Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.09.2008

OVG NRW: stadt, befreiung, ausnahme, bevölkerung, gemeinde, belastung, bebauungsplan, absicht, ermessensausübung, behörde

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 2599/07
Datum:
26.09.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 A 2599/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 K 4662/06
Tenor:
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Juli 2007 wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 10.000 Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Erteilung der beantragten
Ausnahme für die Errichtung einer Mobilfunkanlage verpflichtet.
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Es hat zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer
Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB erfüllt seien. Das Vorhaben widerspreche den
Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 23 E. Eine ausnahmsweise Zulassung nach §
14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990 komme nicht in Betracht. Eine Umstellung auf die
Baunutzungsverordnung 1990 sei nicht erfolgt.
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Die Mobilfunkanlage könne jedoch nach § 4 Abs. 3 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB
als nicht störende gewerbliche Nutzung zugelassen werden. Auch im Hinblick auf das
optische Erscheinungsbild sei eine Störung nicht anzunehmen.
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Der Senat teilt diese Einschätzung auf der Grundlage des aussagekräftigen Karten- und
Lichtbildmaterials und in Würdigung des Zulassungsvorbringens des Beklagten. Das
Verwaltungsgericht hat die Mobilfunkanlage nicht mit einer üblichen Fernsehantenne
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gleich gesetzt, sondern lediglich ausgeführt, diese sei "jedenfalls im Ansatz mit in
Wohngebieten üblichen Anlagen wie Fernsehantennen" vergleichbar. Gründe, die
gegen die Annahme sprechen, dass die Anlage wegen der verhältnismäßig geringen
Baumasse bei der eher inhomogenen Struktur des betroffenen Bereichs nicht störe, sind
nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Anforderungen der Senatsrechtsprechung, die
eine Erhaltung des Nutzungszwecks von Wohngebieten sichern und eine Veränderung
des Gebietscharakters auch durch optische Beeinträchtigungen verhindern sollen, im
vorliegenden Falle gewahrt.
Vgl. Senatsbeschluss vom 6. Mai 2005
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- 10 B 2622/04 -, BauR 2005, 1284, Beschluss vom 10. April 2008 - 10 A 212/05 -.
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Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht ferner darin, dass das dem Beklagte
zustehende Ermessen auf Null reduziert ist. Das erneute Vorbringen des Beklagten, es
sei legitim und nicht zu beanstanden, dass er unter dem Aspekt der
Strahlungsminderung leitend in eine Planung eingreife, um die Belastung der
Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, rechtfertigt keine andere Bewertung.
Insbesondere steht dem Vorhaben die während des erstinstanzlichen Verfahrens vom
Rat der Stadt F. beschlossene "Mobilversorgungsplanung unter dem Aspekt der
Strahlungsminimierung" von April 2007 nicht entgegen. Die Stadt F. hat dieses
Mobilfunkkonzept erstellen lassen, um beim Ausbau des Mobilfunknetzes die Belastung
für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten. Es enthält Standortvorschläge für
alle drei Stadtteile, um eine strahlungsminimierte Mobilfunkversorgung realisieren zu
können.
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Zwar ist es der Stadt F. nicht verwehrt, Standorte von Mobilfunkanlagen durch
bauleitplanerische Mittel so zu bestimmen, dass bestimmte Gebiete geringer belastet
werden als dies nach den Grenzwerten der 26. BImSchV zulässig wäre. Soweit dies
nach § 1 Abs. 3 BauGB städtebaulich gerechtfertigt ist und die weiteren Anforderungen
an eine Bauleitplanung beachtet werden, darf eine Gemeinde Bauleitplanung auch zum
Zweck eines über die immissionsschutzrechtlichen Erheblichkeitsschwellen
hinausgehenden, vorbeugenden Gesundheits- und Umweltschutzes betreiben.
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Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 2. August 2007 - 1 BV 06.464, BauR 2008, 627 m.w.N.;
nachgehend BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 18.08.
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Von diesen Möglichkeiten hat die Stadt F. jedoch keinen Gebrauch gemacht, sodass
sich im vorliegenden Verfahren insbesondere nicht die Frage stellt, unter welchen
Voraussetzungen etwa ein für den Erlass einer Veränderungssperre erforderliches
hinreichend konkretes positives, mit dem bauplanungsrechtlichen Instrumentarium
umsetzbares Planungskonzept vorliegt.
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Vgl. hierzu Bay. VGH a.a.O.
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Das Ausnahmeermessen nach § 31 Abs. 1 BauGB stellt demgegenüber keinen Ersatz
für unterbliebene oder fehlgeschlagene bauplanungsrechtliche Festsetzungen gemäß §
1 Abs. 6 und 9 BauNVO dar. Die Grundentscheidung des Gesetzes für die
ausnahmsweise Zulässigkeit der in der BauNVO bezeichneten Nutzungen darf die
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Behörde durch ihre Ermessenserwägungen nicht in Frage stellen. Nach der BauNVO
ausnahmsweise zulässige Vorhaben kann sie deshalb aus Erwägungen, die für das
gesamte Gebiet Geltung beanspruchen, nicht im Wege einer Ermessensentscheidung,
sondern nur der Plangeber mit den Mitteln der Bauleitplanung (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1
BauNVO) ausschließen. Eine Befreiung kann im Rahmen der Ermessensausübung
zwar auch versagt werden, wenn die Gemeinde die Absicht hat, einen bestehenden
Bebauungsplan zu ändern, und die Befreiung mit der vorgesehenen Planänderung nicht
vereinbar ist. Auf Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB kann diese Rechtsprechung
jedoch nicht übertragen werden. Denn eine das Ermessen begrenzende
Grundentscheidung für die ausnahmsweise Zulässigkeit der in der BauNVO
entsprechend bezeichneten Nutzungen gibt es für Nutzungen, die nur im Wege einer
Befreiung zugelassen werden können, nicht.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 4 B 13.07 -, BauR 2007, 1709.
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2. Schließlich weist die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung
(Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Grundsätzliche Bedeutung hat
eine Rechtssache, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine bisher
nicht abschließend geklärte und klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage
entscheidungserheblich war, die auch im Berufungsverfahren entscheidungserheblich
wäre und die außerdem von über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung ist.
Derartige Fragen hat die Zulassungsschrift nicht ansatzweise dargelegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 52 Abs. 1 GKG
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Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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