Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.04.2002

OVG NRW: einstellung des verfahrens, steuerberater, selbstanzeige, leichtfertiges verhalten, steuerpflichtige person, steuerhinterziehung, vertreter, eigenhändig, abgabe, steuererklärung

Oberverwaltungsgericht NRW, 15d A 2342/00.O
Datum:
30.04.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15d. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15d A 2342/00.O
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 31 K 6148/99.O
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Dienstherrn auferlegt.
G r ü n d e :
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I.
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1. Die am 1942 in X. geborene Beamtin schloss die Schulausbildung im Jahr 1960 mit
der mittleren Reife ab und arbeitete anschließend für etwas mehr als ein Jahr als
Angestellte bei der Deutschen Bundespost im Fernsprechvermittlungsdienst. Zum 1.
August 1961 wurde sie als Verwaltungsangestellte beim Finanzamt X. -C. angestellt
und am 20. Januar 1964 als Steueranwärterin in das Beamtenverhältnis auf Widerruf
übernommen. Am 30. Juli 1965 bestand sie die Laufbahnprüfung für den mittleren
Dienst. Am 30. September 1969 wurde ihr im Rang einer Steuerobersekretärin die
Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Im Jahr 1972 wurde sie zur
Steuerhauptsekretärin, im Jahr 1976 zur Steueramtsinspektorin und im Jahr 1984 zur
Steueramtsinspektorin mit Zulage befördert.
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Die Beamtin ist seit 1967 Mitglied des Personalrates beim Finanzamt X. -C. und
deswegen seit dem Jahr 1980 von ihren dienstlichen Tätigkeiten in vollem Umfang
freigestellt. Zurzeit ist sie Vorsitzende des Personalrates beim Finanzamt X. -C. und
Mitglied des Bezirkspersonalrates.
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Ihre 1967 geschlossene Ehe mit dem Musiker I. L. F. H. wurde im Dezember 1971
geschieden. Seit 1978 ist sie in zweiter Ehe mit dem Zahnarzt, Arzt und
Filmproduzenten Dr. Dr. S. verheiratet. Ihr 1971 geborener Sohn ist Pilot und lebt noch
im elterlichen Haus. Ihr Stiefsohn hat die Filmproduktion ihres Ehemannes
übernommen, der sich aus dem Arbeitsleben zurückgezogen und inzwischen nach
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einem Unfall wegen körperlicher Gebrechen pflegebedürftig und bettlägrig ist. Auch die
Beamtin ist zu 50 % schwerbehindert.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beamtin sind gut. Es ist Kapitalvermögen in Höhe
von ca. 109.000,-- EUR vorhanden. Sie bewohnt ein schuldenfreies Zweifamilienhaus
und ist Eigentümerin eines Ferienhauses in G. . Schulden sind nicht vorhanden.
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Die Beamtin ist bisher mit Ausnahme der Anschuldigung, die Gegenstand dieses
Verfahrens ist, straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
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Der Oberfinanzpräsident E. hat mit Verfügung vom 5. August 1997 das förmliche
Disziplinarverfahren gegen die Beamtin eingeleitet. Im Rahmen des
Untersuchungsverfahrens hat sie mit Schriftsätzen ihrer Verteidigung vom 19.
September 1997, 17. Februar 1999 und 2. Juni 1999 Stellung genommen und sind ihr
Steuerberater H. T. und der Mitarbeiter der Sparkasse X. I. I. vernommen worden.
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Mit der am 23. September 1999 bei Gericht eingegangenen Anschuldigungsschrift vom
Vortage wird der Beamtin zur Last gelegt,
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pflichtwidrig und schuldhaft ihre Dienstpflichten dadurch verletzt zu haben, dass sie
gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann in den Jahren 1993 und 1994 durch Abgabe
unvollständiger Einkommensteuererklärungen folgende Steuerbeträge hinterzogen
habe:
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Einkommensteuer 1991 4.664,-- DM
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Einkommensteuer 1992 2.292,-- DM.
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2. Die Disziplinarkammer hat auf der Grundlage der Einlassungen der Beamtin sowie
der im Sitzungsprotokoll der Hauptverhandlung vom 22. März 2000 aufgeführten, im
Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Schriftstücke folgenden Sachverhalt
festgestellt:
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"Im Jahre 1990 verkaufte die Beamtin eine ihr gehörende Eigentumswohnung in X. - D.
zum Preise von 220.000,-- DM. Den Verkaufserlös zahlte sie im Dezember 1990 auf ein
im gleichen Monat eröffnetes Festgeldkonto bei der Stadtsparkasse X. mit der
Kontonummer ein. Im Jahre 1991 erzielte sie aus dieser Geldanlage Zinsen in Höhe von
18.123,-- DM und im Jahre 1992 Zinsen in Höhe von 18.942,-- DM.
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Am 9. November 1992 verabschiedete der Bundestag das Zinsabschlagsgesetz, das
zum 1. Januar 1993 in Kraft trat. Mit diesem Gesetz wurde ein Abschlag auf die
Besteuerung von Kapitalerträgen in Höhe von 30 % eingeführt, den alle inländischen
Geldinstitute bei der Auszahlung von Zinserträgen einzubehalten und anonym an die
Finanzämter abzuführen hatten. Die Abschläge sollten dann später mit der festgesetzten
Einkommensteuer verrechnet werden. Da ausländische Geldinstitute diesem Gesetz
nicht unterworfen waren, verstärkte sich ab 1992 die Kapitalflucht in das Ausland,
insbesondere nach M. .
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Am 26. November 1992 überwies die Beamtin mittels eines von ihr unterzeichneten
Überweisungsträgers einen Teilbetrag in Höhe von 200.000,-- DM von dem
Festgeldkonto Nr. auf das von der Stadtsparkasse X. vermittelte Festgeldkonto Nr. bei
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der C. et D. e. de m. in M. . Der Zinssatz betrug 7,25%, im gleichen Monat hatte die
Beamtin auf dem Festgeldkonto bei der Stadtsparkasse X. einen Zinssatz von 7,75 %
erzielt. Im Mai 1993 löste sie die Kapitalanlage in M. auf und erwarb das erwähnte
Ferienhaus in G. .
Am 7. Dezember 1990 hatte die Beamtin ein weiteres Festgeldkonto bei der
Stadtsparkasse X. (Kontonummer mit einem Anfangskontostand von 50.000,-- DM
eröffnet. Im Juni 1991 hob sie 10.000,-- DM von diesem Konto ab, am 24. Mai 1993 ließ
sie sich das gesamte Kontoguthaben einschließlich gutgeschriebener Zinsen in Höhe
von 48.817,57 DM in bar auszahlen. Zusammen mit einer weiteren Barauszahlung von
ihrem Girokonto in Höhe von 700,-- DM zahlte sie sodann 49.500,-- DM bei der
Stadtsparkasse X. ein, die wiederum das Geld anonym über die Westdeutsche
Landesbank nach M. transferierte. Für dieses Konto erzielte die Beamtin im Jahre 1991
Zinseinnahmen in Höhe von 3.626,-- DM und im Jahre 1992 Zinseinnahmen in Höhe
von 3.745,-- DM. Die Zinseinnahmen beider Festgeldkonten hat die Beamtin in den
Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1991 und 1992, die sie gemeinsam mit
ihrem Ehemann vorzulegen hatte, nicht angegeben. Die Einkommensteuererklärungen
wurden von dem Steuerberater der Familie, H. T. aus X. -C. , vorausgefüllt und den
Eheleuten in einem zuvor vereinbarten Termin zur Unterzeichnung vorgelegt. Kontakt
zum Steuerberater unterhielt der Ehemann der Beamtin, der diesem sämtliche
relevanten Informationen mitzuteilen hatte. Der Ehemann der Beamtin wusste von den
Zinseinkünften aus den Festgeldkonten.
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Die Einnahmen waren in der Anlage KSO zur Einkommensteuererklärung mitzuteilen.
Für das Jahr 1991 unterschrieb die Beamtin die Anlage KSO unter dem 30. Juni 1993
eigenhändig. Für das Jahr 1992 war die Unterschrift unter die Anlage KSO nicht mehr
vorgesehen, die Beamtin unterschrieb jedoch den Mantelbogen der
Einkommensteuererklärung für 1992, der am 4. Juli 1994 bei dem Finanzamt X. -C.
einging. Bei Unterzeichnung war der Beamtin bewusst, dass die Erklärungen
hinsichtlich der Zinseinnahmen aus den Festgeldkonten bei der Stadtsparkasse X.
unvollständig waren. Die Beamtin unterließ die Angabe der Zinseinkünfte, um diese
nicht versteuern zu müssen. Sie handelte in Absprache mit ihrem Ehemann.
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Unter dem 30. September 1996 erklärte der Steuerberater T. für die Beamtin und deren
Ehemann, dass die Zinsen des Festgeldkontos mit der Nr. in den Steuererklärungen für
die Jahre 1991 und 1992 nicht erklärt worden seien. Die aus diesem Konto erzielten
Zinseinkünfte wurden in der Selbstanzeige zutreffend wiedergegeben. Die
Zinseinkünfte aus dem weiteren Festgeldkonto mit der Nr. sind nicht erwähnt, weil die
Beamtin davon ausging, dass nach den staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungen bei
der Westdeutschen Landesbank den Ermittlungsbehörden nur das andere
Festgeldkonto bekannt werden würde.
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Auf Grund der Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt X. -C. wurde gegen die
Beamtin ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft X. eingeleitet, das jedoch
hinsichtlich des Kontos Nr. wegen Straflosigkeit auf Grund der Selbstanzeige nach §
170 StPO eingestellt wurde. Im Rahmen dieses Verfahrens ermittelte die
Steuerfahndung das zweite Festgeldkonto mit der Nr. , das Strafverfahren wegen dieses
Kontos wurde nach § 153 StPO eingestellt.
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Auf Grund der bekannt gewordenen Zinseinkünfte setzte das Finanzamt X. -C. für das
Jahr 1991 Mehrsteuern in Höhe von 3.240,-- DM und für das Jahr 1992 in Höhe von
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2.292,-- DM fest. Hierbei hat es einen Verlustrücktrag aus dem Veranlagungszeitraum
1993 berücksichtigt. Wären die Steuern bereits in den entsprechenden
Einkommensteuererklärungen für 1991 und 1992 enthalten gewesen, dann wären auf
der Grundlage der Berechnung des Finanzamtes im Jahre 1991 Mehrsteuern in Höhe
von 4.664,-- DM angefallen. Die festgesetzten Mehrsteuern sind von der Beamtin
beglichen worden, die entsprechenden Steuerbescheide sind jedoch nicht
bestandskräftig, da die Beamtin die Besteuerungsgrundlage für verfassungswidrig hält.
Die Berechnung der Mehrsteuern durch das Finanzamt ist fehlerhaft gewesen,
tatsächlich hätte die Mehrsteuer für das Jahr 1991 4.718,-- DM und für das Jahr 1992
2.290,-- DM betragen.
Die Feststellungen beruhen auf der Einlassung der Beamtin, ergänzt durch den
Akteninhalt und die in der Verhandlung mittelbar erhobenen Beweise.
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Die Beamtin hat den äußeren Hergang des Geschehens zugestanden. Die
Festgeldkonten mit den entsprechenden Kontobewegungen und Zinseinnahmen habe
es gegeben, auch die Anlagen KSO der Steuererklärungen für die Jahre 1991 und 1992
seien objektiv falsch, da dort die erzielten Zinseinkünfte nicht erklärt worden seien. Die
Beamtin bestreitet jedoch, vorsätzlich zum Zwecke der Steuerhinterziehung gehandelt
zu haben. Ihr Mann bzw. der Steuerberater hätten die Steuererklärungen vorbereitet, sie
habe lediglich unterschrieben, ohne darauf geachtet zu haben bzw. ohne dass ihr
aufgefallen wäre, dass die Angabe der Zinseinkünfte fehlte. Sie habe in der
Selbstanzeige nur das Festgeldkonto Nr. nacherklärt, da ihr die Existenz des weiteren
Festgeldkontos entfallen sei. Die Kammer vermochte dieser Einlassung der Beamtin
nicht zu folgen, sie ist auf Grund der Indizien vielmehr der Überzeugung, dass die
Beamtin vorsätzlich Steuern hinterziehen wollte.
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Die Finanzbehörden verfügten in der Vergangenheit praktisch über keine Möglichkeiten,
die Kapitaleinkünfte der steuerpflichtigen Bürger zu überprüfen, sodass die Besteuerung
von Kapitaleinkünften nahezu ausschließlich von den freiwilligen Angaben der
Steuerpflichtigen abhingen. Wer seine Kapitaleinkünfte nicht freiwillig erklärte, musste
bis zum Jahre 1993 nicht befürchten, dass die Finanzbehörden auf Grund eigener
Recherchen hiervon Kenntnis erlangen würden. Um dem abzuhelfen, ist das
Zinsabschlagsgesetz erlassen worden, das den Geldanlageinstituten auferlegte, einen
Abschlag auf die Kapitaleinkünfte an den Fiskus abzuführen.
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Diese Besteuerungssituation bis zum Jahre 1993 war nach der Erfahrung des Gerichts
jedem Steuerbürger bekannt, der Kapitaleinkünfte in nennenswertem Umfange hatte.
Bei einer Finanzbeamtin dürfte dies erst recht der Fall gewesen sein. Auch wenn die
Beamtin seit gut 10 Jahren (auf den Zeitpunkt der Eröffnung der Festgeldkonten
bezogen) von ihrer eigentlichen Tätigkeit wegen ihrer Arbeit im Personalrat befreit
gewesen sein mag, so war sie doch auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer früheren
Tätigkeit mit den gesetzlichen und praktischen Verhältnissen der Besteuerung vertraut.
Hierbei handelt es sich um derartig einfaches Basiswissen, dass die Einlassung der
Beamtin nicht plausibel erscheint, sie habe dies vergessen.
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Auch aus der Entwicklung der Kapitalanlagen kann man folgern, dass die Beamtin von
der Besteuerungspraxis der Kapitaleinkünfte wusste. Als nämlich zum Ende des Jahres
1992 zu befürchten stand, dass Abschläge auf inländische Kapitaleinkünfte erhoben
werden, hat die Beamtin in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Erlass des
Zinsabschlagsgesetzes einen großen Teil ihres Guthabens auf dem Festgeldkonto nach
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M. überwiesen: Das Zinsabschlagsgesetz wurde am 9. November 1992 erlassen, der
Transfer des Geldes nach M. erfolgte am 26. November 1992. Einziger Zweck dieser
Transaktion war die Verkürzung von Steuern, da in M. nur ein Zinssatz von 7,25 %
erzielt wurde, wo hingegen das Guthaben in Deutschland im November 1992 noch mit
7,75 % verzinslich war.
Die Einlassung der Beamtin zu dieser Transaktion ist nicht nachvollziehbar,
unglaubwürdig und zur Überzeugung der Kammer widerlegt. Auf die Frage, aus
welchem Grund sie das Geld nach M. überwiesen habe, antwortete die Beamtin, dies
sei wegen des Zinsvorteils in M. geschehen. Auf den Vorhalt, dass die Zinsen in M.
damals niedriger gewesen seien, ließ sich die Beamtin dahin ein, sie könne keine
andere Erklärung geben, die Entscheidung über die M. -Anlage habe ihr Mann getroffen.
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Selbst wenn man zu Gunsten der Beamtin unterstellt, ihr Mann habe die Überweisung
vorbereitet, so ist doch davon auszugehen, dass die Beamtin von deren Zweck, der
Steuerhinterziehung, wusste. Es war das alleinige Geld der Beamtin, das überwiesen
wurde, und die Beamtin hat den Überweisungsträger eigenhändig unterschrieben.
Angesichts dessen ist nicht nachvollziehbar, dass der Beamtin nicht klar gewesen sein
sollte, mit der Überweisung werde eine Steuerhinterziehung vorbereitet. Es entspricht
auch nicht dem Persönlichkeitsbild der Beamtin, das in der Hauptverhandlung deutlich
wurde, blind und ohne Nachfrage etwas finanziell Erhebliches zu unterschreiben, ohne
den Hintergrund zu kennen. In einer intakten Ehe, die die Beamtin nach ihrer eigenen
Bekundung führte und führt, sind derartige Gespräche und Informationen üblich, nicht
üblich ist es hingegen, dass ein Ehepartner den anderen quasi in die Bank zitiert, um
eine Unterschrift unter die Überweisung eines erheblichen Geldbetrages zu setzen. Aus
der Aussage des Zeugen I. folgt darüber hinaus, dass die Beamtin nicht nur über ihre
Finanzen und ihr Vermögen informiert war, sie hat ihr Vermögen vielmehr aktiv verwaltet
bzw. mitverwaltet.
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Noch aus einem weiteren Grunde ist die Einlassung der Beamtin, sie habe sich um die
Verwaltung der Gelder nicht gekümmert und sei hierüber nicht informiert gewesen, nicht
glaubhaft. Die Beamtin gab nämlich vor, sich daran erinnern zu können, dass der
Überweisungsträger, mit dem die Gelder nach M. überwiesen wurden, vorausgefüllt war
und von ihr nur ohne näheres Hinsehen unterschrieben wurde. Wenn sie sich
tatsächlich um die finanziellen Belange der Familie und insbesondere die
Vermögensverwaltung überhaupt nicht gekümmert hätte, sondern alles hingenommen
und unterschrieben hätte, was ihr Mann ihr vorgelegt hat, dann ist es nicht
nachvollziehbar, dass sie zu einer einzelnen Überweisung, die Jahre zurückliegt, noch
konkrete Angaben machen kann. Das menschliche Erinnerungsvermögen ist in der
Regel so ausgestattet, dass nur die Vorgänge gespeichert werden und demgemäß auch
nur die Vorgänge später auch abgerufen werden können, die für die betreffende Person
eine gewisse Bedeutung haben. Das wäre nach Einlassung der Beamtin in finanziellen
Dingen aber nicht der Fall. Auch die Höhe der überwiesenen Summe kann nach der
Einlassung der Beamtin kein Anlass zur Erinnerung sein, da sie - so ihre Bekundung -
alles Finanzielle ihrem Mann überlassen hat.
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Zusammenfassend gilt folgendes: Die Überweisung auf ein Luxemburger Konto hatte,
was sich aus dem niedrigeren Zinssatz in M. , der ganzen Art der Abwicklung und dem
zeitlichen Zusammenhang mit dem Zinsabschlagsgesetz ergibt, den einzigen Zweck,
die Kapitaleinkünfte dem Finanzamt vorzuenthalten und hierfür keine Steuern zu zahlen.
Diese Absicht hatte nicht nur der Ehemann der Beamtin, sondern auch sie selbst. Ihre
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andersartige Einlassung war widersprüchlich, kaum nachvollziehbar und mit der
Lebenswahrscheinlichkeit nicht zu vereinbaren. Die Beamtin hat ihre
Geldangelegenheiten - jedenfalls großteils - selbst geregelt und den
Überweisungsträger eigenhändig unterschrieben.
Aus der Absicht, die Gelder zum Zwecke der Steuerhinterziehung nach M. zu
transferieren, kann mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, dass die Gelder
auch bei der früheren Anlage auf den Festgeldkonten in Deutschland nicht versteuert
werden sollten, denn in den Jahren 1991 und 1992 bestand auf Grund der
Besteuerungspraxis kein Anlass für einen Transfer in das Ausland, da das
Zinsabschlagsgesetz noch nicht existierte.
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Wenn aber die Geldanlage nur aus dem einzigen Grund erfolgte, um Steuern
hinterziehen zu können, dann ist die Einlassung der Beamtin nicht glaubhaft, bei
Unterschrift unter die Steuererklärungen nicht auf den Eintrag der Zinseinkünfte
geachtet zu haben. Bei der Steuererklärung für das Jahr 1991 konnte man eine solche
Kenntnis kaum vermeiden, da in diesem Jahr die Anlage KSO gesondert von den
Steuerpflichtigen zu unterschreiben war und die Anlage derart übersichtlich gestaltet ist,
dass ein Nichteintrag der Kapitaleinkünfte bei bloß oberflächlicher Betrachtung auffallen
müsste erst recht einer Finanzbeamtin. Selbst wenn man aber zu Gunsten der Beamtin
davon ausgehen würde, dass sie tatsächlich nicht hingeschaut hätte, dann ist dennoch
von vorsätzlichem Handeln auszugehen. Wie ausgeführt bestand nämlich schon bei
Anlage des Geldes der Wille, Steuern zu hinterziehen, sodass die Beamtin bei
Unterschrift davon ausgegangen ist, die Kapitaleinkünfte seien nicht angegeben.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Beamtin das Festgeldkonto Nr. am 24. Mai
1993 mit einem erheblichen Guthaben von 48.817,57 DM aufgelöst hat, und nur gut
einen Monat später, nämlich am 30. Juni 1993 bei der Unterschrift unter die Anlage KSO
für das Jahr 1991, die Erklärung der Zinseinnahmen vergessen haben will.
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Die hinterzogene Steuer ist allerdings geringfügig falsch berechnet worden. Laut
Steuerbescheid für das Jahr 1991 hatten die Eheleute ein zu versteuerndes Einkommen
von 23.386,-- DM. Zu diesem Betrag hinzuzurechnen sind die Kapitaleinkünfte aus den
beiden Festgeldkonten in Höhe von 18.123,-- DM bzw. 3.626,-- DM. Eine negative
Berücksichtigung der Werbungskosten von 785,-- DM hat zu unterbleiben, da diese
nicht plausibel ist. Hiernach errechnet sich ein neues zu versteuerndes Einkommen von
45.135,-- DM. Nach der Splitting- Tabelle beträgt die Steuer hierfür 7.054,-- DM. Nach
Abzug der ursprünglich festgesetzten Steuer von 2.336,-- DM beträgt der hinterzogene
Betrag 4.718,-- DM. Angeschuldigt ist jedoch nur eine hinterzogene Steuer von 4.664,--
DM.
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Für das Jahr 1992 ist zunächst nach dem ursprünglichen Steuerbescheid von einem zu
versteuernden Einkommen von 12.346,-- DM auszugehen. Hinzuzurechnen sind die
Zinseinnahmen von 18.942,-- DM bzw. 3.745,-- DM. Auch hier hat aus dem genannten
Grund eine negative Berücksichtigung der Werbungskosten von 785,-- DM zu
unterbleiben, sodass sich ein zu versteuerndes Einkommen von 35.033,-- DM ergibt.
Der Splitting-Tabelle ist für ein solches Einkommen eine Steuer in Höhe von 4.782,--
DM zu entnehmen, die allerdings nach § 34 EinkommensteuerG um die Hälfte zu
berichtigen ist. Das ergibt eine Steuerpflicht von 2.391,-- DM. Ursprünglich war eine
Steuerpflicht von 101,-- DM festgesetzt worden, der hinterzogene Betrag beträgt also
2.290,-- DM und nicht - wie angeschuldigt - 2.292,-- DM."
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Die Disziplinarkammer hat den Sachverhalt dahin gewürdigt, dass die Beamtin
schuldhaft gegen ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß §
57 Satz 3 LBG verstoßen und damit ein Dienstvergehen i.S.v. § 83 Abs. 1 Satz 1 LBG
begangen habe, und hat auf die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst erkannt.
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3. Die Beamtin hat gegen das am 22. März 2000 verkündete und ihr am 26. April 2000
zugestellte Urteil am 29. April 2000 Berufung eingelegt, mit der sie eine Einstellung des
Verfahrens bzw. einen Freispruch, zumindest aber eine mildere Disziplinarmaßnahme
erstrebt. Sie rügt, dass die Disziplinarkammer nicht ihren Beweisanträgen
nachgekommen sei, ihren Ehemann, ihren Steuerberater T. , den ehemaligen Vorsteher
des Finanzamts Q. und den Bankangestellten I. zu vernehmen. Sie behauptet, nicht
vorsätzlich die Zinseinkünfte verschwiegen zu haben. Sie habe, was ihr Ehemann und
ihr Steuerberater bezeugen könnten, niemals vom Inhalt der Steuererklärungen
Kenntnis genommen. Sie habe sowohl ihrem Ehemann als auch dem Steuerberater
blind vertraut und deswegen ihre Unterschrift jeweils blindlings geleistet. Ihr Ehemann
habe die Unterlagen für die Steuererklärungen zusammengestellt, das Vermögen der
Eheleute verwaltet und mit dem Steuerberater die Steuererklärungen erstellt. Der
Bankangestellte I. könne Angaben dazu machen, wer die Unterlagen und Bankbelege
der Beamtin zu Transaktionen des Geldes nach M. vorbereitet und wer die Initiative für
diese Transaktionen ihm gegenüber ergriffen habe. Soweit ihr unterstellt werde, die
Selbstanzeige nicht freiwillig, sondern nur aus Furcht vor der ohnehin bevorstehenden
Entdeckung abgegeben zu haben, sei dies reine Spekulation.
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Im Übrigen ist die Beamtin der Auffassung, dass die Informationen zu ihrer
Selbstanzeige wegen des Steuergeheimnisses nicht an den Dienstherrn hätten
offenbart werden dürfen und das Verfahren daher einzustellen sei.
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Die Beamtin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und das Verfahren einzustellen,
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hilfsweise sie von dem Vorwurf eines Dienstvergehens freizusprechen,
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weiter hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem
Dienst zu erkennen.
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Der Vertreter der obersten Dienstbehörde erklärt,
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er stimme einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 31 Abs. 4 i.V.m. § 75 Abs. 3 Satz 3
und § 87 Abs. 2 Satz 1 DO NRW zu.
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II.
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Die zulässige Berufung der Beamtin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Einstellung des Verfahrens.
45
Nach § 31 Abs. 4 i.V.m. § 75 Abs. 3 Satz 3 und § 87 Abs. 2 Satz 1 DO NRW kann der
Senat mit Zustimmung des Vertreters der obersten Dienstbehörde das
Disziplinarverfahren einstellen, wenn er ein Dienstvergehen zwar für erwiesen, nach
dem gesamten Verhalten der Beamtin eine Disziplinarmaßnahme aber nicht für
angebracht hält. So liegen die Dinge hier.
46
Die Beamtin hat in den Anlagen "KSO" zu den Steuererklärungen für 1991 und 1992
nicht ihre in diesen Jahren erzielten Zinseinnahmen angegeben. Diese Feststellung
stellt die Beamtin, was den objektiven Ablauf der Geschehnisse ihres Handelns betrifft,
nicht in Frage. Auf Grund ihrer in sich schlüssigen und glaubhaften Erklärungen in der
Hauptverhandlung vom 30. April 2002 kann der Beamtin ihre Behauptung nicht
widerlegt werden, sie habe keine Kenntnis von dem Inhalt der Anlagen "KSO" gehabt.
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Die Steuererklärungen waren nicht von der Beamtin selbst ausgefüllt worden, sondern
jeweils auf Grund der Angaben ihres Ehemannes von ihrem Steuerberater vorgefertigt
worden. Zwar enthielt die 1991 noch separat zu unterschreibende Anlage "KSO" nur
eine Angabe, nämlich in der Spalte "zu versteuernde Einnahmen ... steuerpflichtige
Person Ehemann" die Zinseinnahme in Höhe von 1.424,-- DM, während die daneben
befindliche Spalte "Ehefrau" leer blieb. Daher hätte für die Beamtin nur ein Blick genügt,
um feststellen zu können, dass die Erklärung unvollständig war. Es lässt sich aber nicht
mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die Beamtin tatsächlich Kenntnis von
dem unvollständigen Ausfüllen genommen hat und dass sie die Nichtangabe gewollt
oder auch nur billigend in Kauf genommen hat. Das selbe gilt für die Anlage "KSO" zur
Steuererklärung für 1992, die nicht separat zu unterschreiben war. Bei der Würdigung
der Einlassung der Beamtin hat der Senat insbesondere berücksichtigt, dass die
Beamtin konstant bei ihrer Aussage geblieben ist, sich selbst niemals um ihre
Steuerangelegenheiten gekümmert zu haben, auch wenn diese Behauptung teilweise
für sie nachteilig war. Die Beamtin hat nämlich nicht nur angegeben, sie habe, wie in
den Vorjahren auch, die vorgefertigten Steuererklärungen "blind" unterschrieben in dem
Glauben, diese seien vollständig, sondern auch, von der von ihrem Steuerberater in
Absprache mit ihrem Ehemann gefertigten Selbstanzeige erst im Nachhinein erfahren
zu haben, als die Erklärung schon abgeschickt gewesen sei. Hat die Beamtin aber, wie
sie plausibel dargelegt hat, von der Selbstanzeige keine Kenntnis gehabt, dann liegt
keine strafbefreiende Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO vor. Zwar kann die
Selbstanzeige ein Vertreter in der Erklärung wirksam abgeben, nicht aber ein Vertreter
im Willen. Daher muss ein Vertreter zur Abgabe der Erklärung bevollmächtigt sein, was
hier nicht gegeben war.
48
Vgl. hierzu Senge, in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 371 AO Rn. 7
m.w.N.
49
Sichere Anhaltspunkte für die Annahme, die Beamtin habe bei Abgabe der
Steuererklärungen Kenntnis von der Nichtangabe der Zinseinkünfte gehabt, bestehen
nicht. Der im Untersuchungsverfahren am 29. September 1997 vernommene
Steuerberater hat ausgesagt, er wisse nicht, ob die Beamtin die Zahlen in der Anlage
"KSO" wahrgenommen habe. Die Frage, ob die Beamtin im Rahmen der
Unterschriftsleistung unter die Anlage "KSO" nicht erkannt hat, dass ihre eigenen
Zinseinnahmen nicht eingetragen waren, ist als ein Umstand, der allein von ihrer
eigenen Wahrnehmung abhing, einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Auch aus dem
nachträglichen Verhalten der Beamtin im Zusammenhang mit dem Transfer der Konten
nach M. ergeben sich keine zwingenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin 1991
und 1992 absichtlich ihre Zinseinnahmen nicht angegeben, also in Kenntnis oder unter
bewusster Inkaufnahme der Unvollständigkeit ihre Steuerklärungen unterschrieben hat.
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Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Beamtin vorsätzlich in den Jahren
1991 und 1992 Steuern hinterzogen und damit den Straftatbestand des § 370 AO
51
verwirklicht hat.
Die Beamtin hat aber grob fahrlässig und damit leichtfertig i.S.d. § 378 AO gehandelt.
52
Vgl. hierzu Senge in Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 378 AO Rn. 6 mit zahlreichen
Nachweisen.
53
Denn sie durfte nicht ungeprüft die von ihrem Steuerberater vorgefertigten
Steuererklärungen unterschreiben. Sie wusste, dass sie Zinserträge hatte, und ihr war
bekannt, dass Zinserträge zu versteuern und daher in der Anlage "KSO" anzugeben
sind. Hätte sie ihrer Pflicht genügt, die Angaben in den Steuererklärungen zu
überprüfen, hätte sie daher die Nichtangabe bemerkt. Sie hat daher leichtfertig ihre
Steuern verkürzt und sich damit nach § 378 AO ordnungswidrig verhalten.
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Durch dieses Verhalten hat die Beamtin ihre beamtenrechtliche Pflicht zu achtungs- und
vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes gemäß § 57 Satz 3 LBG NRW
verletzt. Nach der genannten Vorschrift muss das Verhalten eines Beamten der Achtung
und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Ein Verstoß gegen diese
Pflicht erfüllt dann den Tatbestand eines Dienstvergehens, wenn zusätzlich die
besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 83 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW
gegeben sind. Danach muss die Pflichtverletzung zu einer allgemein bedeutsamen
Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen in Bezug auf das konkrete Amt des
Beamten oder das Ansehen des Berufsbeamtentums führen, und sie muss hierzu nach
den Umständen des Einzelfalles auch geeignet sein.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2000 - 1 D 37.99 - , NJW 2001, 1080 = DöV 2001,
80; Urteil vom 8. Mai 2001 - XVI VL 20/99, NJW 2001, 3565.
56
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn das Fehlverhalten einer Finanzbeamtin,
die wiederholt durch leichtfertiges Verhalten unvollständige Angaben hinsichtlich ihrer
Kapitalerträge in den Einkommensteuererklärungen macht und dadurch
Einkommensteuer in erheblichem Umfang verkürzt, hat bereits ein solches Gewicht,
dass es geeignet ist, ihr Amt in der in § 83 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW vorausgesetzten
Weise zu beeinträchtigen.
57
Der Senat hält jedoch nach dem gesamten Verhalten der Beamtin eine
Disziplinarmaßnahme nicht für angebracht. Dabei ist einmal zu sehen, dass sich der
Vorwurf, die Beamtin habe sich außerhalb des Dienstes der unter Strafe gestellten
vorsätzlichen Steuerhinterziehung schuldig gemacht und damit ein schweres
Wirtschaftsdelikt begangen, nicht aufrecht erhalten lässt. Übrig geblieben ist nur der
Vorwurf, zu sehr den Angaben des Ehemannes und des Steuerberaters vertraut und
diese nicht überprüft zu haben. Hinzu kommt, dass die Beamtin bereits dadurch
erhebliche Belastungen erlitten hat, dass sie wegen des ihr zur Last gelegten
Verhaltens in der Zeit vom 24. März 2000 bis 19. Dezember 2000, also fast 9 Monate,
vom Dienst suspendiert war. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Beamtin
bislang weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelastet ist und sie zuvor
jahrzehntelang unbeanstandet ihren Dienst verrichtet hat. Unter diesen besonderen
Umständen ist daher eine disziplinare Ahndung zur Einwirkung auf die Beamtin nicht
mehr angezeigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 3 DO NRW.
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Das Urteil ist seit seiner Verkündung rechtskräftig (§ 90 DO NRW).
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