Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.03.2002

OVG NRW: anweisung, treu und glauben, wirkung ex nunc, unechte rückwirkung, status positivus, realisierung, bundesverwaltung, vorrang, zukunft, sachprüfung

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 4078/00
Datum:
08.03.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 A 4078/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 15 K 6817/97
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 102.258,37 EUR
(entspricht 200.000 DM) festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund einer der Rechtssache zukommenden
grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, ist der Antrag
bereits unzulässig, weil der Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des §
124a Abs. 1 Satz 4 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden und hier
maßgeblichen Fassung (a.F.) entsprechenden Weise dargelegt worden ist.
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Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass
der Rechtsmittelführer eine bestimmte, in dem betreffenden Rechtsmittelverfahren
klärungsbedürftige Frage des formellen oder materiellen Rechts aufwirft, die über den
konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und
Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Hierzu ist die Rechtsfrage
grundsätzlich auszuformulieren und ferner substantiiert zu begründen, warum sie der
Rechtsmittelführer für rechtsgrundsätzlich und in dem angestrebten Berufungsverfahren
für klärungsbedürftig hält.
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Vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 7. August 2001 - 1 A 3141/01 - und vom 12. April 2001 -
1 A 5404/00 -.
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Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Es fehlt bereits an der
konkreten Ausformulierung einer für klärungsbedürtig gehaltenen Rechtsfrage. Ferner
ist auch die rechtsgrundsätzliche Bedeutung und Klärungsbedürftigkeit der lediglich
allgemein in Bezug genommenen Rechtsfragen des Verfahrens nicht hinreichend
substantiiert dargelegt. Die Ausführungen erschöpfen sich in Mutmaßungen, ohne
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konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der Rechtssache aufzuzeigen. Der pauschale Hinweis auf die abstrakt
bestehende Möglichkeit einer Betroffenheit anderer Beamten der Beklagten reicht
insofern nicht aus. Auch fehlt es an einer substanziellen Auseinandersetzung mit der
erstinstanzlichen Entscheidung zur Darlegung der Frage der Klärungsbedürftigkeit.
2. Der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit
der Entscheidung des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO greift in der
Sache nicht.
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"Ernstliche Zweifel" im Sinne der Vorschrift sind nur solche, die erwarten lassen, dass
die Berufung in einem durchzuführenden Berufungsverfahren mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit Erfolg hätte. Solche Zweifel bestehen hier auf der Grundlage des
Klägervorbringens ersichtlich nicht.
8
Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Insbesondere
hat es rechtsfehlerfrei die am 16. Oktober 1995 in Kraft getretene "Anweisung für das
betriebliche Vorschlagswesen bei der Deutschen Telekom AG" vom 28. September
1995 (im Folgenden: Anweisung 1995) als Rechtsgrundlage für den vom Kläger am 27.
März 1996 - erneut - geltend gemachten Prämierungsanspruch herangezogen.
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a) Dabei ist für die Bewertung der Rechtslage von folgenden Grundlagen im
Tatsächlichen und Rechtlichen auszugehen:
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Mit Schreiben vom 19. Mai 1993 reichte der Kläger den Verbesserungsvorschlag
"Codenummerntelefonieren" aus dem Jahr 1989 erneut ein und legte ihn wegen
angeblicher Realisierung des Systems "zur Nachprämierung" vor. Dieses Begehren ist
bei verständiger Würdigung der Interessenlage des Klägers gemäß § 133 BGB analog
als Antrag auf nachträgliche Annahme des Verbesserungsvorschlags im Sinne der -
damals noch geltenden - Nr. 4.9 der "Anweisung für das betriebliche Vorschlagswesen
bei der Deutschen Bundespost - Telekom" aus dem Jahr 1990 (im Folgenden:
Anweisung 1990) auszulegen. Eine Bewertung als Antrag auf Nachprämierung kommt
ungeachtet der vom Kläger gewählten Formulierung entsprechend dem Grundsatz
"falsa demonstratio non nocet" mangels vorangegangener Erstprämierung ersichtlich
nicht in Betracht. Auch eine Auslegung als Gegenvorstellung gemäß Nr. 8 der
Anweisung 1990 entspricht angesichts der offenkundig vorliegenden Verfristung eines
solchen Rechtsbehelfs nicht der bei der Auslegung einer Eingabe zu
berücksichtigenden Interessenlage des Einreichenden. Zudem erstrebte der Kläger, wie
sich aus seinem Hinweis auf den angeblichen Einsatz seines vorgeschlagenen
Systems ergibt, nicht nur eine rechtliche Überprüfung des Ablehnungsbescheids der
Beklagten vom 20. September 1991, sondern vielmehr auch eine erneute Sachprüfung
auf der Grundlage vermeintlich neuer Tatsachen.
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Im Schreiben vom 11. August 1993 wertete die Beklagte den Antrag des Klägers weder
als Antrag auf nachträgliche Annahme (mangels Realisierung) noch als Antrag auf
Nachprüfung (mangels Vorprämierung). Sie behandelte den Antrag wegen Verfristung
auch nicht als Gegenvorstellung, obwohl sie ihn als solche auslegte (vgl. ausdrücklich
Seite 1 des Schreibens vom 11. August 1993). Gleichwohl nahm sie eine erneute
Sachprüfung vor und teilte dem Kläger das Ergebnis ergänzend zu den Gründen des
Ablehnungsbescheids vom 20. September 1991 "nachrichtlich" mit. Insofern hat die
Beklagte zum einen - wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen - eine rechtliche
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Überprüfung des Ablehnungsbescheids vom 20. September 1991 trotz Bestandskraft
und damit den Erlass eines Zweitbescheids bezüglich des erneut vorgelegten
Verbesserungsvorschlags aus 1989 abgelehnt und lediglich in Gestalt einer
"wiederholenden Verfügung" auf den Ablehnungsbescheid vom 20. September 1991
hingewiesen. Zum anderen hat sie aber den Antrag auf nachträgliche Annahme des
Verbesserungsvorschlags der Sache nach - konkludent - abgelehnt, wenn sie ihn auch
nicht als solchen gewertet hat.
Bei der - mit Blick auf die dargelegte Unklarheit/Widersprüchlichkeit erforderlichen -
Auslegung des in Rede stehenden behördlichen Akts kommt es für sein Verständnis
grundsätzlich auf den objektiven Empfängerhorizont an, d.h. darauf, wie der Adressat
unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls den objektiven Sinngehalt eines
Schreibens nach Treu und Glauben gemäß §§ 133, 157 BGB analog verstehen musste
bzw. durfte.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Juni 1991 - 7 C 43.90 -, NVwZ 1993, 177 (179), und vom
15. Dezember 1989 - 7 C 35.87 -, DVBl. 1990, 371 (374).
14
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Kläger mit seinem Antrag vom 19. Mai
1993 eine vermeintliche Änderung der Tatsachenlage vorgetragen und auf dieser
Grundlage eine neue Sachprüfung verlangt hatte, konnte und durfte er den - wenn auch
pauschalen - Hinweis der Beklagten, dass eine Realisierung des
Verbesserungsvorschlags nicht erfolgt sei - was vom Kläger mit seinem Antrag aber
gerade zur Überprüfung gestellt worden war -, nur dahin verstehen, dass die Beklagte
von einer Veränderung der Tatsachenlage, insbesondere einem Wegfall der
Ablehnungsgründe nicht ausgeht und den Antrag auf nachträgliche Annahme deshalb
in der Sache ablehnt. Dafür spricht auch die - wenn auch formal nur nachrichtlich
mitgeteilte - Ergänzung der Gründe des Ablehnungsbescheids vom 20. September
1991, wodurch zum Ausdruck kommt, dass die Beklagte noch die ursprüngliche
Tatsachengrundlage zu Grunde legt und einen Anlass zur nachträglichen Annahme des
Vorschlags nicht anerkennt.
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Dieser Auslegung steht auch nicht die vom Verwaltungsgericht angeführte Passage aus
dem Schreiben der Beklagten vom 11. August 1993 entgegen, wonach das Schreiben,
"da der Antrag des Klägers nicht als Gegenvorstellung gewertet werden könne, kein
erneuter Ablehnungsbescheid im Sinne des 8. Abschnitts der Anweisung 1990" sei.
Abgesehen von dem Umstand, dass die Beklagte sich mit der ersten Feststellung in
Widerspruch zu ihrer eigenen Auslegung des Antrags als - verfristete -
Gegenvorstellung setzt, ist diese Aussage im Zusammenhang mit den nachfolgenden
Ausführungen zu sehen, wonach "weitere Gegenvorstellungen nicht mehr möglich
seien". Daraus sowie aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf den 8. Abschnitt der
Anweisung 1990, der die Bearbeitung von Gegenvorstellungen betrifft, folgt, dass einzig
die Möglichkeit einer weiteren Gegenvorstellung nach Nr. 8 Abs. 4 der Anweisung 1990
verhindert werden sollte. Dass darüber hinaus Rechte des Klägers beschränkt werden
sollten - respektive das Recht zur nochmaligen Beantragung einer nachträglichen
Annahme - kann dieser Aussage nicht entnommen werden. Überdies ist sowohl unter
Rechtsschutzgesichtspunkten als auch unter dem Aspekt treuwidrigen Verhaltens
angesichts der in der Sache getroffenen Ablehnungsentscheidung die lediglich formale
Feststellung der Beklagten, eine Entscheidung überhaupt nicht treffen zu wollen, als
unbeachtlich für den Charakter des Schreibens als Ablehnungsbescheid anzusehen.
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Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass Unklarheiten bei der Auslegung eines
Bescheids - wie sie hier im Hinblick auf die widersprüchlichen Wertungen seitens der
Beklagten bestehen - zu Lasten der Behörde gehen.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 1992 - 15 A 1133/89 -, NVwZ 1993, 75 (76).
18
Der Kläger hat sich im Folgenden mit der Ablehnung seines Antrags auf nachträgliche
Annahme seitens der Beklagten abgefunden. Im Schreiben vom 27. März 1996 - hierbei
handelt es sich um einen erneuten Antrag auf nachträgliche Annahme - sowie in der
Einspruchsschrift vom 12. September 1996 ist er selbst von einer
Ablehnungsentscheidung im Schreiben vom 11. August 1993 ausgegangen. Er kann
deswegen in diesem Zusammenhang nicht mit dem Einwand gehört werden, eine
Bescheidung seines - ersten - Antrags vom 19. Mai 1993 sei bislang nicht erfolgt und
der mit Schreiben vom 27. März 1996 erneut gestellte Antrag auf nachträgliche
Annahme stelle lediglich eine Ergänzung des noch laufenden Verfahrens auf
nachträgliche Annahme aus dem Jahr 1993 dar.
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Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage stellt sich das Problem, ob der Kläger die
mittlerweile auf drei Jahre verkürzte Frist für die Einreichung von Anträgen auf
nachträgliche Annahme nach Nr. 6.3 Abs. 3 der Anweisung 1995 mit seinem - zweiten -
Antrag vom 27. März 1996 eingehalten hat, gar nicht. Denn als für den Fristbeginn
maßgeblicher letzter Ablehnungsbescheid im Sinne der Nr. 6.3 Abs. 3 der Anweisung
1995 ist - wie dargelegt - das Schreiben der Beklagten vom 11. August 1993 zu Grunde
zu legen. Der Kläger hat seinen Antrag vom 27. März 1996 daher noch vor Ablauf der
Dreijahresfrist und damit fristgerecht gestellt.
20
Der Antrag auf nachträgliche Annahme vom 27. März 1996 ist indes unter einem
anderen rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig. Nach der Neuregelung des Verfahrens
der nachträglichen Annahme in Nr. 6.3 Abs. 2 der Anweisung 1995 kann ein Antrag auf
nachträgliche Annahme von dem Einsender - anders als in Nr. 4.9 Abs. 1 der
Anweisung 1990 vorgesehen - nunmehr nur noch einmal gestellt werden. Da der Kläger
mit Schreiben vom 19. Mai 1983 bereits einmal eine nachträgliche Annahme seines
Verbesserungsvorschlags aus dem Jahr 1989 wegen angeblicher Realisierung
beantragt hat, ist er nunmehr gemäß Nr. 6.3 Abs. 2 Anweisung 1995 mit einer erneuten
Antragstellung ausgeschlossen.
21
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anweisung 1995 unter Abänderung der
Anweisung 1990 rechtswirksam in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung eingeführt
worden. Insbesondere bestehen - auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher
Vorgaben - keine Bedenken im Hinblick darauf, dass die Neuregelung in Nr. 6.3 Abs. 2
der Anweisung 1995 eine Möglichkeit zur Stellung eines zweiten Antrags auf
nachträgliche Annahme nicht mehr vorsieht.
22
aa) Bei der Anweisung 1990 handelt es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um
Verwaltungsvorschriften, mithin um verwaltungsinterne innerdienstliche Weisungen für
die Aufgabenerledigung der Verwaltungseinheit, an die sie sich richten. Diese
Verwaltungsvorschriften vermögen über die ihnen zunächst nur innewohnende interne
Bindung hinaus auch Außenwirkung im Verhältnis der Verwaltung zum Bürger
dergestalt zu entfalten, dass sie die Verwaltung bei gleichmäßiger Anwendung an ihre
Einhaltung binden, sei es vermittelt über den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
respektive das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20
23
Abs. 3 GG),
vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 - 3 C 6.96 -, BVerwGE 104, 220 (223),
24
sei es über eine entsprechend der Auslobung gemäß §§ 657 ff. des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) durch Bekanntgabe begründete unmittelbare Selbstverpflichtung
der Verwaltung,
25
vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980 - 2 C 3.78 -, BVerwGE 59, 348 (352 f.); OVG
NRW, Urteil vom 11. November 1993 - 1 A 130/90 -, NWVBl. 1994, 215 (216).
26
In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte auch im
Fall der Begründung einer Selbstbindung der Beklagten an die Anweisung 1990 durch
eine entsprechende Anwendung der §§ 657 ff. BGB der jeweils zuständige Prüfungs-
und Bewertungsausschuss bei seinen Entscheidungen über die Annahme und
Prämierung von Verbesserungsvorschlägen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu
beachten,
27
vgl. für das Vorschlagswesen in der Bundesverwaltung: BVerwG, Urteil vom 31. Januar
1980 - 2 C 3.78 -, BVerwGE 59, 348 (353 f.),
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so dass Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls als Maßstab für die Beurteilung der Wirksamkeit der
Änderung der Verwaltungsvorschrift heranzuziehen ist.
29
In der Anwendung der Nr. 6 Abs. 2 der Anweisung 1995, wonach eine nachträgliche
Annahme nunmehr lediglich einmal beantragt werden kann, liegt indes kein Verstoß
gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Denn nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Änderung von Verwaltungsvorschriften nach
Ermessen des Vorschriftengebers für die Zukunft zulässig, vorausgesetzt sie erfolgt aus
willkürfreien, sachgerechten Erwägungen und findet auf alle neu Betroffenen
gleichmäßige Anwendung.
30
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 - 3 C 6.95 -, BVerwGE 104, 220 (223), und
Beschluss vom 1. Juni 1979 - 6 B 33.79 -, ZBR 1980, 1329 (1330).
31
Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Eine gleichmäßige Anwendung der neuen
Verwaltungsvorschrift ist durch die Umschreibung des Anwendungsbereichs in Nr. 1 der
Anweisung 1995 gewährleistet. Überdies liegt die von der Beklagten für die Verkürzung
der Antragsfrist in einem Vermerk zur Anweisung 1995 vom 25. August 1995 gegebene
Begründung - namentlich die angesichts der schnellen Umfeldveränderungen
bestehende Schwierigkeit, alte Verbesserungsvorschläge als Ursache für aktuelle
Innovationen anzuerkennen - ebenfalls der Reduzierung der Anzahl der
Antragsmöglichkeiten zu Grunde und ist insofern als ein die Änderung der
Verwaltungsvorschrift sachlich rechtfertigender Grund anzuerkennen. Denn für den Fall,
dass für einen Einsender die Möglichkeit besteht, zwei Mal eine nachträgliche Annahme
zu beantragen, stellt sich angesichts des mit der Durchführung eines zweiten
Annahmeverfahrens verbundenen Zeitablaufs - zumal bei Ausnutzung der
Antragsfristen - das Problem der Kausalitätsfeststellung in gleicher Weise. Bereits als
allgemeiner Erfahrungssatz kann festgehalten werden, dass die Feststellung der
Kausalität konkreter tatsächlicher Umstände bzw. Ursachen für einen bestimmten Erfolg
mit zunehmendem Zeitablauf erheblichen Schwierigkeiten im tatsächlichen Bereich
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unterliegt. Diese Problematik stellt sich um so mehr in Lebensbereichen - wie hier der
Telekommunikation -, die auf Grund des raschen technischen Fortschritts sowie ggf. der
Gleichzeitigkeit von Neuentwicklungen einem ständigen Wandel unterworfen sind. Der
Einwand des Klägers, die praktische Relevanz von Verbesserungsvorschlägen komme
mitunter erst nach längerer Zeit zum Tragen, greift insofern nicht, als er nicht geeignet
ist, das Problem der Kausalitätsfeststellung in Frage zu stellen. Er betrifft vielmehr einen
qualitativ anderen Gesichtspunkt, dem die Beklagte durch das Institut der nachträglichen
Annahme von Verbesserungsvorschlägen innerhalb einer Antragsfrist von drei Jahren
hinreichend Rechnung getragen hat, dem sie jedoch gerade nicht im Rahmen des ihr
bei der Ausgestaltung des betrieblichen Vorschlagswesens zustehenden
Ermessensspielraums den Vorrang eingeräumt hat.
bb) Ferner stellt sich die Änderung der Anweisung 1990, genauer die Reduzierung der
Möglichkeit zur Beantragung einer nachträglichen Annahme in Nr. 6.3 Abs. 2 der
Anweisung 1995, auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3
GG) - selbst unter Anlegung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe
über die Rückwirkung von Rechtsnormen - nicht als unzulässig dar.
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Mit dem Verwaltungsgericht ist bei der in Rede stehenden Sachlage lediglich ein Fall
"unechter" Rückwirkung anzunehmen. Eine solche liegt vor, wenn retrospektiv auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für
die Zukunft eingewirkt und die betroffenen Rechtspositionen nachträglich im Ganzen
entwertet werden.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 17/69 -,
BVerfGE 30, 392 (402).
35
Da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Anweisung 1995 die nach Nr. 4.9 der
Anweisung 1990 geltende Antragsfrist von fünf Jahren gerechnet vom Tag der
Absendung des letzten Ablehnungsbescheids (hier: Schreiben vom 11. August 1993),
für den Kläger noch lief, wurde auf einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt mit
Wirkung ex nunc eingewirkt und das Recht zur Beantragung einer nachträglichen
Annahme nachträglich zum Nachteil des Klägers neu gestaltet.
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Eine "unechte" Rückwirkung ist unter Berücksichtigung des Gebots des
Vertrauensschutzes grundsätzlich zulässig,
37
vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. März 1971 - 2 BvL 17/69 -, a.a.O., und vom 13. Mai
1986 - 1 BvL 55/83 -, BVerfGE 72, 141 (154),
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es sei denn, dass im Rahmen einer Abwägung dem Vertrauen des nachteilig in seiner
Rechtsposition Betroffenen in die bestehende Rechtslage gegenüber den Gründen für
die Neuregelung der Vorrang gebührt.
39
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 17/69 -, BVerfGE 30, 392 (404);
Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 20 Rn. 137.
40
Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung zu dem zutreffenden Ergebnis
gelangt, dass das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der Anweisung 1990
keinen Vorrang vor den Interessen der Beklagten an der Änderung der
Verwaltungsvorschrift verdient. Auch wenn für den Kläger nach Nr. 6.3 Abs. 2
41
Anweisung 1995 die Möglichkeit zur Stellung eines zweiten Antrags auf nachträgliche
Annahme nicht mehr besteht, ist ein etwa betätigtes Vertrauen des Klägers auf den
Fortbestand der Anweisung 1990 nicht schutzwürdig. In diesem Zusammenhang ist zu
berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der
sich für die "Arbeitsanweisungen für das betriebliche Vorschlagswesen (Fassung
1982)" der Rechtsvorgängerin der Beklagten bereits der Senat angeschlossen hat,
materiell-rechtliche Prämienansprüche nur (und erst) nach Maßgabe der Entscheidung
des jeweils zuständigen Prämienausschusses eingeräumt werden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980 - 2 C 3.78 -, BVerwGE 59, 348 (352 f.); OVG
NRW, Urteil vom 11. November 1993 - 1 A 130/90 -, NWVBl. 1994, 215 (216).
42
Demzufolge bestehen bis zu einer Entscheidung des zuständigen Ausschusses gerade
keine gesicherten Rechtspositionen, sondern lediglich bloße Chancen bzw.
Erwartungen im Hinblick auf die künftige Begründung eines materiell-rechtlichen
Prämienanspruchs nach Wahrnehmung des in der Anweisung eingeräumten
Antragsrechts, die einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand zu begründen nicht
geeignet sind. Überdies ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Vertrauen auf
den Fortbestand und die unveränderte zukünftige Anwendung von
Verwaltungsvorschriften - für sich - keinen Rechtsschutz genießt, da
Verwaltungsvorschriften generell unter dem Vorbehalt der Änderung stehen und einen
Besitzstand für die Zukunft nicht begründen.
43
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 1979 - 6 B 33.79 -, ZBR 1980, 23 (24); OVG NRW,
Urteil vom 30. November 1979 - XI A 510/77 -, DVBl. 1980, 648 (649).
44
Dies gilt für den vorliegenden Fall um so mehr, als es sich bei der Prämierung von
Verbesserungsvorschlägen im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens um einen
normativ nicht vorgeprägten Bereich freiwilliger Leistungen handelt, bezüglich dessen
Regelung - insbesondere der Voraussetzungen für die Begründung materiell- rechtlicher
Prämienansprüche - der Beklagten ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.
45
Vgl. für das Vorschlagswesen in der Bundesverwaltung: BVerwG, Urteil vom 31. Januar
1980 - 2 C 3.78 -, BVerwGE 59, 348 (350 f.).
46
Schließlich hat der Kläger auch keine besonderen finanziellen Dispositionen getätigt,
die im Rahmen der Abwägung zu seinen Gunsten einzustellen wären. Demgegenüber
besteht - wie bereits dargelegt - ein sachlich begründetes und auch anerkennenswertes
Interesse der Beklagten an der Neuregelung des Antragsrechts im Bereich der
nachträglichen Annahme von Verbesserungsvorschlägen. Dem Bedürfnis für eine
Reduzierung der Antragsmöglichkeiten zur Vermeidung von Schwierigkeiten im
Rahmen der Kausalitätsfeststellung steht auf Seiten des Klägers nach alledem ein
schutzwürdiges Vertrauen auf die alte Rechtslage nicht entgegen. Der Kläger kann auch
nicht mit dem Einwand gehört werden, die Beklagte habe zumindest
Übergangsvorschriften zum Schutz seiner bestehenden Rechtspositionen schaffen
müssen. Denn solche Rechtspositionen sind durch die Anweisung 1990 - wie
ausgeführt - gerade nicht begründet worden.
47
cc) Entgegen der - in Bezug auf die Verkürzung der Antragsfrist geäußerten -
Rechtsauffassung des Klägers führt die Reduzierung der Antragsmöglichkeiten auch
nicht zu einer Verletzung des Klägers in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art.
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12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 5 GG. Es dürfte insoweit bereits an der
Eröffnung des Schutzbereichs fehlen. Die primäre Gewährleistungsdimension des Art.
12 Abs. 1 GG liegt entsprechend der Grundkonzeption eines Freiheitsgrundrechts in der
Funktion als Abwehrrecht des Bürgers gegenüber hoheitlichen Eingriffen in die
berufliche Freiheit (status negativus).
Vgl. Tettinger in Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 12 Rn. 9.
49
Der Kläger macht vorliegend in der Sache keine Beeinträchtigung in seinen
schöpferischen Leistungen im Rahmen seiner beruflichen Betätigung und damit eine
Verletzung des status quo geltend, sondern begehrt vielmehr eine Erweiterung seines
Rechtskreises durch Zuerkennung eines Prämienanspruchs seitens der Beklagten. Ein
Teilhabe- und Leistungsrecht (status positivus) gewährt Art. 12 Abs. 1 GG jedoch nur
ausnahmsweise, wenn dies notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung des
Grundrechts ist. Als solches ist Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG
insbesondere im Bereich der Berufs- und Ausbildungswahl anerkannt, wenn es um den
Zugang zu staatlichen Berufen und Arbeitsplätzen bzw. zu in staatlicher Verantwortung
betriebenen Ausbildungseinrichtungen geht.
50
Vgl. Tettinger in Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 12 Rn. 11; Pieroth/Schlink,
Grundrechte, 13. Aufl., Rn. 862.
51
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Bei der vom Kläger begehrten
Prämienzahlung handelt es sich vielmehr um freiwillige Leistungen in einem nicht von
Rechtsnormen vorgeprägten Raum, der der Gestaltung der Beklagten auf Grund eigener
Initiative und nach selbst gesetzten Regeln und Wertungen offen steht. Namentlich
besteht für die Beklagte keinerlei öffentlich-rechtliche Rechtspflicht, auch nicht aus der
beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG), ihren Bediensteten für
eingereichte Verbesserungsvorschläge Belohnungen in Form von Geldprämien zu
zahlen,
52
vgl. für das Vorschlagswesen in der Bundesverwaltung: BVerwG, Urteil vom 31. Januar
1980 - 2 C 3.78 -, BVerwGE 59, 348 (350 f.).
53
Insofern kann eine zusätzliche, über die gesetzlich bestehenden Besoldungs- bzw.
Versorgungsverpflichtungen hinaus versprochene Leistung des Dienstherrn, die
ausschließlich auf einer Selbstverpflichtung beruht, nicht über Art. 12 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 33 Abs. 5 GG eingefordert werden. Überdies dürfte insoweit der
Anwendungsvorrang des einfachen Rechts zum Tragen kommen und ein Bedürfnis für
den Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht anzunehmen sein.
54
Jedenfalls läge in der Reduzierung der Antragsmöglichkeiten durch die Anweisung
1995 aber eine im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG zulässige Schranke auf Grund des § 11
des Postpersonalrechtsgesetzes, die auch verhältnismäßig wäre, da sie ihre
Rechtfertigung - wie auf der hier einschlägigen Stufe der Berufsausübung erforderlich -
in sachlichen Erwägungen des Gemeinwohls (Reduzierung der Schwierigkeiten der
Kausalitätsfeststellung infolge zunehmenden Zeitablaufs) fände.
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c) Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zu Recht eine eigenständige, zeitlich
unbeschränkte Verpflichtung der Beklagten zur Annahme von
Verbesserungsvorschlägen mit der Konsequenz abgelehnt, dass das Ob und Wann
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einer Antragstellung letztlich unbeachtlich wäre. Insbesondere begegnet die von ihm
vorgenommene Auslegung der Nr. 6.3 der Anweisung 1995 dergestalt, dass Abs. 1 der
Vorschrift lediglich eine Verpflichtung zur nachträglichen Annahme von Amts wegen
regele, wenn die Beklagte selbst die Annahmevoraussetzungen anerkenne, während
Abs. 2 und 3 die Fälle beträfen, in denen die Annahmevoraussetzungen streitig seien,
keinen rechtlichen Bedenken. Nr. 6.3 der Anweisung 1995 differenziert bezüglich der
nachträglichen Annahme von abgelehnten Verbesserungsvorschlägen zwischen dem
von Amts wegen einzuleitenden Wiederaufgreifen des Annahmeverfahrens mit einer
gebundenen Annahmeentscheidung einerseits (Abs. 1) und der Einleitung des
Annahmeverfahrens auf Antrag des Einsenders eines abgelehnten
Verbesserungsvorschlags andererseits (Abs. 2). Bereits Wortlaut und Systematik der
Vorschrift legen nahe, dass beide Verfahrensarten unterschiedliche
Anwendungsbereiche betreffen. Insbesondere aber aus der zeitlichen Beschränkung
des Antragsrechts in Abs. 3 folgt, dass eine zwingende, zeitlich unbegrenzte
Prüfungspflicht der Beklakgten in Abs. 1 nicht gewollt sein kann, da eine solche dem
oben dargelegten Sinn und Zweck der Antragsfrist widerspräche, der durch die
Verkürzung der Antragsfrist sowie die Reduzierung der Möglichkeiten zur Antragstellung
gerade noch besondere Betonung erfahren hat. Für eine solche Auslegung spricht auch
die ursprüngliche Fassung der Anweisung 1990, wonach gemäß Nr. 4.9 Abs. 3 eine
nachträgliche Annahme allgemein nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich war.
Dafür, dass die Beklagte diesen Rechtsgedanken in der Neufassung 1995 aufgeben
wollte, bestehen - zumal vor dem Hintergrund der Fristverkürzung und der Reduzierung
der Antragsmöglichkeiten - keine Anhaltspunkte.
3. Es kann dahin stehen, ob der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund besonderer
tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
hinreichend dargelegt worden ist; er liegt jedenfalls in der Sache nicht vor. Denn aus
den zum Zulassungsgrund der "ernstlichen Zweifel" angeführten Gründen ergibt sich
entsprechend, dass hier der Ausgang eines künftigen Berufungsverfahrens auch nicht
als wenigstens offen beurteilt werden kann, wie es für den Zulassungsgrund der
"besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten" erforderlich wäre.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt
aus §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 und 3 GKG.
58
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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