Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.01.2004

OVG NRW: religiöse erziehung, amtshandlung, form, pflege, werken, erzieher, religionsunterricht, versorgung, körperschaft, ausbildung

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 4608/02
Datum:
16.01.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 4608/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 4458/01
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 1.874,40 Euro
(= früher 3.666,00 DM) festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Der im Mittelpunkt des Zulassungsvorbringens stehende Zulassungsgrund der
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn die Umstände, die für die
Fehlerhaftigkeit der Entscheidung i.S. des Entscheidungsergebnisses sprechen,
deutlich überwiegen. Nicht ausreichend sind Zweifel lediglich an der Richtigkeit
einzelner Begründungselemente oder Sachverhaltsfeststellungen, wenn diese nicht
zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen. Hiervon
ausgehend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Klageabweisung
durch das Verwaltungsgericht mit der Begründung, der Klägerin stehe eine
Gebührenfreiheit nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 GebG NRW für die hier maßgebliche
Amtshandlung - Erteilung einer Baugenehmigung - in Bezug auf einen Kindergarten
nicht zu.
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Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 GebG NRW sind von Verwaltungsgebühren befreit u.a. die
Kirchen, soweit die Amtshandlung unmittelbar der Durchführung kirchlicher Zwecke im
Sinne des § 54 AO dient. Nach § 54 Abs. 1 AO verfolgt eine Körperschaft kirchliche
Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, eine Religionsgemeinschaft, die
Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, selbstlos zu fördern. Zu den kirchlichen
Zwecken in diesem Sinne gehören insbesondere die Errichtung, Ausschmückung und
Unterhaltung von Gotteshäusern und kirchlichen Gemeindehäusern, die Abhaltung von
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Gottesdiensten, die Ausbildung von Geistlichen, die Erteilung von Religionsunterricht,
die Beerdigung und die Pflege des Andenkens der Toten, ferner die Verwaltung des
Kirchenvermögens, die Besoldung der Geistlichen, Kirchenbeamten und Kirchendiener,
die Alters- und Behindertenversorgung für diese Personen und die Versorgung ihrer
Witwen und Waisen (§ 54 Abs. 2 AO).
Der Vortrag der Klägerin greift nicht durch, zu diesen unmittelbar der Durchführung
kirchlicher Zwecke dienenden Zwecken zählten auch Amtshandlungen, die im
Zusammenhang mit baulichen Maßnahmen an konfessionellen Kindergärten anfielen.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. September 1975 - II A 251/74 -, bestätigt durch BVerwG,
Beschluss vom 10. Juni 1977 - VII B 153.75 -, Buchholz 401.8 Nr. 5; ferner: OVG NRW,
Urteil vom 22. Januar 1979 - II A 1065/78 -,
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auf deren Inhalt bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, ist eine solche
Annahme nicht gerechtfertigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die
entsprechenden Ausführungen im Urteil erster Instanz Bezug genommen werden.
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Die Argumente, mit denen die Klägerin im Zulassungsantrag diese Rechtsprechung
anzugreifen versucht, erweisen sich bereits bei der im Zulassungsverfahren gebotenen
Prüfung als nicht tragfähig.
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Die Klägerin meint, die auf der o.a. obergerichtlichen Rechtsprechung basierende
Ansicht des Verwaltungsgerichts gehe fehl, konfessionelle Kindergärten dienten der
Vermittlung von Bildungswerten, wie sie jedenfalls zu wesentlichen Teilen auch in
anderen - öffentlichen oder privaten - Kindergärten erfolge. Sie beruhe auf der falschen
Auffassung, religiöse Bildung und Erziehung ließen sich von derjenigen allgemeiner Art
abgrenzen. In konfessionellen Kindergärten stelle die religiöse Erziehung und
Wertevermittlung anders als in anderen Einrichtungen gerade keinen eigenständigen
Lernbereich (etwa im Sinne einer Religionsstunde) dar, sondern sei Gegen- stand einer
ganzheitlichen Gesamterziehung nach dem christlichen Menschenbild. Dieser
Argumentation kann nicht gefolgt werden.
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§ 8 Abs. 1 Nr. 5 GebG NRW beschränkt die Gebührenbefreiung der Kirchen auf die in §
54 Abs. 2 AO beispielhaft angesprochenen typisch kirchlichen Bereiche im engeren
Sinne,
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vgl. Susenberger, Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar,
2000, § 8 Rdn.9 ff.; ferner: OVG NRW, Urteile vom 15. September 1975 und 22. Januar
1979, jeweils a.a.O.,
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d.h. solche, die die Verkündigung bestimmter Glaubenswahrheiten und die
Glaubensbetätigung in spezifisch kirchlichen Ausdrucksformen betreffen.
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Vgl. Burghartz, Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen -
Verwaltungskostengesetz -, Kommentar, 1972, § 8 Rdn. 4. Bei Einrichtungen, in denen
daneben Aufgaben allgemeiner Art wahrgenommen werden, ist daher für die Frage der
Gebührenbefreiung entgegen der Auffassung der Klägerin maßgeblich, ob bei der
Aufgabenerfüllung die Verkündigung bestimmter Glaubenswahrheiten und die
Glaubensbetätigung in spezifisch kirchlichen Ausdrucksformen im Vordergrund steht.
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Andernfalls wäre jedwede Amtshandlung, die im Bereich kirchlicher
Aufgabenwahrnehmung anfiele, gebührenfrei, weil die Aufgabenwahrnehmung immer
auch vom kirchlichen Selbstverständnis getragen sein wird. Dies entspräche aber nicht
der gesetzgeberischen Intention. Für eine Privilegierung der Kirchen besteht kein
sachlicher Anlass, soweit sie Aufgaben erfüllen, die in gleicher Weise von anderen -
nicht gebührenbefreiten - Organisationen wahrgenommen werden (können). Letzteres
ist bei gemeinnützigen und mildtätigen Betätigungen etwa im Rahmen der allgemeinen
Bildung und sozialen Betreuung in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern der Fall.
Das gilt auch dann, wenn sie von den Kirchen auf der Grundlage des jeweiligen
Glaubens in der besonderen Ausprägung durch diesen erfolgen.
Vgl. Susenberger, a.a.O.
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Auch in konfessionellen Kindergärten findet ganz überwiegend eine allgemeine
Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder statt. Bereits das Verwaltungsgericht hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass Kindergärten ungeachtet ihrer Trägerschaft und
Ausrichtung vorrangig einen allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen
haben, wie er sich aus § 22 SGB VIII und § 2 Abs. 1 GTK NRW ergibt. Danach soll u.a.
in Kindergärten durch Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes seine Entwicklung
zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert
werden.
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Es spricht zunächst nichts dafür, dass sich in konfessionellen Einrichtungen die
Betreuung in Form der Versorgung der und Aufsicht über die Kinder wesentlich von
derjenigen in anderen Einrichtungen unterscheidet. Auch die Klägerin trägt substantiell
nichts dergleichen vor. Entsprechendes gilt in Bezug auf die Bildung und Erziehung der
betreuten Kinder.
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In allen Kindergärten werden Kinder in Gemeinschaft mit anderen ihrem jeweiligen Alter
entsprechend durch Gruppen- oder Einzelarbeit angeregt und motiviert zu erlernen und
einzuüben, was für die Entwicklung und Entfaltung ihrer Gaben und Kräfte in geistig-
seelischer und körperlicher Hinsicht sowie für ein gedeihliches Zusammenleben in
Familie und Gesellschaft nötig ist. Dies geschieht in vielerlei Form, wie etwa durch freie
und angeleitete Spiele (auch Rollenspiele zur Stärkung des Sozialverhaltens),
Sprachförderung und -pflege, Konzentrations-, Selbstbehauptungs- und
Konfliktlösungstraining, Gesundheits- und Bewegungserziehung, rhythmisch-
musikalische Betätigung, hauswirtschaftliche Übungen, Werken und bildhaftes
Gestalten.
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Diese auch in konfessionellen Kindergärten stattfindende allgemeine Bildung und
Erziehung überwiegt die dort gleichfalls erfolgende spezifisch religiöse Früherziehung.
Letztere - z.B. in Gestalt von gemeinschaftlichen Gebeten, Bibellesungen, Singen
geistlicher Lieder, Vorlesen religiöser Bücher, Vorhandensein christlicher Symbole
sowie Feiern bestimmter Riten (wie einem St.-Martins-Zug) und Feste wie Weihnachten,
Ostern und Pfingsten - stellt nur einen relativ geringen Teilaspekt der dargestellten
Gesamtaufgabe der Bildung und Erziehung von Kindergartenkindern dar. Dass aus der
Sicht der Kirche in konfessionellen Kindergärten eine „ganzheitliche" Erziehung und
Bildung in Orientierung am Evangelium und damit am christlichen Menschenbild erfolgt
und deshalb u.a. besondere Anforderungen an die Erzieher gestellt werden, ändert
daran nichts. Objektiv betrachtet überwiegt ungeachtet einer spezifisch christlichen
Prägung der Kindergartenarbeit der Bereich der allgemeinen Bildung und Erziehung. So
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stellen etwa Spiel- und Sprachförderung, Konzentrationstraining, Bewegungserziehung,
Werken und Malen ganz offenkundig keine Verkündigung bestimmter
Glaubenswahrheiten und keine Glaubensbetätigung in spezifisch kirchlichen
Ausdrucksformen dar, mögen sie auch in einem christlich geprägten Umfeld durch
entsprechend ausgebildete Erzieher erfolgen. Die Erziehung und Bildung in
konfessionellen Kindergärten stellt sich daher auch nicht insgesamt oder überwiegend
als „Erteilung von Religionsunterricht" im Sinne von § 54 Abs. 2 AO in Form religiöser
Früherziehung dar. Auf die weiteren vom Verwaltungsgericht angesprochenen Aspekte -
Aufnahme von Kindern anderer Konfessionen und die Nichterkennbarkeit einer
spezifisch religionspädagogischen Ausbildung des Erziehungspersonals - kommt es
danach für den Ausgang des Rechtsstreits nicht an.
Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV, auf den die Klägerin sich beruft, folgt keine
Verpflichtung des Landesgesetzgebers, Gebührenbefreiung auch für den Bereich der
Bauvorhaben der Kirchen im Bereich der allgemeinen Bildung und sozialen Betreuung
zu gewähren.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 1977, a.a.O., und OVG NRW, Urteil vom 15.
September 1975, a.a.O.
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Aus dem Vorstehenden folgt auch, dass die Sache entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) besitzt. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn
eine konkrete, höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird, die sich im
Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts der gerichtlichen Klärung bedarf.
Wie dargelegt, bedarf es zur Klärung der angesprochenen Fragestellungen nicht der
Durchführung eines Berufungsverfahrens. Sie lassen sich vielmehr ohne Weiteres aus
dem Gesetz und anhand der bereits vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung
beantworten.
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Die Zulassung der Berufung wegen der schließlich geltend gemachten besonderen
rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kommt nicht in
Betracht, weil der Zulassungsantrag insoweit bereits nicht dem Darlegungserfordernis
des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Wer sich auf den genannten Zulassungsgrund
beruft, muss geltend machen, dass sich der konkret zu entscheidende Fall in rechtlicher
Hinsicht signifikant von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu
entscheidenden Streitfälle unterscheidet. Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht
gerecht, denn die Klägerin macht lediglich Ausführungen zu einzelnen
Begründungselementen des Verwaltungsgerichts und stellt dem ihre - hiervon
abweichenden - Auffassungen entgegen. Dass die Rechtssache wegen der in diesem
Zusammenhang angesprochenen Fragen "besonders" schwierig sein könnte, ist damit
nicht dargelegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 13 Abs. 2 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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