Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.12.2008

OVG NRW: arzneimittel, heilmittel, leistungsfähigkeit, erhaltung, wechsel, begriff, belastung, anwendungsbereich, anpassung, eng

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 4726/06
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 4726/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 1922/03
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 6. November 2006 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 50.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im Rahmen der
Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, das Bundesinstitut
für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) habe zu Recht auf der Grundlage von §
29 Abs. 3 Satz 2 AMG die Neuzulassungspflicht für das streitbefangene Arzneimittel
festgestellt. Das Anwendungsgebiet des Arzneimittels sei in Anpassung an die
Aufbereitungsmonographie für Johanniskraut von „Zur Harmonisierung der Gemütslage,
zur Erhaltung und Förderung der geistigen Leistungsfähigkeit" in „Psychovegetative
Störungen, depressive Verstimmungszustände, Angst und/oder nervöse Unruhe"
geändert worden, womit der bisherige Anwendungsbereich des Arzneimittels verlassen
worden sei. Es liege eine Änderung von einem Nicht-Heilmittel zu einem Heilmittel vor.
Mit der am 11. Februar 1997 eingegangenen Änderungsanzeige sei das Arzneimittel
erneut unzulässig geändert worden. Die Änderung des Anwendungsgebiets („Zur
Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung") habe die Wandlung von einem
Heilmittel zu einem Nicht-Heilmittel zur Folge gehabt.
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Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen
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Urteils geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und trägt vor, die Änderungen der
Anwendungsgebiete seien zulässig gewesen, weil sie denselben Krankheitswert und
dasselbe Patientenkollektiv beträfen. Diese Auffassung ist indes unzutreffend.
Der Senat hat bereits entschieden, dass das BfArM auf der Grundlage des § 29 Abs. 3
Satz 2 AMG einen Bescheid erlassen darf, der die Erforderlichkeit der Neuzulassung für
ein Arzneimittel feststellt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 13 A 1707/05 -, Arzneimittel & Recht
2008, 238.
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Das BfArM war daher befugt, die von der Klägerin angegriffene Feststellung in Gestalt
eines Verwaltungsakts gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 AMG zu treffen.
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Die Entscheidung des BfArM begegnet auch inhaltlich keinen Bedenken. Die
Zulässigkeit der unter dem 25. Juli 1990 erfolgten Änderung des Anwendungsgebiets
beurteilt sich nach dem im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige geltenden Recht.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai 2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692 und - 3 C
15.07 -, Arzneimittel & Recht 2008, 184; OVG NRW, Beschluss vom 27. August 2008 -
13 A 4034/05 -, juris.
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Prüfungsmaßstab ist mithin Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMG in der Fassung vom 11.
April 1990 (BGBl. S. 717). Nach dieser Bestimmung durfte ein Fertigarzneimittel im
Nachzulassungsverfahren bis zur erstmaligen Verlängerung der Zulassung abweichend
von § 29 Abs. 3 AMG mit geänderter Art oder Menge der arzneilich wirksamen
Bestandteile ohne Erhöhung ihrer Anzahl innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs
und der gleichen Therapierichtung in den Verkehr gebracht werden, wenn das
Arzneimittel insgesamt einem nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG bekannt gemachten
Ergebnis oder einem vom (damaligen) Bundesgesundheitsamt vorgelegten Muster für
ein Arzneimittel angepasst und das Arzneimittel durch die Anpassung nicht
verschreibungspflichtig geworden ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die
Änderung des Anwendungsgebiets von „Zur Harmonisierung der Gemütslage, zur
Erhaltung und Förderung der geistigen Leistungsfähigkeit" in „Psychovegetative
Störungen, depressive Verstimmungszustände, Angst und/oder nervöse Unruhe" als
Verlassen des bisherigen Anwendungsbereichs des Arzneimittels gewertet.
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Der Begriff „Anwendungsbereich" ist von dem Begriff des „Anwendungsgebiets" zu
trennen; dies ergibt sich aus § 36 Abs. 1 Satz 2 AMG. Der Begriff des
„Anwendungsbereichs" muss eng verstanden werden, weil der Gesetzgeber ihn in einer
Vorschrift verwendet, die ausnahmsweise von einer nach § 29 Abs. 3 AMG für
notwendig erachteten neuen Zulassung entbindet. Das gebietet ein Verständnis des
Begriffs in der Weise, dass er zwar auch, aber eben nur, diejenigen Fälle erfasst, in
denen die Anwendungsgebiete des ursprünglichen und des geänderten Arzneimittels
sich nicht wesentlich unterscheiden, zumindest aber nahe verwandt sind. Dies ist dann
der Fall, wenn die gewählten Indikationsangaben mit den bisherigen
Indikationsangaben nahe verwandt sind und das Arzneimittel im Wesentlichen der
Behandlung der gleichen Grunderkrankung dient, so dass gewissermaßen der gleiche
Patient behandelt wird.
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Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 20. September 2001 - 5 B 15.99 -, Pharma Recht 2002, 47;
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OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 13 A 744/06 -, juris sowie Beschluss vom 20.
November 2008 - 13 A 3567/06 - mit Ausführungen zur legislativen Entwicklung von §
29 Abs. 2a und Abs. 3 AMG.
Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM, der Wechsel von einem
Nicht- Heilmittel zu einem Heilmittel stelle ein unzulässiges Verlassen des
Anwendungsbereichs dar, als richtig. Das Arzneimittel war in seiner 1978 angezeigten
und mit dem sog. Kurzantrag vom 14. November 1989 geänderten
Indikationsformulierung ausschließlich der Erhaltung und Förderung geistiger
Leistungsfähigkeit und der allgemeinen Harmonisierung der Gemütslage zu dienen
bestimmt. Auf Grund der Änderungsanzeige vom 25. Juli 1990 wandelte es sich zu
einem Arzneimittel gegen krankheitswerte Zustände. Verbunden ist hiermit ein Wechsel
des Anwenderkreises. Die nunmehr in Anspruch genommenen Anwendungsgebiete
setzen auch ein diagnostizierbares Krankheitsbild voraus, während die Harmonisierung
der Gemütslage oder Erhaltung und Förderung der geistigen Leistungsfähigkeit einen
weit größeren Anwenderkreis umfassen oder ggf. einen anderen Anwenderkreis
betreffen. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die am 11. Februar 1997
eingegangene Änderungsanzeige, die den Wechsel von einem Heilmittel zu einem
Nicht-Heilmittel bewirkt hat, da die Indikation nunmehr „Zur Besserung des Befindens
bei nervlicher Belastung" lautet. Die Anwendungsgebiete unterscheiden sich
grundlegend.
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Zum Wechsel eines Vorbeugemittels zu einem Mittel mit „krankheitswertiger Indikation"
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2008 - 13 A 3567/06 -.
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Im Übrigen kann der Senat zur Vermeidung nicht notwendiger Wiederholungen auf die
zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verweisen.
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Die Klägerin hat auch nicht schlüssig dargetan, dass die Rechtssache besondere
tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO)
oder grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG. Den festgesetzten Betrag von 50.000,--
Euro legt der Senat inzwischen in Verfahren der Zulassung eines Arzneimittels
pauschalierend zugrunde, wenn nicht ein Jahresreingewinn in anderer Höhe
nachvollziehbar dargelegt wird. Von einer Änderung des erstinstanzlichen Streitwerts
wird abgesehen, weil der festgesetzte Streitwert im Ergebnis der seinerzeitigen
Rechtsprechung auch der des Senats entspricht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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