Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.09.2010

OVG NRW (antragsteller, beschwerde, auswahl, rechnung, besetzung, erfordernis, gkg, bewerber, erlass, eignung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 915/10
Datum:
14.09.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 915/10
Schlagworte:
Polizeihauptkommissar Bestenauslese Leistungsgrundsatz
Höherwertiger Dienstposten Dienstpostenbesetzung
Qualifikationsvergleich Auswahlentscheidung
Leitsätze:
Erfolglose Beschwerde des Antragsgegners gegen die einstweilige
Anordnung des Verwaltungsgerichts in einem
Konkurrentenstreitverfahren um die Besetzung von Beförderungsstellen
der Besoldungsgruppe A 12 BBesO.
Ein Qualifikationsvergleich, der schon im Zusammenhang mit der
Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens durchgeführt worden ist,
darf angesichts des Leistungsgrundsatzes nur dann Grundlage einer
späteren Beförderungsentscheidung sein, wenn er zum einen noch
hinreichend aktuell ist und zum anderen die Dienstpostenvergabe
konkret mit der jedenfalls in absehbarer Zeit zu besetzenden
Beförderungsstelle verknüpft wurde.
Die Ausnahmeregelung der Ziff. 5 des Erlasses des Innenministeriums
NRW vom 13. Januar 2010 - 45.2 – 26.04.09 / 43.2-58.25.20 – ist, soweit
sie diesen Anforderungen nicht Rechnung trägt, mit dem
Leistungsgrundsatz nicht vereinbar.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser
selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR
festgesetzt.
Gründe:
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Die Beschwerde, über die der Senat gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der
vom Antragsgegner dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat es dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung
untersagt, die dem Landrat des S. -T. -Kreises als Kreispolizeibehörde zum Monat
Februar 2010 zugewiesene Beförderungsplanstelle der Besoldungsgruppe A 12 BBesO
mit dem Beigeladenen zu besetzen, bevor nicht insoweit eine erneute
Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen
worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, die getroffene Auswahlentscheidung
leide daran, dass der Antragsteller zu Unrecht nicht zu den für eine Beförderung in
Betracht kommenden Beamten gerechnet worden sei und der Landrat einen aktuellen
Qualifikationsvergleich unter Einbeziehung auch des Antragstellers nicht vorgenommen
habe. Die Auswahlentscheidung, aufgrund derer der Beigeladene im Wege der
Bestenauslese auf seinen höher (mit A 12 BBesO) bewerteten Dienstposten gelangt sei,
sei nicht mehr hinreichend aktuell. In der zwischenzeitlich erstellten Regelbeurteilung
zum Stichtag 1. August 2008 seien bei gleichem Gesamturteil die Hauptmerkmale beim
Antragsteller besser bewertet worden. Soweit Ziff. 5 des Erlasses des Innenministeriums
NRW vom 13. Januar 2010 – 45.2 – 26.04.09 / 43.2-58.25.20 – eine abweichende
Handhabung ermögliche, lasse dies das Erfordernis einer hinreichenden Aktualität der
tatsächlichen Grundlagen für eine Auswahlentscheidung zu Unrecht außer Acht.
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Diese Einschätzung wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage
gestellt. Der Antragsteller hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines
Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2,
294 ZPO). Die Auswahlentscheidung verletzt das Recht des Antragstellers auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren, weil der
Antragsgegner, gestützt auf Ziff. 5 des o.g. Erlasses vom 13. Januar 2010, ihn unter
Verstoß gegen den Leistungsgrundsatz nicht in das Auswahlverfahren einbezogen hat,
obgleich er bei einer Ausschärfung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen besser
qualifiziert wäre als der Beigeladene.
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Jede Auswahl unter Bewerbern um ein Beförderungsamt ist auf der Grundlage von
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG, § 9
BeamtStG, § 20 Abs. 6 Satz 1 LBG NRW) und erfordert damit grundsätzlich einen
aktuellen Qualifikationsvergleich. Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur
Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf
unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Regelmäßig sind dies die
aktuellen Beurteilungen, bei danach – auch nach einer inhaltlichen Auswertung –
bestehendem Qualifikationsgleichstand die Vorbeurteilungen.
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Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 27. Februar 2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003,
1397, vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003,1398; OVG NRW,
Beschluss vom 5. Dezember 2007 – 6 B 1787/07 -, juris; siehe auch schon
BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1981 – 2 BvR 570/76 u.a. -, BVerfGE 56,
146.
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Nur wenn schon eine entsprechende Auswahlentscheidung bei der Besetzung eines
Dienstpostens erfolgt ist, darf der Dienstherr ausnahmsweise bei der
Beförderungsentscheidung auf einen erneuten aktuellen Leistungsvergleich verzichten,
auf das nicht leistungsbezogene Auswahlkriterium "Innehaben eines höherwertigen
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Dienstpostens" abstellen und den ausgewählten Beamten nach Feststellung seiner
Eignung für den höherwertigen Dienstposten befördern.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Februar 2009 - 2 A 7.06 -, NVwZ 2009, 787,
vom 17. August 2005 - 2 C 37.04 -, BVerwGE 124, 99, und vom 16. August
2001 - 2 A 3/00 -, BVerwGE 115, 58; OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Juni
2008 - 6 B 513/08 -, juris, vom 24. Oktober 2007 - 6 B 1330/07 -, juris, und
Urteil vom 4. Juni 2004 - 6 A 309/02 -, NWVBl. 2004, 471.
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Der vorverlagerte Qualifikationsvergleich darf angesichts des Leistungsgrundsatzes
aber nur dann Grundlage der Beförderungsentscheidung sein, wenn er zum einen noch
hinreichend aktuell ist,
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vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Februar 2009 - 2 A 7/06 -, a.a.O.; Nds.
OVG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 5 ME 118/09 -, NVwZ-RR 2009, 733;
OVG NRW, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 1 A 67/08 -, ZBR 2010, 133,
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und zum anderen die Dienstpostenvergabe konkret mit der jedenfalls in absehbarer Zeit
zu besetzenden Beförderungsstelle verknüpft wurde. Nur dann greift die dem Ganzen
zugrunde liegende Überlegung, dass ein erneuter Qualifikationsvergleich im
Zusammenhang mit der Beförderungsentscheidung entbehrlich wäre und der für den
Dienstposten ausgewählte Beamte darauf vertrauen darf, bei entsprechender
Bewährung auf dem höherwertigen Dienstposten befördert zu werden.
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Diesen Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genügt die angegriffene
Auswahlentscheidung nicht, bei der der Antragsgegner den Antragsteller, gestützt auf
Ziff. 5 des o.g. Erlasses vom 13. Januar 2010, deshalb nicht berücksichtigt hat, weil er –
anders als der Beigeladene – seinen höherwertigen Dienstposten nicht nach einer
Ausschreibung und Auswahl nach Bestenauslesekriterien erlangt hat. Die im Fall des
Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung zur Dienstpostenbesetzung ist schon
nicht mehr hinreichend aktuell, weil der Beigeladene bereits seit September 2006 den
im Juli 2006 ausgeschriebenen höherwertigen Dienstposten innehat. Aus den
zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, denen die Beschwerde insoweit
nichts entgegensetzt, fehlt es jedenfalls dann an diesem zeitlichen Kriterium, wenn –
wie hier – zwischenzeitlich neue Regelbeurteilungen ergangen sind und damit der
frühere Qualifikationsvergleich seine Aussagekraft verloren hat. Nach den – auch
derzeit noch hinreichend aktuellen – Regelbeurteilungen für den Beurteilungszeitraum
1. Oktober 2005 bis 31. Juli 2008 kann sich bei einer inhaltlichen Auswertung ein
Qualifikationsvorsprung des Antragstellers gegenüber dem Beigeladenen ergeben. Bei
gleichlautendem Gesamturteil (4 Punkte) hat der Antragsteller in den Hauptmerkmalen
5, 4, 4 und 5 Punkte erzielt, der Beigeladene hingegen 4, 4, 4 und 5 Punkte.
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Widersprechen die unterbliebene Einbeziehung des Antragstellers in den
Qualifikationsvergleich und das Unterlassen eines erneuten Leistungsvergleichs
danach dem Leistungsgrundsatz, kann sich der Antragsgegner nicht mit Erfolg darauf
berufen, der Erlass vom 13. Januar 2010 trage der Bestenauslese Rechnung, die
Übergangsregelung in Ziff. 5 diene dem Vertrauensschutz und der Vermeidung
unbilliger Härten. Im Kern liegt dem Erlass zwar auch das oben dargestellte Regel-
Ausnahme-Verhältnis zugrunde. Die Ausnahmeregelung der Ziff. 5 erweist sich aber,
soweit sie, wie hier, den genannten Anforderungen nicht Rechnung trägt, als nicht
vereinbar mit dem Leistungsgrundsatz und damit als zu weitgehend. Dass der
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Antragsteller, der unstreitig Inhaber eines höherwertigen Dienstpostens ist und bei dem
der Antragsgegner die laufbahnrechtliche Voraussetzung der Erprobung (vgl. § 20 Abs.
3 Satz 1 LBG NRW, § 8 Abs. 4 Nr. 3 LVO Pol) nicht in Frage stellt, sich bisher erfolglos
bzw. gar nicht auf höherwertige Dienstposten im Sinne des Erlasses vom 13. Januar
2010 beworben hat, ist für den Anspruch auf leistungsgerechte Einbeziehung in die
Bewerberauswahl unerheblich.
Bei der nach dem Vorstehenden erneut zu treffenden Auswahlentscheidung darf der
Antragsgegner den Kreis der für das Auswahlverfahren zugelassenen Bewerber mithin
nicht auf die Beamten beschränken, die die Voraussetzungen von Ziff. 5 des Erlasses
vom 13. Januar 2010 erfüllen. Vielmehr hat er alle Polizeibeamten der
Besoldungsgruppe A 11 BBesO in die Auswahl einzubeziehen, die – wie der
Antragsteller – die gesetzlichen, insbesondere die laufbahnrechtlichen
Beförderungsvoraussetzungen erfüllen.
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Vgl. zum Erfordernis der Erprobung OVG NRW, Beschluss vom 14.
September 2010 - 6 B 923/10 -, www.nrwe.de.
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Unter ihnen hat er auf der Grundlage aktueller Beurteilungen, ggf. unter Rückgriff auf
Vorbeurteilungen, einen aktuellen Qualifikationsvergleich vorzunehmen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat bemisst
die sich aus dem Antrag für den Antragsteller ergebende Bedeutung der Sache wegen
des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens mit der Hälfte des
Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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