Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.12.2000

OVG NRW: gefahr im verzuge, örtliche zuständigkeit, stationäre behandlung, gewöhnlicher aufenthalt, geschäftsführung ohne auftrag, auflage, behörde, behandlungskosten, amtshandlung, asylbewerber

Oberverwaltungsgericht NRW, 22 A 3164/99
Datum:
05.12.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 A 3164/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 22 K 1580/96
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden. Die außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger, Träger des Katholischen Krankenhauses D. -Zentrum (M. -Hospital), begehrt
von der Beklagten die Übernahme der Aufwendungen für die stationäre Behandlung der
Asylbewerberin S. in der Zeit vom 26. Februar 1995 bis 31. März 1995.
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Frau S. besitzt die srilankische Staatsangehörigkeit. Sie reiste im September 1994 zur
Durchführung eines Asylverfahrens in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde
der Stadt T. zugewiesen. Die erteilte Aufenthaltsgestattung beschränkte ihren Aufenthalt
auf den Regierungsbezirk M. und ihre Wohnsitznahme auf die Stadt T. . Dort war sie ab
dem 9. November 1994 wohnhaft. Der beigeladene Bürgermeister (vormals
Stadtdirektor) der Stadt T. gewährte ihr Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
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Frau S. leidet an einer Geisteskrankheit. Ende Februar 1995 verschlimmerte sich ihr
Zustand. Sie vermied den Kontakt zu ihrer Umgebung, nahm keine Nahrung mehr auf
und fand keinen Schlaf. Ein Bekannter setzte ihren in D. wohnhaften Bruder, Herrn S. ,
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davon fernmündlich in Kenntnis. Dieser suchte seine Schwester in T. auf. Am 26.
Februar 1995, einem Sonntag, brachte er sie, da er im Raum T. kein Krankenhaus für
Psychiatrie kannte, nach D. in das Krankenhaus des Klägers. Frau S. wurde am
gleichen Tag zur stationären Behandlung in die geschlossene Abteilung aufgenommen.
Gegenüber der Krankenhausverwaltung gab sie an, in T. zu wohnen und dort im
Sozialhilfebezug zu stehen.
Mit Telefonat vom 28. Februar 1995 setzte eine Bedienstete des Klägers das Sozialamt
des Beigeladenen von der Krankenhausaufnahme in Kenntnis. Daraufhin stellte der
Beigeladene die bisher an Frau S. gewährten Leistungen nach dem AsylbLG mit
Ausnahme derjenigen zur Aufrechterhaltung ihrer Unterkunft ein.
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Am 8. März 1995 beantragte der Kläger beim Beigeladenen die Übernahme der
Behandlungskosten. Im Antrag erläuterte ein Krankenhausarzt, dass die stationäre
Behandlung wegen einer "Exacerbation einer Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis" erforderlich sei, dass sie voraussichtlich sechs Wochen dauern werde und
dass ein Eilfall in dem Sinne vorliege, dass die Behandlung sofort notwendig und
unaufschiebbar sei, so dass es der Patientin vor Aufnahme nicht mehr möglich gewesen
sei, sich an den Sozialhilfeträger zu wenden.
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Auf diesen Antrag hin teilte der Beigeladene dem Kläger in einem Schreiben vom 13.
März 1995 mit, er möge die Behandlungskosten bei der Beklagten unter Hinweis auf §
11 Abs. 2 AsylbLG geltend machen, weil sich Frau S. aufgrund eines Notfalls entgegen
der räumlichen Beschränkung ihrer Aufenthaltsgestattung im dortigen
Zuständigkeitsbereich aufhalte.
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Daraufhin stellte der Kläger am 20. März 1995 beim Sozialamt der Beklagten einen
entsprechenden Kostenübernahmeantrag.
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Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 8. Juni 1995 mit, dass insoweit die
örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen bestehe, da die Patientin als Asylbewerberin
nach dort zugewiesen sei.
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Am 13. Juni 1995 wurde Frau S. aus dem Katholischen Krankenhaus D. -Zentrum des
Klägers in die W. Klinik für Psychiatrie in L. verlegt. Rückwirkend ab dem 1. April 1995
übernahm der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als überörtlicher Träger der
Sozialhilfe die Behandlungskosten, weil die Patientin mit (später aufgehobenem)
Bescheid vom 30. März 1995 als Asylberechtigte anerkannt worden war. Mit Schreiben
vom 18. September 1995 beschränkte der Kläger das gegenüber der Beklagten
erhobene Kostenübernahmebegehren auf den Behandlungszeitraum vom 26. Februar
1995 bis 31. März 1995.
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Mit Bescheid vom 10. Oktober 1995 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur
Begründung führte sie aus, sie sei für die Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG
an Frau S. nicht örtlich zuständig, da es sich bei der stationären
Krankenhausbehandlung nicht um eine nach den Umständen unabweisbar gebotene
Hilfe im Sinne des § 11 Abs. 2 AsylbLG gehandelt habe, die von der Behörde des
tatsächlichen Aufenthalts zu erbringen sei.
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Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar
1996 zurückwies. Dazu führte sie u.a. aus: Dem Kläger stünde selbst dann kein
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Anspruch auf Kostenübernahme zu, wenn sie für die Gewährung von Leistungen nach
dem AsylbLG zuständig wäre. Denn leistungsberechtigt nach dem AsylbLG seien
lediglich die in § 1 dieses Gesetzes genannten Personen, nicht jedoch Dritte, wie z.B.
Krankenhäuser. Das AsylbLG enthalte - anders als das BSHG - keine Regelung über
den Aufwendungsersatz Dritter, die in einem Eilfall Hilfe geleistet haben.
Der Kläger hat am 16. Februar 1996 Klage erhoben und sein Erstattungsbegehren unter
Hinweis auf § 11 Abs. 2 AsylbLG weiterverfolgt.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 1995 und des
Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1996 zu verpflichten, die Kosten der
Behandlung der Patientin P. S. im Katholischen Krankenhaus D. -Zentrum für die Zeit
vom 26. Februar 1995 bis 31. März 1995 in Höhe von 13.467,06 DM zu übernehmen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, ein Fall des § 11 Abs. 2 AsylbLG läge
hier schon deshalb nicht vor, weil es dem Kläger ohne Weiteres möglich gewesen sei,
sich zwecks Erteilung einer Kostenübernahmezusage an den Beigeladenen zu wenden,
ohne damit die Existenz der Hilfeempfängerin zu gefährden.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt: Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten
Aufwendungsersatzanspruch komme § 121 BSHG in entsprechender Anwendung in
Betracht. Dessen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt, da ein Eilfall im Sinne der
Vorschrift nicht gegeben sei.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend: Das angegriffene
Urteil habe die Rechtsfrage nicht erschöpfend beantwortet, ob ihm als
Krankenhausträger der streitbefangene Anspruch auf Kostenersatz zustehe. Ohne
überzeugende Gründe habe das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Eilfalles im
Sinne von § 121 BSHG abgelehnt. Dem Umstand, dass die Patientin als Notfall
aufgenommen worden sei, sei es nicht hinreichend nachgegangen. Die im
angegriffenen Urteil vertretene Auffassung, wonach allein der Asylbewerber, nicht aber
ein Krankenhausträger nach § 4 AsylbLG anspruchsberechtigt sei, lasse
unberücksichtigt, dass die Patientin aufgrund ihrer Geisteskrankheit nicht in der Lage
gewesen sei, einen eigenen Leistungsantrag zu stellen. Eine abschließende Klärung
dieser Fragen müsse im Instanzenzug der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgen. Würde
er diese vorrangige Rechtsschutzmöglichkeit nicht ausschöpfen, könnte ihm dies in
einem nachrangigen Staatshaftungsprozess als anspruchsvernichtender Einwand
entgegengehalten werden. Dies zu vermeiden, bedinge die vorliegende
Prozessführung, obwohl einiges dafür spreche, dass der geltend gemachte Anspruch
nicht bestehe. So sei zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung
des § 121 BSHG im Regelungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes gegeben
seien. Selbst wenn man dies mit dem Verwaltungsgericht bejahte, wäre § 121 BSHG
keine taugliche Anspruchsgrundlage, weil der jeweilige Leistungsträger die Hilfe nur an
Anspruchsberechtigte "gewährt haben würde". Dazu zähle er als Krankenhausträger
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nicht. Ebenso wenig lasse sich für ihn eine Anspruchsberechtigung nach § 4 AsylbLG
herleiten. Allerdings sei es denkbar, den Leistungsanspruch der Patientin S. nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz so zu verstehen, dass er auf Freistellung des Klägers von
den angefallenen Krankenhauskosten gehe. Sollte die mit der Berufung weiterverfolgte
Klage letztlich keinen Erfolg haben, müsse er - vorbehaltlich der Revisionszulassung -
auf nachrangige Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung zurückgreifen.
Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu
erkennen sowie die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide.
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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des
Beigeladenen sowie der Ausländer- und Asylakten betreffend Frau P. S. ergänzend
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
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Die mit ihr weiterverfolgte Klage ist zulässig.
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Zwar führt er mit seiner Berufungsbegründungsschrift in nicht unerheblichem Umfang
Gesichtspunkte an, die gegen das Bestehen des mit dem Berufungsantrag geltend
gemachten Anspruchs auf Aufwendungsersatz sprechen. Gleichwohl ist daraus keine
rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des angerufenen Gerichts abzuleiten, weil der
Kläger keine der Gewährleistung gerichtlichen Rechtsschutzes zuwiderlaufenden Ziele
verfolgt.
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Vgl. insoweit Ehlers, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: März 1999, Vorb § 40 Rdnrn. 74 ff. (98).
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Es geht ihm - unabhängig von den Erfolgschancen seines Klagebegehrens - um die
Ausschöpfung des Verwaltungsrechtswegs vor der Anrufung der ordentlichen Gerichte.
Bei diesen will er (notfalls) sein Kostenerstattungsbegehren unter dem Gesichtspunkt
der Aufopferung für das gemeine Wohl (§ 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO) erheben. In der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist anerkannt, dass ein derartiger
Anspruch aus Aufopferung lediglich als "äußerster Rechtsbehelf" in Betracht kommt. Er
tritt zurück, soweit zugunsten des Betroffenen eine spezialgesetzliche Regelung
besteht, die die speziellen Risiken seiner Inanspruchnahme für das gemeine Wohl
auffängt.
33
Vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. Januar 1966 - III ZR 127/64 -, BGHZ 45, 58 (80/81).
34
Steht dem gesetzlich vorgesehenen Ausgleich eine Verwaltungsentscheidung
entgegen, ist der Betroffene entsprechend seiner Obliegenheit zur
Schadensabwendung (§ 254 BGB) unter Umständen gehalten, insoweit um
Verwaltungsrechtsschutz nachzusuchen.
35
Vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 1984 - III ZR 216/82 -, BGHZ 90, 17 (32).
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Im Hinblick hierauf kann dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen
werden.
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Die Klage ist indessen unbegründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der ihm für die
stationäre Behandlung der Asylbewerberin S. in der Zeit vom 26. Februar 1995 bis 31.
März 1995 entstandenen Kosten.
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Die Beklagte ist für die begehrte Kostenerstattung nicht zuständig.
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Aus diesem Grund lässt sich aus § 121 BSHG, der im Asylbewerberleistungsrecht
entsprechend Anwendung finden dürfte (nachfolgend I.), eine Erstattungspflicht der
Beklagten ebenso wenig herleiten (nachfolgend II.) wie aus allgemeinen
Erstattungsregeln (nachfolgend III).
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I. § 121 BSHG dürfte auch im Rahmen des AsylbLG anwendbar sein. Nach dieser
Vorschrift sind auf Antrag demjenigen, der in einem Eilfall einem anderen Hilfe gewährt,
die der Träger der Sozialhilfe bei rechtzeitiger Kenntnis nach diesem Gesetz gewährt
haben würde, die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht
auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat und sofern er den Antrag
innerhalb angemessener Frist stellt.
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1. Eine direkte Anwendung des § 121 BSHG scheidet allerdings aus, weil diese
Bestimmung voraussetzt, dass die vom Dritten als Nothelfer geleistete Hilfe "nach
diesem Gesetz", mithin nach dem Bundessozialhilfegesetz geleistet worden wäre. Dies
wäre aber vorliegend nicht der Fall gewesen, weil Frau S. im streitbefangenen Zeitraum
zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gehörte,
vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Leistungen an Asylbewerber
vom 30. Juni 1993, BGBl. I S. 1074, in der bis zum 31. Mai 1997 geltenden Fassung (im
Folgenden: AsylbLG F. 1993).
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Nach § 9 AsylbLG F. 1993 erhalten Leistungsberechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz keine Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz
(ebenso § 120 Abs. 2 BSHG). Dieser Leistungsausschluss greift vorliegend auch in
Bezug auf den 30. und 31. März 1995 ein. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AsylbLG F. 1993 ließ
der Bescheid vom 30. März 1995 über die Anerkennung der Frau S. als Asylberechtigte
- ungeachtet seines Bekanntgabezeitpunkts (§§ 41, 43 VwVfG) - die
Anspruchsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz frühestens mit dem
Ablauf des Monats März 1995 entfallen.
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2. Eine entsprechende Anwendung des § 121 BSHG sieht das
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Asylbewerberleistungsgesetz im vorliegenden Fall nicht vor. Zwar wird durch § 2 Abs. 1
Nr. 1 AsylbLG F. 1993, wonach das Bundessozialhilfegesetz auf bestimmte
Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden ist, auch § 121 BSHG in Bezug
genommen.
Vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 2000 - 22 A 4408/99 -.
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Dies setzt aber gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG F. 1993 unter anderem voraus, dass die
in Not geratene Person, der durch den Dritten geholfen worden ist, zum Kreis derjenigen
zählt, über deren Asylantrag zwölf Monate nach Antragstellung noch nicht unanfechtbar
entschieden ist. Diese Voraussetzung erfüllte die Asylbewerberin S. im streitbefangenen
Zeitraum bis Ende März 1995 nicht, weil ihre Asylantragstellung im September 1994
erfolgte und deshalb noch kein Jahr zurücklag.
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3. Abgesehen von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG F. 1993 hat der Gesetzgeber die Frage der
(entsprechenden) Anwendung des § 121 BSHG im Asylbewerberleistungsgesetz
ungeregelt gelassen.
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Gegenteiliges ergibt sich nicht aus § 9 Abs. 3 AsylbLG F. 1993, wonach
Erstattungsansprüche nach Maßgabe der §§ 102 bis 114 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch im Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes
eingreifen. Denn diese Erstattungsansprüche sind solche behördlicher Leistungsträger
untereinander. Für die Geltung von Erstattungsansprüchen nach Art des § 121 BSHG,
die einem Dritten als Nothelfer zustehen, ist damit keine Bestimmung getroffen.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Fehlen gesetzlicher Regelungen nicht etwa
als "beredtes Schweigen" des Gesetzgebers in dem Sinne angesehen, dass die in
Rede stehenden Ansprüche Dritter ausgeschlossen wären. Für ein derartiges
Gesetzesverständnis gibt es keinen Anhalt. Aus der Zielsetzung des
Asylbewerberleistungsgesetzes, im Wege einer Neuordnung der Sozialhilfegewährung
an Ausländer (vgl. § 120 BSHG) den Anreiz zu verringern, aus wirtschaftlichen Gründen
nach Deutschland zu kommen,
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vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Familie und
Senioren vom 24. Mai 1993, BT- Drucks. 12/5008, S. 13 f. sowie OVG NRW,
Beschlüsse vom 4. November 1994 - 8 B 1845/94 - und vom 13. Dezember 1994 - 24 B
2155/94 - und Deibel, Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes,
ZfSH/SGB 1994, 359,
51
lässt sich lediglich der Grund für die leistungsrechtliche Schlechterstellung der
Asylbewerber und ihnen gleichgestellter Ausländer (vgl. § 9 Abs. 1 AsylbLG F. 1993
bzw. § 120 Abs. 2 BSHG) gegenüber dem Personenkreis der Sozialhilfeempfänger
ableiten, nicht aber das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen Dritter, die in
einer Notsituation anstelle des Leistungsträgers die erforderliche Hilfe erbringen.
52
4. Es spricht viel dafür, dass hinsichtlich der Nothilfe Dritter an Leistungsberechtigte
nach § 1 AsylbLG F. 1993, die nicht zum Kreis der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG F. 1993
genannten Ausländer gehören, im Asylbewerberleistungsrecht eine offene, dem Plan
des Gesetzes widersprechende Regelungslücke besteht,
53
vgl. zum Lückenbegriff: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl.
54
1995, S. 191 ff. (194 und 198),
die durch eine analoge Anwendung des § 121 BSHG zu schließen ist.
55
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt die Schließung einer
Regelungslücke im Wege der Analogie nur in Betracht, wenn das Gesetz für einen dem
nicht geregelten Sachverhalt ähnlichen Sachverhalt eine Regelung enthält, die auf den
nicht geregelten Sachverhalt übertragen werden kann, weil beide Tatbestände in der für
die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsicht gleich zu bewerten sind.
56
Vgl. Larenz/Canaris, a.a.O., S. 202 sowie BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1995 - 3 C
11.94 -, BVerwGE 99, 362 (368).
57
Diese Voraussetzungen dürften in Bezug auf die Heranziehung des § 121 BSHG zur
Beurteilung des vorliegenden Falles gegeben sein. Zu Recht hat das
Verwaltungsgericht insoweit ausgeführt, dass der durch das
Asylbewerberleistungsgesetz nicht geregelte Sachverhalt des Aufwendungsersatzes
eines hilfeleistenden Dritten ebenso zu bewerten ist, wie der in § 121 BSHG für den Fall
geregelte Sachverhalt, dass der Hilfeempfänger dem Grunde nach Anspruch auf
Sozialhilfe hat.
58
Hinzu kommt, dass es nach der Intention des Gesetzes keinen Unterschied macht, ob
die in Not geratene Person etwa aufgrund der Dauer ihres Aufenthalts schon zu den
gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG F. 1993 Leistungsberechtigten gehört mit der Folge,
dass § 121 BSHG entsprechend herzuziehen ist, oder ob dies - wie bei Frau S. - (noch)
nicht der Fall ist.
59
Der Gesetzeszweck des § 121 BSHG erfasst die genannten Sachverhalte in gleicher
Weise. Diese Vorschrift gibt einem Dritten ("jemand") als sogenanntem Nothelfer einen
strikten öffentlich-rechtlichen Aufwendungsersatzanspruch gegen den an sich für die
Hilfegewährung zuständigen Leistungsträger, um durch die Gewährleistung eines
zahlungsfähigen Schuldners die Hilfsbereitschaft Dritter im Notfall zu erhalten und zu
stärken.
60
Vgl. Senatsurteil vom 16. Mai 2000 - 22 A 1560/97 - m.w.N.
61
Der dadurch bezweckte Schutz des Rechts auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG) gilt allen in Not geratenen Bedürftigen gleichermaßen, und zwar ohne Ansehung
des Grundes ihrer jeweiligen Fürsorgeberechtigung (Art. 3 Abs. 1 GG).
62
Durch die entsprechende Anwendung des § 121 BSHG im Geltungsbereich des
Asylbewerberleistungsgesetzes bleiben die Interessen der Leistungsträger gewahrt.
"Entsprechende Anwendung" heißt nicht, ein Erstattungsbegehren so zu prüfen, als ob
es sich um einen Hilfefall nach dem Bundessozialhilfegesetz handele. Art und Umfang
der Erstattungspflicht sind nach Art und Umfang der Leistung zu bestimmen, die der
jeweilige Träger bei rechtzeitiger Einschaltung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
ohnehin "gewährt haben würde".
63
Die Frage, ob § 121 BSHG vorliegend analog anwendbar ist, braucht der Senat aber
nicht abschließend zu beantworten, weil die Beklagte für die begehrte Erstattung der
Behandlungskosten nicht zuständig ist.
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II. Zuständig für den Ersatz von Aufwendungen nach § 121 BSHG ist der Träger der
sozialen Fürsorge, der bei rechtzeitiger Kenntnis die Hilfe an die in Not geratene Person
"gewährt haben würde". Geht es um den Ersatz der Kosten, die einem Dritten für die
Krankenbehandlung eines nach § 1 AsylbLG F. 1993 anspruchsberechtigten Patienten
entstanden sind, so ist dafür der Fürsorgeträger sachlich und örtlich zuständig, dem die
Gewährung der Leistungen bei Krankheit (§ 4 AsylbLG F. 1993) aufgegeben ist.
65
Zwar war die Beklagte zur Wahrnehmung der Aufgaben nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz sachlich zuständig. Das ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1
des im streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Landesgesetzes zur Ausführung des
Asylbewerberleistungsgesetzes (AG AsylbLG NRW) vom 29. November 1994 (GV.
NRW. S. 1087).
66
Die Beklagte war jedoch in örtlicher Hinsicht unzuständig. Das folgt aus § 3 VwVfG
NRW, dessen Zuständigkeitsregelungen vorliegend anwendbar (nachfolgend 1.), aber
nicht zuständigkeitsbegründend sind (nachfolgend 2.). Die örtliche Zuständigkeit der
Beklagten lässt sich ferner nicht aus § 11 Abs. 2 AsylbLG F. 1993 herleiten
(nachfolgend 3.).
67
1. § 3 VwVfG NRW ist hier als Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit heranzuziehen.
Inhaltsgleiche oder entgegenstehende Vorschriften des Landes- oder Bundesrechts
(vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG NRW bzw. Art. 31 GG) verdrängen vorliegend die subsidiären
Zuständigkeitsbestimmungen des § 3 VwVfG NRW nicht.
68
§ 10 Satz 1 AsylbLG F. 1993 überließ den Landesregierungen oder den von ihnen
beauftragten obersten Landesbehörden, die für die Durchführung dieses Gesetzes
zuständigen Behörden und Kostenträger zu bestimmen, "soweit dies nicht durch
Landesrecht geregelt" war. Letzteres war für das Land Nordrhein-Westfalen wegen § 3
VwVfG NRW in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit der Behörden der Fall.
Dementsprechend erließ die Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Wege der bereits
genannten Verordnung zur vorläufigen Regelung der Zuständigkeit nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz vom 23. November 1993 (GV. NRW. S. 985) keine
gegenüber § 3 VwVfG NRW vorrangigen Regelungen der örtlichen Zuständigkeit.
69
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 1995 - 8 B 3194/94 -, NWVBl. 1995,
229 (230).
70
Erst am 1. Juni 1997, dem Tag des In-Kraft-Tretens des Ersten Gesetzes zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 26. Mai 1997, BGBl. I S. 1130 (AsylbLG F.
1997), wurde gemäß Art. 1 Nr. 10 durch Einfügung von § 10a AsylbLG F. 1997 eine
Regelung der örtlichen Zuständigkeit für das Asylbewerberleistungsgesetz im Gesetz
selbst begründet.
71
Schließlich ist die Anwendbarkeit des § 3 VwVfG NRW nicht durch § 2 Abs. 2 Nr. 3
VwVfG NRW ausgeschlossen. Über die Gewährung von Krankenhilfe an einen
Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG F. 1993 ist nicht in einem
Verwaltungsverfahren zu entscheiden, das sich nach dem Sozialgesetzbuch richtet. Das
Asylbewerberleistungsgesetz gilt - anders als das Bundessozialhilfegesetz - weder als
besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs (Art. II § 1 Nr. 15 SGB I), noch erklärt es in § 9
Abs. 3 AsylbLG F. 1993 über einzelne Vorschriften hinaus das im Sozialgesetzbuch -
72
Zehntes Buch - geregelte Verwaltungsverfahren für anwendbar.
2. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten für die Gewährung von Leistungen bei
Krankheit (§ 4 AsylbLG F. 1993) an Frau S. lag nach den gemäß § 3 Abs. 1 (Nr. 3 a und
Nr. 4) und Abs. 4 VwVfG NRW in Betracht zu ziehenden Anknüpfungspunkten
"gewöhnlicher Aufenthalt" (nachfolgend a), "Anlass der Amtshandlung" (nachfolgend b)
und "Gefahr im Verzuge" (nachfolgend c) nicht vor.
73
a) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG NRW ist in Angelegenheiten, die - wie hier - eine
natürliche Person betreffen, die Behörde in örtlicher Hinsicht zuständig, in deren Bezirk
die natürliche Person ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" hat oder zuletzt hatte.
74
Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes hat jemand
dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort
oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
75
Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 25.96 -, Buchholz 402.240 § 63 AuslG 1990
Nr. 1, S. 3; OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 1995 - 8 B 3194/94 -, NWVBl. 1995,
229 (230); Kopp/Ramsauer, Verwaltungsgverfahrensgesetz, 7. Auflage, § 3 Rn. 27;
Bonk, in: Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage, § 3 Rdnr. 22;
Klappstein, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage, § 3 Rdnr. 3.3.
76
Asylbewerber können einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Dem steht nicht
entgegen, dass zum Zeitpunkt ihrer Einreise infolge des bevorstehenden Asylverfahrens
noch nicht abzusehen ist, wie lange sie in Deutschland bleiben dürfen. Ebenso wenig
schließt die Art ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung oder einem
Übergangswohnheim die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts aus.
77
Vgl. zum gewöhnlichen Aufenthalt (gA) von Asylbewerbern die Spruchpraxis der
Zentralen Spruchstelle, Schiedsspruch vom 23. März 1995 - B 2/94 -, ZfF 1995, 132
(133); Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Stand: Juli 1998 Rdnr. 37 zu § 103;
Fichtner (Hrsg.), Bundessozialhilfegesetz 1999, § 97 Rn. 22; sowie zum möglichen gA
in Übergangswohnheimen: BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2000, - 5 B 211.99 -,
FEVS 51, 389 und Urteil vom 7. Oktober 1999 - 5 C 21.98 - FEVS 51, 385.
78
Es genügt für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts, dass der Betreffende sich
an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen
Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehung hat.
79
Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auf- lage, § 3 Rdnr. 22
sowie zum gA nach §§ 97, 103, 107 BSHG: BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1999 - 5 C
21.98 - a.a.O. S. 386; Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Stand: Juli 1998 Rdnr. 35
zu § 103; Oestreicher/ Schelter/Kunz/ Decker, Bundessozialhilfegesetz, 5. Auflage 2000,
Rdnrn. 9 und 18 zu § 103;
80
Soweit es für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts darauf ankommt, ist nicht
der rechtsgeschäftliche (§§ 104 ff. BGB), sondern der tatsächliche Wille der Person
maßgeblich. Vgl. Klappstein, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage, § 3
Rdnr. 3.3; Fichtner (Hrsg.), Bundessozialhilfegesetz 1999, Rdnr. 18 zu § 97; BVerwG,
Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 25.96 -, Buchholz 402.240 § 63 AuslG 1990 Nr. 1, S. 3
81
Kein gewöhnlicher Aufenthalt wird begründet, wenn die Anwesenheit an einem Ort
lediglich vorübergehender Natur ist. Beispiele dafür sind Besuchs-, Urlaubs- oder
Krankenhausaufenthalte, weil diese in der Regel einen nach Tagen oder Wochen zu
bemessenden zeitlichen Rahmen nicht überschreiten.
82
Vgl. Fichtner (Hrsg.), Bundessozialhilfegesetz 1999, Rdnr. 25 zu § 97; Bonk, in:
Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage, § 3 Rdnr. 22 unter Hinweis
auf § 9 AO 1977; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsgverfahrensgesetz, 7. Auflage, § 3 Rn.
28.
83
Hieran anknüpfend besaß die Asylbewerberin S. keinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Sie hielt sich dort - jedenfalls im
erstattungsrelevanten Zeitraum vom 26. Februar 1995 bis 31. März 1995 - nur
vorübergehend auf. Ihre Anwesenheit diente der stationären Behandlung ihrer
Geisteskrankheit. Der Krankenhausarzt des Klägers rechnete mit einer
voraussichtlichen Behandlungsdauer von sechs Wochen. Der Beigeladene hielt
weiterhin eine Unterkunft für sie vor. Sobald ihr Gesundheitszustand es erlaubte, war sie
aufgrund der räumlichen Beschränkung der ihr als Asylbewerberin erteilten
Aufenthaltsgestattung verpflichtet, an den Ort ihrer Zuweisung zurückzukehren. Mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass Frau S. sich danach richten
wollte.
84
b) Die Zuständigkeit der Beklagten in örtlicher Hinsicht ist ferner nicht nach § 3 Abs. 1
Nr. 4 VwVfG NRW gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Behörde örtlich zuständig, in
deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt, es sei denn, vorrangige
Zuständigkeitstatbestände der Nummern 1 bis 3 des § 3 Abs. 1 VwVfG NRW greifen ein.
85
Letzteres ist hier der Fall. Frau S. besaß im erstattungsrelevanten Zeitraum einen
gewöhnlichen Aufenthalt im Amtsbezirk des Beigeladenen. Der dortigen Stadt war sie
zugewiesen. Dieser Zuweisung ist sie auch nachgekommen. Seit dem 9. November
1994 hielt sie sich dort als Asylbewerberin auf. Angesichts ihres seinerzeit nach Dauer
und Ergebnis noch offenen Asylverfahrens verweilte sie an diesem Ort nicht nur
vorübergehend, sondern bis auf weiteres. Der dortige gewöhnliche Aufenthalt bestand
auch noch im streitbefangenen Zeitraum bis Ende März 1995 fort. Der
Krankenhausaufenthalt andernorts war zunächst nicht auf Dauer angelegt und
begründete deshalb - wie oben dargelegt - keinen anderweitigen gewöhnlichen
Aufenthalt.
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c) Eine örtliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich ebenso wenig aus § 3 Abs. 4
VwVfG NRW herleiten. Danach ist bei Gefahr im Verzuge für unaufschiebbare
Maßnahmen jede Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die
Amtshandlung hervortritt.
87
Zwar trat der Anlass für die Bewilligung von Leistungen bei Krankheit (§ 4 AsylbLG F.
1993) im Amtsbezirk der Beklagten hervor. Gleichwohl begründete dies keine
Notzuständigkeit des dortigen Sozialamts. Die streitbefangene Übernahme der
Behandlungskosten stellte für die Beklagte keine unaufschiebbare Maßnahme zur
Abwendung einer Gefahr im Verzuge dar.
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"Gefahr im Verzuge" im Sinne der Vorschrift setzt voraus, dass durch die Einschaltung
der an sich zuständigen Behörde ein Zeitverlust einträte, der mit hoher
89
Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass der Zweck der zu treffenden Regelung nicht
mehr erreicht wird.
Vgl. Klappstein, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage, § 3 Rdnr. 6.2;
Kopp/Ramsauer, Verwaltungsgverfahrensgesetz, 7. Auflage, § 3 Rn. 54; vgl. auch zur
"Gefahr im Verzuge" i.S.d. § 28 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 3 C
27.82 -, BVerwGE 68, 267 (271).
90
Der Zweck der Asylbewerberleistungen bei Krankheit (§ 4 AsylbLG F. 1993) besteht in
der Sicherstellung ärztlicher Versorgung zur Behandlung akuter Erkrankungen und
Schmerzzustände. Eine Gefahr im Verzuge im Sinne des § 3 Abs. 4 VwVfG NRW
entsteht, wenn ein Abbruch der erforderlichen Behandlung deshalb zu besorgen ist, weil
die Einschaltung des an sich örtlich zuständigen Leistungsträgers nicht rechtzeitig
erfolgen kann.
91
Diese Voraussetzungen greifen vorliegend nicht ein. Vielmehr verfügte das Sozialamt
der Beigeladenen anhand seiner Behördenvorgänge (Leistungsakte) über alle
notwendigen Angaben, um - nach fernmündlicher Einschaltung - die Notlage der
Patientin zeitgerecht beheben zu können. Dem steht nicht entgegen, dass der Tag der
Notaufnahme der Patientin in das Krankenhaus des Klägers ein Sonntag (26. Februar
1995) war und deshalb weder von einer Erreichbarkeit der Ämter des Beigeladenen
noch derjenigen der Beklagten ausgegangen werden kann. Die nach Maßgabe des §
121 BSHG vorzunehmende Anwendung des § 3 Abs. 4 VwVfG NRW richtet sich nicht
allein nach dem tatsächlichen Geschehensablauf. Sie hat vielmehr unter der
(gedachten) Annahme zu erfolgen, dass der auf Kostenerstattung in Anspruch
genommene Fürsorgeträger, hier die Beklagte, "rechtzeitige Kenntnis" der Notsituation
besessen hätte. Kommt - wie hier - die Leistungszuständigkeit eines weiteren
Fürsorgeträgers in Betracht, so ist insoweit auch dessen "rechtzeitige Kenntnis" zu
unterstellen. Der Sinn des in § 121 BSHG geregelten Aufwendungsersatzanspruchs, die
Kosten für die Hilfeleistung letztlich dem Fürsorgeträger aufzuerlegen, der sie bei einem
"normalen" Geschehensablauf hätte tragen müssen, diese aber aufgrund des
Einspringens des Nothelfers "erspart" hat, ließe sich andernfalls nicht hinreichend
verwirklichen.
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Wenn die Beklagte von der Notsituation der Patientin S. in Kenntnis gesetzt worden
wäre, hätte sie - anders als das Sozialamt des Beigeladenen - eine Kostenzusage in
Bezug auf die stationäre Behandlung nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung
erteilen können. Die Patientin war dem Sozialamt der Beklagten nicht bekannt. Da sie
bei der Krankenhausaufnahme angab, in der fürsorgerechtlichen Betreuung des
Beigeladenen zu stehen, hätte diese Angabe zunächst dort überprüft werden müssen.
Hingegen hätte das Sozialamt des Beigeladenen bei rechtzeitiger Kenntnis des akuten
Behandlungsbedarfs unmittelbar - ggfls. fernmündlich oder per Telefax - eine
Kostenzusage gegenüber dem Kläger erteilen können. Dazu wäre eine Amtshandlung
am Ort des Krankenhauses bzw. eine Amtshilfe der Beklagten weder erforderlich noch
geboten gewesen.
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3. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich nicht auf § 11 Abs. 2 AsylbLG F.
1993 stützen.
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Aus dieser Norm ergibt sich lediglich mittelbar, dass für Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz nicht stets und unter allen Umständen der Leistungsträger
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am Ort der Zuweisung zuständig ist, sondern für die örtliche Zuständigkeit, wie nach
nordrhein-westfälischem Landesrecht vorgesehen, der tatsächliche Aufenthaltsort
maßgeblich sein kann. Jene Vorschrift bestimmt nämlich, dass Leistungsberechtigten
nach § 1 in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl-
oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, die für den
tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde nur die nach den Umständen
unabweisbar gebotene Hilfe leisten darf.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 1996 - 5 B 53.96 - , Buchholz 436.02 § 11
AsylbLG Nr. 1 sowie Senatsurteil vom 17. Oktober 2000 - 22 A 4408/99 -.
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Dementsprechend regelt § 3 Abs. 4 VwVfG NRW für den Fall, dass ein
Leistungsberechtigter sich im Zuständigkeitsbereich eines an sich für ihn nicht
zuständigen Leistungsträgers aufhält, eine (Not-) Zuständigkeit der Behörde, in deren
Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Die zuständigkeitsbegründenden
Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 VwVfG NRW greifen aber - wie dargelegt - nicht ein.
97
III. Der Kläger kann sein Begehren nicht mit Erfolg auf allgemeine Erstattungsregeln
stützen. Dabei kann offen bleiben, ob - wofür vieles spricht - ein Aufwendungsersatz
nach öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag,
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vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 6. September 1988 - 4 C 5/86 -, BVerwGE 80, 170,
99
oder nach dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch schon deswegen
ausscheidet, weil mit § 121 BSHG eine Regelung des Fürsorgerechts entsprechende
Anwendung findet, die abschließend ist. Die genannten Rechtsgrundlagen begründen
nämlich (ebenso wie § 121 BSHG) einen Erstattungsanspruch nur gegenüber dem
Behördenträger, der für die zu erstattende Leistung zuständig gewesen wäre. Dies trifft
für die Beklagte - wie ausgeführt - nicht zu.
100
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Es entspricht der
Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen für das Berufungsverfahren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da
dieser einen Sachantrag nicht gestellt und sich damit dem Kostenrisiko nicht ausgesetzt
hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
101
Vgl. insoweit Bader in: Bader, Verwaltungsgerichtsordnung, Heidelberg 1999, § 162 Rn.
16.
102
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2
VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
103
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
104