Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.05.2006

OVG NRW: aufschiebende wirkung, vollziehung, probezeit, beamtenverhältnis, interessenabwägung, behörde, besoldung, pauschal, entlassung, beamter

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 302/06
Datum:
03.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 302/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 4 L 914/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe
bis 13.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die mit ihr dargelegten, vom Senat allein zu
prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 der Verwaltungsgerichtsordnung
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- VwGO -) führen nicht zum Erfolg des Rechtsmittels.
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Die am 20. März 0000 geborene Antragstellerin steht seit dem 1. August 2003 als
Lehrerin z.A. im Dienst des Antragsgegners. Ihre Probezeit endete nach
zwischenzeitlicher krankheitsbedingter Verlängerung am 6. Juli 2005. Die
Antragstellerin erstrebt vorläufigen Rechtsschutz dagegen, dass die Bezirksregierung E.
sie mit Verfügung vom 13. September 2005 wegen mangelnder Bewährung in Bezug
auf fachliche und gesundheitliche Eignung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe
entlassen und diesbezüglich mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2005 die
sofortige Vollziehung angeordnet hat.
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Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der
Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung wiederherzustellen: Die Begründung
der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO, und die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende
Interessenabwägung gehe zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Denn die
angefochtene Entlassungsverfügung sei offensichtlich rechtmäßig. Nach § 34 Abs. 1 Nr.
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2 des Landesbeamtengesetzes (LBG) könne ein Beamter auf Probe, der sich mangels
gesundheitlicher Eignung in der Probezeit nicht bewährt habe, aus dem
Beamtenverhältnis entlassen werden. Dass die Antragstellerin gesundheitlich nicht
geeignet sei, ergebe sich aus einem amtsärztlichen Gutachten des Gesundheitsamtes
der Stadt C. vom 24. August 2005. Die sonstigen Voraussetzungen für eine Entlassung
nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG seien hier ebenfalls gegeben.
Die Antragstellerin macht im Beschwerdeverfahren geltend: Die erst mit dem
Widerspruchsbescheid ergangene Anordnung der sofortigen Vollziehung der
angefochtenen Verfügung sei rechtswidrig. Sie, die Antragstellerin, habe mit einer
solchen nachträglichen Anordnung der sofortigen Vollziehung - drei Monate nach Erhalt
des Ausgangsbescheides - nicht mehr rechnen müssen. Der Antragsgegner habe durch
sein Zuwarten zunächst den Eindruck erweckt, dass er die aufschiebende Wirkung
eines Rechtsbehelfs gegen sich gelten lassen werde. Daran müsse er sich festhalten
lassen. Die der Anordnung der sofortigen Vollziehung beigegebene Begründung
entspreche auch nicht den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die
Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei unerheblich, ob die von der Behörde
gegebene Begründung die Annahme eines besonderen Interesses an der sofortigen
Vollziehung zu tragen vermöge, sei unzutreffend. Die hier vom Antragsgegner für die
Anordnung der sofortigen Vollziehung gelieferte Begründung sei zu pauschal. Es reiche
nicht aus, wenn der Antragsgegner in ihr allgemein auf "das öffentliche Interesse an
einem störungsfreien, kontinuierlichen und qualitativen Mindestanforderungen
genügenden Unterricht für Schüler" hinweise. Im Übrigen sei die Begründung auch
inhaltlich nicht nachvollziehbar. Insbesondere habe der Antragsgegner nicht auf die
krankheitsbedingten Fehlzeiten abstellen dürfen, zumal es sich hierbei nicht um einen
neuen Sachverhalt gehandelt habe und die letzte Krankschreibung 14 Tage nach
Anordnung der sofortigen Vollziehung geendet habe. Auf die der sofortigen Vollziehung
entgegenstehenden persönlichen Interessen sei der Antragsgegner in seiner
Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung überhaupt nicht eingegangen.
Auch die Entlassungsverfügung selbst sei offensichtlich rechtswidrig. Das
Verwaltungsgericht habe seine gegenteilige Auffassung allein auf § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG
gestützt und dabei ausschließlich auf gesundheitliche Aspekte abgestellt.
Gesundheitliche Aspekte seien jedoch nicht im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG,
sondern ausschließlich im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 3 LBG von Bedeutung. Ob die
Voraussetzungen dieser letztgenannten Vorschrift erfüllt seien, habe das
Verwaltungsgericht jedoch offen gelassen. Im Übrigen sei die Entlassungsverfügung
auch deswegen offensichtlich rechtswidrig, weil sie erst mehr als zwei Monate nach
Ablauf der Probezeit ergangen sei. Ihre, der Antragstellerin, gesundheitlichen Probleme
seien dem Antragsgegner schon lange vorher bekannt gewesen. Es sei daher nicht
ersichtlich, wieso er so lange mit einer medizinischen Begutachtung gewartet habe.
Seine Entscheidung sei dadurch unangemessen verzögert worden. Sie, die
Antragstellerin, habe nach Ablauf ihrer Probezeit davon ausgehen dürfen, dass sie in
ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen würde.
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Mit diesem Vortrag ist nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende
Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hätte
wiederherstellen müssen.
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Die Ausführungen der Antragstellerin zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Entlassungsverfügung gehen fehl. Der Antragsgegner war nach § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig. Eine
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solche Anordnung muss auch nicht mit der Grundverfügung verbunden sein; sie kann -
wie hier - zu einem späteren Zeitpunkt ergehen. Im Übrigen ist die behördliche
Anordnung der sofortigen Vollziehung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach §
80 Abs. 5 VwGO nicht auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Ob in dem jeweiligen
Einzelfall ein besonderes Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO an
einer sofortigen Vollziehung des in Rede stehenden Verwaltungsakts besteht, prüft das
Gericht im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung.
Vgl. den Beschluss des Senats vom 16. Februar 2006 - 6 B 2156/05 - m.w.N.
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Die Einwendungen der Antragstellerin gegen die der Anordnung der sofortigen
Vollziehung im vorliegenden Fall beigegebene Begründung greifen ebenfalls nicht
durch. Das sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebende Begründungserfordernis ist
formaler Art. Es kommt, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht
darauf an, ob die von der Behörde gegebene Begründung das geltend gemachte
besondere Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts letztlich zu
tragen vermag. Dies prüft das Gericht - wie bereits erwähnt - im Rahmen einer eigenen
Interessenabwägung. In der Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO muss lediglich
deutlich werden, welche konkreten, auf den Einzelfall bezogenen
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Überlegungen die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben.
Diesen Anforderungen entspricht die vom Antragsgegner gelieferte Begründung.
Insbesondere ist sie, anders als die Antragstellerin meint, nicht zu pauschal. Es wird
deutlich, dass der Antragsgegner wegen der von ihm angenommenen fehlenden
Eignung und Befähigung der Antragstellerin die Weiterführung eines geordneten
Schulbetriebs gefährdet sieht und deswegen für die Antragstellerin schnellstmöglich
eine andere Lehrkraft einzustellen beabsichtigt. Die von der Antragstellerin gegen diese
Begründung vorgebrachten inhaltlichen Einwände sind im Rahmen des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO aus den genannten Gründen unbeachtlich.
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Auch die Einwände der Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht
durchgeführte Interessenabwägung greifen nicht durch. Die Antragstellerin hat in ihrer
Beschwerdebegründung nichts dargelegt, das die Annahme des Verwaltungsgerichts,
die angefochtene Entlassungsverfügung sei offensichtlich rechtmäßig, unzutreffend
erscheinen lassen könnte.
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Nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG kann ein Beamter auf Probe bei mangelnder Bewährung in
Bezug auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung entlassen werden. Eignung
meint stets auch gesundheitliche Eignung. Von daher ist die im Beschwerdeverfahren
von der Antragstellerin vorgetragene Auffassung, das Verwaltungsgericht habe sich im
Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG nicht auf gesundheitliche Aspekte stützen dürfen,
unzutreffend.
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Vgl. hierzu auch den Beschluss des Senats vom 26. November 2004 - 6 B 2743/04 -.
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Für ihren weiteren Einwand, dass eine Entlassungsverfügung - jedenfalls in ihrem Fall -
nicht erst zwei Monate nach Beendigung der Probezeit ergehen dürfe, nennt die
Antragstellerin keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz. Sofern dieser Einwand auf die
Ermessensausübung des Antragsgegners im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG
bezogen sein sollte, ist zu bemerken, dass ein Ermessensfehler, diesbezüglich nicht
festzustellen ist; die Antragstellerin konnte nicht schutzwürdig darauf vertrauen, nach
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Ablauf ihrer Probezeit in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen zu
werden.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die angefochtene Entlassungsverfügung sei
offensichtlich rechtmäßig, ist durch das Beschwerdevorbringen nach alledem nicht
entkräftet worden. Damit ist das Vorliegen eines besonderen Vollziehungsinteresses
nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO indiziert. Die Antragstellerin hat im
Beschwerdeverfahren keine Interessen dargetan, die ein solches Gewicht haben, dass
sie einer sofortigen Vollziehung der offensichtlich rechtmäßigen Entlassungsverfügung
ausnahmsweise entgegenstehen könnten. Insbesondere kann sie sich nicht darauf
berufen, dass sie zwei Monate nach dem Ablauf der Probezeit nicht mehr mit einer
Entlassungsverfügung und drei Monate nach dem Erhalt der Entlassungsverfügung
nicht mehr mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung habe rechnen müssen. Das
Vertrauen darauf, allein infolge Zeitablaufs von belastenden Verwaltungsmaßnahmen
verschont zu bleiben, ist nicht schutzwürdig. Der von der Antragstellerin weiterhin
vorgetragene Umstand, dass sie auf den Dienst angewiesen sei, um ihren
Lebensunterhalt bestreiten zu können, greift ebenfalls nicht durch. Der Wegfall der
Besoldung ist die typische Folge einer Entlassung. Die Antragstellerin hat nicht
dargelegt, dass sie der Wegfall der Besoldung in einer atypischen Weise betrifft.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des
Gerichtskostengesetzes.
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