Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.01.2007

OVG NRW: öffentliche urkunde, anhörung, protokollierung, russisch, gespräch, befragung, belastung, widerspruchsverfahren, klima, verfassung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2979/06
Datum:
16.01.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2979/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 17 K 6359/05
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der
Entscheidung des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die
Annahme des Verwaltungsgerichts, der Klägerin zu 1. stehe ein Anspruch auf Erteilung
eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG nicht zu, da sie nicht über
die gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse verfüge,
und damit stehe auch dem Kläger zu 2. ein Anspruch auf Einbeziehung in den
Aufnahmebescheid seiner Ehefrau gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG - ungeachtet der
Frage, ob er einen solchen Anspruch ggfls. nach der Neufassung des § 27 BVFG
überhaupt noch geltend machen könne - nicht zu, nicht in Zweifel zu ziehen.
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Soweit die Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 30. Juni 2004 - 5 B 32.03 -) geltend
machen, die Einstufung der Sprachkenntnisse der Klägerin zu 1. durch den Sprachtester
sei nicht als Grundlage für die Beurteilung des Sprachvermögens geeignet, da es sich
hierbei nicht um eine öffentliche Urkunde, sondern nur um eine schriftlich niedergelegte
individuelle Beurteilung eines Behördenbediensteten handele, die lediglich seine
eigene Meinungsbildung dokumentiere, so vermag dies Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung nicht zu begründen. Denn das Verwaltungsgericht hat
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sich zur Begründung seiner Entscheidung nicht auf die Einstufung der
Sprachkenntnisse durch den Sprachtester gestützt, sondern die protokollierten Fragen
und Antworten einer eigenen eingehenden Bewertung unterzogen, wobei es allerdings
zu demselben Ergebnis gelangt ist wie der Sprachtester. Gegen die Verwertung der
protokollierten Fragen und Antworten sind Einwände nicht zu erheben, da es sich nach
der Rechtsprechung des Senats bei der zur Anhörung errichteten Niederschrift um eine
öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Abs. 1 ZPO handelt, die den vollen Beweis des
durch die Behörde oder die Urkundsperson bekundeten Vorgangs - also der gestellten
Fragen und der Äußerungen der getesteten Person, nicht hingegen der Beurteilung der
Sprachkenntnisse - begründet.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2006
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- 12 A 3688/05 -; Beschluss vom 15. September 2006 - 12 A 1868/05 -.
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Durchgreifende Einwendungen gegen die Würdigung der deutschen Sprachkompetenz
der Klägerin zu 1. durch das Verwaltungsgericht haben die Kläger mit der
Zulassungsbegründung nicht erhoben. So können ausreichende deutsche
Sprachkenntnisse der Klägerin zu 1. nicht mit der Behauptung begründet werden, die
Klägerin zu 1. habe nur auf 7 von 32 Fragen nicht oder nicht ausreichend geantwortet.
Denn diese Behauptung trifft ersichtlich nicht zu. Die Klägerin zu 1. hat ausweislich der
entsprechenden Protokollierung ("n. v.") und ihrer nicht die jeweilige Frage
beantwortenden Äußerungen vielmehr (mehr als) die Hälfte der Fragen bereits nicht
verstanden, nämlich 18 von 33 bzw. - wenn die Fragen 13 und 14, 15 und 16, 29 und 30
jeweils als eine schließlich doch verstandene und beantwortete Frage gewertet werden
- 15 von 30. Abgesehen davon war die Klägerin zu 1. wiederholt nicht in der Lage, in
einigermaßen zusammenhängender Form Antworten in deutscher Sprache zu
formulieren. Beispielhaft sei insoweit auf die Antworten zu den Fragen 9 und 19
verwiesen, bei denen es die Klägerin zu 1. nicht vermochte, die Tätigkeit ihrer
Schwester im Supermarkt auf Deutsch zu beschreiben bzw. den erlernten Beruf ihres
Ehemannes auf Deutsch anzugeben. Wie unter diesen Bedingungen ein Gespräch i. S.
eines einigermaßen flüssigen Austausches von Rede und Gegenrede,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 4. September 2003, - 5 C 32.02 -, BverwGE 119, 6, und - 5 C
11.03 -, DVBl. 2004, 448,
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zustande gekommen sein soll, erschließt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
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Soweit die Kläger mit dem Hinweis auf die Prüfungsangst und die Übermüdung der
Klägerin zu 1. erneut geltend machen, aus diesen Gründen bei dem Sprachtest nicht in
der Lage gewesen zu sein, ihre wahren Deutschkenntnisse zu zeigen, vermag dies die
Bewertung der festgestellten Sprachkenntnisse nicht zu beeinflussen. Schon aus dem
Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG ist nämlich ohne weiteres ersichtlich, dass im
maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund familiärer Vermittlung und damit jederzeit abrufbar ein
einfaches Gespräch auf Deutsch geführt werden können muss.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2007 - 12 A 4477/06 -, m. w. N. auf die
Rechtsprechung des 2. und des 12. Senats.
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Nichts anderes gilt insofern, als mit der Zulassungsbegründung die bereits geltend
gemachte psychische Belastung bei dem Sprachtest dadurch verstärkt wird, dass
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- erstmalig - auch auf die schwere Erkrankung der (7 Monate später verstorbenen)
Tochter der Klägerin hingewiesen wird.
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Abgesehen davon, dass jegliche Erläuterung dazu fehlt, wieso dieser Umstand, wenn er
denn die Klägerin zu 1. tatsächlich so belastet hat, wie sie behauptet, nicht bereits im
Widerspruchsverfahren oder im erstinstanzlichen Klageverfahren vorgebracht worden
ist, fehlt jeglicher Anhaltspunkt in dem Protokoll der persönlichen Anhörung der Klägerin
zu 1. für eine psychische Ausnahmesituation, die deutlich über das Maß einer
prüfungsbedingten Nervosität hinausgegangen ist und Anlass für eine Verschiebung
des Sprachtests hätte geben können. Im Gegenteil, in dem Anhörungsprotokoll ist zu
dem Verlauf der Befragung vermerkt, dass diese in einem ruhigen und angenehmen
Klima stattgefunden habe. Darüber hinaus ist dem Protokoll zu entnehmen, dass die
Klägerin zu 1. von der Möglichkeit der Übersetzung Gebrauch gemacht hat, indem sie
einige Fragen, die ihr zum Teil in die russische Sprache übersetzt worden waren auf
russisch beantwortete bzw. Nachfragen auf russisch stellte. Auch hierdurch wird
deutlich, dass die Klägerin zu 1. durchaus in der Lage gewesen ist, ihre Interessen
wahrzunehmen, was ebenfalls gegen die Annahme einer psychischen
Ausnahmesituation spricht. Für eine insoweit unkorrekte Protokollierung der Anhörung
sind konkrete Umstände weder vorgetragen noch ersichtlich. Entgegen dem Vortrag der
Kläger gibt die Protokollierung der Antwort der Klägerin zu 1. auf die Frage nach ihrem
Wohnort, sie habe große Probleme mit ihrer Tochter, da diese Diabetikerin sei, nichts für
die Behauptung her, die Klägerin zu 1. habe den Sprachtester damit auf ihre desolate
psychische Verfassung aufmerksam machen wollen, was jedoch nicht gelungen sei.
Diese Antwort der Klägerin zu 1. ist vielmehr ein weiteres Beispiel dafür, dass diese
Fragen nicht richtig verstanden hat. Die Klägerin zu 1. hätte im Übrigen nach dem
protokollierten Verlauf der Anhörung, bei der eine Sprachmittlerin anwesend war,
jederzeit die Möglichkeit gehabt, auf russisch auf gravierende psychische oder
physische Probleme hinzuweisen. Dass sie - in anderem Zusammenhang - ohne
weiteres in der Lage gewesen ist, ihre Interessen durch Nachfragen in russischer
Sprache zu wahren, ist bereits ausgeführt worden. Zudem hat sich an den Sprachtest
eine Befragung zu den Umständen der Neuausstellung der Geburtsurkunde der Tochter
sowie den familiären Verhältnissen der Klägerin zu 1. angeschlossen, in der sie
ausführliche Angaben in russischer Sprache gemacht hat. Es haben mithin ausreichend
Möglichkeiten bestanden, auf etwaige gesundheitliche Probleme aufmerksam zu
machen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach § 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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