Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.08.2008

OVG NRW: arzneimittel, ausgabe, gefahr, konservierungsmittel, kommission, kindesalter, leitlinie, aufteilung, verunreinigung, abgabe

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 44/06
Datum:
21.08.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 44/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 5513/03
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. November 2005 wird auf Kosten
der Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000,00 EUR
festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Bei diesem Zulassungsgrund, der die
Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene
Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob
ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche
Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der vorinstanzlichen
Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h.
wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in
der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163;
BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; OVG NRW,
Beschluss vom 30. Juni 2008 - 13 A 2201/05 -.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das
Arzneimittel weise für den Fall der Anwendung bei mehreren Patienten nicht die nach
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den anerkannten pharmazeutischen Regeln angemessene Qualität auf, §§ 105 Abs. 4f
S. 1, 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Arzneimittelgesetz (AMG); für den Fall der Anwendung zur
Behandlung von Methämoglobinämie im Kindesalter sei der Bescheid durch §§ 105
Abs. 5a S. 2, 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG gedeckt. Die dagegen von der Klägerin geltend
gemachten Bedenken teilt der Senat im Ergebnis nicht.
Im Mittelpunkt der Antragsbegründung steht die Frage, ob die Einführung der 25 ml-
Ampulle eine Neuzulassungspflicht ausgelöst hat. Der Senat hält die in diesem
Zusammenhang von der Klägerin vertretene Ansicht, es handele sich um eine Änderung
der Packungsgröße im Sinne von § 105 Abs. 3a S. 1 Hs. 2 i.V.m. § 29 Abs. 2a S. 1 Nr. 5
AMG zwar nicht von vornherein für abwegig. Denn die Änderung betrifft die Größe der
(Primär-) Verpackung des Arzneimittels. Es stellt sich aber die Frage, ob § 105 Abs. 3a
S. 1 Hs. 2 AMG bei einer Änderung der Packungsgröße, die, wie noch zu zeigen sein
wird, zugleich als eine Änderung der „Packungsart" anzusehen ist und die
pharmazeutische Qualität des Arzneimittels nachhaltig in Frage stellt, ohne Weiteres
Anwendung finden kann oder ob insoweit eine einschränkende Auslegung angezeigt ist
mit der Folge, dass jedenfalls die mit der Änderungsanzeige erstrebte Erweiterung der
fiktiven Zulassung nicht eingetreten wäre, eventuell sogar die fiktive Zulassung wegen
der unzulässigen Änderung insgesamt erloschen wäre.
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Die vorstehend aufgeworfenen Fragen bedürfen indessen keiner Entscheidung. Auch
wenn man nämlich zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass es sich um eine zulässige,
gemäß § 105 Abs. 3a S. 1 Hs. 2 i.V.m. § 29 Abs. 2a S. 1 Nr. 5 AMG lediglich
anzeigepflichtige Änderung handelt und somit eine fiktive Zulassung auch für die 25 ml-
Variante entstanden ist, ist die Teilversagung gerechtfertigt.
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Denn der Erteilung einer Nachzulassung für das Arzneimittel steht bei Verwendung der
25 ml-Ampulle der Versagungsgrund des § 105 Abs. 4f S.1 i.V.m. § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
AMG entgegen; in diesem Falle weist das Arzneimittel nicht die nach den anerkannten
pharmazeutischen Regeln angemessene Qualität auf. Der Begriff der Qualität ist in § 4
Abs. 15 AMG dahingehend definiert, dass er die Beschaffenheit eines Arzneimittels
beschreibt, die nach Identität, Gehalt, Reinheit, sonstigen chemischen, physikalischen,
biologischen Eigenschaften oder durch das Herstellungsverfahren bestimmt wird.
Hinsichtlich des Begriffs der „anerkannten pharmazeutischen Regeln" lässt sich § 55
AMG heranziehen. Nach § 55 Abs. 8 AMG müssen die in einem Arzneimittel
enthaltenen Stoffe und ihre Darreichungsformen den anerkannten pharmazeutischen
Regeln entsprechen; auch die Behältnisse und Umhüllungen, soweit sie mit dem
Arzneimittel in Berührung kommen, müssen diesen Anforderungen entsprechen.
Welche pharmazeutischen Regeln anerkannt sind, ergibt sich insbesondere aus dem in
§ 55 Abs. 1 AMG beschriebenen Arzneibuch, das von der Deutschen Arzneibuch-
Kommission und von der Europäischen Arzneibuch-Kommission erstellt wird.
Gemessen an den anerkannten pharmazeutischen Regeln entspricht das Arzneimittel,
wenn es in der 25 ml-Ampulle und damit in einem „Mehrdosenbehältnis" abgegeben
wird, nicht der anerkannten pharmazeutischen Qualität.
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Ob dies, wie das Verwaltungsgericht meint, bereits aus dem Umstand folgt, dass eine
Ampulle nach dem Europäischen Arzneibuch ein „Einzeldosisbehältnis" ist,
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ebenso Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Aufl. 2004, Stichwort „Ampulle" (S.
80 f.),
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mag dahinstehen. Offen bleiben kann damit auch, ob die Frage nach einer den
anerkannten pharmazeutischen Regeln entsprechenden Primärverpackung die
(pharmazeutische) „Qualität" im Sinne von § 4 Abs. 15 AMG betrifft.
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Denn das Arzneimittel erfüllt jedenfalls nicht die an eine Injektionslösung in einem
„Mehrdosenbehältnis" zu stellenden Anforderungen. Das Europäische Arzneibuch
enthält in seinem Abschnitt über Parenteralia, also „sterile Zubereitungen, die zur
Injektion, Infusion oder Implantation in den menschlichen oder tierischen Körper
bestimmt sind",
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so die Definition in Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, Grundwerk 2002, Bd. 1 Kap.
4.00/0520 (S. 757) = Europäisches Arzneibuch, 5. Ausgabe, Grundwerk 2005, Bd. 1
Kap. 4.00/0520 (S. 851),
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konkrete Anforderungen an „Zubereitungen in Mehrdosenbehältnissen". Diese müssen
nämlich, falls die Zubereitung selbst keine ausreichenden antimikrobiellen
Eigenschaften hat, ein geeignetes Konservierungsmittel in angemessener
Konzentration enthalten; die bei der Anwendung und ganz besonders die für die
Lagerung zwischen den einzelnen Entnahmen zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen sind
anzugeben.
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Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, a.a.O. (S. 758) = Europäisches Arzneibuch, 5.
Ausgabe, a.a.O. (S. 852).
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Dass die in Rede stehende Injektionslösung kein Konservierungsmittel enthält, hat die
Klägerin ausdrücklich konzediert. Auch antimikrobielle Eigenschaften der Zubereitung
sind von ihr nicht geltend gemacht worden. Damit entspricht die Injektionslösung nicht
den genannten Anforderungen. Die Klägerin stellt dies letztlich auch nicht in Abrede; sie
macht vielmehr geltend, es handele sich bei der 25 ml-Ampulle nicht um ein
„Mehrdosenbehältnis". Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Ein
„Mehrdosenbehältnis" im Sinne des Arzneibuchs liegt vor, wenn das Behältnis mehrere,
mindestens aber zwei Einzeldosen enthält.
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Vgl. Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, Grundwerk 2002, Bd. 1 Kap.
4.00/3.02.00.00 (S. 331) = Europäisches Arzneibuch, 5. Ausgabe, Grundwerk 2005, Bd.
1 Kap. 5.0/3.02.00.00 (S. 377).
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Dies ist hier der Fall. Auch wenn, wie von der Klägerin geltend gemacht, die jeweilige
Einzeldosis für mehrere Patienten entnommen wird, handelt es sich zwangsläufig um
die Entnahme mehrerer Einzeldosen, die Ampulle wird also als ein
„Mehrdosenbehältnis" verwendet. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die
Einzeldosen in engem zeitlich- räumlichen Zusammenhang entnommen werden.
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Dass das Europäische Arzneibuch (a.a.O.) das „Einzeldosisbehältnis" als ein Behältnis
beschreibt, das die für eine einmalige - ganze oder aufgeteilte - Verabreichung
bestimmte Dosis eines Arzneimittels enthält, steht dem nicht entgegen. Denn die
„aufgeteilte" Verabreichung kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die
Aufteilung in Einzeldosen für mehrere Patienten meinen. Bei einem solchen
Verständnis überschnitten sich die Definitionen für das Einzeldosisbehältnis und das
Mehrdosenbehältnis. Gemeint sein kann nur eine Aufteilung in die konkret angezeigte
Einzeldosis einerseits und einen zu verwerfenden Rest andererseits.
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Dies lässt sich auch anhand der „Guideline on the categorisation of extension
applications (EA) versus variations applications (V)" der Europäischen Kommission vom
Oktober 2003 untermauern, welche von beiden Beteiligten für ihren jeweiligen
Standpunkt herangezogen wird und die, obwohl sie sich nicht mit dem
Nachzulassungsverfahren nach deutschem Recht befasst und - wie alle Leitlinien - auch
keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung entfaltet,
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vgl. VG Köln, Urteil vom 14. Juni 2007 - 13 K 4808/05 -, juris, m.w.N.,
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einen weiteren Anhaltspunkt für das Verständnis des Begriffs „Einzeldosisbehältnis" in
der pharmazeutischen Wissenschaft bietet. Nach dieser Leitlinie enthält ein
Einzeldosisbehältnis die Menge Arzneimittel, die für die Gesamt- oder Teilanwendung
bei einmaliger Darreichung vorgesehen ist. Die Leitlinie beschreibt dabei den Vorgang
der „Teilanwendung" („partial use") dahingehend, dass die für eine einmalige
Anwendung („single administration") bei dem jeweiligen Patienten benötigte Menge (=
Einzeldosis) entnommen und der Rest verworfen wird. Für eine „aufgeteilte"
Verabreichung an mehrere Patienten lässt diese Definition keinen Raum.
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Auch Sinn und Zweck der in Rede stehenden Vorgabe des Arzneibuchs legen
schließlich das dargestellte Verständnis des im Arzneibuch verwendeten Begriffs
„Einzeldosisbehältnis" nahe. Die Forderung nach einem Konservierungsmittel soll ohne
Zweifel der Gefahr einer mikrobiellen Verunreinigung des Arzneimittels entgegenwirken.
Diese Gefahr besteht nur dann von vornherein nicht, wenn dem Behältnis nur eine
einzige Injektionsdosis entnommen wird. Denn nur in diesem Falle lässt sich ohne
Weiteres ausschließen, dass in dem Zeitraum zwischen zwei Entnahmen eine
Verunreinigung erfolgt. Sobald hingegen der nach der Entnahme einer Dosis
verbliebene Rest für die Entnahme einer oder gar mehrerer zusätzlicher Einzeldosen
aufbewahrt wird, sei es auch nur für kurze Zeit, besteht grundsätzlich die Gefahr von
Verunreinigungen. Dieser Gefahr soll erkennbar durch die strikte Beschränkung
unkonservierter Injektionslösungen auf Einzeldosisbehältnisse begegnet werden. Auch
die Klägerin hat dieser Gefahr im Übrigen noch in ihrer die Einführung der 25 ml-
Ampulle betreffenden Änderungsanzeige vom 14. November 2001 Rechnung getragen,
nämlich durch den Hinweis in der Gebrauchsinformation, die Injektionslösung sei „nur
zur einmaligen Entnahme vorgesehen. Die Anwendung [müsse] unmittelbar nach der
Öffnung der Ampulle erfolgen. Nicht verbrauchte Reste [seien] zu verwerfen."
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Es mag aus medizinischer Sicht unter bestimmten Bedingungen vertretbar sein,
mehrere Dosen aus einer Ampulle zu entnehmen, wenn bestimmte
Verhaltensmaßregeln eingehalten werden. Dafür, dass es nach den anerkannten
pharmazeutischen Regeln zulässig sein soll, eine unkonservierte Injektionslösung in
einem Mehrdosenbehältnis in Verkehr zu bringen, hat die Klägerin aber keinerlei
Hinweise angeben können.
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Handelt es sich somit - gemessen an den Angaben der Klägerin und den von ihr
vorgelegten Stellungnahmen von Klinikärzten - um die Abgabe eines Arzneimittels in
einem Mehrdosenbehältnis, für die das Arzneimittel nach den anerkannten
pharmazeutischen Regeln seiner Zusammensetzung nach nicht geeignet ist, so sind die
Teilversagung und die sie umsetzenden Auflagen gerechtfertigt. Ob sich die auf einen
Ausschluss der 25 ml-Ampulle abzielenden Auflagen auch auf § 105 Abs. 5a S. 2 i.V.m.
§ 28 Abs. 2 Nr. 4 AMG stützen ließen, wenn man sich die nach dem Vortrag der Klägerin
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angestrebte und nach den Stellungnahmen der Ärzte auch zu erwartende Verwendung
bei mehreren Patienten hinwegdenkt, kann letztlich dahinstehen. Festzustellen ist
jedenfalls, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, auch bei Methämoglobinämie
im Kindesalter belaufe sich die maximal angezeigte Dosierung je Anwendung, also die
maximale „Einzeldosis", auf 1000 mg Ascorbinsäure (= 10 ml Injektionslösung), zutrifft.
Ein anderes Verständnis lässt die Formulierung der entsprechenden Passage in
Gebrauchs- und Fachinformation betreffend „Dosierungsanleitung, Art und Dauer der
Anwendung" nicht zu. Auch die von dem Verwaltungsgericht angenommenen Aspekte
der Überdosierungsgefahr und der Unwirtschaftlichkeit sind ohne Weiteres
nachvollziehbar.
Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die
Rechtssache weist keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die das
Normalmaß vergleichbarer Streitigkeiten übersteigen.
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Die Berufung ist ferner nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), denn die von der Klägerin aufgeworfenen
Fragen lassen sich ohne Weiteres ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens
beantworten. Über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende,
verallgemeinerungsfähige Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der
Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung dienlich und in der Berufung
klärungsbedürftig und klärungsfähig sind, hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 47 Abs. 1 u. 3, 52
Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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