigen Vortrags,
sondern um gänzlich neuen Sachvortrag. Ohne dass es insoweit für die Entscheidung
des Senats darauf ankäme, wird lediglich ergänzend ausgeführt, dass auch das
neuerliche Vorbringen nicht geeignet wäre, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.
Die von dem Antragsteller behauptete Suizidgefahr wird, unabhängig davon, ob sie die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG oder
lediglich die Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG rechtfertigen könnte,
durch die überreichte Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.
vom 13. Januar 2003 nicht bestätigt. Dort ist lediglich von einem depressiven Syndrom
mit Kopfschmerzen, Schlafstörungen etc. die Rede. Des Weiteren findet sich die
Aussage, dass zur Zeit nicht festzustellen sei, ob die psychische Störung durch die
krisenhafte Ehe des Antragstellers bedingt sei. Aus der Bescheinigung folgt demnach
gerade nicht, dass das Verhalten seiner Ehefrau erheblich belastende psychische
Auswirkungen auf ihn (gehabt) hat, die ihm ein Festhalten an der ehelichen
Lebensgemeinschaft unzumutbar gemacht hätten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
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