Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.03.2010

OVG NRW (bekanntgabe, stillschweigende annahme, annahme, verwaltungsgericht, zeitpunkt, frist, durchführung, eröffnung, verordnung, begriff)

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 1196/09
Datum:
19.03.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 A 1196/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 1.706,10 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen,
wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist
dargelegt ist und vorliegt. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beklagten,
auf dessen Prüfung der Senat im Zulassungsverfahren beschränkt ist, nicht.
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Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Das Zulassungsvorbringen der Beklagten stellt die Einschätzung des
Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage, dass die Anfechtungsklage zulässig,
insbesondere der Widerspruch der Klägerin fristgerecht eingelegt worden ist, weil für die
Widerspruchserhebung nicht die Frist von einem Monat nach der Bekanntgabe des
Verwaltungsakts aus § 70 Abs. 1 VwGO, sondern infolge des Fehlens einer
zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung die Jahresfrist aus § 70 Abs. 2 i. V. m. § 58 Abs. 2
VwGO maßgeblich gewesen ist.
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Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen nach dem Gesetz über
die Errichtung eines zentralen Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land- und
Ernährungswirtschaft (Absatzfondsgesetz AbsFondsG). Die Heranziehung erfolgte auf
der Grundlage der Verordnung über die Beiträge nach dem Absatzfondsgesetz
AbsFondsGBeitrV . Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung hat der Betriebsinhaber
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der Bundesanstalt die für die halbjährliche Beitragsschuld maßgeblichen Mengen oder
Werte innerhalb eines Monats nach Ablauf des Kalenderhalbjahres zusammen mit einer
Errechnung des geschuldeten Beitrages mitzuteilen. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1
AbsFondsGBeitrV gilt diese Beitragsmitteilung als Beitragsbescheid, wenn der
Beitragsbetrag darin zutreffend angegeben worden ist.
Ausgehend von diesen Vorgaben hat das Verwaltungsgericht offen gelassen, ob es sich
bei der als "Maßnahme einer Behörde" allein in Betracht kommenden
widerspruchslosen Annahme der Beitragsmitteilung durch die Beklagte überhaupt um
einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG handelt und wenn dies zu
bejahen wäre ob diese "stillschweigende Annahme" der Klägerin in einer dem § 41
VwVfG genügenden Weise "bekannt gegeben" und damit wirksam geworden ist. Dies
hat für das Zulassungsverfahren zur Folge, dass für die Entscheidung über den
Zulassungsantrag der Beklagten davon auszugehen ist, dass gegenüber der Klägerin
ein wirksam ergangener Verwaltungsakt vorliegt. Entscheidungstragend hat das
Verwaltungsgericht allein darauf abgestellt, dass die der streitgegenständlichen
Beitragsmitteilung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, in der es heißt, "Gegen diesen
Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben
werden", zumindest als irreführend, wenn nicht sogar als unzutreffend anzusehen ist,
weil sie den erheblichen Besonderheiten des Heranziehungsverfahrens nach § 4
AbsFondsGBeitrV nicht in dem erforderlichen Maße Rechnung getragen hätte; statt auf
eine tatsächlich überhaupt nicht erfolgte Bekanntgabe eines Bescheids hätte die
Klägerin in der Rechtsmittelbelehrung auf den Zeitpunkt des Eingangs der
Beitragsmitteilung bei der Beklagten als das für den Beginn des Laufs der Monatsfrist
aus § 70 Abs. 1 VwGO maßgebliche Ereignis hingewiesen werden müssen. Die
dagegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen nicht durch.
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Die Beklagte sieht in der stillschweigenden Annahme der Beitragsmitteilung zugleich
die "Bekanntgabe des Beitragsbescheids" im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und
§ 70 Abs. 1 VwGO. Ob dies zutreffend ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang
keiner Entscheidung. Denn auch wenn in der stillschweigenden Annahme der
Beitragsmitteilung die Bekanntgabe eines Beitragsbescheids zu sehen ist, wovon das
Verwaltungsgericht ausgegangen ist, greift die Beklagte zu kurz, indem sie
ausschließlich den Wortlaut der Belehrung betrachtet. Das Verwaltungsgericht hat
zutreffend den Begriff der "Bekanntgabe" der Sache nach hier für irreführend erachtet,
weil tatsächlich überhaupt keine besondere Eröffnung eines Bescheids gegenüber der
Klägerin erfolgt ist. Selbst wenn der Eingang der Beitragsmitteilung bei der Beklagten
rechtlich als Bekanntgabe im Sinne des § 41 VwVfG zu werten ist, erweckt die der
Beitragsmitteilung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung den unzutreffenden und deshalb
irreführenden Eindruck, die Widerspruchsfrist beginne erst nach einer besonderen
Eröffnung eines Bescheids gegenüber der Klägerin zu laufen.
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Dem setzt die Beklagte mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 58 Abs. 1 VwGO
nichts Durchgreifendes entgegen. Sie weist zwar zutreffend unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12. Januar 1970 VI C
47.69 , Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 19) darauf hin, dass für die Fristbelehrung die
Bezeichnung der abstrakten Frist genügt und die konkrete Bestimmung ihres Laufs in
die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen fällt. Hier geht es jedoch darum, ob ein
unzutreffender oder irreführender Zusatz hinsichtlich des Beginns des Laufs der Frist
vorliegt. Unschädlich sind insoweit nach dem ebenfalls von der Beklagten zitierten
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2006 (- 6 B 65.05 -, NVwZ
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2006, 943) Zusätze, die auf Umstände im Verantwortungsbereich des Belehrten
abstellen und bei diesem keine Zweifel auslösen können. Der Zeitpunkt des Eingangs
der Beitragsmitteilung bei der Beklagten und dessen Wertung als Bekanntgabe gehört
dazu nicht.
Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten
der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
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Der Begriff der besonderen Schwierigkeiten im Sinne dieser Norm ist funktionsbezogen
dahin auszulegen, dass besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten dann
vorliegen, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an
der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne weiteres
im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines
Berufungsverfahrens erfordern.
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Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn. 108 ff., m. w.
N.
12
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO ergibt, ist die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob eine in der
Beitragsmitteilung nach § 4 Abs. 2 AbsFondsGBeitrV vorgedruckte
Rechtsbehelfsbelehrung den sich aus § 58 Abs. 1 und § 59 VwGO ergebenden
Anforderungen genügt, wenn darin angegeben ist, dass "gegen diesen Bescheid ...
innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden" könne, ohne
weiteres im vorliegenden Zulassungsverfahren zu beantworten. Insbesondere bereitet
deren Beantwortung keine derartigen Schwierigkeiten, dass eine Zulassung der
Berufung wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der
Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerechtfertigt wäre. Der Umstand,
dass die von der Beklagten angesprochene Frage in der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung noch keine rechtskräftige Klärung erfahren hat, rechtfertigt für sich
allein nicht die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der
Rechtssache.
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Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
zuzulassen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Entscheidung
des Streitfalls im Rechtsmittelverfahren erhebliche klärungsbedürftige Rechts- oder
Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft. Eine solche Frage legt die
Antragsschrift nicht entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO
dar.
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Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
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ob die Rechtsbehelfsbelehrung für einen Bescheid, der aufgrund
besonderer normativer Bestimmungen am Tage des Eingangs einer
Mitteilung des Adressaten bei der Behörde als erteilt gilt, insbesondere die
Rechtsbehelfsbelehrung für einen Bescheid nach § 4 Abs. 3 Satz 1
AbsFondsGBeitrV, den sich aus § 58 Abs. 1 und § 59 VwGO ergebenden
Anforderungen genügt, wenn darin mitgeteilt wird, dass innerhalb eines
Monats ab Bekanntgabe des Bescheids Widerspruch eingelegt werden
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könne.
Zur Klärung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO ergibt, lässt sich diese Frage ohne weiteres in die Richtung beantworten,
dass eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem in der aufgeworfenen Frage beschriebenen
Inhalt den Anforderungen aus § 58 Abs. 1 und § 59 VwGO nicht genügt.
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Im Übrigen bezieht sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage in dem vorliegend
allein entscheidungserheblichen Rahmen einer Heranziehung zu Beiträgen nach § 4
Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV auf auslaufendes Recht, weil worauf die Beklagte
selbst hingewiesen hat Beiträge der streitgegenständlichen Art nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 3. Februar 2009 2 BvL 54/06 (BVerfGE 122, 316 =
DVBl. 2009, 375 = NVwZ 2009, 641) zur Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen
Rechtsgrundlage des § 10 Abs. 1 bis 8 AbsFondsG für die Zeit nach dem 1. Juli 2002
nicht mehr erhoben werden können. Daran ändert nichts, dass bei der Beklagten noch
zahlreiche Widerspruchsverfahren anhängig sind, in denen es auf die Frage ankommt,
zu welchem Zeitpunkt Beitragsbescheide nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsBeitrV
bestandskräftig geworden sind.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 GKG.
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