Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.08.1996

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Oberverwaltungsgericht NRW, 25 A 3697/96.A
Datum:
19.08.1996
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
25. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
25 A 3697/96.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 8 K 604/95.A
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das
Antragsverfahren wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Minden vom 3. Juni 1996 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte
Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg verspricht (§ 166 VwGO iVm § 114 ZPO).
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu. In der Senatsrechtsprechung ist geklärt, unter welchen
Umständen in der Türkei Kurden politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Danach
unterliegen einer landesweiten politischen Verfolgung in der Türkei solche Personen
aus Ostanatolien, die bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht stehen, mit
der militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren. Dies ist anzunehmen, wenn sie
dort von menschenrechtswidriger Behandlung betroffen oder bedroht waren und die
Umstände darauf hinweisen, daß jene Behandlung der tatsächlichen oder
vermeintlichen Unterstützung der PKK galt. Ein solcher Umstand kann zum Beispiel die
Mitgliedschaft in einer prokurdischen Partei (HEP, DEP, HADEP) sein.
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Vgl. die Zusammenfassung im Senatsurteil vom 11. März 1996 - 25 A 5801/94.A -, S. 87.
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Es unterliegt keinen Zweifeln und bedarf daher nicht erst der Klärung in einem
Berufungsverfahren, daß für Mitglieder und Funktionäre der Arbeiterpartei (Isci Partisi)
Entsprechendes gilt. Zwar handelt es sich bei dieser Organisation um eine legale Partei,
deren Vorsitzender E. Q. sich regelmäßig in den türkischen Medien äußert.
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Vgl. die im vorliegenden Verfahren eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20.
April 1996.
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Doch wie die Kläger mit Schriftsatz vom 13. Mai 1996 unter Bezugnahme vor allem auf
Meldungen in der sozialistischen Zeitung Aydinlik,
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vgl. dazu Rumpf, Gutachten vom 21. März 1995 an VG Köln, S. 3, Fußnote 1,
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dargelegt haben, sind Mitglieder und Funktionäre der Arbeiterpartei nicht selten Opfer
polizeilicher Verfolgungsmaßnahmen und rechtsextremistischer Übergriffe. Dies
entspricht einer allgemeinen in der Türkei zu beobachtenden Tendenz, wonach
linksgerichtete Parteien, die sich für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts
einsetzen, schnell in den Verdacht einer Sympathie mit dem Separatismus geraten.
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Vgl. Rumpf, Gutachten vom 1. Oktober 1995 an VG Aachen, S. 6.
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Andererseits läßt sich den von den Klägern vorgelegten Zeitungsmeldungen auch nicht
ansatzweise entnehmen, daß alle Mitglieder der Arbeiterpartei gegenwärtig in der
Türkei mit dem Staat zuzurechnenden Repressalien rechnen müssen. Der
Parteivorsitzende Q. wurde im übrigen nicht wegen seiner politischen Funktion, sondern
wegen einer Passage in einer Rede zu einer Haftstrafe verurteilt. Die Gewährung
politischen Asyls an Mitglieder der Arbeiterpartei kommt daher - allenfalls - unter den
Voraussetzungen in Betracht, wie sie in der Senatsrechtsprechung für Mitglieder und
Funktionäre der genannten prokurdischen Parteien anerkannt sind. Die in der
Antragsschrift aufgeworfene Frage danach, ob bereits die einfache Mitgliedschaft in der
Arbeiterpartei zur Asylanerkennung führen muß, ist daher eindeutig zu verneinen.
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Die Verfahrensrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG iVm § 138 Nr. 3 VwGO greift
ebenfalls nicht durch. Den Klägern ist im erstinstanzlichen Verfahren rechtliches Gehör
nicht versagt geblieben.
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Daß das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 1996
anwesenden Zeugen J. H. nicht vernommen hat, fand im Prozeßrecht seine Stütze.
Indem das Verwaltungsgericht den insoweit unter Beweis gestellten Vortrag als wahr
unterstellt hat, hat es sich auf einen herkömmlichen, die Ablehnung von Beweisanträgen
rechtfertigenden Grund gestützt. Dabei hat das Verwaltungsgericht den Vortrag in der
mündlichen Verhandlung dahin verstanden, daß der Zeuge J. H. nur diejenigen
exilpolitischen Aktivitäten der Kläger bestätigen könne, für welche dieser im kurz zuvor
eingegangenen Schriftsatz vom 29. Mai 1996 benannt worden war. Diese Annahme war
naheliegend, weil die umfassende Darstellung der exilpolitischen Aktivitäten im
vorbezeichneten Schriftsatz in 22 Unterpunkte untergliedert war, in welchen jeweils ein
bestimmter Zeuge zum Beweis angeführt wurde. Für die Teilnahme der Kläger an der
Protestkundgebung vor dem türkischen Generalkonsulat in I. vom 26. Juni 1993 war
aber lediglich der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende Zeuge N. ×.
benannt. Sollte entgegen dieser eindeutigen schriftsätzlichen Darstellung auch der
Zeuge J. H. in der Lage gewesen sein, die Beteiligung der Kläger an jener
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Veranstaltung in I. zu bestätigen, so hätte es eines diesbezüglichen
unmißverständlichen Hinweises der Kläger in der mündlichen Verhandlung bedurft,
zumal sie das etwaige Mißverständnis zu verantworten hätten, weil die im
Anwaltsschriftsatz vom 29. Mai 1996 enthaltenen Informationen nur von ihnen stammen
können.
Ferner bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme, das
Verwaltungsgericht habe den Vortrag des Klägers, er sei zum Delegierten der
Auslandssektion der Isci Partisi für das Gebiet M. -E. gewählt worden, nicht zur Kenntnis
genommen oder nicht in seine Würdigung einbezogen. Jenen Umstand hat das
Verwaltungsgericht im Tatbestand ausdrücklich erwähnt (Seite 5 des Urteilsabdrucks).
Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Annahme, daß das Verwaltungsgericht
jenes Vorbringen im Rahmen der Würdigung der exilpolitischen Aktivitäten der Kläger
mitberücksichtigt hat. Ersichtlich auch auf jenes Vorbringen erstreckt sich die Wertung
des Verwaltungsgerichts, es erscheine wenig wahrscheinlich, daß das Engagement der
Kläger in der Bundesrepublik Deutschland für die Isci Partisi den türkischen
Sicherheitskräften bekannt geworden sein könnte. Dafür spricht, daß das
Verwaltungsgericht im folgenden eine Kenntnisnahme türkischer Stellen ausdrücklich in
Bezug auf Personen bejaht hat, die sich öffentlichkeitswirksam in führender Person als
Vorstandsmitglieder von eingetragenen kurdischen Vereinen mündlich oder schriftlich
separatistisch äußern und für einen eigenen Kurdenstaat eintreten (Seite 11 des
Urteilsabdrucks). Damit hat das Verwaltungsgericht hinlänglich deutlich gemacht, daß
der Kläger auch in seiner Eigenschaft als Auslandsfunktionär seiner Partei nicht zum
Kreis derjenigen Personen zählt, deren exponiertes politisches Auftreten im
Bundesgebiet sie bei einer etwaigen Rückkehr in der Türkei gefährdet.
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Soweit in der Antragsschrift im Zusammenhang mit der Gewährung rechtlichen Gehörs
auch eine Abweichungsrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG erhoben wird, hat sie aus
den vorgenannten Gründen keinen Erfolg.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG abgesehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluß ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
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