Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2004

OVG NRW: amt, initiative, beförderung, vergleich, jugend, familie, ermessen, anleitung, rückgriff, vertretung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberverwaltungsgericht NRW, 1 B 1387/04
08.11.2004
Oberverwaltungsgericht NRW
1. Senat
Beschluss
1 B 1387/04
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für die
anwaltliche Vertretung in erster Instanz. Im Übrigen trägt die Beigeladene
ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
Die rechtzeitig eingelegte und begründete sowie den Anforderungen des § 146 Absatz 4
Satz 3 VwGO genügende Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die von der Antragsgegnerin gegen die angefochtene Entscheidung vorgebrachten
Gründe, auf deren Überprüfung der Senat nach § 146 Absatz 4 Satz 6 VwGO beschränkt
ist, führen im Ergebnis zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur
Ablehnung des Antrags auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.
Das Verwaltungsgericht hat dem im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Antrag des
Antragstellers,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die
aktuell im Bereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur
Verfügung stehende Beförderungsstelle der Besoldungsgruppe B 6
Bundesbesoldungsordnungen A/B mit einem anderen Bewerber als dem Antragsteller zu
besetzen und ihr aufzugeben, alles zu unterlassen, was eine Beförderung oder Einweisung
eines Mitbewerbers in die vorgenannte Beförderungsstelle der Besoldungsgruppe B 6
bewirken könnte, bis über die Bewerbung des Antragstellers um diese Stelle unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden wurde und eine Frist
von zwei Wochen nach der Mitteilung der erneuten Entscheidung an den Antragsteller
abgelaufen ist,
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im Wesentlichen aus folgenden Gründen stattgegeben: Für das Antragsbegehren sei
sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht
worden. Die zugunsten der Beigeladenen getroffene Beförderungsentscheidung sei
voraussichtlich rechtsfehlerhaft, weil sie den Bewerbungsverfahrensanspruch des
Antragstellers nicht hinreichend berücksichtigt habe. Die Antragsgegnerin habe die
dienstlichen Bedarfsbeurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen nicht in
angemessener Weise inhaltlich ausgeschöpft und stattdessen dem Kriterium der
Frauenförderung ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, ohne den sich – trotz
gleichlautenden Gesamturteils - aus den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ergebenden
Leistungsunterschied ausreichend zu berücksichtigen. Zwar stehe es grundsätzlich im
Ermessen der Antragsgegnerin zu entscheiden, welchen Einzelmerkmalen einer
dienstlichen Beurteilung mit Blick auf die Anforderungen des Beförderungsamtes ein
stärkeres Gewicht beizumessen sei; die getroffene Auswahlentscheidung lasse aber nicht
erkennen, warum die von der Antragsgegnerin bevorzugten Einzelmerkmale für das neue
Amt von besonderer Bedeutung seien.
Mit ihrer Beschwerde macht die Antragsgegnerin dagegen im Kern Folgendes geltend: Die
von dem Verwaltungsgericht hervorgehobene Feststellung, die Antragsgegnerin habe ohne
nähere inhaltliche Auswertung nur die Gesamturteile der im Streit stehenden dienstlichen
Beurteilungen in den Blick genommen, werde dem Sachverhalt nicht gerecht. Aus den
vorgelegten Akten, insbesondere der Ministervorlage sowie den Mitzeichnungsvermerken
des Staatssekretärs und des Abteilungsleiters ergebe sich, dass über die Gesamturteile
hinaus auch die Einzelbewertungen berücksichtigt worden seien. Gerade diese wertende
Betrachtung habe einen Eignungsvorsprung des Antragstellers nicht ergeben. Die der
Bewertung zugrunde liegenden Erwägungen habe die Antragsgegnerin dem
Verwaltungsgericht schriftsätzlich mitgeteilt. Aufgabe der Abteilungsleiter und
Unterabteilungsleiter sei es, die in den Referaten geleistete Facharbeit zu koordinieren, sie
unter Berücksichtigung politischer Vorgaben schwerpunktmäßig umzusetzen und Impulse
für die Facharbeit zu geben. Zur Bewältigung dieser Aufgabe sei bestimmten
Persönlichkeitsmerkmalen wie Initiative, Auffassung, Verhandlungsgeschick,
Ideenreichtum etc. der Vorzug vor etwa fachspezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten bei
der Anleitung von Mitarbeitern, wie sie innerhalb der Referate vonnöten seien, zu geben.
Der Antragsteller tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und betont den nach seiner
Auffassung zu seinen Gunsten bestehenden Leistungsvorsprung, der bei qualitativer
Ausschärfung der jeweiligen dienstlichen Beurteilungen offensichtlich sei.
Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund liegt hier
vor, weil die Antragsgegnerin eine Beförderung der Beigeladenen auf dem ihr bereits
übertragenen Dienstposten (Topfwirtschaft) konkret beabsichtigt und in diesem Fall der
behauptete Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers ohne die erstrebte
einstweilige Anordnung leer zu laufen droht. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts
allerdings, es sei auch ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, teilt der Senat nicht.
In Fällen der Konkurrenz von Bewerbern um die Übertragung eines Beförderungsamtes ist
ein Anordnungsanspruch gegeben, wenn es nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand überwiegend wahrscheinlich ist, dass die
von dem Dienstherrn getroffene Auswahl- und Beförderungsentscheidung zu Lasten des
Antragstellers rechtsfehlerhaft ist, weil dessen Bewerbungsverfahrensanspruch keine
hinreichende Beachtung gefunden hat. Der Bewerbungsverfahrensanspruch enthält vor
allem das Recht, dass der Dienstherr bei konkurrierenden Beförderungsbewerbungen die
Auswahl unter Beachtung des durch Art. 33 Absatz 2 GG verfassungskräftig verbürgten
Grundsatzes der Bestenauslese (Leistungsgrundsatz) vorzunehmen hat. Vor diesem
Hintergrund ist der Bewerbungsverfahrensanspruch grundsätzlich nach § 123 Abs. 1 Satz 1
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VwGO sicherungsfähig, ohne dass es darauf ankommt, ob der um vorläufigen
Rechtsschutz nachsuchende übergangene Bewerber zwingend seinem/seinen
Konkurrenten hätte vorgezogen werden müssen. Der Anspruch ist dagegen nicht
sicherungsfähig, wenn die Berücksichtigung des übergangenen Bewerbers aus
Rechtsgründen außer Betracht bleibt.
Vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Mai 2003 – 1 A 1759/02 -, RiA 2003, 254, und
vom 24. Mai 2002 – 1 B 751/02 -, NWVBl. 2003, 13 = NVwZ-RR 2003, 135.
Der so beschriebene Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers ist jedoch mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht verletzt. Die Antragsgegnerin hat bei der nach
Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG vorzunehmenden Auswahlentscheidung zunächst zurecht
(allein) auf die aktuellen und aus Anlass der Bewerbung vorgenommenen dienstlichen
Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen – die übrigen Mitbewerber können
hier wegen bereits erfolgter Beförderung bzw. schlechteren Abschneidens in der
Gesamtbeurteilung außer Betracht bleiben - rekurriert. Aktuelle dienstliche Beurteilungen
liefern in aller Regel aussagekräftige Nachweise für die Eignung, Befähigung und fachliche
Leistung eines Bewerbers und ermöglichen daher dem Dienstherrn den erforderlichen
Vergleich zwischen den Bewerbern in hinreichend transparenter Form.
Vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 2004 - 1 B 300/04 -, vom 19. Dezember
2003 – 1 B 1972/03 - und vom 21. März 2002 – 1 B 100/02 -.
Die Antragsgegnerin war in diesem Fall auch nicht gehalten, auf Regelbeurteilungen als
vorrangigen oder zeitlich weiter zurück liegende Beurteilungen als zusätzlichen
Vergleichsmaßstab zurückzugreifen.
Vgl. zur Bedeutung von Regelbeurteilungen im Vergleich zu
Anlassbeurteilungen Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2003 – 1 B 1972/03 - ; zum
Verhältnis von aktuellen und früheren dienstlichen Beurteilungen BVerwG, Urteil vom 19.
Dezember 2002 – 2 C 31/01 – juris.dok.
Denn für die Beigeladene existieren – wegen ihres Status als Angestellte im öffentlichen
Dienst und mangels früherer Bewerbungen - weder ältere Regel- noch
Anlassbeurteilungen, auf die die Antragsgegnerin für die Beurteilung der Beigeladenen
hätte Rückgriff nehmen können. Fehlt es aber an solchen geeigneten
Vergleichsmaßstäben, so ist es gerechtfertigt, wenn allein die aus Anlass der jetzigen
Bewerbung gefertigten Bedarfsbeurteilungen als Grundlage einer vergleichenden
Bewertung der Leistung und Befähigung des Antragstellers und der Beigeladenen
herangezogen werden. Die in Rede stehenden Anlassbeurteilungen sind im vorliegenden
Fall auch vergleichbar. Zwar ist die Bildung eines tragfähigen Vergleichsmaßstabs häufig
erschwert, wenn die Stellenbewerber verschiedenen Statusgruppen, wie sie Beamte und
Angestellte bilden, angehören, weil sich aufgrund der zumeist unterschiedlichen
Regelungen über das jeweils geltende Beurteilungswesen und der oftmals differierenden
beruflichen Vorgeschichte nur schwer eine vergleichbare Beurteilungsbasis gewinnen
lässt.
Vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2004
– 1 B 300/04 – .
Das angesprochene Problem stellt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht, denn die
Bedarfsbeurteilungen sowohl des Antragstellers als auch der Beigeladenen sind nach den
gleichen, für beide Bedienstetengruppen geltenden Beurteilungsrichtlinien erstellt worden
(Dienstvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend und dem Personalrat im BMFSFJ zum Beurteilungsverfahren
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(Übergangsregelungen) vom 21. Mai 2003); darüber hinaus sind beide Beteiligten seit
mehreren Jahren auf gleich gearteten Dienstposten als Unterabteilungsleiter im
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tätig.
Durfte die Antragsgegnerin mithin als Grundlage für ihre Auswahlentscheidung von den
über den Antragsteller und die Beigeladene jeweils im Juli 2003 erstellten
Bedarfsbeurteilungen ausgehen, ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin in nicht zu
beanstandender Weise einen im wesentlichen bestehenden Qualifikationsgleichstand des
Antragstellers und der Beigeladenen angenommen hat und sie daher dem Hilfskriterium
der Frauenförderung gemäß § 8 BGleiG letztlich ausschlaggebende Bedeutung
zuerkennen durfte.
Beide in Rede stehenden dienstlichen Beurteilungen schließen mit dem Gesamturteil
"übertrifft die Anforderungen erheblich, teilweise auch in hervorragender Weise" (Stufe 3
der Bewertungsskala) ab; eine (unterschiedliche) Binnendifferenzierung innerhalb der
vergebenen Bewertungsstufe ist bei beiden Bewerbern ebenfalls nicht vorgenommen
worden. Es kann für die hier zu entscheidende Fallkonstellation offen bleiben, ob der
Dienstherr in dieser Situation stets oder jedenfalls unter bestimmten Umständen gehalten
ist, trotz gleichlautender Gesamtbewertung der Konkurrenten die Einzelfeststellungen in
den jeweiligen dienstlichen Beurteilungen einer vergleichenden Betrachtung zu
unterziehen, um ggf. hieraus einen Qualifikations- oder Eignungsvorsprung eines
Bewerbers ableiten zu können.
Vgl in diesem Sinne zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2004 – 6
B 1584/04 – u. st. Rspr. ("inhaltliche Ausschöpfung").
Hintergrund einer solchen Verpflichtung könnte die Tatsache sein, dass bei
gleichlautenden Gesamturteilen gerade bestimmte Einzelmerkmale Aufschluss über die
(bessere) Eignung eines Bewerbers für das erstrebte Amt geben können und somit den
Erfordernissen der Ableitung der Eignungsbewertung aus dem Leistungs- und
Befähigungsprofil sowie der Orientierung der Eignungsbewertung an den Anforderungen
der zu besetzenden Stelle ausdrücklich Rechnung getragen wird.
Vgl. Senatsbeschluss vom 27. November 2001 – 1 B 1075/01 - .
Die Frage braucht aber vorliegend in dieser Allgemeinheit nicht entschieden zu werden.
Denn jedenfalls ergeben sich aus dem vorliegenden Aktenmaterial und dem Vorbringen
der Antragsgegnerin ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin es für
die auf der Grundlage der Bedarfsbeurteilungen zu treffende Auswahlentscheidung nicht
bei der vergleichenden Betrachtung des Gesamturteils hat bewenden und sich nicht ohne
weitere Auseinandersetzung mit den Einzelmerkmalen in ausschlaggebender Weise von
dem Hilfskriterium der Frauenförderung hat leiten lassen. Wie die Antragsgegnerin bereits
in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26. Mai 2004 dargelegt hat, ist sie hinsichtlich
derjenigen sieben Einzelmerkmale, deren Bewertung mit Stufe 2 der Bewertungsskala für
den Antragsteller besser ausgefallen ist, davon ausgegangen, dass diese mit Blick auf das
erstrebte Beförderungsamt eines Ministerialdirigenten nicht von größerer Bedeutung sind.
Umgekehrt hat sie den Kriterien "Initiative" und "Ideenreichtum", die in der Beurteilung der
Beigeladenen mit der Notenstufe 2 und damit eine Notenstufe besser als in der Beurteilung
des Antragstellers bewertet worden sind, einen für die wahrzunehmende Aufgabe höheren
Stellenwert beigemessen. Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 19. Juli 2004 hat die
Antragsgegnerin des weiteren vertiefend dargelegt, dass und warum sie bestimmten
Persönlichkeitsmerkmalen mit Blick auf die mit dem erstrebten Amt verbundenen Aufgaben
eine stärkere Bedeutung zuerkennt als bestimmten anderen, eher facharbeitsbezogenen
Leistungsmerkmalen.
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Zu dieser nachträglichen Plausibilisierung ihrer Auswahlentscheidung während des
laufenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war die
Antragsgegnerin grundsätzlich berechtigt.
Vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 2004 –1 B 300/04 – und vom 19. Dezember
2003
– 1 B 1972/03 -.
Dies gilt umso mehr, als im vorliegenden Fall die eigentliche Auswahlentscheidung in
einem internen Entscheidungsprozess getroffen und daher keine einer ausführlichen
Dokumentation zugänglichen Auswahlschritte, mit deren Hilfe der Entscheidungsprozess
lückenlos nachgezeichnet werden könnte – wie etwa Vorstellungsgespräche oder
Besetzungsberichte -, stattgefunden haben. Lediglich das Referentenvotum, der
abweichende Mitzeichnungsvermerk des Leiters der Abteilung I und der Vermerk des
Staatssekretärs gewähren einen – allerdings durchaus aufschlussreichen - Einblick in die
der Auswahlentscheidung zugrunde liegende Eignungseinschätzung.
Es begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn die
Antragsgegnerin diejenigen Einzelkriterien der Beurteilung, in denen der Antragsteller mit
der Stufe 2 benotet war, in Bezug auf die zu erstellende Eignungsprognose so gering
gewichtet hat, dass sie nicht zu einem Qualifikationsvorsprung des Antragstellers
gegenüber der Beigeladenen führen konnten. Welches Anforderungsprofil der Dienstherr
einem Beförderungsamt bzw. einer zu besetzenden Stelle zugrunde legt, liegt
grundsätzlich in seinem Organisationsermessen. Ebenso liegt es in seinem
Auswahlermessen, welche Einzelmerkmale einer dienstlichen Beurteilung er überhaupt
oder in besonderem Maße zur Bewertung der Eignung der Bewerber für das
Beförderungsamt heranzieht.
Vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. März 2002 – 1 B 100/02 – und vom 27.
November 2001, - 1 B 1075/01 -.
Gleiches muss im Umkehrschluss auch für die Frage gelten, ob der Dienstherr bestimmte
Einzelkriterien der (umfassenden) dienstlichen Beurteilung bei seiner zu treffenden
Auswahlentscheidung in ihrer Bedeutung für das Beförderungsamt geringer gewichten
oder gar vollständig vernachlässigen darf. Eine Pflicht, alle Einzelmerkmale gleich zu
gewichten und sie dann im Wege des Notenstufenvergleichs gegeneinander
aufzusummieren, besteht für den Dienstherrn ebenso wenig wie die Verpflichtung zu einer
bestimmten Gewichtung einzelnder Merkmale, wenn dies die gleichmäßig anzuwendenden
Beurteilungsrichtlinien nicht vorsehen. Das dem Dienstherrn zustehende Organisations-
und Auswahlermessen beim Rückgriff auf Einzelmerkmale einer dienstlichen Beurteilung
ist nur daraufhin überprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von
dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist.
Vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. März 2002, a.a.O., und vom 27. November
2001, a.a.O.
Beides lässt sich weder dem Vorbringen des Antragstellers noch den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts oder dem Akteninhalt entnehmen. Die Anforderungen an die
Plausibilisierung der Auswahlentscheidung gehen nicht so weit, dass die Antragsgegnerin
die sich im Rahmen ihres Beurteilungs- und Entscheidungsermessens haltenden
Erwägungen hinsichtlich der Gewichtung der Einzelmerkmale – weitergehend als
geschehen - "transparent begründen" müsste. Denn jene Erwägungen reichen aus, die
Sachgründe zu verstehen, aus denen die Antragsgegnerin bei bestehendem
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Leistungsgleichstand auch einen Eignungsgleichstand –maßgeblich am Anforderungsprofil
des zu vergebenden Dienstpostens orientiert- der Beigeladenen mit dem Antragsteller
zugrunde gelegt hat. Die hierauf bezogenen Erwägungen sind deshalb im Sinne der
Rechtsprechung des Senats "nachvollziehbar". Gerichtlicher Überprüfung unterliegt
darüber hinaus nur noch die Überschreitung der Grenzen des Ermessens, also in diesem
Zusammenhang etwa die Frage, ob der Gewichtung der Einzelmerkmale sachwidrige
Erwägungen zugrunde liegen. Das ist nicht der Fall. Gemessen an dem von der
Antragsgegnerin aufgezeigten Anforderungsprofil für die dem Amt eines
Ministerialdirigenten (B 6) zugeordneten Aufgabenbereiche erscheint es nicht erkennbar
sachwidrig, im Rahmen der auf der Grundlage der dienstlichen Beurteilung
vorzunehmenden Eignungsfeststellung (für eine Eignungsprognose ist bei im Verfahren der
"Topfwirtschaft" vergebenen Beförderungsstellen jedenfalls dann kein Raum, wenn wie
hier die Bewerber den aufgewerteten Dienstposten bereits bekleiden) den
Persönlichkeitsmerkmalen "Initiative" und "Ideenreichtum" (auf Seiten der Beigeladenen)
insgesamt ebenso großes Gewicht beizumessen wie (auf Seiten des Antragstellers) den
Leistungskriterien "Qualität des Arbeitsergebnisses", "Fachkenntnisse", "schriftlicher
Ausdruck", "Auffassung", "konzeptionelles Arbeiten", "Verantwortungsbereitschaft" und
"Anleitung", wenn die Benotung der Einzelmerkmale im Übrigen nicht differiert. Es ist auch
nichts dafür ersichtlich, dass die Anknüpfung an die Kriterien "Initiative" und
"Ideenreichtum" für sich genommen sachwidrig wäre. Die Antragsgegnerin hat hinreichend
plausibel gemacht, welches Eignungsprofil sie dem zu vergebenden Beförderungsamt
zuordnet; sie ist bei der Auswahlentscheidung auch von einem richtigen Sachverhalt
ausgegangen, was die erzielten Bewertungsstufen bei den Einzelmerkmalen angeht. Dies
ergibt sich aus dem Referentenvotum und den genannten Vermerken, die auf das
Überwiegen der besser benoteten Einzelmerkmale in der Beurteilung des Antragstellers
eingehen.
Eine weitergehende Plausibilisierungs- und Darlegungspflicht – wie sie das
Verwaltungsgericht auch in Bezug auf die Frage annehmen will, ob die im gerichtlichen
Verfahren erfolgte Begründung der Auswahlentscheidung der Entscheidung der Ministerin
auch tatsächlich zugrunde gelegen habe, – trifft die Antragsgegnerin nicht.
Die Annahme, die Einzelfeststellungen ergäben keinen Qualifikationsvorsprung des
Antragstellers, ist von dem insoweit bestehenden Beurteilungsspielraum der
Antragsgegnerin nachvollziehbar gedeckt.
Ein Leistungsvorsprung des Antragstellers ergibt sich schließlich auch nicht unter
Berücksichtigung des § 12 Abs. 2 Satz 2 und 3 BLV. Nach dieser Vorschrift sind im Falle
einer Beförderung unter den Voraussetzungen des § 11 BLV bei der Feststellung von
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auch langjährige Leistungen, die
wechselnden Anforderungen gleichmäßig gerecht worden sind, angemessen zu
berücksichtigen; Tätigkeiten im zwischen- oder überstaatlichen Bereich sind besonders zu
berücksichtigen. Die Regelung soll den bei Beförderungen anzulegenden materiellen
Leistungsmaßstab dahin konkretisieren, dass der Dienstherr den genannten
Gesichtspunkten ein besonderes Gewicht beimessen muss.
Vgl. Schröder/Lemhöfer/Krafft, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten,
Kommentar, Stand: Juli 2003, § 12 Rn. 5a.
Eine Verpflichtung des Dienstherrn, die wechselnden Anforderungen gerecht gewordenen
Leistungen der Konkurrenten im Wege eines Zahlenvergleichs gegeneinander aufzulisten,
ergibt sich aus der Vorschrift allerdings nicht. Wie die Antragsgegnerin zurecht
hervorgehoben hat, haben sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene den
Dienstposten eines Unterabteilungsleiters langjährig bekleidet und sind in dieser Funktion
in verschiedenen Abteilungen tätig gewesen. Dabei kann weder die Verweildauer in dem
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Amt oder der Behörde noch die Anzahl der dort ausgeübten Funktionen für sich genommen
dazu führen, dass sich nach Art einer tabellarisch - mathematischen Gegenüberstellung
allein hieraus ein materieller Leistungsvorsprung des länger tätigen oder desjenigen
Bewerbers ergeben müsste, der seinen Dienstposten häufiger gewechselt hat. Vielmehr ist
der Dienstherr lediglich gehalten, diese Leistungsaspekte in seine Leistungsgewichtung
mit angemessenem Gewicht einzustellen. Dies hat die Antragsgegnerin getan, wie sich
dem Referentenvotum und dem Vermerk des Staatssekretärs entnehmen lässt. Es wurde
berücksichtigt, dass beide Bewerber langjährig im BMSFSJ tätig sind und sich dort in
unterschiedlichen Funktionen wechselnden Anforderungen gestellt haben. Die Bewertung,
ein Vergleich dieser Leistungsaspekte ergebe keinen deutlichen Vorsprung des
Antragstellers, ist im Maße ihrer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit rechtlich
nicht zu beanstanden.
Verfahrensverstöße bei der Anwendung der Beurteilungsrichtlinien, deren Vereinbarkeit mit
Rechtsvorschriften vorliegend nicht in Frage steht, sind nicht ersichtlich und nicht
vorgetragen.
Bestehen sonach keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme der
Antragsgegnerin, aus den in Rede stehenden dienstlichen Beurteilungen ergebe sich ein
im Wesentlichen gleicher Qualifikationsstand des Antragstellers und der Beigeladenen, so
durfte die Antragsgegnerin das – zulässige - Hilfskriterium der Frauenförderung nach § 8
BGleiG als für die Entscheidung letztlich ausschlaggebend heranziehen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 – 2 C 16/02 – NVwZ 2003, 1397 f.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind aus Billigkeitsgründen nur betreffend die
anwaltliche Vertretung in erster Instanz erstattungsfähig, weil sie nur dort einen Antrag
gestellt und sich somit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Höhe des
Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1, 40 GKG in der seit dem
1. Juli 2004 geltenden Fassung.
Der Beschluss ist unanfechtbar.