Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.04.2009

OVG NRW: versetzung, beamtenverhältnis, beendigung, aktiven, einzelrichter, öffentlich, ruhegehalt, rechtsgrundlage, ausnahmefall, gleichbehandlung

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 E 54/09
Datum:
16.04.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 E 54/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 12 K 2754/07
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
G r ü n d e
1
Über die Beschwerde entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1
GKG der nach der Geschäftsverteilung des Senats zuständige Berichterstatter als
Einzelrichter. Zwar hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht ein Einzelrichter im Sinne
des § 6 VwGO entschieden, sondern die Berichterstatterin gemäß § 87a Abs. 1 Nrn. 3
und 4, Abs. 3 VwGO. Es entspricht jedoch dem Sinn des Gesetzes, dass auch in einer
solchen Konstellation (erst recht) ein Einzelrichter über die Beschwerde entscheidet.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. August 2007 - 7 E 792/07 -; vom 9. Februar 2006 -
2 E 166/06 -; und vom 15. Juli 2005 - 21 E 811/05 -; so auch Hess. VGH, Beschluss vom
12. Februar 2008 - 8 E 284/08 -, juris (Rn. 2); Sächs. OVG, Beschluss vom 2. Februar
2007 - 3 E 44/07 -, DÖV 2007, 562, und juris (Rn. 1); VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 2. Juni 2006 - 9 S 1148/06 -, NVwZ-RR 2006, 648 (649), und juris (Rn.
10 ff.) m.w.N.
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§ 66 Abs. 6 Satz 1 GKG soll nach dem Willen des Gesetzgebers - zur Vereinfachung
des kostenrechtlichen Verfahrens - einerseits zur Entlastung der Rechtspflege beitragen
und andererseits die Akzeptanz der auf die Beschwerde ergehenden Entscheidung
durch die Betroffenen sicherstellen, indem Entscheidungen eines Kollegialgerichts nur
durch ein anderes Kollegialgericht korrigiert werden können.
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Vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 157 f.
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Das lässt den Umkehrschluss zu, dass bei einer Entscheidung in der ersten Instanz
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durch einen einzelnen Richter auch im Beschwerdeverfahren ein Mitglied des Senats
allein zur Entscheidung berufen ist.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Juni 2006 - 9 S 1148/06 -, NVwZ-RR
2006, 648 (649), und juris (Rn. 13).
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Die zulässige, insbesondere den Beschwerdewert von 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1
GKG) erreichende Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit dem Ziel,
den vom Verwaltungsgericht auf 19.005,16 Euro festgesetzten Streitwert auf 38.010,31
heraufzusetzen, ist unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert zu Recht ausgehend vom 6,5-fachen Betrag
des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 10 BBesO zuzüglich ruhegehaltfähiger
Zulagen festgesetzt. Grundlage für die Streitwertfestsetzung ist § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m.
Satz 1 Nr. 1 GKG (sog. "kleiner Gesamtstatus"). Dies entspricht der Rechtsprechung des
Senats in den sog. Reaktivierungsfällen.
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Vgl. zuletzt Streitwertbeschlüsse vom 14. November 2008 - 1 A 2047/08 - und vom 30.
Juli 2008 zum Urteil vom gleichen Tag in dem Verfahren 1 A 3762/06.
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An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch angesichts der vom
Prozessbevollmächtigten der Klägerin im vorliegenden Verfahren substantiiert
vorgetragenen Argumente fest.
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Zwar scheint der Wortlaut auf den ersten Blick eine Anwendung des § 52 Abs. 5 Satz 1
Nr. 1 GKG nahe zu legen mit der Folge, dass Streitwert dann der 13-fache Betrag des
Endgrundgehalts wäre: Denn mit der Reaktivierung eines vorzeitig in den Ruhestand
versetzten Beamten wird ein Amtsverhältnis (erneut) begründet, indem der Beamte
(erneut) in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen wird. Im Gegensatz zum
aktiven Beamten steht der Ruhestandsbeamte nicht mehr in einem Amtsverhältnis: Als
Beamter "außer Dienst" (a.D.) bekleidet er kein Amt im dienstrechtlichen Sinne; da er
keiner Behörde zugewiesen und ihm naturgemäß auch kein Aufgabenbereich mehr
übertragen ist, hat er weder ein abstrakt- funktionales noch ein konkret-individuelles Amt
inne. Neben der mit der Reaktivierung verbundenen Begründung eines
Amtsverhältnisses kann die Veränderung vom Ruhestandsverhältnis in das aktive
Beamtenverhältnis durchaus auch als Umwandlung eines besoldeten öffentlich-
rechtlichen Dienstverhältnisses im Sinne des § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG angesehen
werden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2005 - 6 E 614/05 -, juris (Rn. 2).
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Gleichwohl erscheint die Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr.
1 GKG aus folgenden Erwägungen vorzugswürdig:
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In den Fällen, in denen die Versetzung vom aktiven Beamtenverhältnis in den
(vorzeitigen) Ruhestand Streitgegenstand ist, ist für die Festsetzung des Streitwerts
nach gefestigter Rechtsprechung unbestritten der sog. "kleine Gesamtstatus" (6,5-facher
Betrag des Endgrundgehalts) maßgebend.
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Vgl. statt vieler BVerwG, Beschluss vom 15. Dezem-ber 1994 - 2 B 143.94 -, BayVBl
1995, 700, und juris (Rn. 14).
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§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG findet in diesen Fällen keine Anwendung, obwohl auch
hier der Wortlaut - "Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder
Amtsverhältnisses" - für den "großen Gesamtstatus" zu sprechen scheint. Die
Versetzung in den Ruhestand ist jedoch keine vollständige und endgültige Beendigung
des Beamtenverhältnisses; nur eine solche Beendigung rechtfertigt die Anwendung des
§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG. Zwischen dem Ruhestandsbeamten und seinem
Dienstherrn verändern sich lediglich einige gegenseitigen Pflichten und Rechte, so dass
zwischen ihnen jedenfalls nach wie vor ein Verhältnis eigener Art besteht. Die
Heranziehung des bloß 6,5- fachen Betrages des Endgrundgehalts als Streitwert
erscheint daher angemessen. Dies zugrundegelegt, ist es konsequent, die Fälle, in
denen die Umkehrung der Zurruhesetzung im Streit ist - d.h. bei erneuter Berufung in
das aktive Beamtenverhältnis nach bereits erfolgter Zurruhesetzung (actus contrarius) -,
hinsichtlich der Streitwertfestsetzung in gleicher Weise zu behandeln. In beiden
Fallkonstellationen geht es - abgesehen vom Beschäftigungsanspruch - vom
wirtschaftlichen Interesse her lediglich um die Differenz (in der Regel in Höhe von ca. 30
%) zwischen der Besoldung des aktiven Beamten und dem Ruhegehalt des
Ruhestandsbeamten. Wenn der Gesetzgeber in § 52 Abs. 5 GKG speziell für
beamtenrechtliche Verfahren als Streitwert den 13- bzw. 6,5-fachen Betrag des
Endgrundgehalts anordnet, dann gibt er damit zu erkennen, dass der Streitwert - ähnlich
wie auch in den Absätzen 1 und 3 dieser Vorschrift,
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vgl. zu § 52 Abs. 1 GKG Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, Anh. § 164 Rn. 7, -
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sich vorrangig an wirtschaftlichen Interessen zu orientieren hat. Hinsichtlich ihrer
wirtschaftlichen Auswirkungen bestehen zwischen der Versetzung in den Ruhestand
bzw. der Reaktivierung einerseits sowie der Begründung bzw. Beendigung eines
Amtsverhältnisses im Sinne des § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG andererseits nicht
unerhebliche Unterschiede: Im zuletzt genannten Falle geht es um die endgültige
Beendigung des Verhältnisses zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn, z.B.
durch Entlassung, sowie die erstmalige Begründung eines Beamtenverhältnisses, was
voraussetzt, dass der Bewerber bislang noch nicht in einem Beamtenverhältnis stand. In
entsprechenden (Streit-)Fällen ist das wirtschaftliche Interesse darauf gerichtet,
entweder die entsprechenden Bezüge erstmals zu erhalten oder sich den Weiterbezug
zu sichern. Eine derart große Differenz stand für die Klägerin im Ausgangsverfahren
jedoch zu keiner Zeit in Rede. Vom Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens hing in
wirtschaftlicher Hinsicht "lediglich" ab, ob sie weiterhin ihr Ruhegehalt oder künftig
Bezüge als Stadtoberinspektorin beziehen würde.
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Die vom Senat vertretene Auffassung,
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die u.a. auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geteilt wird, vgl. BayVGH,
Beschlüsse vom 17. Mai 2002 - 3 B 97.801 -, juris (Rn. 34), vom 19. Januar 2001 - 3 C
00.3616 -, juris (Rn. 4 ff.), und vom 8. Januar 1998 - 3 ZB 97.2338 -, juris (Rn. 6 ff.),
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findet ihren Anknüpfungspunkt auch im Wortlaut des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG. Ein "den
Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand" betreffendes Verfahren liegt allgemein
dann vor, wenn in dem Verfahren ein die Versetzung in den Ruhestand aussprechender
Verwaltungsakt angegriffen und damit der Zeitpunkt des Beginns des Ruhestands im
Streit ist.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1994 - 2 B 143.94 -, BayVBl 1995, 700, und
juris (Rn. 14); Senatsbeschluss vom 29. Januar 2008 - 1 B 1745/07 -, juris (Rn. 19);
BayVGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2001 - 3 C 00.3616 -, juris (Rn. 4), und vom 8.
Januar 1998 - 3 ZB 97.2338 -, juris (Rn. 7).
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Entsprechendes gilt, wenn der Beamte die Ablehnung einer Reaktivierung angreift bzw.
seine Reaktivierung begehrt. Im Falle einer Reaktivierung wird nämlich der Zeitpunkt
der Versetzung in den Ruhestand (erneut) geändert und - im Regelfall - auf den
Zeitpunkt des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze verschoben.
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Die - schlagwortartig mit "actus contrarius" bezeichnete - Gleichbehandlung der
erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis mit der Versetzung in den Ruhestand
hinsichtlich der Streitwertfestsetzung erfordert nicht, dass in beiden Fallgestaltungen
identische Voraussetzungen (einschließlich identischer Rechtsvorschriften) geprüft
werden müssten. Das ist bei einem actus contrarius in der Regel nicht der Fall. So
ergeht beispielsweise der Erlass eines Verwaltungsaktes regelmäßig auf einer anderen
Rechtsgrundlage als seine Aufhebung. Entscheidend für die hier vorzunehmende
Bewertung ist nicht, dass die Streitgegenstände der Zurruhesetzung und der
Reaktivierung gleich sein müssten. Es geht nicht um identische Streitgegenstände,
sondern um vergleichbare (wirtschaftliche) Interessenlagen, die - wie aufgezeigt - hier
vorliegen. Im Übrigen hängt die Höhe des festzusetzenden Streitwerts in keinem Fall
grundlegend vom Umfang der gerichtlichen Prüfung ab.
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Wenn mit dem Beschwerdevorbringen geltend gemacht wird, bei der Reaktivierung
handele es sich um eine Statusveränderung, so ist dem angesichts der statusrechtlichen
Unterschiede zwischen einem aktiven Beamten einerseits und einem
Ruhestandsbeamten andererseits zuzustimmen. Das Vorliegen einer
Statusveränderung führt jedoch nicht zwingend zur Anwendung des § 52 Abs. 5 Satz 1
Nr. 1 GKG. Statusveränderungen werden hinsichtlich ihres Streitwerts auch von § 52
Abs. 5 Satz 2 GKG erfasst, schließlich handelt es sich hierbei um den sog. "kleinen
Gesamtstatus".
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Allerdings trifft es nicht zu, dass § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG als Ausnahmefall restriktiv
auszulegen und nur in den Fällen anzuwenden ist, in denen nicht grundsätzliche
statusrechtliche Fragen geklärt werden sollen. Es handelt sich hierbei zwar um eine
spezielle Regelung: Wenn sie -wie aufgezeigt - einschlägig ist und die Grenzen des
Wortlauts nicht überschritten werden, dann ist für eine (isolierte) Anwendung des § 52
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG aber kein Raum. Angesichts der hier vorgenommenen
Auslegung innerhalb der Grenzen des Wortlauts des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG bedarf es
keiner Analogiebildung.
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Von dem zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt aus - 6,5-facher Betrag des
Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 10 BBesO zuzüglich ruhegehaltfähiger
Stellenzulage (Nr. 27 Abs. 1 Buchstabe b der Anl. I i.V.m. Anl. IX BBesG) im Zeitpunkt
der den Rechtszug einleitenden Antragstellung (§ 40 GKG) - sind Fehler in der
Berechnung des Streitwertbetrages durch das Verwaltungsgericht weder geltend
gemacht worden noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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