Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.06.2008

OVG NRW: altersgrenze, beförderung, sperrfrist, erlass, ausschluss, billigkeit, beamter, genehmigung, datum, ausnahme

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 466/08
Datum:
23.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 466/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 91/08
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, eine der gegenwärtig dem Polizeipräsidium E. zugewiesenen
Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 11 BBesO mit dem
Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden
worden ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Antragsteller eine Untersagung der
Stellenbesetzung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Beförderung
begehrt. Für eine über den Zeitpunkt der Neubescheidung hinausgehende zeitliche
Begrenzung der einstweiligen Anordnung fehlt es an einem Anordnungsgrund.
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Im Übrigen ist die Beschwerde begründet. Der Antragsgegner hat den Antragsteller zu
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Unrecht vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. Er ist fälschlich davon ausgegangen,
dass einer Beförderung des Antragstellers die Vorschrift des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol
entgegensteht.
Für den Antragsteller ergibt sich die gesetzliche Altersgrenze für den Eintritt in den
Ruhestand aus § 192 Abs. 3 LBG NRW. Danach verringert sich die für ihn durch die
Übergangsregelung des Art. 7 § 5 Abs. 3 des Zehnten Gesetzes zur Änderung
dienstrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2003 (GV NRW S. 814) modifizierte
Altersgrenze nach § 192 Abs. 1 LBG NRW um ein Jahr, weil er fünfundzwanzig
Dienstjahre im Wechselschichtdienst abgeleistet hat. Es steht nicht zur Disposition des
Polizeibeamten, ob er diese abgesenkte Altersgrenze für sich in Anspruch nehmen will.
Vielmehr hat der Dienstherr die Regelung von Amts wegen zu beachten und auch ohne
entsprechenden Antrag des Polizeibeamten zu prüfen, ob ihre Voraussetzungen
vorliegen. § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ordnet die Verringerung der Altersgrenze für
die Gruppe von Polizeibeamten, die fünfundzwanzig Dienstjahre Wechselschichtdienst
absolviert haben, kraft Gesetzes an. Eines Vollzugsaktes des Dienstherrn, der von
einem Antrag des Beamten abhängen würde, bedarf es nicht. Liegen die erforderlichen
Zeiten im Wechselschichtdienst - wie bei dem Antragsteller - unstreitig vor, tritt der
Polizeibeamte bei Erreichen der sich aus § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ergebenden
Altersgrenze kraft Gesetzes in den Ruhestand. Der eindeutige Wortlaut dieser Regelung
lässt ein abweichendes Verständnis nicht zu, zumal der Gesetzgeber für andere Fälle,
in denen der Eintritt in den Ruhestand abweichend von § 192 Abs 1 LBG NRW erfolgen
kann (§ 192 Abs. 2 und 4 LBG NRW), das Antragserfordernis ausdrücklich vorgesehen
hat.
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§ 192 Abs. 3 Satz 3 LBG NRW, wonach der Polizeibeamte die Zeiten im
Wechselschichtdienst nachzuweisen hat, steht diesem Verständnis nicht entgegen. Die
Regelung besagt nur, dass der Beamte im Zweifel die Voraussetzungen für die in aller
Regel als begünstigend empfundene Verringerung der Lebensarbeitszeit nachweisen
muss. Führt er diesen Nachweis nicht, greift § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW nicht ein, so
dass die allgemeine Altersgrenze gilt. Der Gesetzgeber hat damit sichergestellt, dass
sich die Altersgrenze auch in Zweifelsfällen aus dem Gesetz ergibt.
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Dass der Antragsteller die nach § 192 Abs. 3 LBG NRW maßgebliche Altersgrenze für
den Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 30. September 2009 erreicht, rechtfertigt
gleichwohl nicht die Annahme des Antragsgegners, er dürfe mit Blick auf § 8 Abs. 7 Nr.
4 LVO Pol nicht mehr befördert werden. Ob eine Beförderung des Antragstellers wegen
der dort vorgesehenen Beförderungssperrfrist unzulässig ist, hängt nämlich davon ab,
ob der Antragsgegner dem von dem Antragsteller am 11. Dezember 2007 gestellten
Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit entspricht. In diesem Fall würde die
Beförderungssperrfrist erst mit Ablauf des 30. September 2008 beginnen.
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Wird der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des Polizeibeamten nach § 192 Abs. 2
LVO NRW hinausgeschoben, verlagert sich auch der Zeitpunkt, in dem die
Beförderungssperrfrist des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO einsetzt. Das ergibt sich schon aus der
Formulierung dieser Vorschrift, wonach es auf den "Eintritt in den Ruhestand wegen
Erreichens der Altersgrenze" ankommt. Das Eingreifen der Sperrfrist ist also von zwei
Voraussetzungen abhängig: dem Erreichen der Altersgrenze und dem (dadurch
bedingten) Eintritt in den Ruhestand. Allein das Erreichen der allgemeinen Altersgrenze
ist mithin folgenlos. Bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist deshalb für die
Berechnung der Sperrfrist auf den sich nach Maßgabe der Verlängerung ergebenden
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späteren Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand abzustellen. Ansonsten würde
außerdem der innere Zweck der nach § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol auf zwei Jahre
begrenzten Sperrfrist unterlaufen, denn nach der verordnungsrechtlichen Wertung soll
eine Beförderung nur dann unzulässig sein, wenn der Beamte nicht wenigstens zwei
Jahre in seinem Beförderungsamt tätig sein kann.
Der Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist für die Berechnung der für den
Antragsteller geltenden Beförderungssperrfrist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil
eine solche Verlängerung, wie der Antragsgegner meint, derzeit noch nicht gewährt
werden könnte. Die auf die Vorgaben im Erlass des Innenministeriums NRW vom 28.
Februar 2006 - 45.2 - 26.04.01 - R - gestützte Weigerung des Antragsgegners, bereits
jetzt über den Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu entscheiden, ist
rechtswidrig.
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Aufgrund der Regelung in dem vorgenannten Erlass, nach der dem Innenministerium
NRW Anträge erst sechs Monate vor Beginn des Ruhestandes zur Genehmigung
vorzulegen sind, spricht der Antragsgegner eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit
nicht vor diesem Zeitpunkt aus. Diese zeitliche Bindung mag im Allgemeinen nicht zu
beanstanden sein. Sie erweist sich jedoch in ihrer Ausnahmslosigkeit als rechtswidrig.
Sie lässt sich mit der den §§ 192 Abs. 2, 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol zugrunde liegenden
Wertung nicht uneingeschränkt in Einklang bringen, wonach die Beförderungssperrfrist
auch bei verlängerter Lebensarbeitszeit auf einen Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt
in den Ruhestand beschränkt sein soll. Die Verwaltungspraxis des Antragsgegners führt
im Einzelfall dazu, dass ein Beamter über einen wesentlich längeren Zeitraum faktisch
nicht befördert werden kann. Das zeigt der hier vorliegende Fall. Bis zur Entscheidung
über seinen Antrag auf ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand kann der
Antragsteller nicht befördert werden, weil der Antragsgegner ihm bis dahin die Sperrfrist
entgegenhält, die sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Altersgrenze nach § 192
Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ergibt. Sofern der Antragsgegner dem Antrag auf Verlängerung
der Lebensarbeitszeit sodann sechs Monate vor Eintritt des Antragstellers in den
Ruhestand entspricht, kommt für ihn eine Beförderung nicht mehr in Betracht, weil er
auch im Hinblick auf den danach für die Berechnung der Sperrfrist maßgeblichen
Zeitpunkt der Sperrfrist unterläge. Damit bliebe der Antragsteller über einen Zeitraum
von insgesamt drei Jahren von einer Beförderung ausgeschlossen.
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Nach alledem kann der Antragsgegner das Beförderungsbegehren des Antragstellers
derzeit nicht mit der Begründung ablehnen, dass er sich bereits in der
Beförderungssperrfrist befinde. Der darauf gestützte Ausschluss des Antragstellers aus
dem Auswahlverfahren ist rechtswidrig, sodass der Antragsgegner die streitige
Beförderungsstelle nicht besetzen darf, bis er über den Antrag des Antragstellers auf
Verlängerung der Lebensarbeitszeit und dessen Beförderung erneut entschieden hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3
VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen
Kosten selbst trägt, da er keinen Antrag gestellt und sich daher dem Risiko einer
Kostentragung nicht ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG,
wobei der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der
begehrten Entscheidung zu halbieren ist.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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