Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.09.1997

OVG NRW (kläger, 1995, einleitung, grundwasser, stadt, schutzwürdiges interesse, begründung, verwaltungsgericht, abwasseranlage, verfügung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 22 A 5779/96
Datum:
12.09.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 A 5779/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 9 K 3728/95
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand: Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung P. , Flur 7,
Flurstück 465/466 mit der postalischen Anschrift P. , L. 20, in W. . Das Grundstück ist
aufgrund einer am 29. Mai 1980 erfolgten Zustimmung der Baugenehmigungsbehörde
zur Bauanzeige mit einem Wohnhaus sowie zugehöriger Garage bebaut. Die
Entsorgung von Schmutz- und Niederschlagswasser erfolgt durch Ableitung in die
jeweils hierfür vorgesehenen und in der an das Grundstück des Klägers angrenzenden
Straße verlegten Abwasserleitungen der Stadt W. .
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Nachdem im Mai und im Juli 1995 Untersuchungen der Hausanschlußleitung des
Klägers durchgeführt worden waren, forderte der Beklagte den Kläger mit als
„Ordnungsverfügung" bezeichnetem Bescheid vom 9. August 1995 auf, die im einzelnen
wie folgt bezeichnete Mängel am Hauskontrollschacht/Schmutzwas-serhausanschluß
bis zum 6. November 1995 abzustellen:
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Hauskontrollschacht: Kontrollschacht feucht durch nicht fachgerechten Rohranschluß
der Einlaufseite Abdeckring defekt, Wandungsteil fehlt
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Hausanschlußleitung: Abzweig im rechten Kämpfer bei 10,5 m ein Drainageanschluß.
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Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, daß die bei den Untersuchungen
festgestellte Einleitung von Grundwasser aus den Drainageleitungen des Klägers in den
Schmutzwasserkanal unzulässig sei, weil es sich hierbei nicht um Abwasser handele.
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Insofern komme allenfalls die Duldung einer Einleitung in den Regenwasserkanal in
Betracht. Der unzulässige Anschluß führe zu erhöhtem Fremdwasseraufkommen im
Schmutzwasserkanal; damit könne die Schmutzwasserfracht aufgrund von Verdünnung
und Vermischung nicht so gering gehalten werden, wie dies von den anerkannten
Regeln der Technik gefordert werde. Hinsichtlich der Durchführung einer
Versorgungsleitung durch den Hauskontrollschacht kündigte der Beklagte nach
fachtechnischer Überprüfung durch Mitarbeiter des Wasserwerks eine gesonderte
Verfügung an.
Am 16. August 1995 legte der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten Widerspruch
ein. Zur Begründung verwies er darauf, daß bei Baubeginn vor 15 Jahren die Einleitung
von Grundwasser nur in den Schmutzwasserkanal möglich gewesen sei, da der Kanal
für Niederschlagswasser von der Stadt zu hoch verlegt worden sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 1995 wies der Beklagte den Widerspruch
des Klägers als unbegründet zurück. Hierzu führte er aus: In der Nacht vom 29. zum 30.
Januar 1995 sei es bei ergiebigen Niederschlägen zu Rückstauungen in den
Schmutzwasserleitungen des gesamten Baugebiets „B. - Nord" gekommen. Als Ursache
sei bei einer Begehung erhöhtes Fremdwasseraufkommen im Schmutzwasserkanal
festgestellt worden. Dies sei Anlaß für eine Überprüfung der Hausanschlußleitungen im
Baugebiet „B. -Nord" mittels einer Fernaugekamera gewesen. Hierbei sei dann der
unzulässige Anschluß festgestellt worden. Eine Pflicht zur Tieferlegung der
Entwässerungsleitungen habe nicht bestanden; wenn der Kläger sein Drainagewasser
in den Regenwasserkanal hätte einleiten wollen, hätte er die Höhendifferenz durch
Einbau einer Pumpanlage überwinden können.
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Mit der am 14. September 1995 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen:
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Da der Untergrund unter seinem Wohnhaus sehr feucht sei, habe er eine
Drainageleitung verlegen müssen, die mangels anderer Alternativen - der
Regenwasserkanal sei nämlich zu hoch verlegt - an die Schmutzwasserleitung habe
angeschlossen werden müssen. Die nunmehr gegen ihn erlassene Verfügung könne er
nur dadurch erfüllen, daß er den unter seinem Wohnhaus befindlichen
Drainageanschluß verschließe. Hierzu müsse jedoch die Bodenplatte seines
Wohnhauses durchstoßen werden, was mit einer Zerstörung des gesamten Aufbaus
einschließlich Estrich und Fußbodenheizung verbunden sei. Die Aufbruchstelle sei
später nicht mehr hinreichend abzudichten. Demgegenüber sei selbst bei starken
Regenfällen von einem zusätzlichen Zufluß von allenfalls 100 l auszugehen, die von
dem Beklagten hinzunehmen seien. Die gegen ihn gerichtete Sanierungsaufforderung
sei daher unverhältnismäßig.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Au-gust 1995 und den Widerspruchsbescheid vom
7. September 1995 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und weiter ausgeführt:
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Bereits nach der Auflage Nr. 8 zu der durch den Oberkreisdirektor des Kreises H. als
untere Bauaufsichtsbehörde erfolgten Zustimmung zum vorzeitigen Baubeginn vom 21.
Januar 1980 sei der Kläger verpflichtet gewesen, die Be- und Entwässerung seines
Grundstücks nach dem geltenden Ortsrecht der Stadt W. vorzunehmen. Danach hätte er
vor Anschluß der Entsorgungsleitungen eine Genehmigung bei der Stadt einholen
müssen, was jedoch nie erfolgt sei. Hätte er einen solchen Antrag gestellt, wären ihm
auch Bestands- und Tiefenpläne zur Verfügung gestellt worden. Die Einleitung von nicht
reinigungsbedürftigem Grund- und Drainagewasser belaste den Kanal und vor allem die
Kläranlage.
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Mit Urteil vom 29. August 1996, auf dessen Gründe verwiesen wird, hat das
Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 1. Oktober 1996
zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. November 1996 Berufung eingelegt, zu deren
Begründung er auf seinen Vortrag in erster Instanz verweist.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Band)
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Der Senat hat das vom Verwaltungsgericht angenommene Passivrubrum geändert.
Denn entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist davon auszugehen, daß sich
die Klage nicht gegen den Stadtdirektor, sondern vielmehr - prozessual zutreffend -
gegen die Behörde richtet, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 78
Abs.1 Nr.2 VwGO, § 5 Abs.2 Satz 1 AGVwGO NW). Das war hier jedoch der Werkleiter
des Abwasserwerks der Stadt W. .
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vgl. zur Behördeneigenschaft der Werkleitung eines Eigenbetriebs OVG NW Urt. vom 7.
Dezember 1989 - 22 A 1013/88 - DÖV 1989, 594.
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Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu
Recht abgewiesen.
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Die Rechtsgrundlage für die gegen den Kläger in Form eines Verwaltungsaktes
gerichtete Aufforderung, die weitere Einleitung von Grundwasser in die
Schmutzwasserleitung zu unterlassen, ergibt sich unmittelbar aus dem zwischen ihm
und der Gemeinde als Betreiberin der öffentlichen Abwasserentsorgung auf der
Grundlage der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluß an
die öffentliche Abwasseranlage - Entwässerungssatzung - der Stadt W. vom 20.
Dezember 1975, zuletzt geändert durch Satzung vom 1. September 1982 (EWS a.F.),
bestehenden Kanalbenutzungsverhältnis,
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vgl. OVG, Urteile vom 28. November 1994 - 22 A 2466/93 - und 7. März 1994 - 22 A
753/92 -, NVwZ 1995, 244, sowie Beschluß vom 9. September 1993 - 22 B 1457/93 -,
ZfW 1994, 423.
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Danach obliegt es dem Beklagten als Werkleiter, u. a. die erforderlichen Maßnahmen
gegenüber dem Anschlußnehmer zum Schutz der kommunalen Abwasseranlage vor
ungenehmigten Einleitungen zu treffen. Hierbei handelt es sich um ein Geschäft der
laufenden Betriebsführung, die nach § 3 Abs.2 Satz 2 der Betriebssatzung für den
Eigenbetrieb Abwasserwerk der Stadt W. vom 26. April 1995 nicht dem Stadtdirektor,
sondern der Werkleitung obliegt.
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Der Beklagte ist befugt, dem Kläger die weitere Einleitung von Grundwasser in den
städtischen Schmutzwasserkanal über seine Hausanschlußleitung zu untersagen, weil
es sich hierbei nicht um Abwasser im Sinne von § 1 Abs.1 EWS a.F. (vgl. jetzt § 2 Nrn.
1. - 3. der Entwässerungssatzung der Stadt Wille- badessen vom 15. Mai 1996 - EWS -)
handelt. Steht dem Kläger jedoch nach der Satzung ein Benutzungsrecht - und zwar
weder für den Schmutzwasser- noch für den Regenwasserkanal - bzgl. der Ableitung
von Grundwasser nicht zu, so liegt auf der Hand, daß ein solches Recht auch nicht
daraus folgen kann, daß nach Auffassung des Klägers der Regenwasserkanal, in den
der Beklagte die Einleitung zu dulden bereit ist, zu hoch liegt.
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Der Bescheid genügt auch den gemäß § 37 Abs.1 VwVfG NW an einen Verwaltungsakt
zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen. Ungeachtet des nicht völlig eindeutigen
Tenors läßt sich jedenfalls im Zusammenhang mit der Begründung des Bescheides
hieraus hinreichend deutlich entnehmen, daß der Beklagte den Kläger zur Verhinderung
jeglichen weiteren Zuflusses von Grundwasser in den kommunalen
Schmutzwasserkanal und damit zu einem Unterlassen verpflichten wollte, wobei er ihm
hinsichtlich der Art und Weise der Erfüllung dieser Unterlassungspflicht freie Hand ließ.
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Die dem Kläger in diesem Rahmen abverlangte Unterbindung des weiteren Zuflusses
von Drainagewasser in den städtischen Schmutzwasserkanal verstößt auch nicht gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es erscheint bereits als zweifelhaft, ob der
Kläger - wie von ihm ohne nähere Begründung behauptet - der gegen ihn gerichteten
Aufforderung tatsächlich nur nachkommen kann, indem er die Bodenplatte seines
Wohnhauses durchbrechen läßt, um den unter dem Haus liegenden Drainageanschluß
an die Schmutzwasserleitung zu beseitigen. Ebenso stellt es bisher eine unbelegte
Behauptung des Klägers dar, daß die dann entstandene Bruchstelle anschließend nicht
mehr hinreichend abgedichtet werden könnte. Ob dies zutrifft oder ob der Kläger den
weiteren Zufluß von Grundwasser in die städtische Abwasserkanalisation nicht auch in
anderer, weniger belastender Form verhindern kann, bedarf letztlich keiner
abschließenden Entscheidung, weil auch die Notwendigkeit aufwendiger Maßnahmen
zur Befolgung des gegen ihn gerichteten Unterlassungsgebots allein in seine
Zurechnungssphäre fällt.
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Entscheidend ist insofern, daß der Kläger bzw. seine damaligen Auftragnehmer den
unzulässigen Anschluß unter Umgehung der für die Überprüfung des korrekten
Anschlusses an die öffentliche Abwasseranlage in § 11 Abs.4 EWS a.F. vorgesehenen
Kontrollmechanismen hergestellt haben. Die hieraus resultierenden Risiken hat er
deshalb selbst zu tragen. Eine Ausnahme käme allenfalls dann in Betracht, wenn das
Beseitigungsverlangen als willkürlich bzw. schikanös erschiene. Hierfür fehlt jedoch
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jeder Anhaltspunkt.
Es besteht vielmehr ein begründetes und schutzwürdiges Interesse des Beklagten an
der Unterbindung der von dem Kläger vorgenommenen unzulässigen
Grundwassereinleitung in die kommunale Abwasseranlage, schon deshalb, weil die
Einleitung von in einer Drainage gesammeltem Grundwasser dazu führt, daß die
kommunale Kläranlage über das erforderliche Maß hinaus mit nicht klärbedürftigem
Wasser belastet wird.
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Es fehlt auch jeder Anhaltspunkt dafür, daß die tatsächlichen Grundwassereinleitungen
nur ein so verschwindend geringes Ausmaß haben, daß eine Beeinträchtigung der oben
bezeichneten Interessen des Beklagten faktisch ausgeschlossen ist. Hiergegen spricht
vielmehr, daß der Kläger selbst die Unzumutbarkeit der Durchbrechung der
vorhandenen Bodenplatte mit der Unmöglichkeit einer anschließenden Abdichtung
aufgrund des nach wie vor hohen Grundwasserdrucks begründet. Zudem ist zu
berücksichtigen, daß - wie im vorliegenden Fall - bei einer Vielzahl von unzulässigen
Anschlüssen auch die Summe von jeweils im Einzelfall geringen Einleitungen zu den
oben beschriebenen Schwierigkeiten führen kann und in diesen Fällen schon aus
Gründen der Gleichbehandlung gegen sämtliche unrechtmäßigen Einleiter
vorgegangen werden muß.
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Daher besteht - auch im Hinblick auf die hiervon ausgehende Präzedenzwirkung - ein
berechtigtes Interesse des Beklagten an der Unterbindung von ungenehmigten
Einleitungen in seine Schmutzwasserkanalisation. Vor diesem Hintergrund sind auch
die von dem Kläger vorgetragenen Belastungen, selbst wenn sie das von ihm
behauptete Ausmaß erreichen würden, nicht unzumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Die Entscheidung über ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 und 713
ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs.2 VwGO
nicht vorliegen.
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