Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.04.2008

OVG NRW: schusswaffe, gefährdung, persönliche freiheit, bewaffnung, bedrohung, transport, versicherung, ware, betriebsstätte, vollstreckung

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 321/07
Datum:
23.04.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 A 321/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 4783/05
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der 1964 geborene Kläger, der seit 2001 aktiver Sportschütze ist, erstrebt die Erteilung
eines Waffenscheins zum Führen des in seiner Waffenbesitzkarte Nr. eingetragenen
Revolvers.
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Der Kläger ist gelernter Diamantenschleifer und als Angestellter im Betrieb seines
Vaters (Firma X. I. - Diamantenschleiferei und -handel) beschäftigt. Zu seinem
beruflichen Aufgabenbereich gehören u.a. Geschäftsreisen, bei denen er namentlich
Diamanten transportiert. So liefert er Diamanten an Goldschmiede, Uhrmacher und
Juweliere in der näheren Umgebung (L. Umland, insbesondere E. und L1. ). Er stellt
auch Schmuckstücke gehobener Qualität an Privatpersonen zu oder holt sie dort ab. Die
Lieferungen erfolgen bei Anruf des Kunden mit dem Pkw, zumeist am Abend des
gleichen Tages, bei besonderer Dringlichkeit auch sofort. In Nordrhein-Westfalen hat
der Kläger etwa 150 Kunden. Fahrten dieser Art finden nahezu jeden Tag statt, wobei
sich der Wert einer Lieferung regelmäßig zwischen 60.000 und 70.000 Dollar bewegt.
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Darüber hinaus besorgt der Kläger Einkäufe bei der Diamantenbörse in C. (B. ), wo er
auch Expertisen über zuvor aus L2. mitgebrachte Diamanten erstellen lässt. Der Wert
dieser Lieferungen beläuft sich üblicherweise auf 50.000 bis 200.000 Dollar, manchmal
auf bis zu 300.000 Dollar. Schließlich liefert der Kläger noch Industriediamanten und
Werkzeuge im gesamten Bundesgebiet.
Im Dezember 2004 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seine Reisetätigkeit als
Diamantenhändler die Erteilung eines Waffenscheines. Die alternative Beauftragung
eines Unternehmens für Werttransporte komme wegen des hohen Termindrucks, der
Kosten und der besonderen Auffälligkeit solcher Transporte nicht in Betracht. Lage und
Umgebung des Betriebsgrundstückes böten zahlreiche Observierungsmöglichkeiten.
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Der Beklagte veranlasste eine Gefährdungsanalyse, die zu dem Ergebnis gelangte, in
der Umgebung des Betriebes lägen keine besonderen Gefahrenelemente vor. Nach
Anhörung des Klägers lehnte er dessen Antrag auf Erteilung eines Waffenscheines mit
Bescheid vom 17. Juni 2005 ab. Unter Hinweis auf die erstellte Gefährdungsanalyse
wies er darauf hin, eine überdurchschnittliche Gefährdung gegenüber anderen
Diamantenhändler in Deutschland sei nicht festzustellen. Dem Kläger sei es zudem
zuzumuten, geeignete Sicherheitsvorkehrungen gegen unbefugtes Eindringen ins Haus
zu ergreifen und nach eigenem Ermessen im Hinblick auf die Transporte ein
Geldtransportunternehmen zu beauftragen. Um sich in der Öffentlichkeit vor möglichen
Übergriffen zu schützen, biete zudem der Fachhandel frei zu erwerbende
Verteidigungswaffen an. Außerdem seien nach kriminalpolizeilicher Erfahrung scharfe
Schusswaffen nicht geeignet, befürchtete Angriffe abzuwehren, da diese überraschend
erfolgten. Das Bekanntwerden eines Waffenbesitzes wirke nicht abschreckend.
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Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruches hob der Kläger im
Besonderen seine Gefährdung während der Transporte von Diamanten hervor. Im
Übrigen sei die Beauftragung eines Transportunternehmens auch schon deshalb keine
Alternative, weil die höhere Gefahrenlage nicht allein im Transport der Diamanten
selber liege. Überfälle habe er unabhängig davon zu erwarten, ob er im Konkreten
Diamanten mit sich führe. Wenn bekannt werde, dass er eine Waffe mit sich führe,
erhöhe dies die Hemmschwelle bei Dritten, einen Überfall auszuführen.
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Die Bezirksregierung E. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4.
Oktober 2005 zurück. Sie bestätigte die Einschätzung des Beklagten, dass eine
besondere Gefahrenlage nicht vorliege und im Übrigen eine scharfe Schusswaffe nicht
geeignet und erforderlich sei, die vom Kläger vorgestellten Gefahren zu mindern.
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Der Kläger hat am 3. November 2005 Klage erhoben. Zur Begründung hat er sein
Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertiefend und ergänzend u.a. vorgetragen:
Potenzielle Straftäter würden durch das regelmäßige Auftauchen eines Geldtransporters
auf dem Firmengelände erst angezogen. Transportfirmen könnten nicht flexibel
kurzfristig geordert werden. Es bestehe ein hoher Termindruck. Im Übrigen ginge es den
Kunden auch um Diskretion. Mit der Post könnten die Steine ebenfalls nicht mehr
verschickt werden, weil auf ein Einschreiben lediglich 500 Euro versichert seien. Den
Antrag auf Erteilung eines Waffenscheines habe er gestellt, nachdem die Versicherung
nicht mehr bereit gewesen sei, die Steine zu versichern. Seither übe er die
Reisetätigkeit selber aus.
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Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 4. Oktober 2005 zu verpflichten, ihm
einen Waffenschein zum Führen der in der Waffenbesitzkarte Nr. eingetragenen
Schusswaffe (Revolver Smith & Wesson.357Magnum CFJ 8530) während seiner
Geschäftsreisen des Klägers zur Sicherung der transportierten Schmuckwaren zu
erteilen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat er ergänzend zu den Ausführungen im Ausgangs- und
Widerspruchsbescheid im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Geldtransporte ließen
sich durchaus unauffällig und neutral ausführen. Eine Anfrage bei
Sicherheitsunternehmen habe ergeben, dass eine zeitnahe Verfügbarkeit gegeben und
der finanzielle Aufwand durchaus überschaubar sei. Auch wenn der Kläger
Sportschütze sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er in Stresssituationen,
etwa bei einem Überfall, richtig und angemessen mit einer Schusswaffe reagieren
könne. Im Übrigen seien Überfälle auf Schmuckhändler durch besondere
Skrupellosigkeit und Brutalität gekennzeichnet. Bei diesem Tätertyp sei eine
Schusswaffe für den Kläger selbstgefährdend. Eine wirksame Verteidigungsmöglichkeit
sei nicht zu erwarten. Einer eventuellen Gefährdung könne er durch weitergehende
Sicherheitsmaßnahmen vorbeugen. Vor Antritt einer Fahrt könne er Risiken durch
Beobachten der Umgebung minimieren. Sollte er während der Fahrt verfolgt werden,
könne er einen Notruf absetzen. Entsprechende bauliche Veränderungen im Fahrzeug
könnten vorgenommen werden. Bei der Ankunft bei den Kunden sei mit einer
Gefährdung nicht zu rechnen, weil potenzielle Täter nicht wissen könnten, wo sie den
Kläger erwarten sollten.
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Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen
wird, der Klage stattgegeben.
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Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung wiederholt der Beklagte im
Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Bei wirklichkeitsnaher Betrachtung ergebe
sich für keine Phase der Reisetätigkeit des Klägers eine besondere Gefährdung. Laut
Auskunft des Landeskriminalamtes für das Land Nordrhein- Westfalen (LKA) vom 11.
März 2008 lägen beim Bundeskriminalamt (BKA) keinerlei Erkenntnisse vor, die auf
eine auffällig höhere Gefährdung der mit Diamanten- und Schmucktransporten
befassten Berufsgruppe der Juweliere schließen ließen. Nach der Statistik des LKA
seien Juweliergeschäfte relativ häufig von Raubüberfällen sowie sogenannten Blitz-
Einbruchsdiebstählen (Einfahren/Einschlagen von Schaufenstern oder
Geschäftseingangstüren) betroffen. Das Beraubungsrisiko liege bei Geschäften
ungleich höher als auf Transportwegen. Der Kläger habe selbst keine konkrete
Gefährdung benannt. In den vergangenen Jahrzehnten habe es offensichtlich weder bei
ihm noch früher bei seinem Vater eine Situation gegeben, in der der Einsatz einer
Schusswaffe indiziert gewesen wäre. Das Führen einer Waffe durch den Kläger sei im
Übrigen kein geeignetes Mittel. Werde der Kläger hinterrücks angegriffen oder mit einer
Schusswaffe bedroht, werde er keine Gelegenheit haben, seine eigene Waffe zu ziehen.
Erfolge die Bedrohung mit einer anderen Waffe, reiche eine Gaspistole zur Abwehr aus.
Die Auswertung der vom LKA angegebenen Raubdelikte auf Transportwegen, die in
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den Jahren 2005 bis 2007 für Nordrhein- Westfalen gemeldet worden seien, zeige, dass
in drei Fällen die Bedrohung mit einer Schusswaffe erfolgt sei. Man werde daher
annehmen können, dass der Kläger in einer vergleichbaren Situation keine
Verteidigungschance besessen hätte. Die übrigen Raubüberfälle seien, überwiegend
durch ein Überraschungsmoment gekennzeichnet gewesen.
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Potenziellen Tätern sei es ein Leichtes, sich vor
dem Geschäft zu postieren und darauf zu warten, bis er, der Kläger es verlasse. Es sei
auch nicht fernliegend, dass eine Bande von zwei oder drei Tätern ihm folge und ihn bei
einem Halt, etwa auf einem Autobahnparkplatz, überfalle. Dabei sei nicht notwendig
davon auszugehen, dass die Täter auch Schusswaffen einsetzten. Der Umstand, dass
er, der Kläger, bisher noch nicht Opfer eines Überfalls geworden sei, sei ein glücklicher
Umstand, indes ohne weitere Aussagekraft. Auf den Geschäftsreisen seien die
Diamanten bei einem Eigenanteil von 20 % des Wertes gegen Verlust versichert. Der
Versicherer stelle keine Bedingungen für den Transport. Für das Verschicken mit der
Post gelte anderes, weil hier Dritte eingeschaltet seien.
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Der Beklagte hat im Berufungsverfahren eine Stellungnahme des LKA vom 11. März
2008 und eine weitere Auswertung vom 20. März 2008 vorgelegt; auf diese wird Bezug
genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Bezirksregierung E. ( jeweils 1 Heft) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige, namentlich fristgerecht in einer den gesetzlichen Anforderungen
genügenden Weise begründete Berufung des Beklagten hat Erfolg. Die zulässige
Verpflichtungsklage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Waffenscheins
nach § 19 Abs. 1 und 2 WaffG für die im Klageantrag näher bezeichnete Waffe nicht zu.
Der entgegenstehende Bescheid des Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind
rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
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Personen, die - wie der Kläger - Angriffe auf ihre Person befürchten, ist die Erlaubnis
zum Führen von Schusswaffen entsprechend § 19 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 WaffG (nur)
zu erteilen, wenn sie glaubhaft machen, wesentlich mehr als die Allgemeinheit
gefährdet zu sein. Neben der Gefährdung durch Angriffe auf die ausdrücklich genannten
Rechtsgüter Leib und Leben ist auch die Gefährdung anderer persönlicher Rechtsgüter
in den Blick zu nehmen, insbesondere die persönliche Freiheit und das Eigentum, von
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der der Kläger in erster Linie ausgeht. Denn § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG bestimmt insoweit
den Begriff eines anzuerkennenden persönlichen Interesses nach § 8 Abs. 1 Nr. 1
WaffG nicht abschließend.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1975 - 1 C 25.73 -, BVerwGE 49, 1, zur
entsprechenden Regelung in § 32 Abs. 1 Nr. 3 WaffG a.F.
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Gemessen an der erforderlichen besonderen Gefahrenlage muss das Führen der
jeweiligen Schusswaffe weiter erforderlich und geeignet sein, die Gefährdung
tatsächlich zu mindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG).
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In Würdigung der Darlegungen des Klägers zu den Betriebsabläufen und seiner
Reisetätigkeit erscheint es unter Einbeziehung der vom Beklagten erstellten
Gefährdungsanalyse und der im Berufungsverfahren eingereichten
kriminalbehördlichen Stellungnahmen schon fraglich, ob sich für den Kläger tatsächlich
eine oberhalb der gesetzlich geforderten Schwelle liegende Gefährdung feststellen
lässt. Jedenfalls aber ist die Bewaffnung des Klägers mit einer Schusswaffe aufgrund
seiner Reisetätigkeit als Diamantenhändler weder erforderlich, um die vorgestellte
Gefahrenlage auf ein zumutbares Maß zu reduzieren, noch geeignet, mögliche Angriffe
abzuwehren.
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Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG ist eine Gefährdung glaubhaft zu machen, die sich bei
realistischer Betrachtung deutlich von derjenigen der Allgemeinheit abhebt, Opfer
entsprechender Delikte zu werden. Die persönliche Anschauung des Klägers ist dabei
nicht maßgeblich. Auch die bloße Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe, die im
Vergleich zu anderen Teilen der Bevölkerung potenziell stärker gefährdet ist, reicht nicht
aus. Anzulegen ist vielmehr ein objektiver Maßstab. Den subjektiven Befürchtungen
müssen gleichlautende gesicherte Erfahrungswerte entsprechen, nach denen der
Betroffene aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls tatsächlich wesentlich
mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung mit Schadensereignissen der behaupteten
Art rechnen muss.
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Kriminal-fachliche oder anderweitig fundierte Erkenntnisse darüber, dass Personen, die
wie der Kläger beruflich Diamanten transportieren, generell ein gegenüber der
Allgemeinheit herausgehobenes Ziel von persönlichen Überfällen sind, fehlen. Nach
der im Berufungsverfahren eingereichten Stellungnahme des LKA liegen beim BKA zu
der Thematik - auch wenn im Einzelfall Überfälle nicht ganz auszuschließen sind -
weder aus dem seit vielen Jahren eingerichteten Nachrichtenaustausch bei Waffen- und
Sprengstoffsachen noch aus dem nationalen/internationalen polizeilichen Dienstverkehr
Informationen vor, aus denen sich eine prinzipielle - gegenüber der Allgemeinheit -
auffällig höhere Gefährdung der mit Diamanten- und Schmucktransporten befassten
Berufsgruppen der Juweliere ableiten lässt. Die Auswertung der Polizeilichen
Kriminalstatistik durch das LKA führt auf nichts Weitergehendes. Sie belegt (nur), dass
Juweliergeschäfte relativ häufig von Raubüberfällen sowie sogenannten Blitz-
Einbruchdiebstählen (Einfahren/Einschlagen von Schaufenstern oder
Geschäftseingangstüren) betroffen sind (46 bzw. 75 Meldungen). Was Überfälle auf
Transporteure angeht, sind demgegenüber in den Jahren 2005 bis 2007 nur zehn
Vorfälle gemeldet worden. Sieben davon betrafen Vorfälle aus Nordrhein-Westfalen.
Der Schluss auf eine wesentliche Mehrgefährdung von Diamantenhändlern, die - wie
der Kläger - Diamanten selbst transportieren, lässt sich daraus nicht ziehen. Das
bedeutet allerdings nicht, dass die Transportwege für Diamantenhändler in jedem Falle
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unter Gefahrengesichtspunkten zu vernachlässigen sind. Entscheidend ist vielmehr, ob
im Einzelfall zusätzliche gefahrenerhöhende Momente relevant werden können. Solche
könnten sich im Falle des Klägers aus der angeführten Häufigkeit der Reisetätigkeit,
dem damit zusammenhängenden beträchtlichen Geschäftsvolumen sowie aus dem
hohen Wert der regelmäßig mitgeführten Ware ergeben, die sich zudem unauffällig
verstecken lässt und gut absetzbar sein dürfte. Dem Umstand, dass die betriebliche
Versicherung, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, bei
Verlusten beim Transport eine Eigenbeteiligung von 20 % vorsieht, lässt sich ebenfalls
als Indiz für eine verbleibende besondere Gefahrenlage anführen. Denn dem liegt
ersichtlich eine entsprechende Abschätzung seitens der Versicherung zum Verlustrisiko
zugrunde. Demgegenüber weist die Lage der Betriebsstätte selbst keine
Besonderheiten auf. Die Gefährdungsanalyse des Beklagten hat hierzu nichts an
Substanz ergeben. Dem hat der Kläger nichts Erhebliches entgegengesetzt.
Die Frage einer besonderen Gefahrenlage bedarf indes keiner weiteren Vertiefung.
Denn selbst wenn im Ausgangspunkt in Anknüpfung an die als möglich angeführten
gefahrerhöhenden Umstände eine besondere Gefahrenlage im Sinne des § 19 Abs. 1
Nr. 1 WaffG anzuerkennen wäre, ist dem Kläger das Führen einer Schusswaffe nicht zu
erlauben, auch nicht beschränkt auf Geschäftsreisen.
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Es fehlt jedenfalls an der Erforderlichkeit der bewaffneten Sicherung i.S.d. § 19 Abs. 1
Nr. 2 WaffG durch den Kläger. Es ist nicht glaubhaft, dass sich die vorgestellte
Gefahrenlage nur durch eine Bewaffnung des Klägers mit einer Schusswaffe abwenden
ließen und nicht bereits durch die ergriffenen Schutzvorkehrungen und
Vorsichtsmaßnahmen auf ein dem Kläger zumutbares Maß reduziert sind. Deshalb mag
auch dahinstehen, ob und in welchem Umfang es dem Kläger zudem zuzumuten wäre,
Dritte einzubinden und damit die für seine Person befürchteten Gefahrensituationen
jedenfalls anlassmäßig entscheidend zu verringern. Denn in Ansehung der
Vorsichtsmaßnahmen, die der Kläger aus Anlass von Geschäftsreisen ergreift, um nicht
als Träger von Wertgütern aufzufallen, verbleibt keine Gefahrenlage, die sich durch das
Führen einer Waffe entscheidend weiter reduzieren ließe; vielmehr ist dem Kläger das
verbleibende Risiko zuzumuten.
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Eine wesentliche Gefahrminimierung ergibt sich schon durch äußerst flexible
Betriebsabläufe, weil der Kläger nach eigenen Angaben im Wesentlichen auf Abruf
unterwegs ist. Dadurch ist es - wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat - für
Außenstehende schwerlich möglich nachzuhalten, wann er mit Diamanten und
Schmuck unterwegs ist, das gilt um so mehr als er die Diamanten nicht gesondert in
einem Koffer trägt. Gerade auch mit dem Ziel, nicht aufzufallen, verpackt er selbst
größere Mengen von Diamanten etwa in einem Briefumschlag, der Platz in der
Innentasche eines Jacketts findet. Das entspricht auch dem Bemühen und Interesse des
Klägers, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Selbst beim Verlassen des
Betriebsgeländes wird schwerlich auszumachen sein, ob der Kläger im Einzelfall
geschäftlich oder privat unterwegs ist, zumal sein Wohnhaus der Betriebsstätte
vorgelagert ist und er die Geschäftsreisen zu unterschiedlichsten Zeiten, z.T. auch
außerhalb der üblichen Geschäftszeiten antritt. Zudem nutzt der Kläger geschäftlich den
Pkw, den er auch privat nutzt. Auch für den weiteren Verlauf der Geschäftsfahrten ist der
Kläger, wie er eindrücklich in der mündlichen Verhandlung geschildert hat, bemüht,
bereits im Vorfeld von Fahrten sowie bei Fahrtunterbrechungen auf Auffälligkeiten zu
achten und dabei namentlich unübersichtliche Situationen, etwa im Parkhaus, zu
meiden. Zudem vermögen die von dem Beklagten angeregten weiteren Vorkehrungen,
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etwa am Geschäftsgebäude zur besseren Observation des Geschäftseingangsbereichs
oder am Fahrzeug zum Absetzen eines Notrufs, die Sicherheit weiter zu erhöhen. Zu
denken ist zusätzlich an die Vereinbarung engmaschiger Kontrollanrufe, bei deren
Unterbleiben vom Betrieb ein Notruf an die Polizei erfolgt. Auch hat sich der Kläger zum
Einsatz nicht erlaubnispflichtiger Waffen nicht geäußert. Ergänzende Indizwirkung ist in
diesem Zusammenhang dem Umstand beizumessen, dass die Versicherung - anders
als für den Umgang mit der versicherten Ware in der Betriebsstätte - keine
weitergehenden Anforderungen für den Transport stellt, sondern unter der bereits
erwähnten Eigenbeteiligung die Ware unabhängig davon versichert, ob der Kläger eine
Schusswaffe trägt oder nicht. Das Verlustrisiko wird für beide Szenarien also als
vergleichbar eingeschätzt.
Die Befürchtung, potenzielle Täter könnten gerade angesichts der beschriebenen
flexiblen Betriebsabläufe das Risiko eines Überfalls ohne genauere Vorstellung darüber
eingehen, ob der Kläger Diamanten bei sich trägt, bleibt spekulativ. Hier stellt sich
allenfalls die Frage eines Überfalles zum Zwecke der Erpressung. Dass Transporteure
von wertvollen Gütern, wie Diamanten, einem solchen Risiko ausgesetzt wären, - erst
recht in einem besonderes hohen Maße - liegt angesichts der vorstehend schon
angeführten Auskünfte von LKA und BKA allerdings fern. Damit verbleibt nurmehr die
Gefahr eines von der Berufstätigkeit des Klägers unabhängigen Raubüberfalles, wie ihn
jedermann treffen kann, der geschäftlich oder privat gelegentlich auch in den
Abendstunden oder über Nacht unterwegs ist. Dieses Risiko zu tragen ist dem Kläger
wie anderen Privatpersonen auch in Ansehung der besonderen Sicherheitsinteressen
der Allgemeinheit daran zuzumuten, dass möglichst wenig Waffen im Umlauf sind,
unbeschadet der für ihn im Konkreten gegebenenfalls in Rede stehenden finanziellen
Verluste.
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Im Übrigen fehlt es aber auch an der Eignung des Führens einer Waffe zur Abwehr der
von dem Kläger befürchteten Überfälle. Geeignet i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist das
Führen einer Waffe (nur), wenn in einer typischen Verteidigungssituation eine
erfolgreiche Abwehr zu erwarten ist. Der Angegriffene muss in der Lage sein, durch das
Tragen einer Schusswaffe die Gefahr zu verringern, der er bei einem Überfall
ausgesetzt ist. Das richtet sich in erster Linie nach den insoweit ins Auge zu fassenden
typischen Überfallszenarien. Die Frage ist, ob diese einen effektiven Einsatz der Waffe
überhaupt zulassen. Ausreichend ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Effektivität.
Mit der Eignung zusammen hängt zugleich die Frage nach den persönlichen
Möglichkeiten des Betroffenen im Umgang mit der Waffe. Denn eine erfolgreiche
Abwehr eines Angriffs ist dann nicht zu erwarten, wenn die gefährdete Person über die
zum verteidigungsgemäßen Gebrauch der Waffe notwendigen Kenntnisse und
Fähigkeiten nicht verfügt und sie deshalb die Waffe voraussichtlich nicht
gefahrvermindernd einsetzen kann.
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Vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Mai 2007 - 7 A 11492/06 -, juris.
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Die Auswertung des LKA zu den Raubdelikten, bei denen Transporteure von Schmuck
Opfer von Raubüberfällen waren, belegt, dass letztlich typisiert Szenarien in Rede
stehen, in denen kaum Zeit verbleibt, eine Waffe zur Verteidigung einzusetzen, zumal
wenn der Betreffende die jeweiligen Transporte alleine durchführt. Das gilt für das
Abfangen mit dem Pkw an einer Ampel ebenso wie für den Fall der falschen
Polizeikontrolle. Auch bei dem angeführten Fall der Bestellung zu einem
Verkaufsgespräch, das in einer Bedrohung mit einer Waffe endete, wird man
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realitätsnah kein Szenario sehen können, in dem Raum für einen Waffeneinsatz
verblieben wäre. Für den Einsatz von Tränengas vor dem Juwelierladen, den Tritt ins
Gesicht beim Öffnen der Türen nach Klingeln an der Wohnungstür gilt Entsprechendes.
Einzig bei der Bedrohung mit einem Schraubendreher ließe sich vorstellen, dass - je
nach Aufenthaltsort des Überfallenen - Handlungsspielraum verblieb.
Der Kläger hat dem nichts an Substanz entgegengesetzt, was auf eine andere
Bewertung führt. In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, welche typischen
Überfallsituationen er sich vorstellt und wie er im Konkreten seine Abwehrmöglichkeiten
vermittels des Einsatzes der Schusswaffe einschätzt, blieben seine Erklärungen eher
vage. Im Grunde sucht der Kläger (nur) sein subjektives Sicherheitsgefühl bei der
Durchführung von Geschäftsreisen zu erhöhen. Die von ihm in diesem Zusammenhang
weiter angestellten Überlegungen zu einer generalpräventiven Wirksamkeit der Waffe
überzeugen nicht. Denn wenn der Kläger - aus naheliegenden Gründen - um Diskretion
bemüht ist, und zwar gerade auch während der Geschäftsreisen, bleibt unklar, wie
potenzielle Täter von seiner Bewaffnung überhaupt Kenntnis erlangen sollten. Im
Übrigen wäre, ginge es dem Kläger um Generalprävention, nicht einzusehen, dass er
andererseits die Inanspruchnahme Dritter bei der Sicherung der Transporte u. a. auch
zur Vermeidung von Auffälligkeiten ablehnt. Im Übrigen stehen in erster Linie geplante
Übergriffe in Rede und - wie nicht zuletzt die Auswertung der Kriminalstatistik durch das
LKA zeigt - solche, die mit hohem Gewalteinsatz erfolgen. Eine nennenswerte
Reduzierung der Überfallwahrscheinlichkeit ist davon ausgehend selbst bei
Bekanntwerden der Bewaffnung des Klägers nicht zu erwarten. Näher liegt vielmehr
eine Intensivierung der Gefährdungslage insoweit, als sich die Täter auf die Bewaffnung
des Klägers einstellen werden.
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Die vom Verwaltungsgericht angeführte Aussage der Jahresstatistiken von BKA und
LKA, dass nur eine relativ geringer Anteil der Raubdelikte, eine Bedrohung mit einer
Schusswaffe einschloss, trägt nicht den Schluss, dass in den anderen Fällen der
Einsatz einer Schusswaffe zur Verteidigung ernsthaft in Betracht zu ziehen wäre. Die
vorliegende Auswertung des LKA aus März 2008 belegt vielmehr, dass - schon mit Blick
auf das Überraschungsmoment - auch in den Fällen, in denen die Täter nicht mit einer
Schusswaffe drohen, typischerweise ein entsprechendes Reagieren kaum vorstellbar
bleibt, zumal wenn der Betreffende ohne Begleitung unterwegs ist. Zudem verbleibt für
die Fälle ohne Schusswaffeneinsatz bei vorgestellter Reaktionsmöglichkeit die Frage
der Erforderlichkeit einer eigenen Bewaffnung mit einer Schusswaffe. Warum in diesen
Fällen eine Bewaffnung mit einer Gaspistole, Reizgas und/oder Schlagstock nicht
ausreichen sollte, wird auch vom Kläger nicht weiter erläutert.
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Nur ergänzend sei noch angemerkt, dass der Kläger schließlich nicht glaubhaft gemacht
hat, dass er über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zum effektiven Einsatz
einer Waffe in den vorgestellten typischen Verteidigungssituationen verfügt. Seine
Aktivitäten als Sportschütze reichen nicht aus. Die für den Kläger vorzustellende
typische Angriffssituation unterscheidet sich nachhaltig von derjenigen beim sportlichen
Schießen, selbst in besonderen Wettkampfsituationen. Denn wie die vom LKA
ausgewerteten Vorfälle belegen, sind die bei realitätsnaher Betrachtung vorstellbaren
Szenarien typischerweise gerade dadurch gekennzeichnet, dass allenfalls ein nur
geringer Spielraum für den Einsatz einer Schusswaffe verbleibt, insbesondere kaum
Zeit. Zudem stehen gravierende stressbedingte körperliche Einschränkungen zu
erwarten, wie etwa die Einengung des Gesichtsfeldes und eine extreme Erhöhung von
Herz- und Pulsschlag; auch bedarf es ungewohnter Bewegungsabläufe, um die Waffe
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zu ziehen. Das alles erfordert ein Höchstmaß an Geschicklichkeit und Umsicht in der
jeweils gegebenen Situation, um insbesondere eine Eskalation von Gewalt und eine
Gefährdung womöglich weiterer - unschuldiger - Personen zu vermeiden. Maßgeblich
ist die sachgerechte Bewältigung unvorhersehbarer Krisensituationen. Wie
Polizeihauptkommissar E1. vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung
nachvollziehbar erläutert hat, lassen sich die erforderlichen Fertigkeiten nur über eine
entsprechend ausgerichtete praktische Schulung und regelmäßige Übungen erlangen.
Theoretisches Wissen oder Schießen auf bewegliche Ziele reichen dazu nicht aus.
Demgegenüber hat der Kläger nach eigenen Angaben bisher nur einen Lehrgang
absolviert, bei dem, was das Verteidigungsschießen angeht, allenfalls theoretische
Kenntnisse vermittelt worden sind. Das erstinstanzlich unterbreitete Angebot des
Beklagten, ihm eine Ausnahmegenehmigung nach § 23 Abs. 2 AWaffV zur Teilnahme
an einem Lehrgang im Verteidigungsschießen i.S.d. § 22 AWaffV zu erteilen, hat der
Kläger nicht wahrgenommen. Die eingewandten ethischen Bedenken bleiben, zumal
nicht weiter spezifiziert, nicht nachvollziehbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO ; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die
Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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