Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.09.2000

OVG NRW: vorläufiger rechtsschutz, gymnasium, qualifikation, zugang, schüler, elternrecht, form, ausschluss, staat, privatschule

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 E 691/00
Datum:
01.09.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 E 691/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 2492/00
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung der
Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss gemäß § 146 Abs. 4 in Verbindung
mit § 124 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen; durch diesen Beschluss hat das
Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, ihr unter Beiordnung ihres
Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen für die Anträge gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO,
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1. die Überweisung ihrer Tochter I....... an eine Hauptschule im Zeugnis des
Antragsgegners vom 16. Juni 1999 und den die Überweisung "aufrecht erhaltenden
Bescheid" der Bezirksregierung vom 26. Juni 2000 aufzuheben und
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2. den Antragsgegner zu verpflichten, ihre Tochter I....... im Schuljahr 2000/2001 in die
Klasse 8 aufzunehmen.
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Aus den von der Antragstellerin dargelegten Gründen, die den Rahmen der
gerichtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren abstecken, weil die Gründe, aus denen
die Beschwerde zuzulassen ist, in dem Antrag darzulegen sind (§ 146 Abs. 5 Satz 3
VwGO), bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses
(§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht; es ist nämlich überhaupt nicht zweifelhaft, dass die
beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg im Sinne von § 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO bietet.
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Mit den Ausführungen in der Antragsschrift, die sich auf die Verneinung einer
hinreichenden Erfolgsaussicht des Antrags zu 1. beziehen, verkennt die Antragstellerin,
dass eine - in der Tat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht statthafte
- Aufhebung der genannten Entscheidung bzw. der Verlautbarung vom 26. Juni 2000
oder zumindest eine - aus den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Gründen
seines Beschlusses vom 13. September 1999 - 1 L 2968/99 - ohnehin ebenfalls
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unstatthafte - Vollziehungsaussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Gewährung
effektiven Rechtsschutzes für eine einstweilige Regelung in Bezug auf den Antrag zu 2.
nicht notwendig ist, so dass der Schluss von der Notwendigkeit auf die Statthaftigkeit
des Antrags zu 1. nicht angeht. Denn da, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht
abgestellt hat, der statthafte Rechtsbehelf für das auf Aufnahme der Tochter der
Antragstellerin in die gymnasiale Jahrgangsstufe 8 des Antragsgegners gerichtete
Begehren die Verpflichtungsklage ist, kommt vorläufiger Rechtsschutz nur nach § 123
Abs. 1 VwGO in Betracht (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Eine nach Satz 2 des § 123 Abs. 1
VwGO erlassene einstweilige Anordnung berührt eine ablehnende behördliche
Regelung - hier diejenige zum Übergang der Tochter der Antragstellerin in die
Hauptschule - in ihrem Regelungsgehalt und in ihrem Bestand nicht; denn eine solche
Anordnung ergeht nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das
streitige Rechtsverhältnis. Steht daher die Entscheidung der Schule einer einstweiligen
Anordnung des Gerichts nicht entgegen, setzt sich diese im Umfang der getroffenen
einstweiligen Regelung gegenüber jener durch. Soweit sich die Antragsbegründung auf
die Verlautbarung der Bezirksregierung D......... vom 26. Juni 2000 bezieht, wird im
Übrigen verkannt, dass diese weder nach Form noch Inhalt ein Verwaltungsakt ist. Für
eine der Form nach verbindliche Regelung fehlt jeglicher Anhalt. Der Inhalt des
Schreibens gibt schon mit Blick auf die verneinte Zuständigkeit für eine auf verbindliche
Rechtswirkungen gerichtete Entscheidung nichts her; er erschöpft sich in Hinweisen auf
die Schulaufsicht und die Schulpflicht. Alles Weitere im Zulassungsantrag zum Antrag
zu 1. Ausgeführte geht an Struktur und Funktionsweise des Rechtsschutzes vorbei.
Zur Begründung dafür, dass der Antrag zu 2. keine Aussicht auf Erfolg biete, hat sich
das Verwaltungsgericht zunächst auf die in dem genannten Beschluss vom 13.
September 1999 zu dem seinerzeitigen Begehren auf vorläufige Teilnahme am
Unterricht der gymnasialen Klasse 6 bzw. 7 ausgeführten Gründe bezogen, dass
nämlich unter Berücksichtigung der Grenzen der gerichtlichen Kontrolle bei der Tochter
der Antragstellerin aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit und Gesamtentwicklung die
Eignung für das Gymnasium nicht festzustellen sei; es hat sodann ausgeführt, auch das
neue Vorbringen ergebe nicht, dass die Schülerin zwischenzeitlich die zum Besuch der
Klasse 8 eines Gymnasiums berechtigende Qualifikation erworben habe. Soweit die
Antragstellerin unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
hiergegen anführt, der Anordnungsanspruch bestehe schon wegen des Grundrechts auf
Berufsbildung, vor Erschöpfung der Lehrkapazität gebe es auch für das Gymnasium
keine rechtmäßige Zugangsbeschränkung, so dass der Antragsgegner jeden Schüler
aufnehmen müsse, der dies wolle, verfehlt sie die Tragweite des grundrechtlichen
Bildungsanspruchs.
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Das durch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete
Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, schließt zwar
ebenso wie das durch die Verfassung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW, Art. 2 Abs. 1 GG)
vermittelte Recht des Schülers auf Erziehung und Bildung den Anspruch auf Zugang
zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen und dabei
insbesondere das Recht ein, zwischen den bestehenden Schulformen zu wählen.
Daraus kann aber kein ausschließliches Recht von Eltern und Schülern auf eine
bestimmte, an ihren individuellen Wünschen - etwa gar losgelöst von der jeweiligen
Eignung und Befähigung - ausgerichtete Ausgestaltung des Schulwesens abgeleitet
werden. Denn der (ebenfalls) verfassungsrechtlich abgesicherte, dem Elternrecht
prinzipiell gleichgeordnete staatliche Erziehungsauftrag, von dem Art. 7 Abs. 1 GG, Art.
8 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 LV NRW ausgehen, räumt dem Staat die Befugnis zur Planung
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und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel ein, ein Schulsystem zu gewährleisten,
das allen Schülern gemäß ihren Anlagen und Fähigkeiten die dem heutigen
gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Zu dem der
elterlichen Bestimmung grundsätzlich entzogenen staatlichen Gestaltungsbereich
gehören u. a. die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge, der Unterrichtsziele und
des Unterrichtsstoffes sowie die Bestimmung der Voraussetzungen für den Zugang zur
Schule, des Übergangs von einem Bildungsweg zum anderen und die Versetzung
innerhalb eines Bildungsweges und die Entscheidung darüber, ob und inwieweit die
Lernziele vom Schüler erreicht worden sind. Danach kann insbesondere die Aufnahme
eines Schülers in die verschiedenen Bildungswege (hier: Wechsel von einer
Gesamtschule zum Gymnasium) an - eignungs- und leistungsbezogene -
Zulassungsvoraussetzungen geknüpft werden, deren Festsetzung im einzelnen Sache
der Länder ist. In diesem Sinne sind das Elternrecht und Rechte des Schülers,
insbesondere die Schulformwahlfreiheit eingeschränkt.
Vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE
34, 165, 182 ff., sowie Beschlüsse vom 22. Juni 1977 - 1 BvR 799/76 -, BVerfGE 45,
400, 415 f. und vom 26. Februar 1980 - 1 BvR 684/78 -, BVerfGE 53, 185, 196; BVerwG,
Beschluss vom 17. Juli 1980 - 7 B 192.79 -, NJW 1981, 1056; ferner OVG NRW,
Beschluss vom 6. August 1998 - 19 B 1445/98 -, mit weiteren Hinweisen auf die
ständige Rechtsprechung des Senats sowie Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 19 B
1730/99 -.
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Dem entsprechend ist in § 2 Abs. 2 SchOG bestimmt, dass der Bildungsgang sowohl
vom Willen der Erziehungsberechtigten als auch von den Anlagen, Neigungen und
Fähigkeiten des Kindes abhängt.
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Auch das Recht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte gemäß Art. 12 Abs.
1 GG ist unbeschadet der Frage der Kapazitätserschöpfung nicht losgelöst von
(gesetzlich bestimmten) subjektiven Zulassungsvoraussetzungen, die an Eignung und
Befähigung anknüpfen, gewährleistet.
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Vgl. BVerfG, Urteile vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a.-, BVerfGE 33, 303 ff., und vom
8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a.-, BVerfGE 43, 291, 313 f.
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Daher verletzt ein leistungsbedingter Ausschluss eines Schülers aus einer Schule - hier
aus einem Gymnasium - nicht aus sich heraus das Recht gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.
Denn ein solcher Ausschluss ist bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen für
einen funktionsfähigen Schulbetrieb unerlässlich, weil die Schulen zur Erfüllung ihrer
verfassungsmäßigen Aufgaben und zum Schutz der Rechte der anderen Schüler über
Mittel verfügen müssen, sich von Schülern, die zur Mitarbeit ungeeignet sind, zu
trennen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 -, BVerfGE 58, 257, 282;
BVerwG, Beschluss vom 6. März 1998 - 6 B 9.98 -, DVBl 1998, 969.
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Auch sonst hat die Antragstellerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses nicht aufgezeigt und bestehen solche nicht. Soweit sie
geltend macht, ihre Tochter komme schon aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nur für
eine Aufnahme in die Klasse 8 in Frage, ist nicht ansatzweise dargetan, dass diese
damit die Voraussetzungen für die Aufnahme in die entsprechende gymnasiale
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Jahrgangsstufe erfüllt. Der bloße Hinweis auf die an der W.......... Privatschule, die die
Tochter der Antragstellerin als "Gastschülerin" für die Dauer von einigen Wochen
besucht hat, erreichten guten Leistungen ist unter Berücksichtigung der Dauer des
Schulbesuchs und der Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seiten 6 ff. des
Beschlusses vom 13. September 1999 zum gesamten Leistungsbild der Tochter
unergiebig. Mit der Kritik daran, dass die "Mangelhaftnoten" entsprechend der
Notendefinition nicht tragfähig seien, die Eignung für die Aufnahme in das Gymnasium
nach der Erprobungsstufe zu verneinen, verkennt die Antragstellerin, dass, wie im
Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. September 1999 ausgeführt, in die
Eignungsbeurteilung nicht allein die im Schuljahr 1998/99 erreichten mangelhaften
Noten in den Fächern Deutsch und Englisch, sondern die Qualifikation insgesamt
eingestellt worden ist. Im Hinblick darauf ist auch der nicht weiter substantiierte Hinweis
auf das Selbststudium untauglich, die erforderliche Qualifikation darzutun.
Soweit die Antragstellerin zu der lediglich angerissenen Frage nach der Geltung von
Grundrechten und "gesetzesgleichen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen" im
Schulbereich den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, hat sie auch im Hinblick auf die im
Vorstehenden angeführte Rechtsprechung einen grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht
ansatzweise dargelegt. Ein solcher besteht auch nicht, weil in der Rechtsprechung
geklärt ist, dass die genannten Grundrechte gesetzlichen Beschränkungen für den
Zugang zum Gymnasium, die an Eignung und Befähigung anknüpfen, nicht
entgegenstehen.
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Zu dem geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)
hat die Antragstellerin überhaupt nichts dargelegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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