Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.11.2003

OVG NRW: grundstück, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, stand der technik, nicht störender gewerbebetrieb, lärm, anbau, wand, landwirtschaftlicher betrieb, gebäude, neue anlage

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 3663/99
Datum:
12.11.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 A 3663/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 8 K 6890/92
Tenor:
Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das
Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil teilweise geändert.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Beigeladenen zu 1. und 2.
unverzüglich nach Rechtskraft dieses Urteils aufzugeben, die dem
Grundstück der Klägerin Flurstück 48 zugewandte Wand der im Jahre
1982 errichteten Werkhalle soweit abzutragen, dass die
Mindestabstandfläche von 3 m gewahrt wird.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Beigeladenen zu 3. unverzüglich
nach Rechtskraft dieses Urteils die Nutzung der auf dem Grundstück der
Beigeladenen zu 1. und 2. errichteten Halle zu untersagen und den
Betrieb stillzulegen, so lange die Halle nicht entsprechend der
Baugenehmigung des Beklagten vom 18. September 2003/ 6. November
2003 zurück gebaut ist und die Auflagen der Baugenehmigung 12.2;
12.4; 12.5; 12.6; 13 Satz 1 erfüllt sind.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Klägerin,
der Beklagte und die Beigeladene zu 3. je zu einem Drittel. Die
Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin, der
Beklagte und die Beigeladenen zu 1. bis 3. - diese als Gesamtschuldner
- je zu einem Drittel. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die
Beteiligten in beiden Rechtszügen jeweils selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Miteigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks
Gemarkung T. , Flur 34, Flurstück 171 (I. straße 33) und der noch unbebauten Parzelle
48 in I. -T. . Nördlich an die Parzelle 171 und westlich an die Parzelle 48 grenzt das den
Beigeladenen zu 1. und 2. gehörende Flurstück 393, früher Flurstück 47 (Zum L. 4), auf
dem sich ebenfalls u.a. ein Wohnhaus befindet.
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Im Ortsteil T. herrscht überwiegend Wohnbebauung vor. Daneben befinden sich am
westlichen und östlichen Ortsrand landwirtschaftliche Betriebe. Im Ortskern gegenüber
dem Grundstück der Klägerin und gegenüber der Kirche liegt ein Hotel mit Gaststätte.
Auf dem Grundstück südlich neben dem Grundstück der Klägerin hält der Eigentümer
noch ca. 15 Schafe, außerdem Hühner und Gänse. Auf dem nördlich des Grundstücks
der Beigeladenen zu 1. und 2. gelegenen Grundstück betreibt ein Rentner u.a. im
Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses eine Reparaturwerkstatt für
Motorrad-Oldtimer. Im Ortskern nördlich der Kirche ist ein Busunternehmen angesiedelt.
Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Beigeladenen im Verfahren 8 K 4185/93 -
VG Köln - (Schriftsatz vom 29. Dezember 1998) befanden sich zu diesem Zeitpunkt im
Ortsteil T. weitere gewerbliche Nutzungen (Taxiunternehmen, Büro für Kommunikation,
eine kleine Schlosserei und eine Werkstatt für Auto- und Motorenreparaturen).
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Unter dem 1. Februar 1982 beantragte der Beigeladene den Anbau eines
Ausstellungsraumes. Aus dem beigefügten Lageplan ist ersichtlich, dass sich
nordöstlich des Wohnhauses Zum L. 4 bereits eine Werkstatt befand, die mit einem ca. 3
m schmalen und ca. 9 m langen als Stall bezeichneten Anbau fast bis an die Grenze
zum Flurstück 48 reichte. Nach den Bauunterlagen sollte der Stall abgerissen und durch
eine als "Werkstatt und Ausstellungsraum" bezeichnete ca. 75 m2 große Halle ersetzt
werden, die zum Grundstück der Klägerin einen Abstand von 3 m einhielt und deren
Keller als Lager dienen sollte. In der Betriebsbeschreibung ist u.a. angeführt, die
Schlosserwerkstatt sei ein Ein-Mann-Betrieb. Die erforderlichen Maschinen ständen
bereits in der jetzigen Werkstatt, würden jedoch zum Teil umgeräumt. Das
Bauplanungsamt des Beklagten erhob keine städtebaulichen Bedenken; nach dem
Gebietscharakter könne von einem MD-Gebiet ausgegangen werden. Das Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt C. erhob ebenfalls keine Bedenken. Mit Bauschein vom 13.
Oktober 1982 genehmigte der Beklagte das Vorhaben. Mit Bescheid vom 25. Juni 1985
- B 357/84 - genehmigte der Beklagte eine abweichende Bauausführung. Die Halle
sollte unter Wahrung des Grenzabstandes von 3 m zum Flurstück 48 nach Süden
vergrößert werden.
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Eine Erweiterung der Werkstatt und des Lagers für Kunstschmiede- und
Bauschlosserprodukte nach Norden hin genehmigte der Beklagte mit Bauschein vom 3.
Januar 1989 - B 87/88 -. Nach den Bauunterlagen war auch bei diesem Vorhaben ein
Abstand von 3 m zum Grundstück der Klägerin gewahrt. In der Betriebsbeschreibung
war das Vorhaben als "Werkstatt für Kunstschmiede- und Schlosserarbeiten"
bezeichnet. Als Maschinen wurden angeführt: Eisensäge, Brennmaschine,
Schutzgasschweißgerät, Esse und Werkzeugfräsmaschine. Die Zahl der Beschäftigten
war mit drei, die Betriebszeit an Werktagen mit 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr angegeben. In
5
einem Schreiben an das Gewerbeaufsichtsamt C. bezeichnete der Beklagte das Gebiet
nach der tatsächlichen Eigenart der Umgebung als WA-Gebiet, im Flächennutzungsplan
sei das Gebiet als W-Gebiet ausgewiesen. Eine Stellungnahme des
Gewerbeaufsichtsamts dazu befindet sich nicht in den Akten.
Bis Ende 1990 war der Beigeladene als Betriebsmeister in einem Feinmechanik-
Betrieb tätig, aus dessen Konkursmasse er u.a. eine Exzenterpresse zur Herstellung
von feinmechanischen Präzisionsteilen erwarb. Seit Februar 1991 wird der Betrieb in
Form einer GmbH - der Beigeladenen zu 3. - geführt. Mit Bescheid vom 19. November
1991 genehmigte der Beklagte dem Beigeladenen die Errichtung eines Büroraums.
Bereits im Juli 1991 hatte der Beigeladene die Baugenehmigung zur "Erweiterung der
Werkstatt für eine Exzenterpresse mit Brennmaschine" beantragt. Der dafür
vorgesehene Anbau an das bisherige Werkstattgebäude sollte nach Süden zum
Wohnhaus der Klägerin hin errichtet werden; der Grenzabstand des Anbaus zum
Flurstück 48 war nach den Bauunterlagen gewahrt. Als Standort für Brennmaschine und
Exzenterpresse war die südliche Gebäudewand angegeben. Das Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt C. erhob in seiner Stellungnahme vom 26. August 1991 aus der
Sicht des Immissionsschutzes erhebliche Bedenken gegen das geplante Bauvorhaben
in Bezug auf Lärmübertragungen zur Nachbarschaft. Es forderte ein schalltechnisches
Gutachten. In dem vom Beigeladenen daraufhin vorgelegten schalltechnischen
Gutachten der Ingenieure H. und Partner vom 20. September 1991 wird u.a. ausgeführt,
der Ein- bis Zwei-Mann-Betrieb beschäftige zur Aushilfe zeitweise bis zu vier Personen.
Die Betriebszeit gehe von 07.00 Uhr bis 19.00 Uhr, die Maschinen seien jeweils drei bis
vier Stunden in Betrieb. Innerhalb der Werkstatt seien die üblichen
Metallverarbeitungsmaschinen aufgestellt. Anders als die Brennschneidemaschine mit
Außenabsauganlage ist die Exzenterpresse im Gutachten nicht erwähnt. Das Gutachten
kommt zu dem Ergebnis, gegen die Baumaßnahme beständen aus
schallschutztechnischer Sicht keine Bedenken.
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Mit Schreiben vom 22./24. Oktober 1991 erhob das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt C.
gegen die Erteilung einer Baugenehmigung keine Bedenken, sofern zahlreiche im
Einzelnen aufgeführte Nebenbestimmungen aufgenommen würden. Die Zulässigkeit
des geplanten Bauvorhabens und die Erweiterung der Firma T. in einem allgemeinen
Wohngebiet sei weiterhin in Frage gestellt. Der Beklagte erteilte dem Beigeladenen die
Baugenehmigung unter Beifügung der vom Gewerbeaufsichtsamt geforderten Auflagen
mit Bescheid vom 27. November 1991.
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Nachdem ein Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 27. November 1991 in beiden
Instanzen Erfolg hatte (Senatsbeschluss vom 10. Juli 1992 - 7 B 2185/92 -), erteilte der
Beklagte der "Firma T. " mit Bescheid vom 10. November 1992 eine neue
Baugenehmigung für die "Erweiterung der Werkstatt und Nutzung des Betriebes als
Kunstschmiede und Bauschlosserei". Er machte ein schallschutztechnisches Gutachten
des TÜV Rheinland vom 15. Oktober 1992 zum Bestandteil der Baugenehmigung. Die
Baugenehmigung vom 27. November 1991 wurde - entsprechend einer
Verzichtserklärung des Beigeladenen - für gegenstandslos erklärt.
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Den gegen die Baugenehmigung vom 10. November 1992 eingelegten Widerspruch der
Klägerin wies der Oberkreisdirektor des S. -T. -Kreises durch Bescheid vom 11. Juni
1993 zurück.
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Auf die Klage der Klägerin hob das Verwaltungsgericht Köln durch rechtskräftig
gewordenes Urteil vom 18. Mai 1999 die Baugenehmigung und den
Widerspruchsbescheid auf (VG Köln - 8 K 4185/93 -).
10
Bereits während des Jahres 1992 hatte die Klägerin vom Beklagten wiederholt verlangt,
gegen die streitige Betriebserweiterung bauaufsichtlich einzuschreiten. Ferner hatte sie
darauf hingewiesen, dass die Grenzabstände abweichend von der Baugenehmigung
nicht eingehalten worden seien und auch insoweit ein Einschreiten gefordert. Am 10.
November 1992 hat die Klägerin die vorliegende (Untätigkeits- )Klage erhoben.
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In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gab das Verwaltungsgericht dem
Beklagten durch Beschluss vom 5. März 1993 auf, der Beigeladenen zu 3. die durch
Bauschein vom 10. November 1992 genehmigte Nutzung (Betriebserweiterung) bis zur
Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin zu untersagen.
Dem kam der Beklagte durch Ordnungsverfügung vom 23. April 1993 nach, indem er die
Nutzung des Anbaus, in dem sich die Exzenterpresse, die Brennschneidemaschine und
die Eisensäge befanden, bis zur Unanfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung über
den Widerspruch der Klägerin gegen die Betriebserweiterung untersagte.
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Während des Berufungsverfahrens erteilte der Beklagte dem Beigeladenen zunächst
unter dem 27. April 2000 eine nachträgliche Baugenehmigung für das Bauvorhaben
"Erweiterung eines Kunstschmiede- und Bauschlossereibetriebes durch einen Anbau,
Standortänderung der Bauvorhaben B357/84 und B 87/88". Diese Baugenehmigung
war Gegenstand des Verfahrens VG Köln 8 K 1473/01 und mit einer Ergänzung vom 21.
Mai 2003 des Berufungsverfahrens 7 A 4475/02. Nachdem der Beigeladene gegenüber
dem Beklagten auf die Rechte aus der Baugenehmigung vom 27. April 2000 verzichtet
hat, haben die Hauptbeteiligten das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt.
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Unter dem 18. September 2003 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine neue
Baugenehmigung für das Bauvorhaben "Errichtung einer Werkstatt, eines
Kunstschmiede- und Bauschlossereibetriebes", die u.a. folgende Auflagen enthält:
14
" 9) Außerhalb des Werkstattgebäudes dürfen keine Arbeiten ausgeführt werden. Die
Lagerungen von Materialien sowie das Be- und Entladen muss innerhalb des
Werkstattraumes erfolgen.
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12) Die von der Kunstschmiede und dem Schlossereibetrieb ausgehenden
Geräuschimmissionen dürfen den Immissionsrichtwert von 55 dB (A) tagsüber nicht
überschreiten. Hierzu sind folgende Maßnahmen durchzuführen:
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12.1 Die Excenterpresse darf innerhalb einer Kalenderwoche insgesamt nur 90 Minuten
betrieben werden. Dabei wird der Zeitrahmen des Betriebes der Excenterpresse auf
Montag bis Donnerstag 7.00 Uhr - 13.00 Uhr und Freitag 7.00 Uhr - 12.00 Uhr
beschränkt.
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12.2 Die Fenster im Gebiet der Südfassade sind zu schließen.
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12.3 Das Tor zur Halle ist während der Betriebszeiten des Betriebes von 7.00 Uhr -
18.00 Uhr an Werktagen geschlossen zu halten, die Ausnahme hiervon bilden die
notwendigen Be- und Entladungszeiten, die pro Werktag nicht mehr als 0,50 Stunden
betragen dürfen.
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12.4 Die Rohrleitung der Absaugung der Brennschneidemaschine ist unter der
Hallendecke im Innern zu verziehen und unter der Dachschräge bis kurz unter den First
zu führen.
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12.5 Der Kamin zur Absaugung ist auf dem Dach des bestehenden alten Hallenteils zu
positionieren. Die Kaminmündung der Ausblasöffnung ist in die Nord-West-Richtung zu
drehen.
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12.6 Die Geräuschentwicklung der Absauganlage ist durch den Einbau von
leistungsfähigen Schalldämpfern zu minimieren. Der Abblaspegel ist in den tiefen
Frequenzbereichen um mindestens 10 dB und in mittleren bis hohen
Frequenzbereichen um mindestens 20 dB zu dämpfen. Hierzu ist ein Schalldämpfer
entsprechend dem Angebot der Firma H. Schallschutztechnik S. -Q. -Straße 25 in L.
vom 27. August 1999 einzubauen.
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13) Zur Überwachung der Betriebszeiten der Excenterpresse ist eine Kontrolleinrichtung
der Firma Emil X. GmbH & Co. KG L. markt 14-16 in T. zwecks der
Laufzeitprotokollierung einzubauen. Die Berichte sind monatlich der
Bauaufsichtsbehörde der Stadt I. vorzulegen. "
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Nach dem zum Bauantrag gehörenden Lageplan hält das genehmigte Vorhaben einen
Abstand von 3 m zur Grenze zum Flurstück 48 ein. Den Rückbau der Wand zur
Beseitigung des Abstandverstoßes hat der Beklagte den Beigeladenen zu 1. und 2.
nicht aufgegeben. Die Baugenehmigung wurde unter dem 6. November 2003
geringfügig modifiziert.
24
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, der Betrieb der
Beigeladenen zu 3. sei ein Fremdkörper in der Umgebung und erweise sich als
unzulässig und rücksichtslos. Nach der Erweiterung der früher auf dem
Nachbargrundstück vorhandenen Werkstatt durch die Installation der Exzenterpresse
und der tonnenschweren Stanze sowie des äußerst lärmintensiven Gebläses sowie die
Aufnahme einer industriemäßigen Produktion beeinträchtige der Betrieb ihre
Wohnnutzung unzumutbar. Zudem seien zu ihren Lasten die nachbarschützenden
Abstandvorschriften verletzt worden.
25
Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht zuletzt beantragt,
26
den Beklagten zu verpflichten,
27
1. die industriemäßig betriebene Schlosserei der Beigeladenen zu 3. zu untersagen und
die Stilllegung dieses Betriebs zu verfügen,
28
2. den Abbruch der Wand des mit Bauschein vom 13. Oktober 1982 und 25. Juni 1985
genehmigten Ausstellungsraums gegenüber der gemeinsamen Grenze mit dem
Grundstück Gemarkung T. , Flur 34, Flurstück 48 zu verfügen.
29
Der Beklagte und die - vor dem Verwaltungsgericht allein beigeladene - Beigeladene zu
3. haben jeweils beantragt,
30
die Klage abzuweisen.
31
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat
das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
32
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung, zu deren Begründung die
Klägerin vorträgt:
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Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht die Klage hinsichtlich des Antrags zu 1. als
unzulässig abgewiesen, weil ihrem - der Klägerin - Begehren durch die
Ordnungsverfügung vom 23. April 1993 Rechnung getragen worden sei. Diese
Ordnungsverfügung beziehe sich nur auf die Nutzung des neuen, zu ihrem Grundstück
ausgerichteten Anbaus. Mit der vorliegenden Klage gehe es ihr um die generell
unzulässige industrielle Nutzung. Den Klageantrag zu 2. habe das Verwaltungsgericht
zu Unrecht als unzulässig mit der Begründung abgelehnt, sie habe keinen Antrag auf
Erlass einer Abbruchverfügung bei der Bauaufsichtsbehörde gestellt. Sie habe
mehrfach ein Einschreiten und die Beseitigung der den erforderlichen Grenzabstand
verletzenden Wand verlangt.
34
Auch die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen vom 27. April 2000 und vom
18. September 2003 seien rechtswidrig. Die Ergebnisse der den Baugenehmigungen
zugrunde liegenden Lärmmessungen seien unbrauchbar. Die Beigeladene zu 3. sei
offenbar immer sehr genau darüber unterrichtet, wann die Messungen stattfänden und
fahre ihren Betrieb entsprechend herunter. Die Lärmbelästigung sei zeitweise
unerträglich. Wie der Beklagte überprüfen wolle, dass die Maschinen nur 90 Minuten am
Tag liefen, sei ihr unerfindlich. Zudem habe der Lieferverkehr einen unerträglichen
Umfang angenommen. Die Nutzung der als "Werkstatt, Ausstellungsraum und Lager"
genehmigten Räume für die industrielle Produktion mit Hilfe eines erheblichen
Maschineneinsatzes widerspreche den Baugenehmigungen. Die Nutzung sei auch
nicht genehmigungsfähig, weil der Betrieb insgesamt planungsrechtlich unzulässig sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verpflichten,
37
1. den Schlossereibetrieb der Firma T. GmbH auf dem Grundstück Gemarkung T. , Flur
34, Flurstück 393 in I. zu untersagen und die Stilllegung des Betriebs zu verfügen,
38
2. den Abbruch der Wand des mit Bauschein vom 13. Oktober 1982 und 25. Juni 1985
genehmigten Ausstellungsraums gegenüber der gemeinsamen Grenze mit dem
Grundstück Gemarkung T. , Flur 34, Flurstück 48 zu verfügen.
39
Einen zunächst darüber hinaus gestellten Antrag,
40
den Beklagten zu verpflichten, die Nutzung der gewerblich genutzten Räume u.a. für die
industrielle Produktion zu untersagen und die Räume für diese Nutzung stillzulegen,
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hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2003 fallen gelassen.
42
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das Vorhaben der Beigeladenen zu 3. für bauplanungsrechtlich zulässig. Diese
betreibe keine industriemäßige Schlosserei, sondern einen Kunstschmiede- und
Bauschlossereibetrieb, der sich konkret als nicht störender Gewerbebetrieb auch in das
vorhandene allgemeine Wohngebiet einfüge. Die beiden vorhandenen von der
Dimension her für die Betriebsgröße untypischen Maschinen (Stanze und
Brennschneider) begründeten keine störende Eigenschaft des Betriebes.
Betriebsgrößenadäquate Maschinen wären ungleich teurer gewesen als der Erwerb
dieser Maschinen aus einer Konkursmasse. Diese nachvollziehbare Anschaffung habe
jedoch keine entsprechend intensive und störende Nutzung der Maschinen zur Folge.
Das ergebe sich nunmehr auch eindeutig aus der zeitlichen Begrenzung der Benutzung
der Exzenterpresse auf wenige Stunden zu konkret genannten Zeiten innerhalb der
Woche. Darüber hinaus seien durch bauliche Veränderungen am Schallschutz der
Brennschneidemaschine deren Emissionswerte weiter verringert worden. Das
Schallschutzgutachten des Instituts für Umweltschutz und Energietechnik vom 15.
Oktober 1992, ergänzt durch den Nachtrag vom 6. September 1999, lasse keinen
Zweifel daran, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräuschemissionen des
Schlossereibetriebs nicht hervorgerufen würden. Die Unterschreitung des
Grenzabstandes sei nach Auskunft der Beigeladenen das Ergebnis eines falsch
gesetzten Grenzsteines. Da das Grundstück der Klägerin (Flurstück 48) dem
Außenbereich zugeordnet sei, habe ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der
gesetzlich vorgeschriebenen Abstandfläche dem Interesse des Bauherrn an der
Aufrechterhaltung des baulichen Zustandes untergeordnet werden können.
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Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
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die Berufung zurückzuweisen.
47
Auch sie bestreiten eine industriemäßige Produktion, die schon durch die zeitliche
Begrenzung des Betriebs der Exzenterpresse ausgeschlossen sei. Ob die nähere
Umgebung ihres - der Beigeladenen zu 1. und 2. - Grundstücks als allgemeines
Wohngebiet zu beurteilen sei, könne letztlich offen bleiben, weil sich der Betrieb auch
dann in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge; jedenfalls sei das Gebot der
Rücksichtnahme im Verhältnis zur Klägerin nicht verletzt. Hinsichtlich des
Abstandverstoßes habe die Klägerin ihr nachbarliches Abwehrrecht verwirkt. Der
Baukörper sei bei Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung vom 25. Juni 1985 bereits
fertiggestellt worden. Die Klägerin habe sich erstmals 1992 auf den Abstandverstoß
berufen.
48
Einen in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2003 geschlossenen Vergleich
haben die Klägerin und die Beigeladenen widerrufen. Die Beigeladenen haben
mitgeteilt, sie hätten sich entschlossen, die Außenwand der Werkhalle in der Weise zu
versetzen, dass der erforderliche Abstand zum Grundstück der Klägerin eingehalten
werde.
49
Der Berichterstatter hat am 6. März 2003 die Örtlichkeit besichtigt. Auf die hierüber
gefertigte Niederschrift im Verfahren 7 A 4475/02 wird verwiesen.
50
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der
Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten 7 A 4475/02, 7 B 2185/92 (OVG NRW), 8 K
4185/93 und 13 L 2471/92 (VG Köln) sowie den Verwaltungsvorgängen des Beklagten;
51
hierauf wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
52
Soweit die Klägerin die Berufung nicht weiter verfolgt, war das Verfahren einzustellen.
Im Übrigen ist die zulässige Berufung zum Teil begründet. Hinsichtlich des Antrags zu 2.
hat die Klägerin einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten
gegen die Beigeladenen zu 1. und 2. Der Beklagte ist verpflichtet, den Beigeladenen zu
1. und 2. unverzüglich nach Rechtskraft dieses Urteils den Abbruch der Wand des
Ausstellungsraumes (das ist die 1982 errichtete Werkhalle), die zum Grundstück Flur 34,
Flurstück 48 hin ausgerichtet ist, aufzugeben.
53
Die Werkhalle auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1. und 2. verstößt und verstieß
seit ihrer Erstellung im Jahre 1982 - die abweichende Bauausführung wurde 1985
genehmigt - und Erweiterung 1989 nach Norden gegen nachbarschützende Vorschriften
des Bauordnungsrechts.
54
Die Werkhalle ist materiell rechtswidrig, denn sie hält auf einer Länge von über 19 m
unstreitig den gemäß § 6 Abs. 5 Satz 5 BauO NRW (= § 6 Abs. 5 Satz 3 BauO NW 1984;
vgl. §§ 7 und 8 BauO NW 1970) einzuhaltenden Mindestabstand von 3 m zur östlichen
Nachbargrenze nicht ein. Die Einhaltung des Mindestabstands ist nicht etwa deshalb
entbehrlich, weil das Grundstück der Klägerin, dem die abstandrechtlich unzulässige
Außenwand zugewandt ist, im Außenbereich liegt; das Abstandsrecht gilt auch im
Außenbereich. Die Werkhalle ist auch formell rechtswidrig, denn sie ist abweichend von
den genehmigten Bauvorlagen gebaut, nach denen ein Grenzabstand von 3 m
einzuhalten war.
55
Dem Begehren des Nachbarn auf Einschreiten hat die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig
nachzukommen. Das Entschließungsermessen der Behörde ist nämlich in aller Regel
auf Null reduziert, wenn die Baurechtswidrigkeit einer Anlage auch auf der Verletzung
von nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts beruht. In solchen Fällen
muss dem rechtswidrigen Zustand abgeholfen werden.
56
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juli 1994 - 4 B 129/94 -, BRS 56 Nr. 203 und vom 9.
Februar 2000 - 4 B 11.00 -, BRS 63 Nr. 210; Senatsbeschluss vom 21. März 1994 - 7 A
2354/93 - und Senatsurteil vom 13. Oktober 1999 - 7 A 998/99 -, NVwZ-RR 2000, 205.
57
Die Klägerin hat auch nicht ihr Recht verwirkt, ein behördliches Einschreiten zu
verlangen.
58
Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin ihr Recht, gegen den 1982
errichteten und 1989 erweiterten Bau wegen des zu geringen Grenzabstandes
vorzugehen, zunächst verwirkt hatte. Dafür kann sprechen, dass die Klägerin den
ursprünglich errichteten Baukörper jahrelang hingenommen hat und auch nicht gegen
die Erweiterung im Jahre 1989 vorgegangen ist. Darauf kommt es hier aber nicht an.
59
Die Klägerin war nämlich nicht gehindert, ein Einschreiten des Beklagten zu verlangen,
nachdem die Werkstatt über den bisherigen Umfang hinaus genutzt wurde und zudem
noch durch den mit Bauschein vom 27. November 1991 genehmigten Anbau erheblich
vergrößert wurde. Dass die Klägerin möglicherweise gegen den ursprünglichen
Baukörper nicht mehr vorgehen konnte, bedeutet nicht, dass sie diesen auch bei einer -
60
erneuten - Erweiterung und bei einer erweiterten Nutzung hinnehmen müsste. Bei einer
wesentlichen baulichen Änderung und bei einer Erweiterung der Nutzung stellt sich die
Genehmigungsfrage und damit auch die Frage des Bestehens nachbarlicher
Abwehrrechte neu.
Der sogenannte Anbau stellt eine Erweiterung der Werkhalle um fast ein Drittel dar. Die
Klägerin sieht sich nunmehr nicht mehr lediglich einem ca. 19 m langen nahe ihrer
Grenze befindlichen Baukörper gegenüber, sondern einem ca. 27 m langen Gebäude.
Der "Anbau" bildet mit dem bisherigen Gebäude rechtlich und optisch eine Einheit. Die
Bausubstanz ist durch die Erweiterung so erheblich geändert, dass das geänderte
Gebäude nicht mehr mit dem alten Gebäude identisch ist. In einem derartigen Fall wird
die Genehmigungsfrage für das geänderte Gebäude in all seinen Teilen, und zwar auch
hinsichtlich der Abstandvorschriften neu aufgeworfen.
61
Senatsbeschluss vom 20. August 1997 - 7 B 1704/97 -.
62
Auch die Erweiterung der bisherigen Nutzung im Jahre 1991 warf die
Genehmigungsfrage neu auf. Allein durch die Erweiterung des bisherigen
Maschinenparks um die Exzenterpresse haben sich der Charakter des Betriebes und
das Lärmgeschehen entscheidend geändert. Dies hat der Senat bereits im Beschluss
vom 10. Juli 1992 - 7 B 2185/92 - im Einzelnen dargelegt.
63
Stellt sich somit die Genehmigungsfrage neu, bedeutet dies, dass von einer Fortwirkung
einer etwaigen Verwirkung des Abwehrrechts der Klägerin gegen den Abstandsverstoß
keine Rede sein kann.
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Dem Recht der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten steht auch nicht eine
Gestattungsfähigkeit des Abstandsverstoßes entgegen, denn die Voraussetzungen für
eine derartige Gestattung liegen nicht vor.
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Nach § 6 Abs. 15 BauO NRW können bei Nutzungsänderungen sowie bei
geringfügigen baulichen Änderungen bestehender Gebäude ohne Veränderung von
Länge und Höhe der den Nachbargrenzen zugekehrten Wände unter Würdigung
nachbarlicher Belange geringere Tiefen der Abstandflächen gestattet werden, wenn
Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen. Hier fehlt es bereits an der
Voraussetzung der geringfügigen baulichen Änderung. Die Erweiterung eines
Baukörpers um fast ein Drittel ist nicht mehr geringfügig, sondern erheblich. Dabei spielt
es keine Rolle, dass der "Anbau" selber die Abstandfläche weitgehend einhält. Die
Außenwand des "Anbaus" bildet zusammen mit der des "Altbaus" bei natürlicher
Betrachtungsweise eine einheitliche Außenwand. Das Gesetz stellt nicht darauf ab, ob
die veränderte Länge der Wand für sich betrachtet die Abstandfläche einhält, sondern
schließt bei einer Veränderung der Länge und - hier nicht von Bedeutung - der Höhe der
den Nachbargrenzen zugekehrten Wände bereits eine "geringfügige bauliche
Änderung" aus. Das ist auch sachgerecht. Für den betroffenen Nachbarn kann es
durchaus einen erheblichen Unterschied bedeuten, ob er sich an seiner Grenze in
einem Bereich, der grundsätzlich von baulichen Anlagen frei zu halten ist, einem nur 19
m oder einem 27 m langen Baukörper gegenüber sieht. Darüber hinaus ermöglicht die
erhebliche Erweiterung des Gebäudes auch eine höhere Belastung mit den mit der
Nutzung verbundenen Immissionen, so dass sich der Abstandsverstoß intensiver als
bisher auswirkt.
66
Auch eine Abweichung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kommt nicht in Betracht.
Nach dieser Vorschrift kommt es maßgebend darauf an, ob ein Vorhaben "unter
Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar" ist.
Insoweit hat der Senat entschieden, dass im Fall eines eindeutigen Verstoßes gegen
materielle nachbarschützende Vorschriften des Abstandsrechts und dem dadurch
bedingten Eingriff in die materiell-rechtlich geschützte Rechtssphäre des Nachbarn die
Zulassung der Abweichung jedenfalls dann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt
ermessensgerecht ist, wenn gleichgewichtige öffentliche Belange nicht
entgegengehalten werden können. Die Belange des Bauherrn selbst scheiden insoweit
schon deshalb als Gegengewicht aus, weil der Gesetzgeber in dieser Hinsicht bereits
durch die die gegenläufigen Interessen benachbarter Grundeigentümer regelnden
Abstandvorschriften abschließende Festlegungen getroffen hat.
67
Vgl. Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2000 - 7 B 1746/00 - und Senatsurteil vom 29.
August 1997 - 7 A 629/95 -.
68
Derartige gleichgewichtige öffentliche Belange sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
69
Die Zulassung einer Abweichung kommt im Übrigen nur in Betracht, wenn eine
atypische Grundstückssituation vorliegt, die von dem Normalfall, der der gesetzlichen
Regelung der Abstandsflächen zugrunde liegt, in so deutlichem Maße abweicht, dass
die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm
nicht entsprechen. Die Abweichung ist kein Instrument zur Legalisierung ganz
gewöhnlicher Rechtsverletzungen.
70
Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, § 73
BauO NRW, Rdnr. 18.
71
Ene atypische Grundstückssituation ist hier nicht gegeben.
72
Die Klägerin kann wegen des Abstandflächenverstoßes auch den Rückbau der
rechtswidrig errichteten Wand verlangen.
73
Regelmäßig ist die Bauaufsichtsbehörde allerdings gehalten, den vollständigen Abriss
des die Abstandflächen nicht einhaltenden Gebäudes anzuordnen, sofern dieses weder
bautechnisch noch nach den Vorstellungen des Bauherrn teilbar ist.
74
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 1997 - 10 A 853/93 -, BRS 59 Nr. 209.
75
Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass es nicht Aufgabe der Bauaufsicht
ist, für den Bauherrn die Planung eines bauordnungsrechtlich beanstandungsfreien
Vorhabens zu übernehmen und dass dem Bauherrn auch nicht gegen seinen Willen
eine neue Anlage aufgedrängt werden darf. Es obliegt dem Bauherrn, den Rückbau des
Gebäudes auf ein rechtlich zulässiges und deshalb genehmigungsfähiges Maß als
Austauschmittel (§ 21 Satz 2 OBG NRW) anzubieten und die dafür erforderlichen
bautechnischen Unterlagen vorzulegen. Dies ist hier jedoch der Fall. Der Beigeladene
hat durch den von ihm vorgelegten Bauantrag vom 10. September 2003 deutlich
gemacht, dass der Rückbau des Gebäudes bautechnisch möglich, das Gebäude nach
seinen Vorstellungen insoweit teilbar ist und ein entsprechender Rückbau seinem
Willen gerecht wird.
76
Dem Anspruch der Klägerin auf Abriss der streitbefangenen Wand steht schließlich
auch nicht entgegen, dass der Beigeladene unter dem 10. September 2003 einen
Bauantrag eingereicht hat, der einen dem Abstandrecht genügenden Rückbau des
Gebäudes vorsieht und dass der Beklagte die entsprechende Baugenehmigung unter
dem 18. September 2003 erteilt hat. Die Baugenehmigung eröffnet dem Beigeladenen
lediglich die Möglichkeit, einen abstandrechtlich unbedenklichen Bau zu errichten,
verpflichtet ihn aber nicht dazu. Um die Rechte der Klägerin zu wahren, ist daher die
begehrte Verpflichtung vom Beklagten auszusprechen.
77
Hinsichtlich des Antrags zu 1. hat die Klägerin einen Anspruch auf Untersagung des
Betriebes der Schlosserei und die Stilllegung des Betriebes nur so lange, bis der
Abstandverstoß beseitigt ist und die Auflagen der Baugenehmigung vom 18. September
2003, die sich auf bautechnische Umgestaltungen des Betriebs beziehen, nämlich die
Auflagen 12.2; 12.4; 12.5; 12.6; 13 Satz 1 erfüllt sind.
78
Der Antrag der Klägerin ist weit gefasst. Sie begehrt ersichtlich nicht nur die
Untersagung und Stilllegung des Betriebes im Hinblick auf den Abstandverstoß,
sondern sie hält den Betrieb überhaupt für unzulässig. Insoweit hat ihr Begehren nur
zum Teil Erfolg.
79
So lange der Abstandverstoß nicht beseitigt ist und die genannten Auflagen der
Baugenehmigung nicht erfüllt sind, gehen von dem Betrieb der Beigeladenen zu 3.
Störungen aus, die die Klägerin nicht hinnehmen muss. Die Nichteinhaltung der in § 6
BauO NRW vorgeschriebenen Maße für die notwendigen Abstandflächen löst - wie
dargelegt - regelmäßig einen Abwehranspruch des betreffenden Nachbarn aus.
80
Vgl. auch Senatsbeschluss vom 10. Februar 1999 - 7 B 974/98 -, BRS 62 Nr. 123.
81
Die Nutzung eines ihn in seinen Rechten beeinträchtigenden materiell und formell
illegalen Gebäudes braucht ein Nachbar nicht hinzunehmen. So lange der Beigeladene
die Werkhalle nicht entsprechend der Baugenehmigung vom 18. September 2003
rückgebaut hat, ist der Beklagte verpflichtet, den Beigeladenen die Nutzung zu
untersagen und den Betrieb stillzulegen.
82
Der darüber hinaus gehende Anspruch der Klägerin ist nicht begründet.
83
Die Rüge der Klägerin, der Betrieb der Beigeladenen zu 3. füge sich seiner Art nach in
die bauplanungsrechtlich als allgemeines Wohngebiet zu beurteilende
Umgebungsbebauung nach § 34 Abs. 2 BauGB nicht ein, geht fehl. Der damit geltend
gemachte Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart, der über das
Rücksichtnahmegebot hinausgeht,
84
vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110,
85
steht der Klägerin nicht zu. Grundsätzlich wird ein solcher Abwehranspruch bereits
durch die Zulassung eines mit einer faktischen Gebietsausweisung im Sinne von § 34
Abs. 2 BauGB seiner Art nach unvereinbaren Vorhaben ausgelöst, weil hierdurch das
nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet
wird.
86
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O..
87
Das gilt auch, wenn das Vorhaben nicht genehmigt ist. Der Rechtsschutz des Nachbarn
kann nicht deswegen eingeschränkt sein, weil das Vorhaben ohne Genehmigung
errichtet worden ist.
88
Die Voraussetzungen des Gebietsgewährleistungsanspruchs sind vorliegend aber nicht
erfüllt. Die Eigenart der näheren Umgebung des Grundstücks der Klägerin und auch des
Grundstücks der Beigeladenen zu 1. und 2. entspricht nicht im Sinne von § 34 Abs. 2
BauGB einem der in der Baunutzungsverordnung angeführten Baugebiete.
89
Die nähere Umgebung wird dadurch ermittelt, dass in zwei Richtungen - nämlich in der
Richtung vom Vorhaben - das ist der Betrieb der Beigeladenen zu 3. - auf die
Umgebung sowie in Richtung von der Umgebung auf das Vorhaben - geprüft wird, wie
weit die jeweiligen Auswirkungen reichen. Dabei ist die Umgebung einmal insoweit zu
berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und
zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des
Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.
90
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 A 11.95 -, BRS 58 Nr. 84 und Beschluss vom
29. April 1997 - 4 B 67.97 -, BRS 59 Nr. 80.
91
Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten
Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil diese jeweils eine Prägung mit ganz
unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können.
92
Senatsurteil vom 7. November 1996 - 7 A 4820/95 - und Senatsbeschlüsse vom 20.
September 1999 - 7 B 1664/99 - und vom 8. Juli 2003 - 7 B 1134/03 - .
93
Bezüglich des im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Merkmals der Art der
baulichen Nutzung ist im Regelfall - und so auch hier - die nähere Umgebung weiter zu
bemessen als hinsichtlich der übrigen in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Merkmale.
94
Ausgehend hiervon ist in die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB hier
nicht nur die Bebauung einzubeziehen, die sich in einer entfernungsmäßig exakt
abgegrenzten Nachbarschaft etwa im Sinne eines 300 Meter Radius um das betroffene
Grundstück herum befindet, sondern die gesamte Umgebungsbebauung in der Ortslage
T. , soweit sie noch den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt. Hierfür ist
ausschlaggebend, dass das Grundstück der Beigeladenen zu 1. und 2. - wie auch das
der Klägerin - praktisch im Zentrum der Ortslage T. liegt, die sich von diesem Zentrum
aus gleichsam sternförmig entlang der aus dem Ort herausführenden Straßen ausbreitet.
Diese eher fingerartig in den Außenbereich hineinführende Bebauung endet zwar in
unterschiedlichen Abständen von den zentral gelegenen Grundstücken der Klägerin
und der Beigeladenen zu 1. und 2., nämlich zwischen 300 und rd. 400 m, lässt aber
keine städtebaulich relevanten Kriterien erkennen, die einer mitprägenden Wirkung
auch der äußeren Spitzen der in den Außenbereich hineinführenden Finger
entgegenstehen. Dies gilt um so mehr, als gerade dort verschiedene wohnfremde
Nutzungen (ökologischer Landhandel, Landwirtschaft) angesiedelt sind, die - nicht
zuletzt auch wegen des zentral im Ort verknüpften Straßennetzes - die
bebauungsrechtliche Situation auch des Ortszentrums jedenfalls noch mitprägen.
95
Die im oben genannten Bereich vorhandenen Nutzungen lassen eine Einordnung des
96
Gebiets weder als faktisches allgemeines Wohngebiet noch als faktisches Dorfgebiet
zu; die Annahme eines faktischen Mischgebiets scheitert schon daran, dass
gewerbliche Nutzung und Wohnnutzung nicht annähernd qualitativ und quantitativ
gleich vorhanden sind. Bei der Ortslage T. handelt es sich um einen diffusen
Innenbereich.
Allerdings überwiegt die Wohnbebauung deutlich die übrigen Nutzungen. Jedoch finden
sich nach den dem Senat vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung vom 18.
Juni 2003 erörterten Unterlagen, wenn auch am Rande des
Bebauungszusammenhangs gelegen, zwei landwirtschaftliche Nutzungen, nämlich der
Hof L. sowie der Betrieb Dr. I. , von der Klägerin in einem früheren Verfahren als Bio-
Landwirt bezeichnet. Diese Betriebe sind in einem allgemeinen Wohngebiet auch nicht
ausnahmsweise zulässig. Daneben befindet sich im Ortskern das Hotel mit Gaststätte,
das allerdings möglicherweise gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO noch ausnahmsweise
in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig ist,
97
vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juli 2003 - 7 B 785/03 -,
98
aber auch das Bus- und Reiseunternehmen L. . Dieser Betrieb mit u.a. mehreren
Reisebussen ist nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts
99
vgl. Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 1.02 -, BauR 2002, 1497
100
in einem allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträglich. Zwar können nach § 4 Abs. 3
Nr. 2 BauNVO sonstige nicht störende Gewerbegebiete ausnahmsweise zulässig sein,
sie dürfen aber den Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets nicht gefährden.
Ein Busunternehmen der hier in Rede stehenden Größenordnung mit mehreren
Reisebussen wirkt aufgrund seiner typischen Nutzungsweise in einem allgemeinen
Wohngebiet störend. Typischerweise führt ein derartiges Busunternehmen vormittags
Schülertransporte durch. Daneben werden die Busse für Tagestouren ("Kaffeefahrten")
und auch für längere Reisen eingesetzt. Ob und in welchem Umfang das gegenwärtig
der Fall ist, braucht der Senat nicht aufzuklären. Es kommt - gerade weil sich die
Verhältnisse insoweit häufig ändern können - auf das typische Betätigungsfeld eines
Busunternehmens an. Der damit verbundene Verkehr und die damit verbundenen
Immissionen sind mit dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets, das ein
ungestörtes Wohnen gewährleisten soll,
101
vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2002, a.a.O.,
102
nicht vereinbar. Ob die Reparaturwerkstatt für Motorad-Oldtimer, die sicher nicht ein der
Versorgung des Gebiets dienender Handwerksbetrieb ist, gebietsverträglich in einem
allgemeinen Wohngebiet ist, kann danach offen bleiben.
103
Die oben dargelegte nähere Umgebung stellt aber auch kein faktisches Dorfgebiet dar.
Dorfgebiete dienen nach § 5 Abs. 1 BauNVO der Unterbringung der Wirtschaftsstellen
land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht
wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des
Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Auf die Belange der land- und
forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist
vorrangig Rücksicht zu nehmen. Hier ist zu berücksichtigen, dass im Ortskern selbst
104
kein landwirtschaftlicher Betrieb mehr vorhanden ist. Die beiden
berücksichtigungsfähigen Betriebe befinden sich am äußersten Rand des
Bebauungszusammenhangs. Sie prägen daher den Charakter des Gebiets zwar noch
mit, vermögen ihm wegen ihrer vereinzelten peripheren Lage jedoch nicht mehr das für
ein Dorfgebiet maßgebliche erhebliche Gewicht landwirtschaftlicher Nutzung zu
vermitteln.
Vgl. zum wenig bedeutsamen Einfluss eine Nutzung in peripherer Lage auf den
Gebietscharakter: BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 67.78 -, BRS 40 Nr. 56 und
OVG NRW, Urteil vom 6. Februar 2003 - 10 A 3666/99 -.
105
Von einer einheitlichen dörflichen Nutzungsstruktur, nämlich einer Prägung der Ortslage
durch ein Nebeneinander von Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe und umliegend
errichteter Wohnhäuser kann keine Rede sein.
106
Entspricht demnach die Eigenart der näheren Umgebung keinem der in der
Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete, sondern handelt es sich um einen
diffusen Innenbereich, kommt es nur darauf an, ob der Betrieb der Beigeladenen zu 3.
das im Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene
107
vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 - 4 C 34.85 -, BRS 46 Nr. 176.
108
und allein nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Ob sich der streitige
Betrieb im Übrigen in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist unerheblich, weil
insoweit Rechte der Klägerin nicht berührt sein können.
109
Vorliegend wendet sich die Klägerin nur gegen die von dem Betrieb der Beigeladenen
zu 3. ausgehenden Lärmimmissionen. Nach welchen Maßstäben in einem solchen Fall
eine Rücksichtslosigkeit anzunehmen ist, beurteilt sich nach den Regelungen des
Immissionsschutzrechts.
110
Insoweit ist seit langem höchstrichterlich geklärt, dass eine Anlage, deren Immissionen
sich in den Grenzen des der Nachbarschaft gemäß § 5 Nr. 1 BImSchG Zumutbaren
halten, auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht rücksichtslos ist. Es gibt kein
bauplanungsrechtliches Rücksichtnahmegebot, das etwa dem Verursacher von
Umwelteinwirkungen mehr an Rücksichtnahme zu Gunsten von Nachbarn gebieten
würde, als es das BImSchG gebietet. Dieses Gesetz hat vielmehr die Grenze der
Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen
Rücksichtnahme auch für das Baurecht allgemein bestimmt.
111
Vgl.: BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 - 4 C 74.78 - BRS 40 Nr. 206 (S. 453); vgl.
auch: BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 - 4 C 5.98 - BRS 60 Nr. 83 (S. 318) und
Urteil vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 - BRS 62 Nr. 86 (S. 408).
112
Die Unzumutbarkeit im Sinne des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots
knüpft damit an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs.
1 BImSchG an. Hierbei handelt es sich um Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder
Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für
die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
113
Für die Beurteilung, ob Lärmimmissionen, die - wie hier - von einer gewerblichen
114
Anlage ausgehen, im angeführten Sinne Gefahren, erhebliche Nachteile oder
erhebliche Belästigungen bewirken, ist die Technische Anleitung zum Schutz gegen
Lärm einschlägig. Diese Technische Anleitung in ihrer nunmehr maßgeblichen Fassung
vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503) - TA Lärm - ist gemäß § 48 BImSchG nach
Anhörung der beteiligten Kreise als Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum
BImSchG erlassen worden. Sie dient nach ihrer Nr. 1. dem Schutz der Allgemeinheit
und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und
misst sich - mit bestimmten, hier nicht interessierenden Ausnahmen - Geltung für alle
Anlagen bei, die den Anforderungen des Zweiten Teils des BImSchG unterliegen,
unabhängig davon, ob die Anlagen einer Genehmigung nach dem BImSchG bedürfen
oder nicht. Sie erfasst damit auch die hier in Rede stehende Schlosserei, die keiner
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt.
Für solche Anlagen beansprucht die TA Lärm nunmehr Geltung insbesondere bei der
Prüfung der Einhaltung des § 22 BImSchG im Rahmen der Prüfung von Bauanträgen in
Baugenehmigungsverfahren; mithin auch für die Fälle, in denen bei der
bauaufsichtlichen Genehmigung solcher Anlagen zu prüfen ist, ob bei der Errichtung
und dem Betrieb solcher Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden,
die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Bei nicht genehmigten Anlagen kann
kein geringer Maßstab gelten.
115
Ob die gemäß § 48 BImSchG erlassene TA Lärm angesichts dieses
Anwendungsbereichs als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift
116
so OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - 21 A 2723/01 -; zur Wertung der TA
Luft als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift vgl. etwa: BVerwG, Beschluss vom
15. Februar 1988 - 7 B 219.87 - NVwZ 1988, 824; Beschluss vom 21. März - 7 B 164.95
- NVwZ-RR 1996, 498; Urteil vom 20. Dezember 1999 - 7 C 15.98 - NVwZ 2000, 440;
Urteil vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 - NVwZ 2001, 1165 -
117
anzusehen ist, kann hier letztlich dahinstehen. Selbst wenn man sie nicht im genannten
Sinne als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift wertet, kann sie mit den in ihr
enthaltenen Erkenntnissen und Grundlagen jedenfalls als fachlicher Anhalt für die
Beurteilung herangezogen werden, ob die von gewerblichen Anlagen der hier in Rede
stehenden Art ausgehenden Geräuschimmissionen als schädliche Umwelteinwirkungen
im dargelegten Sinne zu werten sind.
118
Vgl.: OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 - 7 A 2127/00 -, NWVBl 2003, 176 =
BauR 2003, 517.
119
Nach Nr. 3.2.1 Abs. 1 TA-Lärm ist der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen
durch Geräusche (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) sichergestellt, wenn die Gesamtbelastung
am maßgeblichen Immissionsort die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 nicht überschreitet.
In Nr. 6 der TA-Lärm sind die Immissionsrichtwerte für Immissionsorte in den
verschiedenen Gebieten gemäß Baunutzungsverordnung angeführt. Welche
Geräuschimmissionen von Nachbarn noch hinzunehmen sind, richtet sich demnach
nach der Gebietsart. Die TA-Lärm setzt keinen Immissionsrichtwert für den diffusen
Innenbereich fest. In Übereinstimmung mit dem Beklagten geht der Senat davon aus,
dass im Hinblick auf die den Betrieb der Beigeladenen zu 3. umgebende
Wohnbebauung,
120
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2003 - 22 B 609/03 -,
121
die Immissionsrichtwerte für allgemeine Wohngebiete - tags 55 dB (A), nachts 40 dB (A)
- einzuhalten sind. Da in dem Betrieb der Beigeladenen zu 3. in der Nachtzeit (22.00
Uhr bis 06.00 Uhr) nicht gearbeitet wird, ist ausschließlich maßgebend, ob der
Tageswert von 55 dB (A) eingehalten wird. Die Einhaltung dieses Wertes ist dem
Beigeladenen, der insoweit offensichtlich für die Beigeladene zu 3. handelt, die selbst
keine Baugenehmigung besitzt und auch nicht beantragt hat, durch die
Baugenehmigung vom 18. September 2003 aufgegeben. Es besteht kein
durchgreifender Anhalt dafür, dass der Betrieb diesen Wert bei Einhaltung der Auflagen
der Baugenehmigung vom 18. September 2003 nicht einhalten kann oder nicht einhält,
zumal der Beigeladene das Gebäude erst nach Fertigstellung und damit auch nach
Einbau der Laufzeitprotokollierung für die Exzenterpresse benutzen darf und der
Beklagte dem Beigeladenen aufgegeben hat, die Berichte monatlich der
Bauaufsichtsbehörde vorzulegen.
122
Die Berechnungen in den verschiedenen seit 1990 gefertigten Gutachten zieht die
Klägerin nicht substantiiert in Zweifel. Soweit sie zwischenzeitlich (Schreiben vom 11.
August 2000) gegenüber dem Beklagten behauptet hatte, die Stanze (Spindelpresse)
sei vom Hauptproduktionsgebäude in den Anbau verlagert worden, die Messungen
seien aber noch vom alten Standort ausgegangen, hat sie diese Behauptung gegenüber
dem Gericht nicht aufrechterhalten; auch die Überprüfung durch den Beklagten und die
Ortsbesichtigung durch das Gericht haben keinen Hinweis für die Richtigkeit dieses
Vorbringens ergeben. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Messungen
und Berechnungen in diesen Gutachten nicht zutreffen. Die Klägerin meint allerdings,
die Beigeladenen seien offenbar immer sehr genau darüber unterrichtet gewesen, wann
die Messungen stattfanden; der Betrieb sei dann entsprechend heruntergefahren
worden.
123
Dass die Beigeladenen über die jeweils stattgefundenen Messungen informiert waren,
kann schon deshalb als richtig unterstellt werden, weil die Messungen auch in der
Werkhalle erfolgten. Dafür, dass der Betrieb heruntergefahren wurde, um unrealistisch
günstige Messergebnisse zu erzielen, gibt es keinerlei Anhaltspunkt; die Klägerin hat
ihre Behauptung nicht im geringsten belegt. Die Messungen des TÜV und des
Ingenieur-Büros Q. sind ausweislich der Gutachten bei laufendem Betrieb der
Exzenterpresse und der Spindelpresse (Stanze) und übriger Maschinen vorgenommen
worden. Dies wird durch den festgestellten sehr hohen Innenpegel von teilweise
deutlich über 90 dB (A) - Werte, die über dem Lärm einer Kreissäge oder eines Mopeds
liegen - bestätigt. Abgesehen davon ist nicht anzunehmen, dass es erfahrenen
Gutachtern verborgen bleibt, wenn eine Maschine stark gedrosselt gefahren wird.
124
Die Einhaltung der Grenzwerte bedeutet nicht, dass von dem Betrieb nicht zeitweise
Lärmimmissionen ausgehen, die von der Klägerin durchaus als unerträglich empfunden
werden. Die Beurteilungspegel werden anhand von Mittelungspegeln errechnet. Das
bedeutet, dass die während des Betriebs den ganzen Tag über teilweise stark
schwankenden Geräusche auf einen durchschnittlichen Dauerpegel umgerechnet
werden. Ist die Betriebszeit beispielsweise auf 12 Stunden beschränkt, gehen in die
Berechnung des Beurteilungspegels vier Stunden mit einer Belastung von 0 dB (A) ein.
Werden zusätzlich die lautesten Maschinen lediglich zwei Stunden am Tag betrieben,
bedeutet dies, dass die Lärmbelastung aufgrund von vier Stunden Ruhezeit, zehn
Stunden geringerem Lärm und zwei Stunden sehr lautem Betrieb errechnet wird. Bei
125
einem Mittelungspegel von sicher unter 55 dB (A) über den gesamten Zeitraum von 16
Stunden - wovon hier nach dem Gutachten Dr. U. (TÜV Rheinland) vom 6. September
1999 ausgegangen werden kann - können demnach in der Höchstbelastungszeit
durchaus Lärmpegel von deutlich über 60 dB (A) bis hin zu solchen Werten auftreten,
bei denen eine relativ ungestörte Kommunikation nicht mehr möglich ist. Gerade diese
Zeiten prägen naturgemäß das Empfinden von der Lautstärke des Betriebes. Gerechnet
auf die Gesamtbelastung für den Tag sind sie aber hinzunehmen, solange einzelne
kurzfristige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte am Tag nicht um mehr als 30 dB
(A) überschreiten (Nr. 6.1 a.E TA-Lärm), was hier nicht zu erwarten ist.
Der Senat verkennt also nicht, dass sich die Klägerin durch die vom Betrieb der
Beigeladenen ausgehenden Lärmimmissionen stark beeinträchtigt fühlt. Das zulässige
Ausmaß von Immissionen kann aber nur anhand von objektiv feststellbaren
Grenzwerten beurteilt werden. Das ist zwar im Hinblick darauf, dass die Lästigkeit von
Lärm u.a. auch von der subjektiven Befindlichkeit des Betroffenen, der angenommenen
Vermeidbarkeit des Geräusches und dem sozialen Sympathiewert der Geräuschquelle
abhängt,
126
BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989 - 4 C 12.87 -, NJW 1990, 925,
127
für den einzelnen Betroffenen möglicherweise schwer akzeptierbar, diese persönlichen
Empfindungen und Beurteilungen sind rechtlich aber nicht fassbar. Das baurechtliche
Rücksichtnahmegebot stellt nicht "personenbezogen" auf die Verhältnisse zu einem
bestimmten Zeitpunkt ab. Die persönlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer, wie z.B.
besondere Empfindlichkeiten oder der Gesundheitszustand, spielen bei der Bewertung
von Lärmimmissionen im Rahmen des baulichen Rücksichtnahmegebots keine Rolle.
128
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, BRS 62 Nr. 86 (S. 411).
129
Der von der Klägerin ebenfalls gerügte Lieferverkehr ist in den Gutachten berücksichtigt.
Dass von einer zu geringen Zahl von Fahrzeugbewegungen in den Gutachten
ausgegangen worden ist, ist nicht substantiiert dargelegt. Die von der Klägerin
eingereichten Aufzeichnungen ihrer Untermieterin L. vom 13. August 1994 weisen
jeweils nur einen Lieferverkehr am Tag aus.
130
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass der Beklagte es nicht hinnehmen darf,
wenn der Beigeladene die Baugenehmigung nicht unverzüglich umsetzt und
demzufolge der Betrieb der Beigeladenen zu 3. weiter wie bisher betrieben wird. Die
Beigeladenen und der Beklagte wissen spätestens seit der mündlichen Verhandlung
vom 18. Juni 2003, dass die Klägerin den Abstandverstoß nicht hinnehmen muss. Die
Beigeladenen hatten hinreichend Zeit, eine Änderung des rechtswidrigen Zustandes zu
bewirken.
131
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1, 154 Abs. 3, 159 Satz 2
VwGO. Das streitige Rechtsverhältnis kann gegenüber den Beigeladenen nur
einheitlich entschieden werden. Die Beigeladenen zu 1. und 2. sind Eigentümer des
Grundstücks, die Beigeladene zu 2. ist Geschäftsführerin der Beigeladenen zu 3., die
jeweiligen Bauanträge sind entweder von der Beigeladenen zu 3. oder dem
Beigeladenen gestellt worden. Die Beigeladenen selbst verstehen sich auch als Einheit,
wie aus der Formulierung im Schriftsatz vom 2. Juli 2003 hervor geht: "Die
Beigeladenen haben sich entschlossen, die Außenwand ... zu versetzen. Sie werden
132
einen entsprechenden Bauantrag dem Beklagten kurzfristig vorlegen."
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO iVm §§
708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
133
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
134