Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2008

OVG NRW: rechtliches gehör, botschaft, staatsangehörigkeit, beratung, hinweispflicht, ausnahmefall, widerspruchsverfahren, beweisantrag, rechtsmittelbelehrung, prozessbeteiligter

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2465/07
Datum:
24.09.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2465/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 5403/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf
20.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen im fristgerecht eingereichten Schriftsatz vom 25. September
2007 führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die
Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in Frage zu stellen, eine widerspruchsfreie und
substantiierte Darlegung der behaupteten Falschberatung der Mutter des Klägers zu 1.
durch Botschaftsangehörige der Bundesrepublik Deutschland in Kiew sei nicht
gegeben, so dass der Kläger zu 1. die Nacherklärungsfrist des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG
1974 schuldhaft versäumt habe.
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Die pauschalen Behauptungen zu den Zuständen in der Botschaft in L. lassen jeglichen
individuellen und zeitlichen Bezug zu den konkreten Umständen bei der Vorsprache der
Mutter des Klägers zu 1. in der Botschaft, die angeblich bereits im September 1996
erfolgt sein soll, vermissen. Darüber hinaus sind sie nicht geeignet, den vom
Verwaltungsgericht zutreffend festgestellten Widerspruch im Vorbringen der Kläger,
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vgl. einerseits das Widerspruchsschreiben vom 1. Juli 2004 (S. 2, 6. Absatz): „Es ist
anzumerken, dass während der Antragstellung bei der deutschen Botschaft in L. die
Mutter des Widerspruchsführers so beraten wurde, dass sie allein ohne Kinder den
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Antrag stellen soll", und andererseits den Klagebegründungsschriftsatz vom 29. Januar
2007 (S. 3, 4. Absatz): „Bereits im September 1996 wandte sich die Mutter des Klägers
wegen einer Beratung bezüglich ihres eventuellen Erwerbs der deutschen
Staatsangehörigkeit an die deutsche Auslandsvertretung in L. . Dabei wurde die Mutter
des Klägers so beraten, dass sie zunächst die sämtlichen Unterlagen
(Archivbescheinigungen, Urkunden etc.) zusammenstellen muss, bevor sie einen Antrag
zur Ausstellung eines entsprechenden Ausweises einreichen darf",
hinreichend aufzulösen.
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Schließlich ergibt sich hieraus auch nicht, dass - worauf das Verwaltungsgericht
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ebenfalls zutreffend hingewiesen hat - sich die - angeblichen - Erkundigungen der
Mutter des Klägers zu 1. nicht nur auf ihre eigene deutsche Staatsangehörigkeit
bezogen haben, sondern auch die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1.
mitumfassten. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil der im Jahr 1968 geborene
Kläger zu 1. im Jahr 1996, dem Jahr der Kenntniserlangung hinreichender
Anhaltspunkte für das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit, seit langem
volljährig war und es daher ihm oblegen hat, sich um die Klärung seiner deutschen
Staatsangehörigkeit zu bemühen oder vorsorglich eine Erwerbserklärung abzugeben.
Dass die behaupteten Erkundigungen der Mutter des Klägers zu 1. in der Botschaft in L.
sich auch auf die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1. bezogen haben, ist
weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der pauschale Hinweis auf den engen
familiären Zusammenhalt und die beabsichtigte gemeinsame Ausreise gibt keinen
Aufschluss über die inhaltliche Ausrichtung der - angeblichen - Erkundigungen.
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Die im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorgebrachten Rügen des Unterlassens
weiterer Aufklärung, des Unterlassens eines gerichtlichen Hinweises zur
Unsubstantiiertheit des bisherigen Vortrags und des Übergehens des Beweisangebots,
die Mutter des Klägers zu 1. zu den Umständen ihrer Erkundigungen in der deutschen
Botschaft in L. anzuhören, sind nicht geeignet, das Ergebnis der gerichtlichen
Entscheidung i.S.d. Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Frage zu
stellen; sie betreffen vielmehr das gerichtliche Verfahren und sind daher in der Sache
Verfahrensrügen i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
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Die mit der Geltendmachung der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs.
1 VwGO) erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Eine weitere Aufklärung musste
sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Der in Bezug auf die Einhaltung der
Fristen des Art. 3 Abs. 6 und 7 RuStAÄndG 1974 darlegungs- und beweispflichtige
Erklärungsberechtigte ist gehalten, hinsichtlich der in seine Sphäre fallenden Umstände
unter Angabe genauer Einzelheiten einen schlüssigen, in sich stimmigen Sachverhalt
zu schildern, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt - die Einhaltung der Frist ergibt.
Genügt das Vorbringen - wie hier - diesen Anforderungen nicht, kann das
Tatsachengericht auch ohne Beweisaufnahme in der Sache entscheiden.
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Vgl. etwa: OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2007 - 12 A 999/05 -, m.w.N.
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Die weitere (Verfahrens-)Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs, die die Kläger
sinngemäß mit der Begründung erhoben haben, das Verwaltungsgericht habe nicht auf
die Unsubstantiiertheit des Vortrags hingewiesen und ihnen dadurch die Möglichkeit
genommen, den Vortrag zu ergänzen, bleibt erfolglos. Eine Verletzung der richterlichen
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Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) liegt nicht vor. Durch § 86 Abs. 3 VwGO soll
verhindert werden, dass die Rechtsverfolgung an der Unerfahrenheit, Unbeholfenheit
oder mangelnden Rechtskenntnis eines Beteiligten scheitert. Indes verpflichtet die
Regelung das Gericht grundsätzlich weder zu einer umfassenden Erörterung aller
entscheidungserheblichen Gesichtspunkte noch dazu, die Beteiligten vorab auf seine
Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen,
weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der
abschließenden Beratung ergibt.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2001
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- 4 B 50.01 -, Juris; Beschluss vom 15. August 2003 - 1 B 107.03 -, Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 274, m.w.N.
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Eine gerichtliche Hinweispflicht besteht danach nur dann, wenn auch ein
gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das
Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.
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Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 29. Mai 1991
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- 1 BvR 1383/90 -, BVerfGE 84, 188 ff.; BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 9
B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51; OVG NRW, Beschluss vom 13.
Februar 2008 - 12 A 2708/06 -, m. w. N.
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor. Die anwaltlich vertretenen
Kläger haben bereits mit ihrem Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 16.
Juni 2004 u.a. geltend gemacht, die Nacherklärungsfrist des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG
1974 deshalb nicht schuldhaft versäumt zu haben, weil die Mutter des Klägers zu 1. bei
ihrer Vorsprache in der deutschen Botschaft in L. falsch beraten worden sein soll. Da
das Gericht grundsätzlich davon ausgehen darf, dass ein Rechtsanwalt mit der Sach-
und Rechtslage hinreichend vertraut ist,
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2001
19
- 4 B 50.01 -, a.a.O.,
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konnte es voraussetzen, dass den Prozessbevollmächtigten der Kläger auch ohne
einen gesonderten Hinweis das Erfordernis eines widerspruchsfreien und
substantiierten Vortrags bekannt ist. Das Verwaltungsgericht hat des weiteren bis zur
mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen gegeben, dass es dem diesbezüglichen -
und erkennbar widersprüchlichen - Vortrag der Kläger aus dem Widerspruchsverfahren
und aus dem Klageverfahren ohne weitere Vertiefung des Vortrags Glauben schenkt, so
dass die Kläger davon ausgehen mussten, dass ihr Vorbringen einer gerichtlichen
Überprüfung unterliegen werde und es daher in ihrem ureigensten Interesse liege, dem
Gericht vor seiner Entscheidung sämtliche Einzelheiten zu diesem Vorgang zur
Kenntnis zu bringen.
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Die Verfahrensrüge der Kläger, das Verwaltungsgericht habe dem Beweisangebot, die
Mutter des Klägers zu 1. zu den Umständen ihrer Erkundigungen in der deutschen
Botschaft in L. anzuhören, nicht entsprochen, greift ebenfalls nicht durch. Zum einen war
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das Verwaltungsgericht schon aufgrund des widersprüchlichen und unsubstantiierten
Vortrags nicht gehalten, in eine Beweiserhebung einzutreten. Zum anderen ist insoweit
Rügeverlust eingetreten. Die anwaltlich vertretenen Kläger haben ihr Rügerecht
verloren, weil sie nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um sich
rechtliches Gehör zu verschaffen. Zu den verfahrensrechtlichen Befugnissen, von denen
ein Rechtsanwalt erforderlichenfalls Gebrauch machen muss, um den Anspruch des von
ihm vertretenen Beteiligten auf rechtliches Gehör durchzusetzen, zählt insbesondere
auch die Stellung eines unbedingten Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung,
der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO nur durch einen Gerichtsbeschluss, der zu begründen ist,
abgelehnt werden kann. Die begründete Ablehnung des Beweisantrags ermöglicht es
dem Antragsteller zu ersehen, ob er neue, andere Beweisanträge stellen oder seinen
Vortrag ergänzen muss.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1997
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- 8 B 2.97 -, Buchholz 310 § 102 VwGO Nr. 21 m.w.N.; Urteil vom 22. April 1986 - 9 C
318.85 u.a. -, NVwZ 1986, 928 (930); OVG NRW, Beschluss vom 4. September 2008 -
12 A 839/07 -.
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Die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, haben die Kläger jedoch nicht
wahrgenommen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli
2007 hat ihr Prozessbevollmächtigter einen unbedingten Beweisantrag nach § 86 Abs.
2 VwGO nicht gestellt. Hinderungsgründe sind insoweit nicht geltend gemacht worden.
Wer sich auf diese Weise seiner rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung
seines rechtlichen Gehörs begibt, kann sich nicht im Nachhinein auf die Versagung
rechtlichen Gehörs berufen.
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Die mit Schriftsatz vom 6. November 2007 vorgebrachten weiteren Zulassungsgründe
(ernstliche Zweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der Ablehnung der begehrten
Schriftsatznachlassfrist, besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten i.S.v. §
124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) können nicht mehr berücksichtigt werden, weil die Frist zur Darlegung der
Zulassungsgründe gegen das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung
versehene und am 25. Juli 2007 zugestellte Urteil gemäß
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§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bereits am 25. September 2007 abgelaufen gewesen ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach § 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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