Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.08.2009

OVG NRW (zulage, land, tarifvertrag, ehemann, zahlung, verwaltungsgericht, höhe, zweifel, vorschrift, zeitpunkt)

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 1301/09
Datum:
05.08.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 A 1301/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 12 K 41/09
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Beklagten abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf die
Wertstufe bis zu 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die vom Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und
3 VwGO liegen auf der Grundlage der maßgeblichen fristgerechten Darlegungen zur
Begründung des Antrags nicht vor.
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1. Gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel
im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn
zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder
eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im
Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- oder Rechtslage
beantworten lässt. Für solche Zweifel bietet das Antragsvorbringen keine
Anhaltspunkte.
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Das Verwaltungsgericht hat der - letztlich (nur noch) gegen die Kürzung des
Familienzuschlags der Stufe 2 ab dem 1. März 2006 gerichteten - Klage zu Recht
stattgegeben: Der mit der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit
beschäftigten Klägerin stehe der Anspruch auf Zahlung des ungekürzten
kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag für ihre Kinder gemäß § 40 Abs. 5
BBesG zu, auch nachdem ihr vollzeitbeschäftigter Ehemann, der bei der
C. Straßenbahnen Aktiengesellschaft tätig sei, zum 1. Januar 2002 vom Bundes-
Manteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) in den
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Tarifvertrag für den kommunalen Nahverkehr (TV-N NRW) übergeleitet worden sei. Die
Kürzungsvorschrift des § 6 BBesG (in Verbindung mit § 40 Abs. 5 Satz 3 BBesG) sei
nicht anzuwenden, hingegen finde die Konkurrenzregelung des § 40 Abs. 5 BBesG
weiterhin Anwendung, weil es sich bei der für den Ehemann der Klägerin geltenden
persönlichen Zulage nach § 24 Abs. 2 TV-N NRW um eine dem kinderbezogenen
Familienzuschlag entsprechende Leistung handele.
Dem hat der Beklagte mit seiner Antragsbegründung nichts Überzeugendes
entgegengesetzt. Auch wenn der Tarifvertrag für den kommunalen Nahverkehr keine
Zahlungen für Kinder vorsieht, so berücksichtigt gleichwohl die Überleitungsvorschrift
des § 24 Abs. 2 TV-N NRW ausdrücklich kinderbezogene Entgeltbestandteile bzw.
Sozialzuschläge für Arbeiter des ehemaligen Bundes-Manteltarifvertrags. Diese werden
in der zum Zeitpunkt der Tarifumstellung (1. Januar 2002) zustehenden Höhe als
persönliche Zulage, die den Charakter einer Besitzstandszulage hat, bis zu im
Einzelnen dort näher bestimmten Höchstaltersgrenzen der Kinder fortgezahlt. Die
Fortzahlung der persönlichen Zulage in der zum Stichtag gezahlten Höhe dient nicht nur
der Besitzstandswahrung, sondern auch dem Zweck, die mit der Erziehung und
Betreuung verbundenen finanziellen Belastungen teilweise auszugleichen. Das ergibt
sich daraus, dass sie nur bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres bzw. längstens bis
zum Erreichen des 27. Lebensjahres des Kindes gezahlt werden.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Oktober 2008 - 21 A 459/07 -, Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/C I 1.1 Nr. 100, und juris Rn. 32 zur
vergleichbaren Regelung des § 11 Abs. 1 TVÜ-Bund.
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Unerheblich ist hierbei, dass der Ehemann der Klägerin, der bei der C. eine dem
öffentlichen Dienst gleichstehende Tätigkeit ausübt (§ 40 Abs. 6 BBesG), tatsächlich
keinen Anspruch auf die persönliche Zulage gemäß § 24 Abs. 2 TV-N NRW hatte, weil
zum Zeitpunkt der Überleitung des Bundes-Manteltarifvertrags in den Tarifvertrag für
den kommunalen Nahverkehr das Kindergeld an die Klägerin gezahlt wurde und diese
somit familienzuschlagsberechtigt war. Maßgebend ist vielmehr eine - vom
Verwaltungsgericht zutreffend angestellte - fiktive Betrachtungsweise, wie sich bereits
aus dem im Konjunktiv gefassten Wortlaut des § 40 Abs. 5 Satz 1 BBesG ("stünde...zu")
ergibt: Wenn der Ehemann der Klägerin im Januar 2002 kindergeldberechtigt gewesen
und in der Folgezeit ununterbrochen geblieben wäre, stünde ihm die Zulage auch noch
in dem darauffolgenden Zeitraum und somit auch im hier maßgeblichen Zeitraum ab
März 2006 zu. Denn dann hätte er nach den (alten) Regelungen des Bundes-
Manteltarifvertrags einen Anspruch auf den Sozialzuschlag gehabt - welcher dem
kinderbezogenen Anteil im Ortszuschlag für Angestellte entspricht - und demzufolge
auch einen Anspruch auf die persönliche Zulage nach § 24 Abs. 2 TV-N NRW. Bei einer
anderen Auslegung der Norm würde der Regelungszweck des § 40 Abs. 5 Satz 3
BBesG verfehlt, der darin besteht, dass den im öffentlichen Dienst beschäftigten Eltern
von Kindern kein Nachteil daraus erwachsen soll, dass der kindergeldberechtigte
Elternteil teilzeitbeschäftigt ist, sofern beide Elternteile mit jeweils mindestens der Hälfte
der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt sind oder der Ehegatte - wie hier -
vollbeschäftigt ist.
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Vgl. BT-Drucks. 10/3789, S. 13.
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Diesem Zweck liefe es zuwider, die Zulage nach § 24 Abs. 2 TV-N NRW im Rahmen
des § 40 Abs. 5 BBesG nur dann zu berücksichtigen, wenn im Monat Januar 2002
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seitens des Ehemannes der Klägerin tatsächlich ein Anspruch auf Sozialzuschlag nach
dem Bundes-Manteltarifvertrag bestand. Dies ließe nämlich außer Acht, dass der
Bundes-Manteltarifvertrag in § 33 mit dem Verweis auf die Vorschrift des § 29 BAT a.F.
eine dem § 40 Abs. 5 BBesG entsprechende Konkurrenzregelung enthielt (§ 29 Abs. 6
BAT a.F.), die die Zahlung des kinderbezogenen Teils des Ortszuschlages ebenfalls nur
an den kindergeldberechtigten Angestellten vorsah. Die Frage, welcher von zwei im
öffentlichen Dienst beschäftigten Ehegatten den ungekürzten kinderbezogenen Teil des
Ortszuschlags erhielt, hing also ausschließlich von der Kindergeldberechtigung ab.
Angesichts des Zwecks des § 40 Abs. 5 Satz 3 BBesG (und der - mittels der Verweises
auf § 29 BAT a.F. - inhaltsgleichen Regelung in § 33 BMT-G), die Teilzeitbeschäftigung
eines Ehegatten bei der Gewährung des kinderbezogenen Teils des Ortszuschlages
nicht nachteilig zu berücksichtigen, wäre es aber nicht zu rechtfertigen, die Anwendung
der Vorschrift und damit die Frage, ob - bei im Übrigen vergleichbaren Umständen -
einer Familie der volle oder aber ein gekürzter Kinderzuschlag gewährt wird, allein von
der eher zufälligen Frage der Kindergeldberechtigung zum hier maßgeblichen Stichtag
Januar 2002 abhängig zu machen.
So auch Senatsbeschluss vom 27. April 2009 - 1 A 3539/07 - und OVG NRW, Urteil vom
29. Oktober 2008 - 21 A 459/07 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der
Länder, ES/C I 1.1 Nr. 100, und juris Rn. 36 ff. im Zusammenhang mit der Überleitung
vom Bundes-Angestelltentarifvertrag in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.
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Stünde demnach dem Ehegatten der Klägerin - wie aufgezeigt - bei fiktiver
Betrachtungsweise die persönliche Zulage nach § 24 Abs. 2 TV-N NRW zu, dann ist der
Anwendungsbereich des § 40 Abs. 5 BBesG eröffnet; angesichts der
Vollzeitbeschäftigung des Ehemannes der Klägerin findet eine Kürzung nach § 6
BBesG nicht statt (§ 40 Abs. 5 Satz 3 BBesG).
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im
Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen; die Voraussetzungen dieses
Zulassungsgrundes sind nicht gegeben. Der Beklagte hat im Ergebnis eine (noch
weiter) klärungsbedürftige und klärungsfähige verallgemeinerungsfähige Rechts- oder
Tatsachenfrage nicht aufgeworfen. Die Frage nach der ungekürzten Zahlung des
kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag einer teilzeitbeschäftigten Beamtin nach
Überleitung des ebenfalls im öffentlichen Dienst tätigen Ehegatten vom Bundes-
Angestelltentarifvertrag in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ist durch die
zitierte, in der Sache überzeugende Entscheidung des 21. Senats des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen bereits hinreichend geklärt.
Für den vorliegenden Fall des Übergangs vom Bundes-Manteltarifvertrag auf den
Tarifvertrag für den kommunalen Nahverkehr ergibt sich aufgrund der strukturellen
Übereinstimmung zwischen § 11 Abs. 1 TVÜ- Bund und § 24 Abs. 2 TV-N NRW nichts
anderes, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat.
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Der Beklagte hat sich im Übrigen mit den Argumenten des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen und denen des Verwaltungsgerichts zur Übertragbarkeit
dieser Argumente auf den vorliegenden Fall schon nicht hinreichend
auseinandergesetzt. Die erfolgte Bezugnahme auf den Nichtzulassungsbeschluss des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. August 2007 (4 S 2586/06) bleibt
inhaltlich völlig substanzlos. Sie berücksichtigt insbesondere nicht, dass dort - soweit
ersichtlich - um eine andere (wenn auch inhaltlich verwandte) Rechtsnorm gestritten
wurde, nämlich die Konkurrenzregelung des § 40 Abs. 4 BBesG, welche sich auf den
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Familienzuschlag der Stufe 1 bezieht. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sowie
der Entscheidung des 21. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen ist bzw. war hingegen die Anwendung der Konkurrenzregelung des § 40 Abs.
5 BBesG und infolgedessen die ungekürzte Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 2.
Die entgegenstehende Ansicht des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3.
März 2008 (11 Sa 76/07) ist nicht geeignet, die Sache wegen grundsätzlicher
Bedeutung zuzulassen. Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage kann durch die
oben zitierte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen als geklärt angesehen werden. Vorliegend handelt es sich um eine im Land
Nordrhein-Westfalen geltende Regelung - § 24 Abs. 2 TV-N NRW -, somit bestimmt die
auf das Land Nordrhein-Westfalen begrenzte Rechtseinheit die Anforderungen an die
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Bei abweichender
Entscheidung eines Landesarbeitsgerichts eines anderen Bundeslandes von der
Rechtsprechung des angerufenen Oberverwaltungsgerichts zu einer ähnlichen
Vorschrift liegt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor, da
das mit der Berufung angestrebte Ziel der Rechtseinheit in Fällen vorliegender Art auf
die Landesgrenzen beschränkt ist.
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Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn. 128 f.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG. Der Senat hat den Streitwert unter
Berücksichtigung der Teilstatusrechtsprechung in Höhe des Zweijahresbetrages des
Besoldungsunterschieds festgesetzt. Nach Angaben des Beklagten beträgt die streitige
Differenz zwischen ungekürztem und gekürztem kinderbezogenen Familienzuschlag
monatlich 95,44 Euro.
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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs.
5 Satz 4 VwGO).
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