Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2009

OVG NRW (wirtschaftliche einheit, grundstück, zufahrt, einheit, funktion, herstellung, anlage, grenze, kag, festsetzung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 2307/09
Datum:
18.12.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 A 2307/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Antragsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 16.792,81 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht vorliegt und der Zulassungsgrund
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht
hinreichend dargelegt im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist.
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Die Klägerin hat keinen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche
Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in
Frage gestellt. Solche Zweifel bestehen nicht in Bezug auf die Annahme des
Verwaltungsgerichts, das mit einer Klinik bebaute Grundstück Gemarkung C. M.--------- ,
Flur 30, Flurstück 675, sei nicht von der ausgebauten W. -T. -Straße erschlossen.
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Eine die Beitragspflicht auslösende Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten
Straße im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) besteht, wenn bis zur Grenze des Grundstücks
herangefahren und es von dort aus ohne weiteres betreten werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2009 15 A 1104/09 , NRWE
Rn. 17 f.; Beschluss vom 20. Juli 2007 15 A 785/05 , NVwZ-RR 2007, 808.
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Das Flurstück 675 ist weder über das der Eigentümerin des Klinikgeländes gehörende
Flurstück 938 noch über das im gleichen Eigentum stehende Flurstück 964 nach diesen
Kriterien erschlossen. Grundstück im Sinne des Beitragsrechts nach § 8 KAG NRW ist
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die wirtschaftliche Einheit, also der dem selben Eigentümer gehörende Teil der
Grundfläche, der selbständig - regelmäßig baulich oder gewerblich - genutzt werden
kann. Ausgangspunkt ist das Buchgrundstück, denn in der Mehrzahl der Fälle sind
Grundstücke des bürgerlichen Rechts zugleich auch wirtschaftliche Einheiten.
Davon ausgehend ist hier festzustellen, ob das Flurstück 675 mit den Flurstücken 938
oder 964 zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst werden muss. Ist
das Flurstück 675 nämlich zusammen mit einem der Flurstücke 938 oder 964 oder gar
beiden das beitragsrechtlich relevante Grundstück im Sinne einer wirtschaftlichen
Einheit, würde für das Erschlossensein dieses Grundstücks die gegebene Möglichkeit
ausreichen, bis an eines der Flurstücke 938 bzw. 964 heranfahren und die
wirtschaftliche Einheit von dort aus ohne weiteres betreten zu können. Wenn nur das
Flurstück 675 das beitragsrechtlich relevante Grundstück ist, bedarf es zum
Erschlossensein dieses Grundstücks der Möglichkeit, über eines der Flurstücke 938
oder 964 bis an die Grenze des Flurstücks 675 heranfahren zu können.
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Für eine Zusammenlegung von Flächen ist ein Mindestmaß an rechtlicher
Zusammengehörigkeit der Flächen erforderlich.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2009 15 A 3117/06 , NRWE Rn.
19 f.; Beschluss vom 7. Januar 2009 15 B 1609/08 , KStZ 2009, 78.
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Grundsätzlich kann ein solches Mindestmaß rechtlicher Zusammengehörigkeit auch
darin bestehen, dass ein Flurstück wegen seiner geringen Größe nur zusammen mit
einer anderen Fläche sinnvoll genutzt werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. März 2009 15 A 4308/06 , NRWE Rn.
20 f. m.w.N.
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Daran könnte hier wegen der geringen Fläche der Flurstücke 938 und 964 gedacht
werden. Indessen beruht die Einbeziehung kleinerer Flurstücke
("Handtuchgrundstücke") in eine wirtschaftliche Einheit zusammen mit anderen, zumeist
größeren Flurstücken darauf, dass jene für sich genommen praktisch überhaupt keine
Funktion haben, sehr wohl aber die Funktion eines anderen Flurstücks mit diesem
zusammen haben können. Das trifft auf Parzellen, die wegen ihres Zuschnitts und ihrer
Lage nur die Funktion haben können, die Zuwegung zu einem anderen Grundstück zu
bieten (Zuwegungsparzellen), nicht zu. Sie teilen hinsichtlich ihrer Nutzung gerade nicht
die des Hauptgrundstücks, sondern haben eine eigenständige Funktion, nämlich als
Weg. Diese spezifische Zweckbestimmung solcher Flächen ist auch der Grund für die
häufig in Straßenbaubeitragssatzungen und so auch hier in § 5 Abs. 3 Buchst. a der
Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für straßenbauliche
Maßnahmen der Stadt C. M.--------- vom 23. November 1992 anzufindende Regelung,
dass bei der für die Tiefenbegrenzung zu ermittelnden Grundstückstiefe
Grundstücksteile, die lediglich die wegemäßige Verbindung zur Straße herstellen,
unberücksichtigt bleiben: Weil solche Flächen nicht die in der für die Beitragserhebung
erheblichen, im Regelfall baulichen oder gewerblichen Art genutzt werden, sondern
lediglich die Zuwegung zum baulich oder gewerblich genutzten Grundstück bilden,
sollen sie beitragsrechtlich keine Rolle spielen. Deshalb fehlt es auch an dem für eine
beitragsrechtliche Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit erforderlichen
Mindestmaß rechtlicher Zusammengehörigkeit von Zuwegungsparzelle und
Hauptgrundstück.
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Daher ist hier nur das Klinikgrundstück Flurstück 675 die wirtschaftliche Einheit, die von
der W. -T. -Straße erschlossen wäre, wenn über die Flurstücke 964 oder 938 bis zur
Grenze des Flurstücks 675 herangefahren werden könnte.
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Das ist nicht der Fall. Für das Flurstück 938 ergibt sich das aus den Festsetzungen des
Bebauungsplans Nr. 47 in der Fassung der 1. Änderung. Danach ist das Flurstück als
Verkehrsfläche mit der besonderen Zweckbestimmung Fußweg überplant, so dass die
Anlegung einer Zufahrt bauplanungsrechtlich ausgeschlossen ist.
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Das Flurstück 964 ist als teilweise überbaubares Grundstück in einem reinen
Wohngebiet überplant. Die Herstellung einer Zufahrt zum Flurstück 675 wäre ein
Vorhaben zur Errichtung einer baulichen Anlage (§ 29 Abs. 1 des Baugesetzbuches
BauGB ) und somit planungsrechtlich an § 30 Abs. 1 BauGB zu messen. Die
Herstellung einer Zufahrt würde nämlich das Aufbringen einer Straßenbefestigung auf
dem Erdboden erfordern.
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Vgl. zum Merkmal einer baulichen Anlage, in einer auf Dauer gedachten
Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden zu sein, BVerwG, Urteil vom
31. August 1973 IV C 33.71 , BVerwGE 44, 59 (61 f.); vgl. dazu, dass nur
unbefestigte Flächen keine baulichen Anlagen sind, BVerwG, Beschluss
vom 18. Dezember 1995 4 B 260.95 , ZfBR 1996, 168, während etwa ein
mit Schotter befestigter Stellplatz eine bauliche Anlage ist, BVerwG, Urteil
vom 14. September 1992 4 C 15.90 , ZfBR 1993, 86 f.
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Das Vorhaben hätte auch die für eine bauliche Anlage nach § 29 Abs. 1 BauGB
notwendige planungsrechtliche (bodenrechtliche) Relevanz, da es geeignet ist,
bodenrechtliche Belange im Sinne des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB in einer Weise zu
berühren, die das Bedürfnis nach einer die Zulässigkeit des Vorhabens regelnden
verbindlichen Bauleitplanung hervorruft.
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Vgl. zu diesem Merkmal BVerwG, Urteil vom 31. August 1973 IV C 33.71 ,
BVerwGE 44, 59 (62).
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Die grundsätzliche bodenrechtliche Relevanz einer Zufahrt zeigt sich schon in der
Möglichkeit der Festsetzung von Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) und von
Fahrrechten (§ 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB).
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Vgl. dazu, dass das, was nach § 9 BauGB festgesetzt werden kann,
bodenrechtliche Relevanz besitzen soll, Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr,
BauGB, 11. Aufl., § 29 Rn. 14.
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Das planungsrechtliche Bedürfnis manifestiert sich hier sogar im Bebauungsplan dahin,
dass für das Flurstück 938 eine Verkehrsfläche mit der besonderen Zweckbestimmung
Fußweg festgesetzt und damit eine Zufahrt ausgeschlossen wurde.
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Man mag, wie es die Klägerin tut, für Zufahrten auf einem Baugrundstück zu einem dort
befindlichen Gebäude die planungsrechtliche Relevanz verneinen. Das deckt sich mit §
14 Abs. 1 Satz 1 der Baunutzungsverordnung (BauNVO), der untergeordnete
Nebenanlagen, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke
oder des Baugebiets selbst dienen und seiner Eigenart nicht widersprechen, auch ohne
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ausdrückliche Festsetzung erlaubt.
Eine solche planungsrechtliche Irrelevanz ist aber nicht für eine Durchfahrt zu einem
darüber hinaus großen und mit einer Klinik bebauten Grundstück außerhalb des
Geltungsbereichs des Bebauungsplanes anzunehmen, wie sie hier in Rede steht.
Schon die von einer solchen Durchfahrt ausgehenden Emissionen bedürften im
Verhältnis zum festgesetzten reinen Wohngebiet einer die Zulässigkeit regelnden
bauplanerischen Entscheidung.
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Bemisst sich somit die Herstellung einer Durchfahrt auf dem Flurstück 964 nach § 30
Abs. 1 BauGB, so ist ein solches Vorhaben unzulässig, weil es den Festsetzungen des
Bebauungsplans widerspricht. Festgesetzt ist für das Flurstück ein reines Wohngebiet,
so dass die in § 3 BauNVO genannten Vorhaben zulässig sind. Dazu zählen
Privatstraßen nicht. Auch aus sonstigen Vorschriften ergibt sich die Zulässigkeit des
Vorhabens nicht, insbesondere nicht aus § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Eine Durchfahrt
wäre keine zulässige untergeordnete Nebenanlage nach dieser Vorschrift, weil sie nur
dem Nutzungszweck eines Grundstücks außerhalb des Baugebietes diente.
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Vgl. zur planungsrechtlichen Unzulässigkeit einer Zu- und Abfahrt zu einer
Tiefgarage durch ein Wohngebiet, BVerwG, Beschluss vom 19. September
1995 4 NB 24.94 , NVwZ-RR 1996, 249 (250).
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Angesichts dieser fehlenden rechtlichen Möglichkeit, eine Zufahrt zum Flurstück 675 zu
errichten, kommt es nicht darauf an, ob bei unterstellter Möglichkeit ihrer Herstellung
hier allein die tatsächliche Anlegung einer Zufahrt zur beitragsrechtlich relevanten
Erschließung führen würde, wie es der Senat für anderweitig voll erschlossene
Hinterliegergrundstücke mehrfach entschieden hat.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2009 15 B 1609/08 , KStZ 2009,
78 (79); Beschluss vom 14. Oktober 2005 15 A 240/04 , KStZ 2006, 16 (17);
Urteil vom 25. Januar 2005 -15 A 548/03 -, NVwZ-RR 2006 63 (65).
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Namentlich bedarf es keiner Prüfung, ob die von der Eigentümerin des Flurstücks 675
mit Schreiben vom 6. Februar 2007 geäußerte Absicht, eine "Zuwegung" herzustellen,
einer hergestellten Zufahrt gleichzusetzen ist.
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Der Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist nicht hinreichend
dargelegt, weil keine in einem Berufungsverfahren klärungsbedürftige und
klärungsfähige Frage benannt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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