Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.02.2006

OVG NRW: kosovo, medikamentöse behandlung, serbien und montenegro, politische verfolgung, familie, heimat, bundesamt für migration, abschiebung, rückführung, wahrscheinlichkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 261/05.A
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 261/05.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 2498/02.A
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
Köln vom 15. Dezember 2004 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin, ihr Ehemann und ihre drei Kinder kommen aus W. im Kosovo, sind
albanischer Volkszugehörigkeit und reisten am 18. November 1995 nach Deutschland
ein, wo sie am 21. November 1995 Asyl und Abschiebungsschutz mit der Begründung
beantragten, die Polizei habe sie in ihrer Wohnung, die der Ehemann 5 Jahre zuvor von
seiner früheren Arbeitsfirma, die ihn als Albaner zwischenzeitlich entlassen habe,
erlangt habe, aufgesucht und nach der Berechtigung für die Wohnung gefragt. Bei der
anschließenden Durchsuchung habe die Polizei die Pistole und Munition des Vaters
sowie verbotenes Informationsmaterial gefunden und den Ehemann mitgenommen zur
Polizei. Dort habe man ihn bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und ihn zum erneuten
Erscheinen in zwei Tagen aufgefordert. Er sei sofort zu seinem Onkel gefahren, der ihn
und die Familie aufgenommen habe. Ihre Wohnung sei beschlagnahmt worden, sie
hätten nichts mitnehmen dürfen. Sie hätten Angst gehabt und nur schnell weg gewollt
und dann auch einen Fluchthelfer gefunden. Nach Ende des Bürgerkriegs wollten sie
wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie beabsichtigten nicht, ihren gewöhnlichen
Aufenthaltsort und ihre Wohnung aufzugeben.
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In der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge -
jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - gab der Ehemann der Klägerin an: Er
habe sich im Ortsvorstand der LDK betätigt. Der konkrete Anlass, die Heimat zu
verlassen, sei die Hausdurchsuchung gewesen, bei der seine Waffe gefunden und er
wegen seiner Antworten vor seiner Familie geschlagen worden sei. Ferner sei er nach
Verbringung auf die Polizeistation dort bewusstlos geprügelt worden. Nach Freilassung
von der Polizei habe er sich am Folgetag wieder dort melden sollen, sei aber auf der
Straße schon wieder zusammengeschlagen worden. Bei einem Kollegen habe er sich
dann einige Tage aufgehalten, dort von den weiteren Durchsuchungen seiner Wohnung
gehört und sei dann zu seinem Onkel in Mazedonien gegangen. Dort habe er gehört,
dass die Polizei seine Familie aus der Wohnung geworfen habe, die diese nach seiner
Entlassung von seiner Firma nicht mehr habe nutzen dürfen. Seine Familie sei dann
nach Mazedonien nachgekommen, von wo aus sie nach Deutschland geschleust
worden seien.
4
Die Klägerin bestätigte in ihrer Anhörung das Geschehen in eigenen Worten und
äußerte die Befürchtung, dass ihr Mann bei Rückkehr in die Heimat wegen der
gefundenen Dokumente der LDK und der Pistole ins Gefängnis komme.
5
Mit Bescheid vom 18. Juni 1997 lehnte das Bundesamt für die Klägerin und ihre Familie
die Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz ab. Die dagegen geführte Klage wies
das Verwaltungsgericht Köln durch Urteil vom 24. April 2001 - 22 K 5876/97.A - ab. In
der diesem Urteil zugrundeliegenden mündlichen Verhandlung, in der u. a. die
Augenkrankheit der Klägerin und deren Auswirkungen erörtert worden waren, hatte der
Ehemann geäußert, er würde es begrüßen, wenn er wegen der Augenerkrankung seiner
Frau sowie der Ausbildung seiner Kinder noch einige Zeit im Bundesgebiet bleiben
könnte. Den u.a. auf eine unzureichende Berücksichtigung der Augenkrankheit der
Klägerin gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil wies der
Senat durch Beschluss vom 21. Juni 2001 - 13 A 2293/01.A - zurück.
6
Die bis dahin von einem anderen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin und ihre
Familie stellten sodann mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 29.
Januar 2002 einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und auf vorläufigen
Rechtsschutz für die gesamte Familie. Im weitergehenden Verfahren schilderte der
Prozessbevollmächtigte unter Zitierung von Literatur Merkmale, Verlauf und Diagnose
einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und legte eine Bescheinigung des
Diplom-Psychologen Dr. B. -K. vom 18. Februar 2002 betreffend die Klägerin vor, die u.
a. die auf eine Eigendarstellung ihres Zustandes an Hand von PTBS-Merkmalen
zurückgehende Einordnung ihrer Erkrankung als komplexe PTBS nebst weiteren
krankhaften psychischen Zuständen beinhaltete.
7
Mit Bescheid vom 22. März 2002 lehnte das Bundesamt eine Änderung seines früheren
Bescheids und die Feststellung eines Abschiebungshindernisses ab. Hiergegen haben
die Klägerin und die früheren Kläger zu 1.) und 3.) - der Ehemann und ein Sohn - sowie
die Tochter und ein weiterer Sohn Klage erhoben sowie vorläufigen Rechtsschutz
beantragt und dazu zunächst vom jeweiligen Einzelfall losgelöst Ausführungen zur
PTBS und deren Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo gemacht. Alle Verfahren der
Familie auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Beklagte und auf
Vollziehungsaussetzung gegen die Ausländerbehörde - letztere betreffend einen sich in
der Ausbildung befindenden Sohn sowie die in Deutschland verheiratete Tochter -
8
sowie das Klageverfahren des Klägers zu 3.) wurden Ende Mai 2002/Dezember 2004
nach entsprechenden Rücknahmeerklärungen eingestellt.
Die Klägerin hat unter Vorlage von Bescheinigungen des Dr. B. -K. vom 24. April, 30.
Juli und 11. September 2003 vorgetragen, sie leide an einer PTBS, depressiven
Störung und Persönlichkeitsstörung, die im Kosovo nicht behandelt werden könnten und
einer Therapie im friedlichen Umfeld in Deutschland, also bei gesichertem
Aufenthaltsrecht, bedürften.
9
Die Klägerin hat u. a. beantragt,
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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. März 2002 zu verpflichten,
festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
11
Die Beklagte hat die Erkrankung der Klägerin für im Heimatland behandelbar gehalten
und auf Rechtsprechung des OVG Hamburg verwiesen sowie beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben u. a. zu den Fragen der Erkrankung der
Klägerin und den Folgen einer nicht oder unzulänglich erfolgten Behandlung der
Erkrankung durch Einholung eines Fach-Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens von Prof. Dr. G. und Dipl.- Psych.
T. vom 19. Dezember 2003 verwiesen. Sodann hat das Verwaltungsgericht unter
Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 22. März 2002 die
Beklagte verpflichtet, bei der Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG festzustellen, und die Klage im übrigen abgewiesen.
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Hiergegen hat die Beklagte - die vom Senat zugelassene - Berufung eingelegt, die sie
rechtzeitig begründet hat und mit der sie vorträgt: § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG schütze nach
der Rechtsprechung des angerufenen Gerichts nur vor einer - wesentlichen -
Verschlimmerung einer Erkrankung im Sinne existenzieller Gesundheitsgefahren.
Solche seien bezüglich PTBS und Depressionen auch bei der Mangellage in der
Gesundheitsversorgung im Kosovo nicht zu erwarten. Eine Suizidgefahr sei zum einen
ein ungewisses Ereignis und nicht überwiegend wahrscheinlich sowie im Übrigen kein
an Gegebenheiten des Heimatlandes anknüpfendes Ereignis. Ein rückkehrpflichtiger
Kosovare könne nicht permanent ausblenden, dass er in seine kulturelle Heimat im
befriedeten Zustand zurückkehre, wo es Behandlungsmöglichkeiten für seine
Erkrankung gebe, die er zumutbarerweise wahrnehmen könne. Auf eine Erkrankung des
Ehemanns der Klägerin komme es nicht an. Im Übrigen seien urologische
Nachsorgemaßnahmen für ihn im Kosovo durchführbar.
15
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage im Umfang der Zulassung der
Berufung abzuweisen.
17
Die Klägerin beantragt,
18
die Berufung zurückzuweisen.
19
Sie legt zum Nachweis ihrer psychischen Erkrankung Bescheinigungen der Dres. W1.
vom 18. Juli 2005 und des Dr. B. -K. vom 5. August 2005 vor und trägt vor: Sie könne
nach wie vor die erforderliche Behandlung ihrer psychischen Erkrankung im Kosovo
nicht erwarten. Die gravierenden Engpässe bei den Behandlungsmöglichkeiten für eine
PTBS im Kosovo seien Inhalt einer Stellungnahme von UNMIK und kosovarischem
Gesundheitsministerium (Stand Juli 2005), mit der auch die von Experten getragene
Ansicht geäußert werde, dass eine PTBS-Behandlung im jeweiligen Aufnahmestaat
beendet werden sollte. Die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten speziell im
Universitätsklinikum Q. würden von dem dort tätigen Neuropsychiater Dr. E. bestätigt.
Auch er empfehle, die Behandlung am Aufenthaltsort fortzusetzen. Ebenfalls der im
Gesundheitsdienst tätige Dr. B1. bestätige in einem Memorandum aus Juni 2004 die
Mangellage bei Behandlungen psychisch Kranker. Ihrem Mann sei ein Blasenkarzinom
entfernt worden und er bedürfe der Nachbehandlung. Im Kosovo gebe es keine
Behandlungsmöglichkeit bei Karzinomen.
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Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des
vorliegenden Verfahrens und der früheren Verfahren, der Verwaltungsvorgänge und des
Gutachtens vom 19. Dezember 2003 Bezug genommen.
21
II.
22
Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss nach § 130a VwGO, weil er
sie einstimmig für begründet und - auch nach der Stellungnahme der Klägerin vom 22.
Dezember 2005 - eine mündliche Verhandlung aus den folgenden Erwägungen nicht für
erforderlich hält. Die Sache ist ausgeschrieben und der Gesundheitszustand der
Klägerin für den Senat beurteilbar; es kommt entscheidend auf die Bewertung der
vorliegenden Erkenntnisse über die Behandelbarkeit der Erkrankung der Klägerin im
Abschiebungszielland an; Erörterungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die eine
mündliche Verhandlung erforderten, stehen nicht an. Eine Anhörung der Klägerin in
einer mündlichen Verhandlung hält der Senat insbesondere auch wegen der möglichen
schweren Belastungen einer psychisch labilen Person durch eine mündliche
Verhandlung - wie bereits in Form eines Zusammenbruchs einer Klägerin geschehen
(vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 15. April 2005 - 21 A 2152/03.A -) - nicht für
angebracht. Die Klägerin hatte bereits erstinstanzlich einmal die Gelegenheit, sich in
mündlicher Verhandlung zu äußern; sie hat jedoch auf diese Möglichkeit verzichtet und
ein Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO erklärt. Ein Ausschluss einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung für die zweite Instanz, weil das Verwaltungsgericht
verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte, greift deshalb
nicht ein.
23
Vgl. hierzu, BVerwG, Beschlüsse vom 22. November 1984 - 9 CB 171.83 -, Buchh. 312
EntlG Nr. 40, und vom 8. April 1998 - 8 B 218. 97 -, Buchh. 340 § 15 VwZG Nr. 4.
24
Die Beteiligten sind zur Entscheidungsform nach § 130a VwGO unter Mitteilung des
voraussichtlichen Entscheidungsergebnisses gehört worden.
25
Die zulässige Berufung ist begründet.
26
Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage der Klägerin auf Zuerkennung von
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu Unrecht stattgegeben. Der die
27
Abänderung der früheren Entscheidung zu § 53 AuslG ablehnende Bescheid des
Bundesamts vom 22. März 2002 erweist sich hinsichtlich des
Entscheidungsergebnisses auch im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77
AsylVfG) als rechtmäßig.
Es kann offen bleiben, ob der angefochtene Bescheid zu Recht wegen Fehlens von
Wiederaufgreifensgründen nach §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG die
Abänderung der früheren Entscheidung des Bundesamts abgelehnt hat. Denn es liegen
jedenfalls die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG, der ab 1. Januar 2005 an die Stelle des früher geltenden § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG getreten und mit diesem auf der Tatbestandsseite wortgleich ist, nicht vor, so
dass die begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots für die Klägerin weder auf
dem Weg des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG noch des §§ 51 Abs. 5, 49 VwVfG in Betracht
kommt.
28
Zusammengefasst beruft sich die Klägerin auf eine bei ihr vorliegende PTBS auf Grund
der geschilderten Wohnungsdurchsuchungen durch die serbisch- jugoslawische Polizei
und deren brutalen Vorgehens gegen ihren Ehemann sowie ihr zur Kenntnis gelangter
Kriegszerstörungen; die Erkrankung könne im Kosovo nicht adäquat behandelt werden
und stehe deshalb ihrer Abschiebung entgegen. Hierzu ist ausgehend von ihrem
Vorbringen im Verwaltungsverfahren und in der gutachterlichen Exploration in
tatsächlicher Hinsicht festzuhalten:
29
Die Klägerin hatte vor Verlassen ihres Wohnorts W. nach Mazedonien im Herbst 1995
das brutale Vorgehen der serbisch dominierten Polizei gegen ihren Ehemann sowie
Durchsuchungen und Verwüstung ihrer Wohnung unmittelbar erlebt. Das dahingehende
Vorbringen der Klägerin ist glaubhaft, weil Aktionen dieser Art nach gleichem Muster
gegen eine Vielzahl von albanischen Flüchtlingen gerichtet waren und belegt sind.
Schwerwiegende nachhaltige Einwirkungen in ihre körperliche Integrität, insbesondere
sexuelle Nötigung, sind der Klägerin, auch wenn sie mit der Waffe eines Serben
geschubst worden ist und dies bei ihr blaue Flecken hinterlassen hat, nicht widerfahren.
Von kriegerischen Auseinandersetzungen wie in den Jahren 1998/99 mit Vernichtung
ganzer Ortschaften, Tötung und Vertreibung von Landsleuten, geschlechtsbezogenen
Greueltaten und sonstigen Strapazen, die andere Flüchtlinge unmittelbar erlitten haben,
ist sie verschont geblieben. Von den Geschehnissen des Krieges und auch von den der
Gutachterin geschilderten Vorfällen hat die Klägerin lediglich im sicheren Aufnahmeland
Deutschland aus den Medien oder per Telefon erfahren.
30
Die Klägerin hat im Asylerstverfahren weder eine psychische Erkrankung geltend
gemacht noch - nach Aktenlage - den Eindruck einer psychisch kranken Person
hinterlassen. Hätte sie an einer psychischen Krankheit gelitten, wäre zu erwarten
gewesen, dass ihr im Asylrecht erfahrener seinerzeitiger Prozessbevollmächtigter
derartiges vorgetragen hätte. Immerhin war die Gesundheit der Klägerin, nämlich ihre
Sehschwäche, Gegenstand der - nach dem Kosovo-Krieg 1999 liegenden - mündlichen
Verhandlung vom 24. April 2001 im Verfahren VG Köln 22 K 5876/97.A. Erst nach
erfolglosem Abschluss jenes Verfahrens und erkennbar anstehender Rückführung der
Familie der Klägerin - deretwegen Aussetzungsverfahren gegen die Ausländerbehörde
betrieben worden waren - sowie nach Übernahme der Vertretung der Interessen der
Klägerin und ihrer Familie durch den gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten ist,
nachdem dieser zunächst vom Ehemann das Bild einer stark psychisch belasteten
Person gezeichnet hatte, erstmals mit Schriftsatz vom 7. März 2002 von einer PTBS der
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Klägerin und einer Therapieaufnahme am 21. Dezember 2001 oder 4. Januar 2002 die
Rede.
Dieser Verlauf spricht stark dafür, dass die psychische Belastung der - vermutlich in der
Erwartung eines dauerhaften Verbleibs in Deutschland lebenden - Klägerin eher durch
die anstehende Rückführung nach erfolglosem Asylerstverfahren ausgelöst sowie durch
die Sorge um die Gesundheit ihres Sohnes und ihrer eigenen Person - vgl.
diesbezüglich Gutachten S. 9 u. 10, ihr fortschreitender Sehverlust -, eine mit deutschen
Verhältnissen nicht vergleichbare Behandlung dessen im Kosovo - vgl. insoweit
Gutachten S. 27, sie wolle sich in Deutschland lediglich behandeln lassen - und die
wirtschaftlich-finanzielle Perspektive im Kosovo verstärkt worden ist.
32
Der Senat geht vor diesem Hindergrund möglichen Zweifeln nicht nach, ob das
Geschehen um den Einsatz/die Einsätze der Polizei gegen die Familie der Klägerin im
Jahre 1995 als sog. A-Kriterium für die im Gutachten vom 19. Dezember 2003
diagnostizierte PTBS gesehen werden kann. Er schließt allerdings nicht aus, dass eine
Person selbst im sicheren Aufnahmeland in Abhängigkeit von ihrem individuellen
Persönlichkeitsbild möglicherweise auch von fernen Ereignissen oder Umständen
psychisch so stark belastet werden kann, dass bei ihr Angst, Verzweiflung,
Minderwertigkeits- und Hilflosigkeitsgefühle, Dissoziation, Spannungskopfschmerz,
Suizidgedanken eintreten können. Er schließt deshalb auch vorliegend nicht aus, dass
die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch die Gutachterin jedenfalls einen ggf.
durch mehrere "andere" Umstände - als die Polizeiaktionen - ausgelösten solchen
psychischen Belastungszustand mit körperlichen Begleiterscheinungen gezeigt hat, der
als krankhaft bezeichnet und unter die fachwissenschaftlich aufgestellten Merkmale
einer PTBS subsumiert werden kann. Er geht deshalb davon aus, dass der Klägerin
gutachterlich eine PTBS nebst episodischer Depression und Persönlichkeitsstörung
bescheinigt ist und sie auch gegenwärtig noch psychisch krank ist, wie durch die
Bescheinigung einer mittelgradigen depressiven Episode durch Dres. W1. im Juli 2005
zum Ausdruck kommt.
33
Gleichwohl kann der Senat nicht feststellen, dass ein solches Krankheitsbild bei
Rückkehr der Klägerin in den Kosovo für sie eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben
im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. des seit 1. Januar 2005 an seine Stelle
getretenen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet.
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Der Senat hat zu der anstehenden Problematik ausgehend von seinen grundlegenden
Entscheidungen vom 16. Dezember 2004 - 13 A 4512/03.A - und - 13 A 1140/04.A -
sowie 30. Dezember 2004 - 13 A 1250/04.A - beispielsweise in den Beschlüssen vom
30. Mai 2005 - 13 A 4539/04.A -, vom 2. August 2005 - 13 A 4442/03.A - und vom 30.
August 2005 - 13 A 4539/04.A - wie nachfolgend dargestellt ausgeführt und an dieser
Einschätzung auch unter Berücksichtigung einer UNMIK-Stellungnahme aus Januar
2005 zur Erreichbarkeit angemessener medizinischer Versorgung von PTBS im Kosovo
sowie in Kenntnis einer Stellungnahme der Frau Dr. med. Schlüter-Müller vom 20. Mai
2005 zu Entscheidungen des Senats (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juli 2005 -
13 A 2485/05.A -, vom 12. Juli 2005 - 13 A 2420/05.A - und vom 7. Juli 2005 - 13 A
2297/05.A -: die Empfehlung von UNMIK, eine Behandlung des Ausreisepflichtigen im
Fluchtland zunächst zu beenden, ändert nichts an der Wertung, dass eine
Krankheitsverschlechterung von existenzieller Schwere für einen psychisch kranken
Rückkehrer im Kosovo nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann,
und kann ferner deshalb nicht durchgreifen, weil eine PTBS-Behandlung in
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Deutschland aus psychotherapeutischer Sicht keinen zufrieden stellenden Erfolg haben
wird, solange eine Rückführung droht) festgehalten:
"Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat konnte (§ 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG) bzw. soll (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) abgesehen werden, wenn dort für
diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die Voraussetzungen dieses - nach der Terminologie des Ausländergesetzes bzw.
Aufenthaltsgesetzes - Abschiebungshindernisses bzw. Abschiebungsverbots für die hier
allein in Betracht kommenden Varianten der Leibes- und Lebensgefahr liegen nicht vor.
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Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG konnte von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche,
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Begriff der "Gefahr" im Sinne
dieser Vorschrift ist im Grundsatz kein anderer als der im asylrechtlichen
Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei allerdings
das Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das zusätzliche
Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen
Gefahrensituation statuiert.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324/330.
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Für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit reicht es nicht aus, wenn eine Verfolgung oder
sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt; vielmehr muss eine
solche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Das ist anzunehmen,
wenn die für die Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände größeres Gewicht haben
als die dagegen sprechenden Tatsachen und deshalb ihnen gegenüber überwiegen.
39
Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Oktober 1985 - 9 C 20.85 -, DVBl. 1986, 102, vom 15. März
1988 - 9 C 278.86 -, NVwZ 1988, 838, vom 2. November 1995 - 9 C 710.94 -; BVerfG,
Beschluss vom 5. März 1990 - 2 BvR 1938/89 u. 1460/89 - InfAuslR 1990, 165, wonach
"gleichermaßen wahrscheinlich wie unwahrscheinlich" keine beachtliche
Wahrscheinlichkeit begründet. (so jetzt im Ergebnis auch OVG NRW, Beschluss vom
14. Juni 2005 - 11 A 4518/02.A -)
40
Dieses "größere" Gewicht ist nicht rein quantitativ zu verstehen, sondern im Sinne einer
zusammenfassenden Bewertung des Sachverhalts bei verständiger Würdigung aller
objektiven Umstände dahingehend, ob sie bei einem vernünftig denkenden,
besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung rechtfertigt.
Dabei sind auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der
Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung.
41
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 128.90 -, Buchh. 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 147 S. 314/320.
42
Erheblich ist eine Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem
Gewicht ist. Das ist der Fall, wenn sich durch die Rückkehr der unter dem Gesichtspunkt
der Leibes- und Lebensgefahr hier allein in Betracht kommende Gesundheitszustand
des Betroffenen wegen geltend gemachter unzureichender medizinischer
Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung in einem angemessenen
Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.
43
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 115, 338,
betr. Abschiebungsschutz wegen unzureichender medizinischer
Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo.
44
Von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands kann nicht schon
dann gesprochen werden, wenn "lediglich" eine Heilung eines gegebenen
Krankheitszustands des Ausländers im Abschiebungszielland nicht zu erwarten ist.
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von
Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern,
sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben
bewahren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats
45
vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2004 - 13 A 3598/04.A - (so auch
Schl.-H. OVG, Urteil vom 24. März 2005 - 1 LB 45/03 -)
46
ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei
jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen,
sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden
und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz: bei existentiellen
Gesundheitsgefahren. Das folgt zum einen aus dem der Vorschrift immanenten
Zumutbarkeitsgedanken.
47
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, NVwZ 1998, 526, das
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im
Zielland ableitet.
48
Das folgt des Weiteren aus der gleichen hohen Stufe der von der Vorschrift geschützten
drei Rechtsgüter, die das Zuerkennen eines Abschiebungshindernisses schon bei einer
objektiv ertragbaren Gesundheitsverschlechterung außerhalb jeder vertretbaren
Relation zur drohenden Rechtsgutverletzung durch ungerechtfertigte
Freiheitsentziehung oder zu Lebensbedrohung setzt. Das folgt schließlich auch aus
dem gleichen Umfang und der gleichen Reichweite des Rechtsgüterschutzes des
Einzelnen im Rahmen der Gruppen betreffenden Entscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz
2, 54 AuslG wie im Rahmen der den Einzelnen betreffenden Entscheidung nach § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG,
49
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995- 9 C 9.95 -, a. a. O.
50
wobei die erstere gruppengerichtete Leitentscheidung nach § 54 AuslG nur bei
greifbaren, gravierenden - eben existentiellen - Rechtsgutbeeinträchtigungen jedes
Einzelnen der Gruppe zu erwarten ist.
51
Vgl. in dem Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - 1 C 15.03 -,
DVBl. 2005, 317, zum zu Gunsten des Ausländers ermessensreduzierenden Maßstab
der "extremen" individuellen Gefahrensituation im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG.
52
Konkret ist eine Verschlimmerung einer Erkrankung, wenn sie alsbald nach
Rückführung des Betroffenen im Zielland zu erwarten ist.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, a. a. O.
54
Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - "dort" - folgt, dass
die das Abschiebungshindernis begründenden Umstände an Gegebenheiten im
Abschiebungszielland anknüpfen müssen. Soweit eine geltend gemachte
Gesundheitsverschlechterung ihren Grund in Gegebenheiten und Vorgängen im
Aufenthaltsland Deutschland finden, können sie daher dem Bundesamt gegenüber nicht
als Abschiebungshindernis geltend gemacht werden. Dem gemäß betrachtet auch das
Bundesverwaltungsgericht in seiner Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG durch das Bundesamt betreffenden Entscheidung vom 25. November 1997, a. a.
O., nur eine Gesundheitsverschlechterung nach Rückkehr in das Zielland Kosovo,
mithin eine durch dortige Gegebenheiten ausgelöste Gesundheitsverschlechterung der
damaligen Klägerin.
55
Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise auch für § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der
nur auf der Rechtsfolgeseite statt der früheren Kann-Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG eine Soll- Regelung aufweist, die nur in besonders begründeten Fällen ein
Absehen von der Zuerkennung eines Abschiebungsverbots bei ansonsten gegebenen
Voraussetzungen auf der Tatbestandsseite erlaubt.
56
Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Fällen der vorliegenden
Problematik ist - auch wenn psychische Erkrankungen von ausreisepflichtigen
Ausländern umgekehrt proportional zur Lageverbesserung im Kosovo zahlenmäßig
ansteigen und zu einem "Massenphänomen" angewachsen sind und heute die weit aus
größte Zahl der Asylstreitigkeiten ausmachen - nicht durch §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a
Abs. 1 AufenthG gesperrt. Denn die hier geltend gemachte Gefahr einer
Gesundheitsverschlimmerung im Heimatland ist nach der Rechtsprechung des Senats
von individueller Art, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Erkrankung
des Ausländers, der ihn erwartenden Gegebenheiten im Heimatland und von
Zumutbarkeitserwägungen mit Individualbezug zu beurteilen ist. Die Unterschiedlichkeit
dieser Beurteilungskriterien bei den betreffenden ausreisepflichtigen Ausländern ist so
groß und der Individualbezug so stark, dass allein die Gefahr der Verschlimmerung
einer psychischen oder sonstigen Krankheit als maßgebliches allgemeines
Abgrenzungskriterium für Menschen in ansonsten vergleichbarer Situation nicht
ausreicht.
57
Vor diesem rechtlichen Hintergrund besteht für den Senat im für die vorliegende
Verpflichtungsklage gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin bei
Rückkehr in ihre Heimat Kosovo eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im
Sinne einer existentiellen Gesundheitsgefahr zu befürchten hat.
58
In ihrer Heimat Kosovo hat die Klägerin nicht etwa Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG wegen politischer Verfolgung (§ 60 Abs. 1 AufenthG),
59
die nach BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324/329, auch
im Rahmen des Abschiebungsschutzbegehrens zu berücksichtigen ist,
60
allgemeiner Versorgungsnot oder ähnlichem zu befürchten.
61
Gegenüber der allgemeinen politischen Lage für die Volksgruppe der Albaner zur
früheren Zeit des serbisch-jugoslawischen Regimes ist die gegenwärtige Lage im
62
Kosovo grundlegend verändert, und zwar insgesamt verbessert. Politische Verfolgung
von Albanern - wie auch von Minderheitenangehörigen - findet nicht mehr statt. Die
Gebietsgewalt befindet sich in den Händen der Interventionsmächte und eine
Etablierung von Parteien, Organisationen oder sonstigen Bevölkerungsteilen mit
übergreifenden Machtstrukturen im Sinne hoheitlicher Überlegenheit über andere
Bevölkerungsteile ist nicht feststellbar. Die quasistaatliche Gewalt ausübenden
Interventionsmächte sind grundsätzlich in der Lage und willens, die Bevölkerung und
Bevölkerungsteile vor Eingriffen in die in § 60 Abs. 1 u. 3 AufenthG genannten Rechte
zu schützen; beispielweise ist eine unter der UNMIK errichtete kosovarische
Polizeitruppe bereits im Einsatz und wird weiter ausgebaut. An dieser in mehreren
amtlichen Lageberichten der deutschen Auslandsvertretung - zuletzt 4. November 2004
- bestätigten Lagebewertung ändern auch die im März 2004 in einigen größeren Städten
des Kosovo erfolgten Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen nichts, weil diese
beigelegt sind und verstärkte Sicherheitskräfte der Interventionsmächte nach sich
gezogen haben. Im Übrigen ist mit Blick auf - unter Umständen auch vor ethnischem
Hintergrund - gelegentlich eintretende gewaltbegleitete Übergriffe zu berücksichtigen,
dass die Grenze der asylrechtlich bedeutsamen Pflicht zur Schutzgewährung erreicht
ist, wenn die redlicherweise zu fordernden Kräfte des Staates oder der an seine Stelle
getretenen Gebietsherrschaft überstiegen werden. Mit anderen Worten endet die
asylrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates oder der an seine Stelle getretenen
Gebietsherrschaft jenseits der zur Verfügung stehenden Mittel und dessen, was bei
Herstellung staatlicher Strukturen, deren Vorläufer untergegangen sind, ohne
Überspannung der Forderungen verlangt werden kann. Es würde jedoch angesichts der
zuvor lange Jahre andauernden Verfeindungen, Verdächtigungen und kriegerischen
Auseinandersetzungen der Bevölkerungsgruppen des Kosovo die Forderungen
überspannen, wollte man für den Kosovo bereits jetzt mitteleuropäischen Verhältnissen
entsprechende Sicherheitsstandards oder gar eine absolute Sicherheit vor gewaltsamen
Übergriffen Dritter fordern. Anhaltspunkte dafür, dass die Veränderungen der
Verhältnisse im Kosovo zum Positiven lediglich vorübergehender Natur wären, liegen
nicht vor. Dem gemäß hat der Senat in Übereinstimmung mit allen
Asylrechtsstreitigkeiten betreffend Kosovo bearbeitenden
Oberverwaltungsgerichten/Verwaltungsgerichtshöfen entschieden, dass im Kosovo eine
gruppengerichtete oder individuelle politische Verfolgung von Kosovo-Albanern nicht
feststellbar ist.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14. April 2005 - 13 A 654/05 -, vom 29. Juli 2004 - 13
A 546/04.A -, vom 11. August 2003 - 5 A 2686/03.A - und vom 4. Juli 2002 - 14 A
819/02.A -; Hess. VGH, Urteil vom 26. Februar 2003 - 7 UE 847/01.A -; Bay. VGH,
Beschluss vom 11. September 2001 - 9 B 00.31496 -; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.
März 2001 - A 14 S 2078/99 -; Nieders. OVG, Beschluss vom 31. Januar 2001 - 8 L
6555/96 -.
63
Für eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Klägerin ist nichts ersichtlich und von
ihr auch nichts vorgetragen.
64
Auch die allgemeine Versorgungslage ist soweit wiederhergestellt und im Allgemeinen
ausreichend, dass von einer konkreten Gefahrensituation für die Rechtsgüter des § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Kosovo-Albaner nicht mehr die Rede sein kann. Die
kriegsbedingten erschwerten Lebensbedingungen infolge zerstörter Infrastruktur sind
weitgehend beseitigt, gefährliche Kriegsrelikte sind zumindest unzugänglich gemacht
und der Wiederaufbau der Wohnunterkünfte wird gefördert. Internationale
65
Hilfsorganisationen tragen nach wie vor zur Sicherung der allgemeinen Versorgung der
Bevölkerung bei."
Speziell zu der Problematik der Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen im Kosovo
hat der Senat u.a. in den Beschlüssen vom 30. Mai 2005 - 13 A 4539/04.A - und 2.
August 2005 - 13 A 4442/03.A - Folgendes ausgeführt:
66
"Nach den dem Senat vorliegenden umfangreichen Erkenntnissen über die allgemeine
Lage und die Gesundheitsversorgung im Kosovo - Auskünfte des Auswärtigen Amts,
des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo, des UNHCR, von
Menschenrechtsorganisationen, sonstigen öffentlichen und privaten Stellen und
Beobachtern vor Ort, Berichterstattungen in den Medien usw. -, von denen der Übersicht
wegen nur der wesentliche Teil in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, war die
allgemeine Lage der Gesundheitsversorgung im Kosovo - dieses isoliert betrachtet ohne
Rest-Serbien und Montenegro - nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des
Jahres 1999 stark beeinträchtigt und hat sich nur schleppend erholt und den Stand
früherer Jahre wohl auch noch nicht wieder erreicht. Noch im September 2003 sprach
der UNHCR von Engpässen in der Versorgung mit medizinischen Medikamenten;
speziell schwerwiegende psychische Krankheiten bezeichnete er angesichts nur
begrenzter psychiatrischer Dienste und mangelnder Fachausbildung sowie Behandlung
nur durch Psychopharmaka für seinerzeit nicht ausreichend behandelbar (UNHCR vom
29. September 2003 an VG Koblenz und vom 26. November 2003 an Rechtsanwalt L.
V.). Auch die Fachärztin Dr. Schlüter-Müller hatte zuvor in einem Gutachten vom 29. Juli
2003 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Versorgungslage für psychisch
Kranke im Kosovo als ungeeignet geschildert: Das Verhältnis Psychiater zu Einwohner
betrage 1 zu 90.000; es existiere eine nur sehr schwache Grundversorgung mit sieben
neuropsychiatrischen ambulanten Diensten, vier neuro-psychiatrischen Stationen, einer
Universitätsklinik; es werde nur eine biologisch orientierte Behandlung durch Behandler
ohne psychotherapeutische Weiterbildung geboten; die Zustände in der Psychiatrie
seien unbeschreiblich schrecklich. Im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 10.
Februar 2004 wird der Gesundheitssektor als schwer in Mitleidenschaft gezogen und
die Wiederherstellung der medizinischen Grundversorgung als prioritär, aber kurz- oder
mittelfristig schwer möglich und die Behandlungsmöglichkeiten für Psychiatriepatienten
als äußerst begrenzt beschrieben; psychische Erkrankungen wie PTBS, Depressionen
usw. würden im öffentlichen Gesundheitswesen in der Regel rein medikamentös
behandelt; Behandlungsplätze im privaten Bereich seien aber sehr begrenzt und die
Kosten einer solchen Behandlung vom Patienten zu tragen. Die Schweizerische
Flüchtlingshilfe berichtet in einem Update vom 24. Mai 2004, mittlerweile sei eine
medizinische Basisversorgung im Kosovo - bei regionalen Besonderheiten - wieder
gewährleistet, wohingegen im sekundären und terziären Sektor sowie in der
psychiatrischen Versorgung Behandlungsmöglichkeiten entfielen; von den geplanten
sieben Community Mental Health Centres - an anderer Stelle Community Mental Health
Care bezeichnet - (CMHC) -, vierzehn geschützten Häusern als
Rehabilitationsunterkünften und sechs psychiatrischen Intensivstationen in
bestehenden Krankenhäusern stünden sieben CMHC als Tageszentren zur Verfügung,
in denen schwer chronisch mental Erkrankten durch Medikamentierung und
gesprächsweise Überprüfung dessen bei der Rehabilitation und Integration geholfen
werde; die Behandlung von PTBS erfolge biologisch-medikamentös, zur
Psychotherapie fähiges Fachpersonal fehle; die medikamentöse Behandlung sei
bezüglich der Langzeitfolgen einer mittleren oder schweren PTBS wirkungslos; eine
adäquate Behandlung sei dagegen in Nicht- Regierungsorganisationen (NRO) wie
67
Kosovo Rehabilitation Centre of Torture Victims (KRCT), Centre for Stress Management
and Education (CSME), Centre for the Protection for Women and Children (CPWC) u. a.
möglich, die allerdings deutlich überlastet seien. Demgegenüber hat das Deutsche
Verbindungsbüro Kosovo unter dem 19. November 2003 dem Verwaltungsgericht
Düsseldorf berichtet, die Behandlung psychischer Krankheiten - auch einer PTBS -
könne im Kosovo auch durch Gesprächstherapie erfolgen, und zwar durch zwei in Q.
privat praktizierende qualifizierte Ärzte; eine Psychiatrie in einfacher Form werde in den
CMHC angeboten. Gleiches berichtet das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom
20. November 2003 an das Verwaltungsgericht Kassel. Gegen diese Darstellung
wendet sich die Fachärztin Dr. Schlüter-Müller in einem Schreiben an Rechtsanwalt M.
vom 14. Februar 2004, in dem sie u. a. die Qualifikation der zwei Behandler in Frage
zieht und die Behandlung in den CMHC als biologisch-pharmakologisch orientiert und
die psychiatrischen Gespräche als nur der Überprüfung der Medikamentierung dienend
bezeichnet. In einer Auskunft vom 16. April 2004 an das Verwaltungsgericht Osnabrück
bzw. vom 4. Juni 2004 an das Verwaltungsgericht Stuttgart wie auch in früheren
gleichlautenden Auskünften aus Januar 2004 (ASYLIS-WEB: SER00054807 und
SER00054809 sowie SER00054800, www.bafl.de/asylis) teilt das Deutsche
Verbindungsbüro Kosovo jedoch mit näherer Begründung erneut mit, dass a) ein
depressives Syndrom mit Somatisierungsstörung und b) eine PTBS sowie c) allgemein
psychisch Kranke im Kosovo medikamentös und durch kontinuierliche nervenärztliche
bzw. psychotherapeutische Betreuung behandelbar seien; die im öffentlichen
Gesundheitswesen tätigen Ärzte gäben an, psychotherapeutisch orientierte Gespräche
auch mit PTBS-Patienten führen zu können; der leitende Arzt des Universitätsklinikums
Q. und Vertrauensärzte des Verbindungsbüros hielten trotz fehlender
psychotherapeutischer Qualifikation supportive Gespräche mit albanisch sprechenden
Fachärzten in sicherer Umgebung für therapeutisch wirksam. Im Kern gleichlautende
Auskünfte hat das Verbindungsbüro in der Folgezeit noch mehrfach erteilt, so an die
Stadt Duisburg unter dem 28. Mai 2004, dem 7. Juni 2004 (ASYLIS-WEB:
SER00056870, a. a. O.), dem 17. Juli 2004 (ASYLIS-WEB: SER00056892, a. a. O.) und
dem 18. Juni 2004 (ASYLIS-WEB: SER00056897, a. a. O.) sowie in neuerer Zeit am 7.
Oktober 2004 an das Bundesamt. Ebenso verhält sich der jüngste Lagebericht Serbien
und Montenegro (Kosovo) des Auswärtigen Amts vom 4. November 2004.
Aus all diesen Erkenntnisquellen ergibt sich für den Senat ein Bild, wonach die schon
vor der kriegerischen Auseinandersetzung geschwächte allgemeine
Gesundheitsversorgung im Kosovo zwar in jüngster Zeit gezielt verstärkt worden ist,
aber noch längst nicht zufrieden stellen kann und nicht annähernd den Standard der
deutschen Gesundheitsversorgung erreicht hat; eine psychische Erkrankung,
insbesondere PTBS und schwere Depression, aber auch Anpassungsstörung mit
depressiver Reaktion und Alpträumen, in stark belasteten Einrichtungen des öffentlichen
Gesundheitswesens medikamentös bei wirkkontrollehalber begleitend durchgeführten
supportiven Gesprächen durch psychotherapeutisch nur eingeschränkt befähigtes
ärztliches Personal behandelt wird und eine psychotherapeutische Behandlung durch
qualifizierte Fachärzte nur in den ebenfalls stark frequentierten NRO durchgeführt
werden kann. Soweit insbesondere die Fachärztin Dr. Schlüter- Müller und die
Schweizer Flüchtlingshilfe eine unzureichende Psychotherapie im Kosovo bemängeln,
geschieht dies erkennbar unter dem Blickwinkel einer Heilung oder Linderung
bewirkenden Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen nach hier allerdings
nicht maßgebenden deutschen oder westeuropäischen Standards. Das ergibt sich aus
den Ausführungen der Fachärztin Dr. Schlüter- Müller vom 29. Juli 2003, wonach alle
internationalen Studien zeigten, dass eine medikamentöse Behandlung nur mit
68
zusätzlicher Psychotherapie langfristig "erfolgreich" sei; medikamentöse Behandlung
könne nur helfen, die Symptome zu reduzieren. Supportive Gespräche helfen nach ihrer
Stellungnahme vom 14. Juni 2004 sehr wohl. Auch spricht die Schweizer
Flüchtlingshilfe in ihrem Update vom 24. Mai 2004 mit Blick auf die geschilderte
medikamentöse Behandlung psychischer Erkrankungen von nicht geeigneten
Strukturen für die "Rehabilitation" von chronischen Psychiatrie- Patienten; der Einsatz
von Medikamenten könne hilfreich sein, ersetze aber eine Psychotherapie nicht. Auch
diejenigen Erkenntnisquellen, die die Behandlungsmöglichkeiten für schwere
psychische Erkrankungen im Kosovo für unzureichend halten, stellen somit eine
grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit, und zwar eine medikamentöse und
kontrollehalber begleitende, supportive gesprächstherapeutische Behandlung, nicht in
Abrede, messen ihr aber langfristig die erhoffte heilende oder die Symptome
unterdrückende Wirkung nicht zu. Das bedeutet, dass auch von diesen kritischen
Stellungnahmen zur medizinischen Versorgungslage im Kosovo eine Verschlimmerung
einer vorliegenden psychischen Erkrankung wie etwa hier eine Anpassungsstörung mit
depressiver Reaktion und Alpträumen im Sinne einer erheblichen Gefahr für Leib und
Leben bei Behandlung nach den im Kosovo gegebenen Möglichkeiten nicht definitiv
behauptet wird. Vom Deutschen Verbindungsbüro Kosovo wird insbesondere in den
jüngeren Auskünften mehrfach betont, dass namhafte albanische Ärzte die Auffassung
vertreten, dass supportive Gespräche trotz fehlender psychotherapeutischer
Medikamentation in sicherer Umgebung therapeutisch wirksam seien. Das bedeutet
nichts anderes, als dass die regelmäßig zu erwartende medikamentöse Behandlung mit
begleitender Gesprächstherapie jedenfalls zur Vermeidung einer Verschlimmerung des
aktuellen Krankheits- bzw. Gesundheitszustands geeignet ist und keine überwiegend
wahrscheinliche Gefahr einer Verschlimmerung der Krankheit und erst recht nicht eine
Verschlimmerung vom oben beschriebenen Gewicht begründet. Das gilt erst recht für
depressive Störungen oder depressive Reaktionen oder Anpassungsstörungen mit
depressiven Störungen, die im Grundprinzip - antidepressiv - medikamentös mit
begleitender, stützender Psychotherapie - auch in ambulanter Form - behandelt werden.
Vgl. hierzu Florange, Gutachten vom 2. Mai 2004 an VG Düsseldorf.
69
Diese Einschätzung wird bestärkt, wenn nicht sogar in Richtung einer gewissen
Heilungsaussicht erweitert, durch die in den vorliegenden Erkenntnisquellen
geschilderte Behandlungstätigkeit der vielen im Kosovo tätigen Nicht-
Regierungsorganisationen, die selbst schwere psychische Erkrankungen und diese im
Wege der qualifizierten Gesprächstherapie behandeln, sowie der freiberuflich
niedergelassenen Psychotherapeuten.
70
Soweit von Seiten der Abschiebungsschutz begehrenden Ausländer eingewandt wird,
die vom Deutschen Verbindungsbüro Kosovo geschilderte Versorgungslage sei
bewusst geschönt und nicht verwertbar, vermag sich der Senat dem nicht
anzuschließen. Die Darstellung der Gegebenheiten durch diese Quelle steht nicht etwa
mit derjenigen der Fachärztin Dr. Schlüter-Müller und der Schweizer Flüchtlingshilfe im
Widerspruch. Letztere nehmen in ihren Stellungnahmen anders als das
Verbindungsbüro lediglich eine Wertung unter bestimmtem Blickwinkel vor, indem sie
am Maßstab europäischer Standards die Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo für
psychische Erkrankungen für unzureichend für einen Heilungserfolg halten. Für eine
geschönte, unrealistische Darstellung des Verbindungsbüros liegen Anhaltspunkte nicht
vor, zumal dessen Stellungnahmen Fakten ohne Wertungen beinhalten und auf
Informationen von Vertragsärzten beruhen (vgl zu letzterem: Deutsches
71
Verbindungsbüro vom 7. Juni 2004, ASYLIS-WEB: SER00056870, a.a.O.; Deutsche
Botschaft vom 30. Juni 2004, ASYLIS-WEB: SER25856002, a.a.O.). Im Übrigen können
ausgehend von der ständigen Rechtsprechung Stellungnahmen des Auswärtigen Amts
und deutscher Auslandsvertretungen und deren Dienststellen zur
Beurteilungsgrundlage in Asyl- und/oder Abschiebungsrechtsstreiten gemacht werden.
Vgl. hierzu GK AsylVfG, Stand 4. 98, § 78 Rdn. 400, m. Rspr. d. BVerwG; ferner
BVerwG, Urteil vom 30. Dezember 1997 - 11 B 3.97 -, NVwZ 1998, 634, und Beschluss
vom 6. Oktober 1998 - 3 B 35.98 -, NVwZ 1999, 184.
72
Soweit die Qualifikation der freiberuflich tätigen und anderer Psychotherapeuten im
Kosovo von der Fachärztin Dr. Schlüter-Müller angezweifelt wird, ist bereits deren
Berechtigung und Befähigung zur Bewertung der Kenntnisse und Fertigkeiten der
betroffenen Therapeuten und der Wirksamkeit ihrer Behandlungsmethoden nicht
erkennbar sowie deren Wertung wegen des - unzutreffenden - Vergleichs mit deutschen
und europäischen Behandlungsstandards und im Übrigen als persönliche Ansicht nicht
maßgebend. Die von ihr wegen der Kriegserlebnisse für behandlungsbedürftig
gehaltene Zahl von 140- bis 200tausend Menschen des Kosovo, die aus Sicht
eines/einer engagierten Facharztes/Fachärztin verständlich ist, bedeutet nicht, dass all
diese Menschen Psychotherapie nachfragen oder ohne eine solche Traumafolgen oder
sonstige psychische Störungen nicht überwinden oder nicht auf ein tragbares Maß
durch gebotenes Eigenverhalten und Eigenheilkraft mindern, wie das beispielsweise
vielen Tausend ausgebombten und/oder kriegsvertriebenen Deutschen gelungen ist.
Auf die von ihr angesprochene Dauer für eine Versöhnung zwischen Albanern und
Serben und die Frage eines Zusammenlebens dieser Völker kommt es nicht an, weil
psychisch Kranke im Kosovo keine Behandlung durch Serben erwartet.
73
Soweit von Seiten der Abschiebungsschutz begehrenden Ausländer sinngemäß darauf
hingewiesen wird, bei Rückführung in den Kosovo werde ggf. eine in Deutschland
aufgenommene Therapie abgebrochen, man falle in ein Loch der Schutzlosigkeit oder
es würden im Land der Peiniger die Krankheitssymptome erneut ausgelöst und
verstärkt, führt auch das unter Berücksichtigung des - in den obigen Ausführungen
angeführten - Zumutbarkeitsgesichtspunkts nicht zur Annahme einer überwiegend
wahrscheinlichen wesentlichen oder gar lebensbedrohenden
Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existentiellen Gesundheitsgefahr. Der
Ausländer muss sich darauf verweisen lassen, und kann dieses Faktum nicht
permanent ausblenden, dass er in das Land seiner kulturellen Heimat in befriedetem
Zustand zurückkehrt, wo einer Verschlimmerung seiner psychischen Erkrankung
entgegenwirkende Behandlungsmöglichkeiten bestehen und es ihm zumutbar ist, sich
gegebenenfalls mit Unterstützung seines Familienverbandes um Behandlung zu
bemühen und sie wahrzunehmen sowie seinen Lebensbereich in einer bezüglich seiner
psychischen Krankheit unkritischen Region zu begründen. Hinzuweisen ist zudem
darauf, dass in der Wissenschaft die beachtliche Ansicht vertreten wird, die Behandlung
schwerer psychischer Erkrankungen habe auch und gerade im muttersprachlichen,
kulturell vertrauten und befriedeten Heimatland gute Erfolgsaussichten.
74
Vgl. hierzu v. Krieken, InfAuslR 2000, 518 ff.; Krebs, Kath. Klin. Duisburg, Gutachten
vom 12. Februar 2004.
75
In der Wissenschaft wird für den Erfolg psychotherapeutischer Behandlung ein dem
Patienten bewusstes friedliches, Sicherheit vor erneuter Verfolgung, Gewalt,
76
Demütigung, Angst vor Konfrontation mit dem Ort des Geschehens usw. bietendes
Umfeld verlangt. Dem kann bei einer Gesamtschau aller Vorteile und Nachteile eines
Lebens des Ausländers in Deutschland und im Heimatland in heimatlicher befriedeter
Umgebung und heimatlicher Kultur incl. Sozialgemeinschaft mindestens genauso, wenn
nicht besser Rechnung getragen werden. Eine Therapie in Deutschland wird
regelmäßig unter der dem Erkrankten bewussten "Drohung" seiner und seiner Familie
Abschiebung im Fall seiner Gesundung stehen, was er als Störung seiner erworbenen
Sicherheit empfinden und worauf er mit Zurückhaltung bei der gebotenen Mitwirkung
reagieren wird, so dass die Therapie regelmäßig geringere Erfolgsaussichten haben
wird.
Vgl. hierzu Haenel, Zur Begutachtung psychischreaktiver Traumafolgen in
aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Zeitschrift für Psychotraumatologie und
Psychologische Medizin, 2003, Heft 4, S. 19/30.
77
Das für eine erfolgreiche Behandlung vielfach geforderte Bleiberecht auf Dauer in
Deutschland für den ausreisepflichtigen Ausländer und möglichst für seine gesamte
Familie
78
vgl. hierzu Diakonisches Werk in Kurhessen-Waldeck, Positionspapier zum Thema
Trauma und Abschiebung, 12. Juli 2004, an VG Kassel m. w. N.
79
sieht das Ausländerrecht aber nicht vor. Überdies ist eine in Deutschland vermittels
eines Dolmetschers durchgeführte Gesprächstherapie ohnehin kommunikativ und
therapeutseits-reaktiv weniger zielführend als eine muttersprachlich im Kosovo
durchgeführte Therapie.
80
Soweit vom traumatisierten oder sonst psychisch kranken ausreisepflichtigen Ausländer
vorgebracht wird, eine Rückkehr an den Ort seiner psychischen Erschütterung sei
unzumutbar und führe zu einer Retraumatisierung oder zum Wiederausbruch oder zur
Verschlimmerung seiner psychischen Krankheit, führt das ebenfalls nicht zur Annahme
überwiegend wahrscheinlicher Leibes- und Lebensgefahren von der beschriebenen
Schwere. Auch insoweit ist es dem Betreffenden zumutbar, seinen Lebensmittelpunkt an
einem Ort zu begründen, wo diese Folgen nicht drohen, und den befürchteten Folgen
mit den gegebenen Behandlungsmöglichkeiten zu begegnen. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, jeder Ort des Heimatlandes sei insoweit ungeeignet und
löse bei dem Rückkehrer die gleichen Folgen aus. Die Lebenserfahrung spricht gegen
die Richtigkeit einer solchen Behauptung. Sie hätte zur Konsequenz, dass jeder
traumatisierte oder sonst psychisch kranke Mensch nur außerhalb seines Heimatlandes
erfolgreich therapiert werden könnte. Dass solches unzutreffend ist, beweist die
Tatsache, dass viele öffentliche Einrichtungen und NRO im Kosovo
psychotherapeutisch tätig sind und ihnen keinesfalls von vornherein ein Misserfolg
zugesprochen werden kann. Im Übrigen leuchtet nicht ein, weshalb einem psychisch
schwer belasteten Ausländer nicht zugemutet werden darf, das Schicksal seiner in der
Heimat verbliebenen ebenfalls psychisch schwer belasteten Landsleute zu teilen und
Krankheitssymptome wie quälende Erinnerungen an und bedrückende Träume von
Verwandte/n im Heimatland zu überwinden.
81
Für den evtl. gegen seinen Willen in sein Heimatland zurückgeführten an
Anpassungsstörung mit Depression und Alpträumen leidenden Ausländer ist ein Dasein
im Heimatland mit den möglicherweise auf ihn zukommenden körperlichen und
82
psychischen Beeinträchtigungen bei den - wie hier - im Heimatland gegebenen
Behandlungsmöglichkeiten aus Sicht des Senats nicht unzumutbar. Das gilt erst recht,
wenn der psychisch kranke Ausländer den Ort und die Umstände der akuten Auslösung
der psychischen Erkrankung meiden kann. In der asylrechtlichen Rechtsprechung ist
anerkannt, dass sich der Asylbewerber nicht erfolgreich auf eine politische Verfolgung
berufen kann, wenn sich ihm im Heimatland eine zumutbare Fluchtalternative bietet.
Das gilt entsprechend für Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Bietet sich
dem ausreisepflichtigen Ausländer im Abschiebungszielland eine zumutbare Region, in
welcher ihm Gefahren im Sinne des früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. des § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, besteht
kein Grund für Abschiebungsschutz.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, a.a.O., zum
Abschiebungsschutz, und vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, DVBl. 1997, 182, zum
Asylrecht."
83
An diesen Ausführungen hält der Senat fest. Sie werden nicht erschüttert durch die
Stellungnahme der UNMIK aus Januar 2005, die erkennbar vor dem Hintergrund der
organisatorischen Probleme der Eingliederung von Rückkehrern und der bekannten
Mangelsituation im Gesundheitsversorgungsbereich ergangen ist, die aber gleichwohl
die notwendige hinreichende Sicherheit einer Krankheitsverschlimmerung von - im
beschriebenen Sinn - existentieller Schwere für einen psychisch kranken, an PTBS
und/oder Depression leidenden Rückkehrer ebenfalls nicht vermittelt.
84
So bereits OVG NRW, Beschluss vom 20. Mai 2005
85
- 13 A 11751/05.A -. (vgl. dazu auch Deutsches Verbindungsbüro Kosovo,
Stellungnahme vom 17. Oktober 2005 an Bundesamt, zum Hintergrund der Mitteilung
von UNMIK und ORC über eine Nichtbehandelbarkeit von PTBS im Kosovo).
86
Diese grundlegenden Ausführungen treffen auch für den Fall der Klägerin zu; es ist im
Hinblick auf die von ihr geltend gemachte Erkrankung nicht erkennbar, dass in ihrem
Fall eine gegenüber den vorstehenden Ausführungen abweichende Wertung geboten
ist. Die Erkrankung ist nämlich entsprechend den obigen Ausführungen in Würdigung
aller in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen (§ 108 Abs. 1 VwGO)
und des dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG immanenten Zumutbarkeitsgesichtspunkts
und unter Berücksichtigung krankheitsstabilisierender Gegebenheiten in der Heimat der
Klägerin generell jedenfalls soweit behandelbar, dass sie bei dem gebotenen Mitwirken
der Klägerin - ggf. nach einer vorübergehenden Phase rückführungsbedingter
verstärkter Krankheitssymptome - auf ein Niveau gebracht und gehalten werden kann,
dass dem Krankheitsbild, das Gegenstand des vorliegenden Rechtstreits ist, entspricht
und mit dem die Klägerin erkennbar im Zufluchtland Deutschland ohne existentielle
Gefährdungen leben kann. Nicht entscheidend ist das mögliche verstärkte Auftreten von
Krankheitssymptomen in unmittelbarem Zusammenhang mit der gegen den Willen des
Betroffenen durchgeführten Rückführung. Solche eventuellen Leibes- und
Lebensgefahren knüpfen nicht an Gegebenheiten des Heimatlandes, sondern an die
Trennung des Betroffenen vom Zufluchtland an und können gegenüber dem Bundesamt
ohnehin nicht geltend gemacht sowie im Übrigen durch mentale und medikamentöse
Vorbereitungen und eine begleitende ärztliche Versorgung des Betroffenen auf ein
hinnehmbares Maß reduziert werden. Eine allein auf die Phase der Rückführung ohne
einen zukunftsgerichteten Blick ausgerichtete Gefahrenbewertung würde den
87
Anwendungsbereich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG überdehnen und könnte ein
vermehrtes Geltendmachen von Krankheitsverschärfungen im Zuge der Rückführung
bewirken.
Der Klägerin ist es in Bezug auf ihre psychische Erkrankung zumutbar, die insoweit
bestehenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo wahrzunehmen. Die Symptome
einer PTBS bzw. Depression sind im Kosovo durch medikamentöse Behandlung im
Zusammenwirken mit begleitenden kontrollierenden Gesprächen auf ein tragfähiges
und zumutbares Maß reduzierbar und beherrschbar. Die Auskünfte des Deutschen
Verbindungsbüros Kosovo verweisen auf eine Vielzahl von Basismedikamenten zur
Behandlung psychischer Erkrankungen. Antidepressiva sind im Kosovo erhältlich. Ob
es sich dabei um genau die Mittel handelt, die bei der Behandlung der Klägerin in
Deutschland eingesetzt werden, ist nicht entscheidend, weil die Klägerin nicht dargelegt
hat, zwingend auf ein bestimmtes, im Kosovo nicht erhältliches Medikament
angewiesen zu sein. Die Mittel sind gegen eine geringfügige Zuzahlung regelmäßig
erwerbbar oder aus dem Ausland in angemessener Zeit beziehbar. Die Behandlung im
öffentlichen Gesundheitswesen des Kosovo, zu dem im weitesten Sinne auch die NRO
zählen, ist kostenfrei oder weitgehend kostenfrei. Erste Behandlungstermine - auch mit
dem Ziel begleitender Gespräche - sind nach den glaubhaften Auskünften des
Verbindungsbüros nach ca. einer Woche zu erhalten. Bei diesen Gegebenheiten kann
der ausreisepflichtige Ausländer sich auf die Interimszeit bis zur Behandlungsaufnahme
im Kosovo einstellen und/oder von seinem Therapeuten in Deutschland - von dem
erwartet werden muss, dass er seine Patienten nach objektiven Kriterien therapiert und
diese, auch wenn ihm evtl. an ihrer Weiterbetreuung gelegen ist, nicht einseitig in ihrer
Meinung bestätigt, in Deutschland bleiben zu können - medikamentös und mental
vorbereitet werden. Der im befriedeten Bereich seiner Heimat gleichwohl von
Symptomen einer PTBS oder Depression gekennzeichnete Mensch kann zwar als
krank bezeichnet werden; er ist aber i.S.d. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht so
krank, insbesondere nicht akut lebensbedroht oder unaufschiebbar
behandlungsbedürftigen schweren Schmerzen ausgesetzt, dass er bei Wahrnehmung
der Behandlungsmöglichkeiten nicht ein Leben in einem Gesundheitszustand führen
könnte, den er in Deutschland erkennbar erträgt, oder dass er gar lebensunfähig wäre.
88
Soweit die Klägerin befürchtet, dass ihre Rückführung in den Kosovo einem - ggf.
bereits erzielten - Therapieerfolg entgegenstehen wird sowie bei ihrem Aufenthalt in der
Heimat die posttraumatisch-depressiven Störungen bei ihr verstärkt auftreten und so
eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung eintritt, begründet auch dies kein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Entscheidend ist, ob bei
objektiver Betrachtung eines existentielle Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann. Das ist nicht der Fall.
Denn der Klägerin sind die Möglichkeiten einer Behandlung ihrer psychischen
Erkrankung im Kosovo, wenn diese auch kein westeuropäisches Niveau aufweisen,
nicht verschlossen und die körperlichen und seelischen Auswirkungen ihrer Krankheit
sind für sie ertragbar. Für diese Wertung spricht auch, dass sehr viele Menschen,
insbesondere kosovarische Frauen, die wie viele andere auf der Welt vom Schicksal
eines Krieges und dessen Folgen unmittelbar betroffen waren bzw. sind und keinen
Schutz in einem Fluchtland finden konnten, Ängste wegen ungewisser wirtschaftlich-
finanzieller Perspektiven und mangelnder Gesundheitsversorgung, Erinnerungen an
Greueltaten, körperliche Strapazen u. a. in den Griff bekommen und ertragen haben
sowie ihr Leben selbst bei einer Wesensveränderung infolge dauerhafter Wunden ihrer
Psyche haben gestalten können, ohne körperlich oder geistig zu zerbrechen und
89
sonstwie lebensunfähig zu werden. Dafür, dass die Klägerin im Kosovo an den
Auswirkungen ihrer psychischen Erkrankung derart leiden könnte, dass sie nur noch
quasi dahin vegetierte, lebensunfähig wäre oder in einen Suizid getrieben würde, liegen
keine Anhaltspunkte vor, und ist dies nicht wahrscheinlich.
Auf einen Erfolg einer Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin im Sinne
einer Heilung oder Linderung, die selbst nach einer mehrjährigen qualifizierten
psychotherapeutischen Behandlung in Deutschland keinesfalls als sicher erwartet
werden kann, kommt es bereits nicht an. Abgesehen davon, dass die Klägerin durch
Fortführung ihrer Klage verdeutlicht, dass trotz ihrer vierjährigen Behandlung durch Dr.
B. -K. in Deutschland ihr Krankheitszustand immer noch einer Abschiebung
entgegenstehen soll, wird erfahrungsgemäß auch eine fortdauernde Behandlung einer
psychischen Erkrankung die einmal geschlagenen Wunden der Psyche nie heilen,
sondern allenfalls die Wirkungen dessen lindern und den Umgang der Betroffenen mit
ihnen erleichtern können.
90
Vgl. hierzu Gierlichs u. a. ZAR 2005, 158/1159; medica mondiale, Krieg und
Traumatisierung, www.medicamondiale.org./trauma/kriegstrauma.
91
In dem Zusammenhang kann ferner darauf hingewiesen werden, dass der abgelehnte
Asylbewerber ohnehin keinen Anspruch auf Krankenhilfe zur Heilung einer PTBS und
damit einhergehender Depression hat. § 4 Abs. 1 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz
gewährt Krankenhilfe nur zur Behandlung akuter Erkrankungen und von
Schmerzzuständen, nicht hingegen zur Behandlung oder gar Heilung chronischer
Krankheiten. Dem liegt die Wertung des Gesetzgebers zu Grunde, dass der
grundsätzlich ausreisepflichtige erfolglose Asylbewerber eine Heilung eines
chronischen Krankheitszustandes auf Kosten der deutschen Allgemeinheit nicht
beanspruchen können soll und ihm für die Zeit seines Aufenthalts in Deutschland das
Ertragen dieses Zustands mit Ausnahme einer Akuterkrankung und eines
Schmerzzustands zugemutet wird. Dann muss es konsequenterweise für den
ausreisepflichtigen Ausländer auch zumutbar sein, sich nach Rückkehr in den Kosovo
für den Fall dort fehlender oder nicht erreichbarer adäquater Psychotherapie mit einer -
dort erhältlichen - medikamentösen Therapie, insbesondere mit einer medikamentösen
Behandlung von Akut- und Schmerzzuständen zu begnügen; das gilt erst recht unter
Berücksichtigung von möglichen, die medikamentöse Therapie unterstützenden - wenn
auch westeuropäischen Standards nicht entsprechenden - Gesprächen. Da die übrigen
Mitglieder der Familie der Klägerin sich, soweit ersichtlich, nicht auf ein Bleiberecht in
Deutschland berufen können, ist zudem von einer Rückkehr der gesamten Familie der
Klägerin in den Kosovo auszugehen, so dass die Klägerin dort im vertrauten Umfeld
ihrer Familie leben und dies einer Therapie wegen ihrer Erkrankung entgegenkommen
wird. Auf eine Therapie in Deutschland - zudem im Umfeld ihrer Familie - hat die
Klägerin hingegen, wie ausgeführt, keinen Anspruch.
92
Unwahrscheinlich ist, dass die Klägerin im Kosovo an ihren Ängsten wegen
mangelnder Gesundheitsversorgung oder finanzieller Perspektive zerbrechen könnte.
Die Klägerin wird vor Ort erkennen, dass die Provinz Kosovo inzwischen für ihre
Volksgruppe ein befriedetes Umfeld bietet, die Grundversorgung im Kosovo im Hinblick
auf Wohnunterkunft, Verpflegung sowie medizinische Versorgung - wenn auch nicht
deutschen Verhältnissen entsprechend, auf die es nicht ankommt - gesichert ist und in
Notfällen Sozialhilfe geleistet wird.
93
Vgl. insoweit AA Lagebericht Kosovo, November 2005.
94
Ferner ist zu erwarten, dass die Klägerin, wenn sie erst einmal in ihre Heimat
zurückgekehrt und den alle Kosovaren gleichermaßen treffenden Schwierigkeiten des
täglichen Lebens ausgesetzt ist, diese in der gleichen Weise wie ihre Landsleute
angehen und im Kreis ihrer Großfamilie bewältigen wird. Der Senat hält sie dazu für
fähig, zumal sie vor der Gutachterin auch starke Willenszüge gezeigt hat - vgl. insoweit
Gutachten S. 16 -, nach einer Rückkehr in ihre Heimat dem Druck nicht mehr ausgesetzt
ist, dass von ihrer Krankheit und darauf gestütztem Abschiebungsschutzbegehren das
Bleiberecht der ganzen Familie in Deutschland abhängt, und von Berichten westlicher
Medien über Greueltaten im Kosovo - die ihr nach ihren Bekundungen vor der
Gutachterin Alpträume und Ängste bereitet haben, aber schon seit längerem in
Ermangelung solcher Ereignisse nicht mehr erfolgen - nicht mehr belastet sein wird,
jedenfalls aber deren Kenntnisnahme zumutbarerweise zurückweisen oder anders als
bisher bewerten kann.
95
Ebenfalls unwahrscheinlich ist die Gefahr eines Suizids der Klägerin nach Rückkehr in
den Kosovo. Im Hinblick auf eine bei einem ausreisepflichtigen Ausländer geäußerte
Suizidalität hat der Senat bereits mit Beschluss vom 30. Dezember 2004 - 13 A
1250/04.A - ausgeführt:
96
Soweit ein ausreisepflichtiger erfolgloser Asylbewerber suizidale Absichten äußert oder
ihm eine Suizidgefahr vom Arzt attestiert wird, führt das regelmäßig nicht zu einem vom
Bundesamt anzuerkennenden Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.
Sinngemäßen Äußerungen des Ausländers dahin, lieber den Tod als eine Rückkehr in
das Land der Verfolger oder Peiniger hinzunehmen, ist ohnehin mit besonderer
Erforschung ihrer Ernsthaftigkeit zu begegnen. Auch eine ärztliche Attestierung einer
Suizidgefahr begründet für sich allein gesehen kein vom Bundesamt anzuerkennendes
Abschiebungshindernis. Ist die Suizidgefahr zurückzuführen auf die psychische
Belastung wegen anstehender Abschiebung oder deren Vollzug in Deutschland,
handelt es sich bereits nicht um ein zielstaatsbezogenes, weil nicht an besondere
Gegebenheiten im Abschiebungszielland anknüpfendes Hindernis,
97
vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998,
241, und Beschluss vom 16. April 2002 - 2 BvR 553/02 -, InfAuslR 2002, 4150,
98
das allein gegenüber dem Bundesamt geltend gemacht werden kann. Bei der
Durchführung der Abschiebung kann und ist gegebenenfalls der Suizidgefahr, soweit
sie ernsthaft zu befürchten ist, durch geeignete Vorkehrungen und Gestaltung der
Abschiebung zu begegnen. Ist nach Rückkehr in das Heimatland die Gefahr eines
Suizids wegen dortiger Umstände nicht auszuschließen, handelt es sich zum einen
hinsichtlich des Eintritts der Tat regelmäßig um ein ungewisses und - im Rahmen des §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - bezüglich seiner Eintrittswahrscheinlichkeit nicht annähernd
greifbares und deshalb nicht konkretes Ereignis sowie zum anderen, wenn das
Heimatland hinreichend Behandlungsmöglichkeiten für die als Abschiebungshindernis
geltend gemachte Erkrankung bietet, eben nicht um ein an Gegebenheiten im
Heimatland anknüpfendes, sondern um ein allein der Person des Ausländers
zuzuschreibendes und von seinem individuellen Entschluss abhängendes Ereignis.
99
Ergänzend hierzu hat er im Beschluss vom 2. August 2005 - 13 A 4442/03.A -
ausgeführt:
100
Im Übrigen können Suizidgedanken und -handlungen in Zusammenhang mit auf
Angehörige bezogenen Abschiebungsmaßnahmen generell nicht als Instrumente dafür
dienen, persönliche Wunschvorstellungen eines ausreisepflichtigen Ausländers nach
einem weiteren Verbleib in Deutschland oder einem Zusammenhalt der Familie zu
realisieren und deshalb von einer mangels eines Bleiberechts für Deutschland an sich
gebotenen Abschiebung zeitweilig oder auf Dauer abzusehen. Dies würde letztlich in
einer Art Erpressung des Staates zu einem im Interesse der Durch- und Umsetzung
ausländerrechtlicher Maßnahmen nicht zu akzeptierenden Druck auf die mit der
Durchführung ausländerrechtlicher Bestimmungen betrauten Behörden führen und
darauf hinauslaufen, dass auf eine Abschiebung verzichtet werden müsste und somit
die maßgebenden ausländerrechtlichen Bestimmungen ins Leere gehen würden.
101
Hieran hält der Senat fest. Auch im Fall der Klägerin bestehen keine eine Suizidgefahr
überwiegend wahrscheinlich machenden Anhaltspunkte. Das Gutachten vom 19.
Dezember 2003 spricht bei einem Testergebnis lediglich von einer gewissen
Suizidalität der Klägerin. Das reduziert eine Suizidgefahr auf eine - nie ausschließbare -
theoretische Möglichkeit, die nahezu bei jedem nach langem Aufenthalt in Deutschland
auf einen Verbleib fixierten Rückreisepflichtigen angenommen werden könnte. Eine
solche theoretische Möglichkeit durch Gewährung von - letztlich dauerhaftem -
Abschiebungsschutz auszuschließen, kann von keinem Zufluchtland verlangt werden
und verlangt auch nicht die EMRK; sie begründet denn auch keine beachtliche
Wahrscheinlichkeit.
102
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162,
171, zum asylrechtlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
103
Es ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin durch die existentiellen
Rahmenbedingungen im Kosovo in eine solche verzweifelte Lage getrieben wird, der
sie sich durch Suizid zu entziehen suchte. Die Unterkunftsfrage im Kosovo wird ggf.
nach einer gewissen Zeit der Unterbringung in Übergangsunterkünften den regionalen
Bedürfnissen genügend gelöst, bei finanzieller Notlage eine Sozialhilfe beantragt
werden und bei Wohnsitznahme in W. oder Umgebung wird die Klägerin jedenfalls auf
die Gesundheitsversorgung im etwa 10 km entfernten N. zurückgreifen können, wo sich
ein Regionalkrankenhaus und ein Medical Health Care Center befindet. Insoweit bietet
auch die seit langem befriedete Heimatregion der Klägerin im Kosovo einen
geschützten Raum als Voraussetzung für eine Stabilisierung ihrer psychischen
Krankheit, so dass insoweit suizidale Gedanken der Klägerin nach Rückkehr dorthin
und deren Verwirklichung unwahrscheinlich sind.
104
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit
aus § 167 VwGO, §§ 710, 711, 713 ZPO und die Nichtzulassung der Revision aus dem
Fehlen der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO.
105
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