Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.09.2004

OVG NRW: medikamentöse behandlung, kosovo, psychisch kranker, gefahr, provinz, zahl, rückführung, ausländer, wahrscheinlichkeit, verfügung

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 3598/04.A
Datum:
17.09.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 3598/04.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 3 K 3649/03.A
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Der Rechtssache kommt die zunächst geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung
nicht zu. Eine solche liegt vor, wenn die Rechtssache eine über den Einzelfall
hinausgehende, verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher oder rechtlicher Art
aufwirft, die der Rechtsfortbildung und/oder Rechtsvereinheitlichung dienlich und in der
Berufung klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Dies ist vom Rechtsmittelführer
darzulegen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Die Klägerin wirft vor dem Hintergrund des
begehrten Abschiebungsschutze nach dem hier allein in Betracht kommenden § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG die Frage auf, ob schwere psychische Erkrankungen wie depressive
Syndrome und insbesondere posttraumatische Belastungsstörungen in der Provinz
Kosovo behandelbar sind. Die Beantwortung dieser Frage bedarf der Durchführung
einer Berufung nicht. Sie ist auf Grund der vorliegenden aktuellen, der Klägerin
bekannten Erkenntnisquellen ohne weiteres beantwortbar.
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§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt voraus, dass dem Ausländer bei Abschiebung in das
angekündigte Zielland, hier das Heimatland der Klägerin Kosovo, eine erhebliche
konkrete Gefahr für die angeführten Schutzgüter besteht. Eine erhebliche Gefahr besteht
bei geltend gemachten Gesundheitsgefahren bei wesentlicher Verschlimmerung des
Gesundheitszustands, der angesichts des Gewichts der übrigen Schutzgüter der
Vorschrift, des ihr immanenten Zumutbarkeitsgedankens und in Anlehnung an die auch
für den Einzelnen geltende Reichweite des Grundrechtsschutzes im Rahmen des § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen
Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen - existentielle Gesundheitsgefahren
- bejaht werden kann. Eine konkrete Verschlimmerung einer Erkrankung ist
anzunehmen bei alsbald nach Rückführung in das Zielland zu erwartender
Verschlimmerung. Eine nicht zu erwartende Heilung einer Erkrankung im Zielland stellt
jedoch noch keine Verschlimmerung einer Erkrankung und erst recht keine wesentliche
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Verschlimmerung dar. Auch soll der Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG dem Ausländer weder einen Heilungserfolg unter Inanspruchnahme des
Gesundheitssystems des Zufluchtstaates Deutschland noch einen Heilungserfolg im
Abschiebungszielland sichern. Vor diesem rechtlichen Hintergrund können die
Voraussetzungen für ein gesundheitsbedingtes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG nicht an deutschen Standards gemessen sowie an Qualität und Dichte
der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung
des Betroffenen keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechende
Anforderungen gestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist deshalb ein
Abschiebungshindernis nicht anzunehmen, wenn eine dem Standard des
Abschiebungsziellands entsprechende, aber noch ausreichende zumutbare
Gesundheitsversorgung gegeben ist. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die von der
Klägerin o. a. aufgeworfene Frage hinreichend sicher beantwortbar.
Die Stellungnahme der Frau Dr. T. -N. vom 29. Juli 2003 an das Verwaltungsgericht
Frankfurt bringt nicht zu Ausdruck, dass psychische Erkrankungen im Kosovo nicht
behandelbar seien. Aus ihrer damaligen Sicht war die Zahl qualifizierter Behandler
allerdings zu gering und eine medikamentöse Behandlung die Regel. Diese
Kernaussage stimmt mit derjenigen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus Mai 2004
überein. Selbst von dieser Stellungnahme ausgehend kann angenommen werden,
dass, wenn auch eine langfristig gewissen Heilerfolg versprechende regelmäßige
qualifizierte Gesprächstherapie durch weitergebildete Psychotherapeuten bei der
großen Zahl psychisch Kranker im Kosovo gegenwärtig allenfalls wenigen Kranken
zugänglich ist, jedenfalls eine medikamentöse Behandlung jedem Erkrankten möglich
ist und durch eine solche grundsätzlich zumindest eine Verschlimmerung der
psychischen Erkrankung verhindert wird. Diese Annahme ist vereinbar mit der
Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 10. Februar 2004, obgleich danach die
Gesundheitsversorgung im Kosovo noch nicht allgemein wiederhergestellt und die
Behandlungsmöglichkeiten von Psychiatriepatienten äußerst beschränkt sind. Auch
diese Stellungnahme schließt eine ggf. auch nur medikamentöse Behandlung von
psychisch Kranken im Kosovo nicht aus. Detaillierter ist die Situation der
Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen im Kosovo in der Stellungnahme des
Deutschen Verbindungsbüros Kosovo in Pristina vom 4. Juni 2004 an das
Verwaltungsgericht Stuttgart dargestellt. Diese enthält konkrete Angaben zu
Behandlungsart, Behandlungsort, Behandlungsdichte, Zugang zu
Behandlungsmöglichkeiten usw. bezogen auf psychische Erkrankungen einschließlich
der Posttraumatischen Belastungsstörung. Zwar besagt sie nicht, dass die
Behandlungslage für psychisch Kranke im Kosovo ausreichend ist oder gleiche
Heilungsaussichten wie in Deutschland bietet. Sie lässt aber erwarten, dass die
gegebenen überwiegend medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten, neben die
inzwischen zunehmend in den Zentren der Provinz Gesprächstherapieangebote
staatlicher Stellen und internationaler Hilfsorganisationen treten, bei dem erforderlichen
Mitwirken der Patienten und ihrer Familien sowie deren Bereitschaft zum Angehen und
Überwinden der Krankheit jedenfalls ein Verschlimmern einer psychischen Erkrankung
und erst recht den Eintritt einer krankheitsbedingten existentiellen Gefahr für Leib und
Leben des Rückkehrers verhindern. Dass die Stellungnahme vom 4. Juni 2004
geschönt sei, wie die Klägerin behauptet, ist nicht feststellbar. Sie ist jüngeren Datums
und berücksichtigt daher die zwischenzeitlichen Entwicklungen im Kosovo; ferner ist sie
in ihrer Kernaussage nicht etwa unvereinbar mit den angeführten früheren
Stellungnahmen, speziell auf die Behandlungsmöglichkeiten für psychisch Kranke
bezogen und hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten deutlich konkreter. Soweit die
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Klägerin sie als nicht überzeugend darstellt, weil nicht nachvollziehbar sei, wie die
wenigen Ärzte eine adäquate Behandlung schwer psychischer Kranker bewerkstelligen
sollen, verkennt sie, dass es bei einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG wegen gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht auf eine Heilung im
Abschiebungszielstaat ankommt, sondern nur auf die Möglichkeit zur Verhinderung
einer Krankheitsverschlimmerung mit existentiellen Folgen.
Auch eine posttraumatische Belastungsstörung nach ICD 10 mit ihren Symptomen wie
ängstliche Anspannung, Unruhe, Konzentrations- und Schlafstörungen, Übelkeit,
Überempfindlichkeit, Schreckenserinnerung, Gefahrvisionen, Verzweiflung,
Hilflosigkeitsgefühl, emotionale Stumpfheit, Todesgedanken u.a. ist bei einer
unfreiwilligen Rückführung in den heimatlichen befriedeten Kulturkreis unter
Vermeidung des Ortes der früheren Traumatisierung dann nicht als existentielle
Gesundheitsgefahr zu qualifizieren, zumal wenn eine denkbare Eskalierung des
Krankheitszustands des Betroffenen angesichts der Erfolglosigkeit seines Bemühens
um einen Verbleib im Zufluchtstaat medikamentös aufgefangen wird. Einem
zurückkehrenden Kosovo-Albaner ist ein Leben und Überleben mit einer medikamentös
in Grenzen haltbaren und gehaltenen psychischen Erkrankung sowie die Beschaffung
und Einnahme von Medikamenten ebenso zumutbar wie allen übrigen von
Kriegstraumata betroffenen Landsleuten, denen nicht eine Behandlung auf medizinisch
hohem Standard und ein geschützter Aufenthalt im Zufluchtstaat zuteil geworden ist.
Zwar ist die Möglichkeit einer Eskalierung der psychischen Erkrankung trotz
medikamentöser und ggf. muttersprachlicher und situationsangepasster
gesprächstherapeutischer Behandlung - ebenso wie in Deutschland - nicht
ausgeschlossen, doch liegt diese Möglichkeit so fern, dass von einer konkreten
existentiellen Gefahr im oben beschriebenen Sinne nicht mehr die Rede sein kann.
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Eine Beurteilung der gesundheitsbedingten Gefahren für zurückgeführte psychisch
Kranke im Kosovo ist anhand der vorliegenden wesentlichen und von der Klägerin
selbst inhaltlich wiedergegebenen Stellungnahmen möglich. Der Senat müsste auch in
einem Berufungsverfahren von den vorliegenden Stellungnahmen ausgehen und diese
bewerten. Andere Erkenntnismöglichkeiten über den Stand der Gesundheitsversorgung
im Kosovo als die Stellungnahmen der vor Ort befindlichen Stellen oder Personen
stehen nicht zur Verfügung. Eine solche Wertung führt zu dem dargelegten Ergebnis,
dass die von der Klägerin in Frage gestellte Behandelbarkeit schwerer psychischer
Erkrankungen wie depressive Syndrome, insbesondere posttraumatische
Belastungsstörungen im Kosovo jedenfalls durch medikamentöse Behandlung
grundsätzlich soweit behandelbar sind, dass konkrete individuelle existentielle Leibes-
und Lebensgefahren für in die Provinz Kosovo zurückgeführte Albaner/innen nicht mit
der notwendigen Wahrscheinlichkeit festzustellen sind. Denkbare Ungewissheiten in
dieser Richtung reichen zur Bejahung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG nicht aus. Soweit die Behandelbarkeit einer psychischen Erkrankung
eines in seine Heimat zurückgekehrten Ausländers anknüpfend an ausschließlich
personenbezogene Gegebenheiten in Frage steht, handelt es sich nicht mehr um eine
über den Einzelfall hinausgehende, verallgemeinerungsfähige Frage, sondern um eine
ausschließlich einzelfallbezogene, individuelle Frage, die grundsätzliche Bedeutung
nicht vermittelt. Im Übrigen weist der geschilderte Gesundheitszustand der Klägerin
keine Besonderheiten auf, die es gebieten, in ihrem Fall nicht von der dargelegten
grundsätzlichen Erkenntnis auszugehen. Das gilt um so mehr, als im rund 10 km vom
letzten Wohnort der Klägerin - E. - entfernten Regionalkrankenhaus Peje auch
gesprächstherapeutische Behandlung angeboten wird.
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Der ferner geltend gemachte Zulassungsgrund des Gehörsverstoßes durch Ablehnung
des Beweisantrags der Klägerin liegt nicht vor. Die Ablehnung findet eine Stütze im
materiellen Recht. Das Verwaltungsgericht ging nach Bewertung der vorliegenden
Erkenntnisquellen im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO
davon aus, dass die unter Beweis gestellte Frage hinreichend beantwortet bzw.
beantwortbar sei. Dass ist nach den obigen Ausführungen vertretbar und rechtlich nicht
angreifbar. War das der Fall, drängte sich dem Verwaltungsgericht eine weitere
Beweiserhebung etwa durch Einholung weiterer Stellungnahmen der deutschen
Auslandsvertretung und ihrer Außenstellen sowie sonstiger kundiger Stellen oder
Personen vor Ort nicht auf.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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