Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.11.2002

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, wahrscheinlichkeit, staatliche verfolgung, unhcr, regierung, zahl, gefahr, inhaftierung

Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 4834/99.A
Datum:
15.11.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 4834/99.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 9 K 1796/96.A
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der im Jahre 1976 in Na[y]inativu geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger
tamilischer Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge verließ er Sri Lanka am 26.
Februar 1996 auf dem Luftweg mit einem später von einem Schlepper abgenommenen
Pass und reiste am 9. April 1996 aus Leningrad kommend auf dem Landweg in die
Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 10. April 1996 einen Asylantrag stellte.
Hierzu machte er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. April 1996 folgende Angaben: Er sei in
Sri Lanka nicht politisch aktiv gewesen. Vor seiner Ausreise aus Sri Lanka habe er in
Nallur gelebt. Sein Bruder, der sich im Jahre 1990 der LTTE angeschlossen habe, habe
die Familie in Navinatheevu, wo sie damals gelebt hätten, für einen Tag besucht.
Diesen Besuch habe ein Nachbar verraten. Am nächsten Tag seien sie von
Marinesoldaten festgenommen und in das Lager in ihrem Wohnort gebracht worden.
Während er selbst sofort freigelassen worden sei, hätten sie drei Tage später den
Leichnam seines Vaters vor ihrer Haustür gefunden. In der Folgezeit habe er sich bis
zum Jahr 1993 täglich im Stützpunkt der Marinesoldaten melden und eine Unterschrift
leisten müssen. Seit 1991 habe er auf der Halbinsel Jaffna gelebt. Nachdem sein Bruder
bei Kämpfen ein Bein verloren habe, hätte er für die LTTE arbeiten müssen. Dies habe
er nicht gewollt; er sei aber dazu aufgefordert worden. Am 20. Oktober 1995 habe die
Armee Jaffna erobert. Daraufhin seien sie nach Kilinochchi gegangen. Zur Behandlung
einer Krebserkrankung seiner Mutter seien sie von dort - mit einem Passierschein der
LTTE - nach Colombo gereist, wo sie am 7. Januar 1996 angekommen seien. Er hätte
seine Mutter begleiten sollen, um Rekrutierungsversuchen der LTTE und den Kämpfen
bei einer möglichen Eroberung der Stadt durch die Armee zu entgehen. In Colombo
2
habe er in einer Lodge gewohnt, die er auf Anweisung seines Onkels, der in Colombo
ein Geschäft betreibe, nicht verlassen habe. Am 2. Februar 1996 sei er in der Lodge
festgenommen worden. Er sei in ein Lager nach "Kaluththurai" gebracht und dort 10
Tage festgehalten worden. Mit Hilfe eines seinem Onkel bekannten Polizisten und
gegen Zahlung von Bestechungsgeld sei er freigelassen worden. Sein Onkel habe dann
darauf bestanden, dass er das Land verlasse, obwohl er, der Kläger, wieder nach Jaffna
habe zurückkehren wollen. Bis zu seiner Ausreise habe er sich im Hause eines
Singhalesen aufgehalten. Seine Mutter lebe noch in Colombo bei seinem Onkel.
Mit Bescheid vom 2. Mai 1996 lehnte das Bundesamt das Asylbegehren ab, verneinte
das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) sowie
von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und forderte den Kläger unter
Androhung der Abschiebung nach Sri Lanka zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf.
3
Hiergegen hat der Kläger am 21. Mai 1996 Klage erhoben. Während des
erstinstanzlichen Verfahrens erlitt er am 28. Dezember 1997 einen schweren
Arbeitsunfall, aufgrunddessen ihm sein rechter Arm in Höhe des Oberarms amputiert
werden musste.
4
Zur Begründung der Klage, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zu seiner
Anerkennung als Asylberechtigter sowie zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG begehrt hat, hat der
Kläger geltend gemacht, wegen des Verlusts seines Arms werde er im Falle seiner
Rückkehr nach Sri Lanka verdächtigt werden, die LTTE unterstützt zu haben. Es
bestehe die Gefahr, dass er verhaftet und geschlagen werde. Er wisse nicht, wo seine
Mutter sich in Sri Lanka aufhalte.
5
Durch das angefochtene Urteil, auf das verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die
Klage abgewiesen. Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 28. April
2000 hiergegen die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO
zugelassen.
6
Mit seiner am 11. Mai 2000 begründeten Berufung macht der Kläger geltend: Er sei im
Falle einer Rückkehr nach Sri Lanka gefährdet, weil er aufgrund der Amputation seines
rechten Arms in den Verdacht einer aktiven Betätigung für die LTTE gerate.
Bescheinigungen aus Deutschland könnten diesen Verdacht nicht ausräumen. Die
Lage in Sri Lanka habe sich zwischenzeitlich verschärft. Seine Verletztenrente könne
ihm in Sri Lanka nur ausgezahlt werden, wenn er jährlich eine Lebens- und
Wohnsitzbescheinigung vorlege. Das sei ihm als in Sri Lanka politisch Verfolgtem nicht
möglich. Eine Versorgung seines Armstumpfes sei nur in Colombo möglich. Dort könne
er sich jedoch nicht auf Dauer niederlassen. Auch eine Wartung seiner Prothese sei
nicht sichergestellt. Schließlich bringe das Klima in Sri Lanka ein gesteigertes Risiko
von Wundinfektionen mit sich.
7
Der Kläger beantragt,
8
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Mai 1996 zu
verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
9
hilfsweise,
10
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bestehen.
11
Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
12
In der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2002 hat der Senat den Kläger
ergänzend zu seinen Asylgründen befragt. Insoweit wird auf das hierüber gefertigte
Protokoll Bezug genommen. Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die Beteiligten
mit Ladungsverfügung vom 3. September 2002 und mit Verfügung vom 4. November
2002 hingewiesen worden sind (vgl. die dem Urteil als Anlage beigefügte
"Erkenntnisliste Sri Lanka" [Stand: 04.11.2002]), sowie die Auskünfte des Auswärtigen
Amtes vom 6. Juli 2000 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und vom 28. Mai
2001 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden, die Aufsätze von Flück und Keller in der
Zeitschrift Südasien, Ausgabe 3/02 vom 4. Oktober 2002, und der Bericht "Turbulenzen
in Colombo und im Osten offene Gewalt" in der Frankfurter Rundschau vom 26. Oktober
2002 sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der
Ausländerbehörde (Beiakten Hefte 1, 2 und 3) Bezug genommen.
14
Entscheidungsgründe:
15
Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen.
16
I. Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG
17
Die mit dem Hauptantrag verfolgten Ansprüche auf Anerkennung als Asylberechtigter
und auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
stehen dem Kläger - in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) - nicht zu. Für den
Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG folgt dies
schon daraus, dass der Kläger eigenen Angaben zufolge auf dem Landweg und damit
aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16 a
Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG nebst zugehöriger Anlage). Unbeschadet dessen liegen - wie
sogleich ausgeführt werden wird - auch die sonstigen Voraussetzungen für eine
Anerkennung als Asylberechtigter nicht vor.
18
Wegen der für die Beurteilung des Hauptantrags maßgeblichen Ansatzpunkte und
Kriterien wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502, 1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die
Asylberechtigung dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend
relevant, auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
19
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1 GG und
§ 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts
und des politischen Charakters der Verfolgung BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9
C 59.91 -, NVwZ 1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters
bei Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer
20
Konvention (GK) BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42 =
NVwZ 1994, 497 (498 f.).
Für die Beurteilung, ob der Kläger politisch Verfolgter ist, ist nicht darauf abzustellen, ob
er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist,
sondern darauf, ob ihm politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Denn er ist nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist. Mithin kommen nur Nachfluchtgründe in Betracht.
21
Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 und
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 (369) = NVwZ 1992,
578 m.w.N.; zur Übereinstimmung der Maßstäbe nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1
AuslG und Art. 1 A Nr. 2 GK in der praktischen Rechtsanwendung vgl. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9
C 48.92 -, a.a.O.
22
1. Vorverfolgung
23
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben; demgegenüber
genügt hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung
ergibt.
24
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 212, ferner zur Verfassungsmäßigkeit der Substantiierungslast BVerfG,
Beschluss vom 23. Dezember 1985 - 2 BvR 1063/84 -, NVwZ 1987, 487.
25
Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, dass er Sri Lanka auf der Flucht vor
erlittener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat.
26
Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die Darstellung der Erlebnisse, die der Kläger in
den Jahren 1990 bis 1993 mit Angehörigen der srilankischen Marine gehabt haben will,
der Wahrheit entspricht. Hiergegen spricht etwa, dass er bei seiner Anhörung vor dem
Bundesamt einerseits behauptet hat, sich bis 1993 täglich im Stützpunkt der
Marinesoldaten, der sich an seinem Wohnort "Navinatheevu" befunden haben soll,
gemeldet und eine Unterschrift geleistet zu haben, dass er andererseits jedoch
angegeben hat, seit 1991 auf der Halbinsel Jaffna gelebt zu haben. Dem sowie der
Frage, ob es sich bei dem angeblich Erlebten überhaupt um asylerhebliche
Maßnahmen gegen den Kläger gehandelt hat, muss nicht weiter nachgegangen
werden, weil diese Geschehnisse bei der Ausreise des Klägers aus seinem Heimatland
bereits mehrere Jahre zurücklagen und auch nach dem Vortrag des Klägers selbst
nichts dafür spricht, dass sie für seine Ausreise ursächlich gewesen sind.
27
Vgl. zu diesem Erfordernis für die Annahme einer Vorverfolgung und der Bedeutung des
28
Zeitfaktors hierfür BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334
(337).
Nach Angaben des Klägers waren für seinen Entschluss, den Norden Sri Lankas zu
verlassen, vielmehr die Gefährdungen ausschlaggebend, die für ihn aus den
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der LTTE und den srilankischen
Streitkräften resultieren konnten und in die er hineingezogen zu werden fürchtete. Auch
hieraus ergibt sich weder im Hinblick auf das Handeln der LTTE noch im Hinblick auf
die befürchteten Aktionen der srilankischen Armee ein Ansatz für die Annahme einer
politischen Vorverfolgung des Klägers.
29
Zwar kam der LTTE zwischen 1990 und 1995 möglicherweise eine hinreichende
Verfolgungsmacht zu, weil sie seinerzeit - bis zur Rückeroberung der Jaffna- Halbinsel
durch die srilankische Armee im Jahre 1995 (Auswärtiges Amt - AA - 24.10.2001 S. 14;
Keller-Kirchhoff - KK - 04.01.1996 S. 1 ff.) - auf der Jaffna- Halbinsel die tatsächliche
Herrschaftsgewalt ausübte, die mit der Errichtung und Aufrechterhaltung quasi-
staatlicher Strukturen von einer gewissen Stabilität einherging (KK 28.02.1995 S. 15).
30
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 -,
BVerwGE 114, 16 = NVwZ 2001, 815, und - 9 C 21.00 -, BVerwGE 114, 27 = NVwZ
2001, 818.
31
Es ist aber nicht erkennbar, dass sie die ihr zu Gebote stehenden Mittel gegen den
Kläger zu Maßnahmen genutzt hat, die auch nur annähernd die für eine politische
Verfolgung zu fordernde Intensität und Schwere gehabt haben. Der Kläger hat zu keiner
Zeit von irgendwelchen konkreten Maßnahmen der LTTE berichtet, die ihn aus einer
von ihr errichteten "Friedensordnung" ausgegrenzt und in eine ausweglose Lage
versetzt haben, der er nur durch Flucht hätte entkommen können. Bei - hier unterstellter -
"Quasi-Staatlichkeit" der LTTE kommt der Heranziehung zur Verteidigung des
Herrschaftsgebiets, der die vom Kläger angegebenen Hilfstätigkeiten ersichtlich dienten,
sofern sie sich nicht ohnehin in der persönlichen Unterstützung seines Bruders
erschöpften, kein den Kläger ausgrenzender Charakter zu. Denn zu diesen und
ähnlichen Hilfsdiensten wie etwa der Versorgung Verwundeter und der Verpflegung
ihrer Kämpfer zog die LTTE seinerzeit in den umkämpften Gebieten unterschiedslos
weite Teile der tamilischen Bevölkerung heran (AA 24.10.2001 S. 14). Abgesehen
davon ist auch nicht ersichtlich, dass die Maßnahmen der LTTE an ein für den Kläger
unverfügbares Merkmal im asylrechtlichen Sinne anknüpften.
32
Auch die Aktionen der srilankischen Streitkräfte im Rahmen der Kampfhandlungen mit
der LTTE im Bürgerkriegsgebiet im Norden Sri Lankas wie Luftangriffe und
Bombardierungen stellen keine politische Verfolgung dar. Der srilankische Staat hatte in
dieser Region zur damaligen Zeit keine effektive und umfassende Gebietsgewalt inne,
sondern führte im Rahmen des herrschenden Bürgerkrieges mit militärischen Mitteln
einen Kampf um die Rückeroberung bzw. gegen die Loslösung eines Teils seines
Staatsgebiets. Obwohl die - nach Vertreibung der übrigen Bevölkerungsgruppen durch
die LTTE dort faktisch allein noch ansässige - tamilische Zivilbevölkerung durch
militärische Aktionen sowie Einschränkungen der Versorgung und der Zugänglichkeit
der Halbinsel Jaffna erheblich beeinträchtigt wurde, war die Art und Weise der
Kampfführung dabei nicht auf die physische Vernichtung von nach asylerheblichen
Merkmalen bestimmten Personen gerichtet, die keinen Widerstand mehr leisten konnten
oder wollten oder am militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt waren; sie
33
ist auch nicht aufgrund sonstiger Umstände als asylerheblich zu bewerten. Die Aktionen
der Sicherheitskräfte zielten vielmehr trotz ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber der
Zivilbevölkerung ihrer objektiv erkennbaren Gerichtetheit nach nicht auf asylerhebliche -
namentlich ethnische - Persönlichkeitsmerkmale der Opfer, sondern betrafen sie allein
wegen der Tatsache der Anwesenheit im umkämpften Gebiet bzw. zum Zwecke der
Ergreifung von LTTE-Kämpfern oder -Unterstützern und dienten der
Informationsgewinnung über den auch aus dem Umfeld der tamilischen
Zivilbevölkerung heraus operierenden Bürgerkriegsgegner. Der Senat hat dies
wiederholt entschieden (vgl. etwa die Urteile vom 7. Mai 1996 - 21 A 3566/94.A - und
vom 1. Oktober 1996 - 21 A 3050/96.A -). Auf diese Entscheidungen, die auf
Auskunftsmaterial aufbauen, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt worden
ist, wird wegen der Begründung im Einzelnen Bezug genommen; ferner wird auf die
nachfolgenden Ausführungen zur Bürgerkriegssituation im Norden verwiesen.
Eine Vorverfolgung des Klägers ergibt sich auch nicht aus seinem Vorbringen, im
Februar 1996 in Colombo von der Polizei festgenommen, 10 oder 8 Tage festgehalten
und während der Inhaftierungszeit misshandelt worden zu sein. Die geschilderten
Ereignisse können der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Die
diesbezüglichen Angaben des Klägers sind unglaubhaft.
34
Bei der vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobenen
Behauptung, während der Dauer seiner Inhaftierung geschlagen worden zu sein,
handelt es sich offenkundig um eine zielgerichtete, durch den Wunsch nach Erlangung
eines Aufenthaltsrechts motivierte Steigerung seines Vorbringens ohne tatsächliche
Grundlage. Von einer irgendwie gearteten Misshandlung während der Haftzeit hat der
Kläger zuvor weder bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch im erst- oder
zweitinstanzlichen Verfahren zu berichten gewusst, obwohl die Bedeutung eines
derartigen Geschehens für sein Begehren auf der Hand lag. Im Übrigen drängt sich
auch deshalb der Schluss auf, dass der Kläger nicht von tatsächlich Erlebtem berichtet,
weil er keine über die - vermeintlich - asylerhebliche Erklärung, Schläge erlitten zu
haben, hinausgehenden Einzelheiten der angeblichen Misshandlungen mitgeteilt hat;
so fehlen jegliche Angaben zu Art, Anzahl und Intensität der Schläge sowie dazu, wer
sie ihm wie zugefügt haben soll und wie sich die Misshandlungen auf die - angebliche -
Zeit seiner Inhaftierung verteilten.
35
Im Übrigen schenkt der Senat bereits der Behauptung des Klägers, überhaupt für
längere Zeit festgehalten worden zu sein, keinen Glauben. Auch das diesbezügliche
Vorbringen ist unglaubhaft. Die Angaben, die der Kläger zu der angeblich erlittenen 10
(oder 8?) Tage dauernden Haft gemacht hat, sind auffällig pauschal und detailarm.
Obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingehend zu den
Geschehnissen in Colombo vor der Ausreise befragt wurde, beschränkte sich sein
Vortrag zur Haftzeit - in auffälligem Gegensatz zu den Umständen der Inhaftierung selbst
- auf die Angaben, wann die Haft begonnen und geendet haben soll, und die Mitteilung,
in der Haft sei er gefesselt, geschlagen und nach der Mitgliedschaft in der LTTE befragt
worden; er sei jeden Tag befragt worden und nach 10 Tagen mit Hilfe seines Onkels
freigekommen. Demgegenüber fehlen jegliche Angaben zu Details der mehr als
einwöchigen Haft, die über den Kern des angeblichen Geschehens hinausgehen. Zu
derartigen Ausführungen hätte der Kläger jedoch auch nach der seitdem vergangenen
Zeit unschwer in der Lage sein müssen, wenn er eine solche Haft tatsächlich erlebt
hätte.
36
Diese Umstände rechtfertigen nach Ansicht des Senats bereits für sich genommen die
Feststellung, dass der Kläger die behauptete Haft tatsächlich nicht erlitten hat. Diese
Einschätzung wird noch dadurch untermauert, dass die Angaben des Klägers zu den
Umständen seiner Haft nicht mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. Mai 2001
an das Verwaltungsgericht Wiesbaden in Einklang zu bringen sind. Zwar hat der Kläger
auf den Vorhalt, nach dieser Auskunft existiere ein Ort "Kaluthurai" nicht, in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert, seine Bezeichnung des Haftortes
gegenüber dem Bundesamt als "Kaluththurai" beruhe allein auf Angaben seines
Onkels; er wisse nicht, wie der Haftort ausgesprochen werde und könne daher nicht
sagen, ob es sich hierbei um "Kaluthurai" oder "Kalutara" gehandelt habe. Auch von
einer auf der Grundlage dieser Einlassung denkbaren Inhaftierung des Klägers in dem
Gefängnis in Kalutara - ein Militärcamp, in dem LTTE-Verdächtige festgehalten werden,
existiert dort nach der genannten Auskunft des Auswärtigen Amtes nicht - kann aber
nach der Auskunftslage nicht ausgegangen werden: Zwar ist nach der Auskunft des
Auswärtigen Amtes im "Kalutara Prison" der größte Teil der konfliktbezogenen
Gefangenen inhaftiert, denen terroristische Straftaten im Zusammenhang mit der LTTE
vorgeworfen werden. Nach der Auskunft beruht eine Aufnahme in dieses Gefängnis
aber in der Praxis stets auf einer richterlichen Anordnung der Untersuchungshaft oder
einer richterlichen Verurteilung; eine Freilassung aus diesem Gefängnis gegen
Bestechung ist wegen dessen Charakter als Hochsicherheitsgefängnis auszuschließen.
Hiermit sind die Angaben des Klägers, er sei keinem Richter vorgeführt und aufgrund
Bestechung freigelassen worden, nicht zu vereinbaren. Gegen eine mehrtägige
Inhaftierung des Klägers spricht auch, dass er während des gerichtlichen Verfahrens
keinerlei Unterlagen über die Inhaftierung vorgelegt hat, die auch von Deutschland aus
unschwer beschafft werden können (vgl. etwa AA 06.09.2002 S. 33).
37
Schließlich wäre selbst dann, wenn man entgegen der Bewertung des Senats von der
Richtigkeit der Angaben des Klägers zu einer mehrtägigen Inhaftierung (ohne
Misshandlung) ausginge, eine Vorverfolgung aus politischen Gründen zu verneinen.
Ausgehend von den Erklärungen des Klägers zum Inhalt seiner angeblichen
Befragungen hätte diese Inhaftierung der Feststellung eventueller Verbindungen zur
LTTE gedient. Damit aber wäre sie - angesichts der seinerzeit angespannten
Sicherheitslage in Sri Lanka nach dem Wiederaufflammen der Auseinandersetzungen
nach Scheitern der Waffenstillstandsverhandlungen des Jahres 1995 auch mit der
behaupteten Dauer - als unter dem Gesichtspunkt der Abwehr des Terrorismus noch
"legitime" staatliche Maßnahme des Rechtsgüterschutzes einzustufen gewesen.
38
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - a.a.O., S. 338 ff.
39
2. Beachtliche Nachfluchtgründe
40
Objektive und subjektive Nachfluchtgründe liegen nicht vor.
41
Es fehlt an der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer bei der Rückkehr
drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
42
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen,
wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen.
43
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 32.87 - Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 - BVerwGE 79, 143 (150, 151) = NVwZ
1988, 538, und vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992,
582 (584) m.w.N.
44
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
45
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
46
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
47
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
48
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
49
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht,
Loseblatt, Stand: August 2002, B 1, Art. 16a GG Rdnr. 263 und sinngemäß
wiedergegeben in der UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge", August 1987, S. 8, 9.
50
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
51
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501 m.w.N., und vom 18. Januar 1994
- 9 C 48.92 -, a.a.O., S. 500 und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden
Sicherheit" u.a. BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70,
169 (171) und vom 26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 (178 f.) m.w.N.;
Göbel- Zimmermann, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand:
Februar 2002, Bd. II, B 1 Art. 16 a GG Rdnr. 42 m.w.N.
52
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
53
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
54
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
55
Der Senat hat die Situation der Tamilen in Sri Lanka im Zusammenhang mit der
Einreise in ihr Heimatland sowie die sie betreffenden allgemeinen Verhältnisse in Sri
Lanka zuletzt in seinen rechtskräftigen Urteilen vom 23. November 2001 - 21 A
4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A - wie
folgt bewertet:
56
"a) Einreise nach Sri Lanka
57
Die Einreise nach Sri Lanka ist über den internationalen Flughafen nördlich von
Colombo (Bandaranaike-International-Airport) möglich, ohne dass Rückkehrern bei den
regelmäßigen und eingehenden Personenkontrollen, die insbesondere auch wegen der
Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für Anschläge ausgebildeten LTTE-
Kadern stattfinden (KK 24.02.1997 S. 2), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Maßnahmen drohen, die als politische Verfolgung zu bewerten sind. Allein die
Tatsachen des Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines Asylbegehrens im
Ausland stellen bei der Einreise keine Anknüpfungspunkte für Übergriffe der
Sicherheitskräfte dar (AA 20.04.2001 S. 4; 24.04.2001; 24.10.2001 S. 27; UNHCR
25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz eines gültigen srilankischen Reisepasses
sind, ist die Einreise in aller Regel unproblematisch (AA 24.10.2001 S. 26).
58
aa) Identitätskontrollen
59
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen die Rückkehrer rechnen, die nicht über
einen Reisepass, sondern lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen
auf der Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "Identity Certificate Overseas Missions", auch "emergency certificate"
genannt, verfügen (AA 18.04.2000 S. 6 f.; 06.09.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 26; amnesty
international - ai - 01.03.1999 S. 3; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR --.07.1998 S. 5).
60
Angehörige dieses Personenkreises werden regelmäßig sowohl von der srilankischen
Einreisebehörde (Immigration Department) als auch von der Kriminalpolizei (Criminal
Investigation Department - CID) am Flughafen zu Identität, persönlichem Hintergrund
und Reiseziel befragt. Anschließend, und zwar in der Regel nach wenigen Stunden,
werden die Betroffenen vom CID routinemäßig dem örtlich zuständigen Magistrate
(Untersuchungsrichter) in Negombo vorgeführt. Dieser befindet darüber, ob die
Rückkehrer zum Zweck der Personenüberprüfung und/oder zur Abklärung eventueller
Strafvorwürfe - vor allem etwaiger Verstöße gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen
(Busch 02.11.2000 S. 4) - in Untersuchungshaft genommen werden. In aller Regel ist
dies nicht der Fall, sondern die Betroffenen werden nach ihrer Vorführung gegen
Kaution freigelassen (AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3 f.; UNHCR 24.08.2001
S. 3). Bei dieser Kaution handelt es sich um eine sog. Surety-bail, d.h. es müssen zwei
61
Personen - in der Praxis sind es meist Angehörige - bürgen (KK 02.08.2001 S. 3). Die
vereinzelte Behauptung, eine derartige Bürgschaft müsse in jedem Fall von einem
Verwandten unterschrieben werden (Busch 02.11.2001 S. 4), findet in den übrigen dem
Senat vorliegenden Auskünften keine Bestätigung. Sie erscheint vor dem Hintergrund,
dass eine Freilassung gegen Kaution die Regel ist, auch nicht plausibel. Liegen in
Fällen der Personenüberprüfung bis zu dem vom Untersuchungsrichter anberaumten
weiteren Gerichtstermin - wie dies ganz überwiegend der Fall ist - keine Erkenntnisse
gegen den Betroffenen vor, wird das Verfahren endgültig eingestellt (AA 24.10.2001 S.
26; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Diesen allgemeinen Erkenntnissen entspricht es, dass am 15./16. März 2000 bei einer
"Sammelrückführung" von 20 srilankischen Staatsangehörigen (19 Tamilen und einem
Moslem ) aus Deutschland, von denen nur einer über einen
Reisepass verfügte (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000, S. 2), achtzehn der Betroffenen
nach einer Vorführung vor dem Magistrate Court in Negombo noch am Ankunftstag
gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden (AA 13.04.2000 S. 1; 25.05.2000 S. 2; KK
10.09.2000 S. 1). Zwei Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis zu dem auf
den 21. März 2000 anberaumten Gerichtstermin in Untersuchungshaft genommen, weil
weitere Nachforschungen hinsichtlich der Identität und ein Strafregisterabgleich erfolgen
mussten (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000 S. 2); sie wurden erst an diesem Tag gegen
Kaution freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2). Ein weiterer Rückgeführter
aus der Gruppe wurde erst am 21. März 2000 für zwei Tage in Untersuchungshaft
genommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 25.05.2000 S. 3; 24.10.2001 S.
27). Die Verfahren gegen die Abgeschobenen sind zwischenzeitlich eingestellt worden,
soweit die Betroffenen den Gerichtstermin wahrgenommen haben (AA 26.01.2001 S. 7).
62
An der Feststellung, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr grundsätzlich
keine gravierenden Probleme haben (CIREA 29.06.2001 S. 6 unter Hinweis auf einen
Bericht des UNHCR-Büros in Colombo) und dass Rückkehrer aus dem westlichen
Ausland bei den Einreisekontrollen in der Regel lediglich mit - jeweils
asylunerheblichen - Befragungen und kurzzeitigen Inhaftierungen rechnen müssen,
bestehen auch vor dem Hintergrund des Anschlages auf den Luftwaffenstützpunkt
Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen vom 24. Juli 2001 keine
Zweifel. Gezielte Nachforschungen der Deutschen Botschaft in Colombo haben keine
Anhaltspunkte für eine Verschärfung der Überprüfungspraxis bei der Einreise ergeben
(AA 24.10.2001 S. 27); dahin gehende Vermutungen finden auch in anderen Quellen
keinerlei Anhalt.
63
bb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
64
Allerdings ist vereinzelt auch von Fällen berichtet worden, in denen das Festhalten von
Personen im Rahmen der Identitätskontrollen längere Zeit, mitunter mehrere Wochen
dauerte (ai 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wurde (KK 20.03.1998; UNHCR --.07.1998 S. 5; ai
01.03.1999 S. 2), betrafen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die
Tatsache der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf
geprägt waren, sodass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall
fehlt und verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April
1997 sind ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen
Rückkehrern aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR --.07.1998 S. 5; KK
65
08.12.1998). Diese (Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des Umstandes, dass
jährlich mehrere Hundert abgelehnte Asylbewerber aus westlichen Ländern über den
Flughafen Colombo nach Sri Lanka abgeschoben werden (AA 19.01.1999 S. 21;
27.05.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 5: "400 bis 500 im Jahr"), nicht den Schluss auf eine
"Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt schon an der beim Maßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer "Gruppenverfolgung" zu fordernden Dichte
der Zugriffe bezogen auf die nach erfolglosem Asylverfahren aus Europa
Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe unter ihnen. Abgesehen davon richtet
sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes Festhalten, solange es unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur Annahme eines
Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient, und
nicht mit sonstigen schwer wiegenden Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht
gegen den Betroffenen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Es ist daher nicht
als Akt politischer Verfolgung zu qualifizieren. Dies gilt auch für diejenigen allein mit
einem "emergency certificate" zurückkehrenden und daher einer intensiveren
Überprüfung unterzogenen srilankischen Staatsangehörigen, bei denen die Polizei
einer Freilassung auf Kaution widerspricht - wie dies zunächst bei zwei der am 15./16.
März 2000 aus Deutschland zurückgeführten Tamilen der Fall war (AA 25.05.2000 S. 2)
- oder bei denen eine Freilassung (zunächst) etwa deshalb scheitert, weil sich niemand
findet, der für die Kaution unterschreibt.
cc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
66
In der Vergangenheit ist es in Einzelfällen vorgekommen, dass aus Deutschland
abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt
wurden; dies war dann der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka
zurückkehrende Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die
srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei ein Geständnis in Bezug auf
die im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren
ablegten oder wenn das in Deutschland sichergestellte gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt war und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte; strafrechtlich nicht
verfolgt wurden und werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und
andere illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit
"Schleusungen" einhergehen (AA 24.10.2001 S. 28). Da bei Rückkehrern aus
Deutschland die Reisedokumente, mit denen die Ausreise erfolgte, in der Regel nicht
mehr vorliegen, bleiben etwaige bei der Ausreise verwirklichte Passvergehen - schon
aus Mangel an Beweisen - in der Praxis zumeist ohne strafrechtliche Folgen (AA
16.04.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 28). Zu Passvergehen bei der Einreise nach Sri Lanka
kommt es bei rückgeführten Asylbewerbern aus Deutschland grundsätzlich schon
deshalb nicht, weil dieser Personenkreis jedenfalls mit Dokumenten der srilankischen
Botschaft - dem "emergency certificate" - ausgestattet ist (UNHCR 24.08.2001 S. 3). Vor
diesem Hintergrund lassen im März sowie Anfang April 2001 in den in Colombo
erscheinenden Tageszeitungen "Virakesari" und "Thinakural" veröffentlichte Berichte,
derzeit seien etwa 185 Tamilinnen und Tamilen im Gefängnis von Negombo inhaftiert,
die man entweder bei der Rückkehr aus dem Ausland oder bei der Ausreise wegen
angeblich gefälschter Pässe festgenommen habe (KK 31.07.2001 S. 4; 02.08.2001 S.
5), ebenfalls nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um Rückkehrer aus Deutschland
handelt und dass Angehörige dieses Personenkreises ernsthaft damit rechnen müssen,
wegen eines Passdelikts belangt zu werden. Diese Einschätzung deckt sich mit
67
früheren Berichten, nach denen zwar seit der Neufassung der srilankischen Einreise-,
Ausreise- und Passbestimmungen bereits bis Februar 1999 über hundert Tamilinnen
und Tamilen wegen der Benutzung gefälschter Personalpapiere bei der Aus- oder
Einreise verhaftet und anschließend verurteilt worden sein sollen (KK 12.03.1999 S. 3);
diese Fälle betrafen aber - wie sich aus konkreten Zahlenangaben in weiterem
Auskunftsmaterial schließen ließ (Schreiben des Forum for Human Dignity vom 28. April
1999, Anlage zu KK 22.06.1999) - ganz überwiegend Festnahmen bei der Ausreise.
Unbeschadet dessen sind strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen gegen die
Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht als politische Verfolgung zu
qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine Rechtsgutverletzung in
Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu geschaffenen, sondern seit
1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften - Straftatbestände (insbesondere Ein-
oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass, Nachmachen oder Fälschen von
Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter oder nachgemachter
Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer Reisedokumente oder unbefugter
Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person) sind zur Kontrolle der
Außengrenze des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und ergeben so keinen
Hinweis für eine politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle srilankischen
Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige (Südasien Büro
14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and Emigrants Act"). Soweit unter
Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines tamilischen
Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte Gesetz treffe insbesondere
tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien 2/99, S. 11, abgedruckt in:
Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine tatsächliche Folge aufgezeigt, die als
solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Selbst wenn in
die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die Einflussnahme von
Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend tamilischer
Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass die ihrer
Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen Reiseverkehrs
zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit gerichtet
sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der Schleppertätigkeit
von Gewicht. Anlass dafür, eine Gerichtetheit der in der Bestrafung liegenden
Beeinträchtigungen auf die tamilische Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen, könnte
allenfalls dann bestehen, wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen
durch Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben, oder
wenn die Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren
gesetzmäßigen Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit
eingeräumt, den Tamilen aber vom srilankischen Staat verwehrt würde. Dafür lässt sich
dem in das Verfahren eingeführten Auskunftsmaterial, das den gegenwärtig möglichen
Kenntnisstand umfassend widerspiegelt, nichts Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil
liegen Erkenntnisse vor, nach denen Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen
ebenfalls in relevanter Zahl von Maßnahmen auf der Grundlage des "Immigrants and
Emigrants Act" betroffen sind (KK 08.03.2000, insb. Listen C, D und E; 31.07.2001 S. 1
f.). Die nicht weiter untermauerte Aussage, dass das "verschärfte Strafmaß in der Regel
und Praxis nur auf rückkehrende (abgeschobene) Tamilen und nicht auf Singhalesen
derzeit angewandt" werde (Wingler 01.04.1999), ist daher unzutreffend. Sie wäre im
Übrigen aber auch unergiebig, weil die Verstöße, um deren Ahndung es geht, sich
zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe häufen, die in besonderem Maße ins Ausland
drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht auch die schon angesprochene Erklärung
eines Abgeordneten, das Gesetz treffe "insbesondere" Tamilen, und die dazu gegebene
68
Begründung, diese müssten "sich oft gefälschter Papiere bedienen". Auch die in dieser
Begründung enthaltene Aussage zur Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere
trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine drohende politische Verfolgung. Denn dafür,
dass die in Sri Lanka bestehende Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gilt, spricht
nichts (AA 16.04.1999 S. 2). Die Möglichkeit, sich schnell und problemlos einen
Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen in gleicher Weise eröffnet wie srilankischen
Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit (AA 06.09.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 28).
Allerdings mag für sie die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit durch die Bedingungen
des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo faktisch erschwert sein; da die Situation
in Colombo aber - wie unter I.2. b) bb) im Einzelnen noch dargetan wird - den Aufenthalt
insbesondere auch nicht aus Gründen unzumutbar macht, die auf gegen Tamilen in
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gerichteten Umständen beruhen, kann keine
Rede davon sein, Tamilen könnten nicht ohne Verstoß gegen die Ein- und
Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder dorthin zurückkehren. Einer
gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch entgegen, dass nach der
Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten von Asylverfahren
srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit gewonnen hat, die
behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem bloßen Verweis darauf
erklärt wurde, die Gestaltung der Ausreise habe der Schlepper übernommen, ohne dass
in diesem Zusammenhang auf Probleme bei der Beschaffung des Passes hingewiesen
worden wäre. Ferner stünde einem solchen Schluss die hohe Zahl der in den vom
Senat bearbeiteten Verfahren betroffenen Tamilen entgegen, die nach ihren eigenen
Angaben mit einem gültigen Pass ausgereist sind und bei denen es erst im Zuge und
zur Förderung der Weiterreise sowie der Einreise ins westliche Ausland zu
Manipulationen am Pass oder zur Abgabe des Passes gekommen ist (vgl. dazu auch
AA 16.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 28).
dd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und Folter
69
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die
genannten Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen
Anhalt und damit missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt
werden.
70
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten die
allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka
"nach wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999, Länderkurzbericht S. 1, vgl. auch ai
16.01.2001 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1). Nach der Einschätzung von amnesty
international müssen Tamilen, denen die Sicherheitskräfte Beziehungen zur LTTE
unterstellen, "aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Ankunft in Colombo mit der
Verhaftung und längeren Inhaftierung" rechnen, wobei die Gefahr von Folter bei
längerer Inhaftierung zunehme (ai 01.03.1999 S. 2; vgl. auch KK 04.01.1996 S. 56: Fälle
von Folter bei kurzfristiger Inhaftierung sind nicht bekannt geworden). Auch die in
London ansässige "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture" schätzt die
Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass
diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als zwei Tagen rechnen müssen, falls sie
bei ihrer Einreise oder danach von den srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt
71
werden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft bestehe dann für sie das Risiko von
körperlicher Misshandlung und Folter (Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Das
Auswärtige Amt geht ebenfalls davon aus, dass die Sicherheitskräfte bei Verhören im
Vergleich zu früher zwar deutlich zurückhaltender agieren, dass aber schwere
Gewaltanwendung, wie etwa das Schlagen von Personen als Methode der Folter,
Elektroschocks, Verbrennungen sowie das Überstülpen von mit Chilipulver oder Benzin
gefüllten Plastiktüten über den Kopf "weiter vorkommt" (AA 24.10.2001 S. 21).
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die srilankische Polizei in Colombo oder an
anderen Orten in den südlichen Landesteilen "systematisch", also nach einem
bestimmten "System" oder gar generell Folterungen an verhafteten oder sonst
aufgegriffenen und inhaftierten Tamilen vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt (so
Mertsch, Südasien 4/00 vom 05.07.2000, S. 4), sind diesen Erkenntnisquellen aber nicht
zu entnehmen. Vielmehr lassen sich die Aussagen zur Folterpraxis gemessen am
Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei konfliktbezogen inhaftierten Tamilen
allenfalls für Personen erhärten, die von den Sicherheitskräften konkret verdächtigt
werden, in schwer wiegende Gewaltakte der LTTE verwickelt (AA 26.07.2001 S. 2 f.)
oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein.
Denn vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE-
Verdachts bzw. bei Überstellung an Sondereinheiten der srilankischen Polizei zur
Terrorismusbekämpfung kann Folter nicht ausgeschlossen werden (AA 12.07.1995 S. 2,
26.01.2001 S. 3; ai, torture in custody, --.06.1999 S. 8 f., 01.03.1999 S. 4, 16.01.2001 S.
4; KK 31.07.2001 S. 5; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dieser
Bewertung entspricht es, dass die Anwendung von Folter nach Einschätzung einer
Menschenrechtsorganisation während einer sich an eine Festnahme am Flughafen
anschließenden Inhaftierung ungewöhnlich ist (KK 22.06.1999, Anlage Forum for
Human Dignity 12.01.1999). Auch das UNHCR-Büro in Colombo berichtet, dass
abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr keine gravierenden Probleme haben
(CIREA 29.06.2001 S. 6). Die bekannt gewordenen Umstände der Sammelabschiebung
von 20 srilankischen Staatsangehörigen am 15./16. März 2000 aus Deutschland
wecken an der Feststellung, dass tamilische Rückkehrer im Zusammenhang mit der
Einreise grundsätzlich körperliche Misshandlungen von asylerheblicher Intensität nicht
zu befürchten haben, ebenfalls keine durchgreifenden Zweifel. Soweit dazu behauptet
wird, zwei vom 16. bis 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommene Rückkehrer,
seien "nachweislich gefoltert worden" (Wingler --.05.2000 S. 4; abweichend bereits
Wingler 12.10.2000 S. 5: "sollen misshandelt worden sein"), steht diese Aussage im
Widerspruch zu aktuelleren Erkenntnissen. So weist etwa amnesty international darauf
hin, die Behandlung der Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai
18.07.2000). Das Auswärtige Amt berichtet, entgegen einer Meldung der der LTTE nahe
stehenden Nachrichtenagentur "Tamilnet" sei die Deutsche Botschaft nicht auf
Folterungen hingewiesen worden; lediglich ein einziger Betroffener, der bis zum 21.
März 2000 inhaftiert worden sei, habe auf Nachfrage eines Botschaftsangehörigen
erklärt, einen Schlag erlitten zu haben, der "einer Ohrfeige vergleichbar" gewesen sei
und keine gesundheitlichen Folgen oder länger andauernde Schmerzen verursacht
habe (AA 25.05.2000 S. 2 f.; 26.01.2001 S. 6 ff.). Auch die Behauptung eines der
Zurückgeführten, "ungefähr zehn" der Abgeschobenen seien Misshandlungen
ausgesetzt gewesen, die "weit über eine Ohrfeige hinausgegangen seien" (KK
10.09.2000 S. 2), hat sich nach den weiteren Recherchen zu der Sammelrückführung
nicht erhärten lassen. Die Aussage steht sowohl zu den bereits angeführten Angaben
des einen Inhaftierten als auch zu den Erklärungen anderer Rückgeführter im
Widerspruch (AA 26.01.2001 S. 7 f.). So soll ein Betroffener am Tag nach der
Rückführung gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft zwar von dem bereits
erwähnten Schlag berichtet (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 2), im Übrigen aber
erklärt haben, er selbst und die Anderen seien korrekt behandelt worden (AA
25.05.2000 S. 2). Auch der zweite bis zum 21. März 2000 Inhaftierte und andere zu dem
genannten Termin Abgeschobene sollen auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt haben,
von der Polizei korrekt behandelt worden zu sein (AA 25.05.2000 S. 2 f.). Ein weiterer an
diesem Tag Zurückgekehrter soll gegenüber einem Angehörigen einer
niederländischen Hilfsorganisation ebenfalls erklärt haben, er sei nach seiner Ankunft
am Flughafen nicht geschlagen worden (KK 10.09.2000 S. 4). Angesichts dieser
Erklärungen unmittelbar Betroffener gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft
kann auch der pauschalen Erklärung von amnesty international, "die jüngeren Männer
der Gruppe soll[t]en allerdings während ihrer Befragung durch den CID am Flughafen
geschlagen worden sein" (ai 18.07.2000), kein ausschlaggebendes Gewicht
beigemessen werden. Dass es sich bei dem in Rede stehenden Übergriff auf einen der
am 15./16. März 2000 Zurückgeführten um einen nicht verallgemeinerungsfähigen
Ausnahmefall gehandelt hat, wird schließlich dadurch bestätigt, dass weitere Fälle
dieser Art - trotz Beobachtung der Rückkehrsituation durch mehrere westliche Missionen
- nicht bekannt geworden sind (AA 26.01.2001 S. 8).
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht einer - nicht nur unbedeutenden - LTTE-
Unterstützung gerät und deshalb damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis
zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der Gefahr schwerer körperlicher
Misshandlung und Folterung inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts des
vorliegenden Erkenntnismaterials nur eingeschränkt generalisierend und
fallübergreifend beantworten.
72
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten
in Zusammenhang gebracht werden und dies zu einem Verfahren nach den
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung führt, spricht nichts. Zwar ist zu
berücksichtigen, dass die LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem (AA
08.01.1999 S. 5; 06.05.1999 S. 2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender
Berichte in der deutschen Tagespresse im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland
geführten Organisationen zur politischen Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben
von Geld bei den dort lebenden Tamilen einsetzt und so zum großen Teil ihre
militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert (vgl. auch Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2000, S. 244
(246)). Auch ist anzunehmen, dass die srilankischen Strafverfolgungsbehörden wegen
der Auslandsaktivitäten der LTTE gegenüber tamilischen Rückkehrern den Verdacht
hegen können, die LTTE durch freiwillige oder erzwungene finanzielle Zuwendungen
im Ausland unterstützt zu haben. Ein solcher pauschaler Verdacht löst aber in der
srilankischen Praxis nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein
Strafverfolgungsinteresse mit der Folge längerer Inhaftierung im konkreten Einzelfall
aus, sodass der Frage nach dem Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte
politischer Verfolgung nicht weiter nachzugehen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft in
Colombo bewertet nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die bloße
finanzielle Unterstützung der LTTE durch Exilsrilanker im Ausland nicht als Verwicklung
in terroristische Aktivitäten der LTTE in Sri Lanka, sondern als einfache exilpolitische
73
Betätigung, die in Sri Lanka nicht strafbar ist (AA 19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20 f.).
Diese Aussage findet ihre nachvollziehbare Erklärung und Bestätigung in der
gutachtlichen Stellungnahme des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 22.
Juli 1998 zur Einschlägigkeit der Straftatbestände des Prevention of Terrorism Act (PTA)
nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein greifbarer Anhaltspunkt, die
Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des Auswärtigen Amtes zur in Rede
stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen. Diese bieten vielmehr vor dem
Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem sonstigen umfassenden und
ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine tragfähige Beurteilungsgrundlage
dahin, dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei Personen besteht, die in
verantwortlicher Position in nicht unerheblichem Ausmaß an Aktivitäten im Rahmen der
LTTE-Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird regelmäßig vermutet, dass es
neben den Unterstützungshandlungen im Ausland auch zur Beteiligung an
terroristischen Aktivitäten der LTTE im Inland gekommen ist (AA 08.01.1999 S. 6;
19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20). Dementsprechend muss auch bei sonstigen
Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre Frontorganisationen nach der Bedeutung der
Unterstützungshandlung unterschieden werden. So wirkt etwa die Teilnahme an
regierungskritischen Demonstrationen und das Anprangern von
Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebenso wenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE
nahe stehenden Organisationen (AA 20.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 21; KK 20.05.1998
S. 3). Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen
aus vom Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999
S. 6; 19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 24.10.2001 S. 21). Zudem
sprechen Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den
Bericht eines Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die
Überlastung der Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei
einer Vielzahl von Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit erst recht gegen eine
relevante Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung (KK
08.12.1998, 12.03.1999, 22.06.1999 und 28.07.1999) ist ohne tragfähige Grundlage,
zumal inzwischen übereinstimmend berichtet wird, dass die Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nur sehr selten
angewandt werden (AA 24.10.2001 S. 26) und die Überprüfungen bei der Einreise
regelmäßig nach wenigen Stunden mit der Freilassung - gegebenenfalls gegen Kaution
- und letztlich mit der Verfahrenseinstellung enden (AA 24.10.2001 S. 26; KK
02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür,
dass ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht
geraten könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und Ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs im Zusammenhang
mit der Einreise. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu
Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo verwiesen. Denn es bestehen keine
Anhaltspunkte, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen - über die Verfolgung von
Passdelikten und relevanten Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien anlegen als
bei Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo.
74
b) Allgemeine Verhältnisse in Sri Lanka
75
Auch im Übrigen tragen die Verhältnisse in Sri Lanka nicht die Schlussfolgerung auf
eine der Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer vorliegend möglicherweise
relevanten Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens des
srilankischen Staates drohende (Gruppen-)Verfolgung, und zwar weder für das gesamte
Land noch für einzelne Landesteile.
76
aa) Keine landesweite unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung
77
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-) Verfolgung von Tamilen findet nicht statt (AA 07.07.1995 S. 1;
24.10.2001 S. 11; ai 28.09.1995 S. 3); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
sind selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie
verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4; 24.10.2001 S.
17). Die Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen
Kräften und der LTTE. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses
bewaffneten, Überfälle und Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete
einschließenden Konflikts stellen sich die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in
den verschiedenen Gebieten Sri Lankas unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet
ergibt sich dabei für keinen Bereich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung durch den srilankischen Staat.
78
bb) Großraum Colombo und sonstige Bereiche des Südens und des Westens Sri
Lankas
79
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen; soweit diese
einer Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an
der Verfolgungsdichte.
80
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
81
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im
Großraum Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen
und groß angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen
führen, die sich nicht ausweisen oder keine zufrieden stellende Erklärung über den
Zweck ihres Aufenthalts geben können (AA 16.01.1996 S. 7; 11.03.2001 S. 10;
24.10.2001 S. 12; KK 22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen
Maßnahmen - die vor allem im Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten
zu sehen sind, zu denen es seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche
zwischen der Regierung und der LTTE und dem Wiederausbruch der offenen
Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas seit April 1995 immer wieder kommt - sind in
erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts im Alter zwischen etwa 15 bis 40
Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersgruppen betroffen (AA 24.10.2001 S. 12; ai --
.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK 04.01.1996 S. 54; Südasien 1/00; Wingler --
82
.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von anlassbezogenen
Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze Zeiträume - schon
bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende Personen (AA
05.06.2000 S. 16; KK 04.01.1996 S. 55; 13.05.1996 S. 3; 20.03.1998 S. 2 ff.; Wingler
31.05.1998 S. 27, 33). So haben auch in jüngerer Zeit verschiedene der LTTE
zugerechnete Anschläge (u.a. Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und
Bombenanschlag bei einer Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18.
Dezember 1999 mit zusammen über 30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des
Amtssitzes der Premierministerin am 5. Januar 2000 mit 11 Toten; Bombenanschlag in
der Nähe des Parlaments im März 2000) zu verstärkten Personenüberprüfungen und
Razzien geführt, in deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen
festgenommen wurden (AA 18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen
Monaten; AA 24.10.2001 S. 12; KK 29.02.2000 S. 3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000
Personen allein im Januar bis Mitte Februar 2000; ferner ai 23.02.2000
99.134> S. 4). Aktuell hat sich die Lage in Colombo ab der zweiten Jahreshälfte 2000
eher entspannt. Die Anzahl der Überprüfungsmaßnahmen ist im Vergleich zur ersten
Jahreshälfte 2000 zurückgegangen. Der Bombenanschlag vor dem Rathaus von
Colombo im Oktober 2000 hat keine Massenverhaftungswelle oder Razzien gegen
Tamilen ausgelöst (AA 26.01.2001 S. 7; Wingler --.04.2001 S. 3 f.). Auch nach dem
Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden
internationalen Flughafen am 24. Juli 2001 ist es zu einer weit geringeren Anzahl
kurzfristiger Festnahmen gekommen als bei vergleichbar schweren Anschlägen auf
Einrichtungen bzw. Personen in Colombo in der Vergangenheit (AA 24.10.2001 S. 6, 12
und 24).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind
auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in
solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die
politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus
der staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab,
insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen
Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie
Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen
landesweit, insbesondere im hier betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl
gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert sind, ist Inhaftierungen mit einer
überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche
Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung
bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S.
32; ai 16.01.2001 S. 6; European Union, The Council - EU - 25.06.2001 S. 32) kommt,
da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen, keine den jeweiligen Eingriff
prägende Bedeutung zu. Insofern ist auch nicht ersichtlich, dass die Dauer der
Inhaftierungen in einer nennenswerten Zahl von Fällen über das für die
83
Identitätsfeststellungen (jeweils) Erforderliche hinausgeht oder in ihrer Summe ein
solches Ausmaß erreicht, dass gleichwohl ein "Umschlagen" in asylerhebliche
Verfolgung festzustellen ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 (337) = NVwZ
2000, 1426 (1427).
84
(2) Inhaftierung länger als zwei Tage
85
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht
den Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage,
1 v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 27.07.2000 an VG
Neustadt S. 3; 11.03.2001 S. 10 und 24.10.2001 S. 12; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62
f., 75; 13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996 S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23;
weniger als 20 v.H. ai --.06.1999, torture in custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger
(5 v.H. Schweizerische Flüchtlingshilfe --.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S.
32 bzw. über 100 von 5.000 Wingler 31.05.1998 S. 27, 28). Dem steht die Mitteilung von
amnesty international, der überwiegende Teil von 1.500 am 6./7. Januar 2000 in
Colombo Verhafteten sei nach einer Meldung der "NZZ vom 10.02.2000" am 28. Januar
2000 wieder auf freien Fuß gesetzt worden (ai 16.01.2001 S. 1), nicht entgegen. Hierbei
handelt es sich um eine Fehlmeldung von amnesty international. Die Aussage bezieht
sich als Referenzquelle ersichtlich auf den Bericht der benannten NZZ vom 10. Januar
2000, dem zu entnehmen ist, dass die srilankische Polizei von den 1.500 Verhafteten
mindestens 329 Personen noch am Tag der Festnahme und mehr als 1.200 Personen
am nächsten Tag, dem 8. Januar 2000, auf freien Fuß gesetzt hat. Bei den Maßnahmen
Ende Dezember 1999/Anfang des Jahres 2000 sollen über 98 v.H. der mit auf die
Wache genommenen Personen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden wieder auf
freien Fuß gesetzt worden sein (AA 18.04.2000 S. 2).
86
Von den etwa 10 v.H. der insgesamt über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben
etwa die Hälfte länger als drei Tage in Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche
hinaus etwa jeder Zehnte (AA 10.03.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 12). Auch wenn bei groß
angelegten Sicherheitsüberprüfungen mitunter Tausende festgenommen und hiervon
jeweils Hunderte länger als zwei Tage fest gehalten werden, kann nach der absoluten,
gemäß den Auskünften durchgängig jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden
Gesamtzahl der Inhaftierten die Haftdauer in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die
Zeit von zwei Tagen jedenfalls nicht wesentlich überschreiten.
87
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225
Personen angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht
einer Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit auf bis zu 2.000 (AA 21.08.1997 S. 2;
88
24.10.2001 S. 24; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6, US State Department
--.02.2001 S. 8; ai 08.03.2001 S. 2 unter Hinweis auf US State Department --.02.2001)
geschätzt.
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Es greift zu
kurz, von einer zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im
Einzelfall bestehenden konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an
oder des Wissens um terroristische Aktivitäten zu Grunde liegen, auf den Charakter als
politische Verfolgung zu schließen. Ob eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende,
zielgerichtete Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals
erfolgt, ist vielmehr anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren
Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede
stehenden Inhaftierungen in maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an
ausreichendem Anhalt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein
Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen
Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in
jedenfalls prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-
Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes abzuwehren. Insofern wird auf die
für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die Freilassung wie etwa den
Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der
Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle
oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA 16.01.1996 S.
8 f.; 24.10.2001 S. 12; ai 23.02.2000 S. 4; EU 02.04.1997 S. 10; KK
02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, die
die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt, zu einer schnellen Haftentlassung (KK
04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von mehr als einer Woche, die srilankische
Menschenrechtsorganisationen "bei einer substantiellen Anzahl von Personen"
feststellen, werden außer auf den Aspekt der Erwartung von Bestechungsgeld auf die
Überprüfungen und deren schleppende Durchführung bei Einschaltung verschiedener
Sicherheitsstellen zurückgeführt (Südasien 6/97 S. 8). Schließlich weist auch der
Umstand, dass der weit überwiegende Anteil der zunächst Festgenommenen alsbald
wieder freigelassen wird, auf eine über die Tatsache der Zugehörigkeit zur Gruppe der
Tamilen - auch eines bestimmten Alters und Geschlechts - hinausgehende Prüfung
anhand zusätzlicher Kriterien und damit darauf hin, dass der Grund einer Fahndung
nach LTTE-Angehörigen für die Verhaftungen nicht lediglich vorgeschoben ist. Die
erörterten Maßnahmen betreffen zwar gerade und nahezu ausschließlich Tamilen, sie
bezwecken aber nicht die Schlechterstellung dieser Volksgruppe als solche, sondern
dienen der Abklärung von LTTE-Verbindungen und der Verhinderung weiterer
Straftaten. Dass der staatliche Zugriff zwangsläufig Tamilen trifft, ist rein faktischer Natur
ohne Aussagegehalt für die objektive Gerichtetheit im Sinne der politischen Verfolgung.
89
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die
Dauer von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen
Volkszugehörigen wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche
Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber
hinaus die Intensität der abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist
zu berücksichtigen, dass die Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr
zugerechnet werden, darauf angelegt sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl
unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu
erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE
90
Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu
binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995,
auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das
Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998
(AA 24.10.2001 S. 6) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe des
Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen
Bombenanschläge in den Jahren 1999 bis 2001, insbesondere den Anschlag auf den
Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am
24. Juli 2001 sowie zuletzt den Anschlag auf den srilankischen Premierminister am 29.
Oktober 2001 (SZ vom 30.10.2001). Der Druck auf die staatlichen Stellen, dem zu
begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich, weil bei einer Destabilisierung zu
besorgen ist, dass es über die unmittelbare Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu
ausgreifenden Unruhen und Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt.
Die Ausführung der Anschläge durch Selbstmordkommandos oder entsprechende
Einzeltäter, zumindest durch Täter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu,
dem möglichen Umfeld des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die
Durchführung und das verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung
bedarf, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Spannweite möglicher Ziele der
Terroranschläge lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig
erscheinen. Dieses hohe und schwer einzudämmende Gefahrenpotential sowie die
nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der
Bevölkerung bedingten Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität
Festgenommener sind geeignet, auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen wegen
mangelnder Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale den Charakter einer politischen
Verfolgung zu nehmen, wenn und solange die Identität des Betroffenen nicht geklärt ist
und/oder Zweifel an den Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo vorliegen.
Anderes kann dann gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur
Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an
asylerhebliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das
angemessene Maß hinausgehen. Insbesondere bei einer übermäßig langen
Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung
dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen
zumindest auch wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische
Verfolgung darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 341.
91
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus
dem bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen. Ergänzend wird auf die
nachfolgenden Ausführungen zu (4) verwiesen.
92
(3) Bestechungsgeld
93
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht
dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der
Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4,
12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon
routinemäßig" -, Wingler 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 6/97 S. 8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um
Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter handelt -
94
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
95
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit
des kriminellen Tuns.
96
(4) Misshandlungen während der Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
97
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
gegebenen Verhältnissen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 28.03.2000 S. 5 f.; 31.07.2001 S. 7;
02.08.2001 S. 6) - hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen
kommt, die den Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial,
das alles an Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft
werden konnte, nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur
Identitätsabklärung Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9; 01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren
Inhaftierungen zu (ai 01.03.1999 S. 2); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines
konkreten und individualisierten LTTE- Verdachts muss mit Folter gerechnet werden
(AA 12.07.1995 S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle"; 24.10.2001 S. 21: "schwer
wiegende Verstöße kommen aber weiter vor"; 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8 f.; 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9; 22.06.1999,
Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2; 08.10.1997 S.
33; 30.09.1998 S. 3, 4; 27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --
.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR -- .07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer
Besorgnis). Insoweit sind Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID
Headquarters, die Special Police Branch [früher: Security Coordinating Division] und
das Terror Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig
führende LTTE- Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
27.07.2000 an VG Neustadt S. 4; 15.03.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 11 und 24; KK
31.07.2001 S. 5). Im Übrigen kommen Berichte über Fälle von Folter und Tod in Haft
zumeist aus den nördlichen und östlichen Gebieten, in denen Auseinandersetzungen
mit der LTTE stattfinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; --.04.2001 S. 1 ff.; KK 28.03.2000).
98
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 24.10.2001 S.
21). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als
früher (dazu AA 23.06.1992 S. 8 f.; 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der
Konvention gegen Folter in nationales Recht seit 1994 angegangen. Sie kann mit
erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die
Verantwortlichen disziplinarischen Maßnahmen und können zu
Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 24.10.2001 S. 22; ai --.06.1999, torture
in custody, S. 4 ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und einer ungerechtfertigten
Verlängerung der Haftdauer sahen die in der Vergangenheit in unterschiedlichem
Umfang und ab dem 4. August 1998 - mit Verhängung des Ausnahmezustandes für das
gesamte Land - zunächst wieder landesweit geltenden Bestimmungen des
Notstandsrechts, "Emergency Regulations - ER -" (AA 24.10.2001 S. 7), vor, dass -
99
jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee Festgenommene der nächstgelegenen
Polizeistation zu überstellen waren - was im Allgemeinen beachtet wurde (US State
Department --.02.2001 S. 7) - und dass Festnahmen durch die Polizei dem
"Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet werden mussten (AA 06.04.1998 S.
10; 28.04.2000 S. 21). Spätestens nach 48 Stunden mussten die Festgenommenen dem
Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es sei denn, ein höherrangiger Beamter
oder Offizier erließ eine "Detention Order", die ein Festhalten ohne richterlichen
Haftbefehl von bis zu 60 bzw. - nach Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 3.
Mai 2000 - 90 Tagen ermöglichte (KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21;
01.08.2000). Nachdem die Geltungsdauer des Notstandsrechts im Juli 2001 bedingt
durch die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht verlängert worden
war, sodass es am 4. Juli 2001 außer Kraft trat (AA 24.10.2001 S. 8; Flück Südasien
3/01 S. 64), ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Es wurden gestützt auf Art. 27
des PTA Verordnungen erlassen und ein den ER ähnliches Regime etabliert (AA
24.10.2001 S. 8). Verhaftungen sind danach weiterhin durch die Polizei möglich; die
Betroffenen müssen innerhalb von 72 Stunden dem Haftrichter vorgeführt werden.
Personen, die von der Armee verhaftet werden, müssen unverzüglich der Polizei
vorgeführt werden (AA 24.10.2001 S. 8). Die Möglichkeit eines längeren Festhaltens
mittels einer "Detention Order" einer hohen Polizeidienststelle besteht danach nicht
mehr (AA 24.10.2001 S. 24). Nach dem PTA konnte und kann die Polizei weiterhin
einschlägig Verdächtige bis zu 72 Stunden festhalten. Danach müssen sie
grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt
werden, es sei denn, das Verteidigungsministerium erlässt eine "Detention Order" für
maximal 3 Monate, die in weiteren 3-Monats-Abständen auf bis zu 18 Monaten
verlängerbar ist. Darüber hinaus ist ein Festhalten nur mit richterlicher Genehmigung
zulässig (AA Lagebericht 06.04.1998 S. 11; 28.04.2000 S. 22; 01.08.2000 S. 3;
24.10.2001 S. 24 f.). Ferner waren und sind unter anderem Mitglieder des IKRK befugt,
alle gemäß den vorgenannten Regelungen festgehaltenen Verdächtigen bzw.
Verurteilten zu besuchen (EU 11.11.1997 S. 16; AA 28.04.2000 S. 22; 24.10.2001 S.
11). Auch sonst waren und sind Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S.
5; Wingler 30.01.1998 S. 12).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Rights Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen.
Diese unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri
Lankas tätige Nachfolgeeinrichtung der früheren Human Rights Task Force hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, dass die in den Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung vorgesehenen Regelungen eingehalten werden (AA
21.08.1997 S. 3). Ferner ist im Sommer 1998 eine aus Parlamentariern und Ministern
gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur Entgegennahme und Prüfung von
Beschwerden wegen Belästigungen und Misshandlungen bei Verhören eingerichtet
worden (Anti Harrassment Committee - AHC -, AA 31.08.1998 S. 2; 26.07.2001 S. 2;
24.10.2001 S. 10; Wingler 30.09.1998 S. 3, 5).
100
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen
(KK 22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; 24.10.2001 S. 25; UNHCR --.07.1998 S. 3 f.
m.w.N.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen
der vorgegebenen Fristen, die aber auch bei Verhaftungen im Rahmen normaler
Strafverfahren festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17; US State Department --.02.2001
101
S.7). Auch sonst sind Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der
Sicherheitskräfte festzustellen (AA 19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle
Verschlechterung ist insoweit jedoch auch nach dem Verbot der LTTE in den im
Ausnahmezustand befindlichen Gebieten (Wingler 31.05.1998 S. 39; AA 24.10.2001 S.
13), welches nunmehr unter den Regelungen des PTA aufgrund einer
Rechtsverordnung vom 4. Juli 2001 neu erlassen worden ist (AA 24.10.2001 S. 4 und
13; Flück Südasien 3/01 S. 64), nicht eingetreten, sodass die grundsätzliche
Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe belegt und ihnen
wird nachgegangen (AA 16.01.1996 S. 11; 11.07.1997 S. 2; ai --.06.1999, torture in
custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen - was zum Teil auf das
srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum Teil auf die sachlich
bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der Beweisführung (AA
19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch die Strafandrohung
und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz nicht aus. Daneben
besteht die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten Gerichtshof zu wenden,
wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999, torture in custody, S. 26 f.).
Auch gibt es Anwälte, die sich in Fällen der Menschenrechtsverletzungen engagieren
(AA 19.01.1999 S. 26). Wenngleich Prozesse gegen Sicherheitskräfte oder die
Heranziehung der Verantwortlichen zur Zahlung von Entschädigungsleistungen -
anders als Entschädigungsleistungen des srilankischen Staates (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 27) - zunächst noch nicht bekannt geworden sind (Wingler 08.10.1997 S. 35;
27.05.1999 S. 4) bzw. nur wenige Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen sich
vor Gericht verantworten mussten und in den seltensten Fällen verurteilt wurden und
darüberhinaus allgemein beklagt wird, dass Menschenrechtsverletzungen weitgehend
ungeahndet bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3; ai --.06.1999 S. 4), so zeigen die
geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls insofern Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie
Auskünfte übereinstimmend belegen - im Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
102
Nach dem Vorstehenden ist für zurückkehrende Tamilinnen und Tamilen festzuhalten,
dass die Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und
eventuell daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden,
gering ist. Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je
nach den Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt
werden, mit geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu
stehen oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer
ihrer Frontorganisationen verstrickt zu sein.
103
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu ein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände:
fehlende oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel,
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener
Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten
der Sicherheitskräfte und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation
--.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen
Innenministeriums; ai 16.01.2001 S. 7; ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu
104
einzelnen Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler
30.09.1998 S. 2, 13).
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur eingeschränkt treffen. Angesichts der bei einigen der
Kriterien möglichen "Bandbreite" ihrer Erscheinungsformen sowie der Mannigfaltigkeit
der möglichen Kombinationen bei den einzelnen Asylbewerbern ist eine
generalisierende und fallübergreifende Schlussfolgerung auf eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung weder für die Gruppe der nach Sri Lanka aus
dem Ausland zurückkehrenden Tamilinnen und Tamilen noch für eine nach
allgemeinen Merkmalen eingrenzbare Untergruppe hiervon möglich. Vielmehr kann der
Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nur Ergebnis
einer Würdigung aller vorliegenden Risikofaktoren in jedem konkreten Einzelfall in
Bezug auf den jeweiligen Asylbewerber und seine konkrete Situation sein. Dabei ist von
folgenden Grundsätzen auszugehen:
105
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna- Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus
einer Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober
1997 bis Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998 S. 2 ff.); asylrelevante Eingriffshandlungen
knüpfen an diese Kriterien aber nicht mit einer für die Annahme einer
Gruppenverfolgung notwendigen Dichte an. Dies macht schon ein Vergleich der Zahl
der für längere Zeit nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten
und der geringen Zahl bekannt gewordener Fälle von Misshandlung und Folter während
Lang- und Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der im Großraum Colombo lebenden
Tamilen andererseits deutlich. Wie oben bereits ausgeführt, sind landesweit etwa 2.000
Personen nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung inhaftiert. Von Folter
und Misshandlungen während einer Kurzzeit- oder Langzeithaft wird - wie sich ebenfalls
aus den oben unter I.2.b) bb) (4) angeführten Erkenntnissen ergibt - lediglich in einer
letztlich nicht über Einzelfälle hinausgehenden Zahl berichtet; für weiter gehende
Behauptungen fehlt es an jeglichen Belegen. Dem ist gegenüberzustellen, dass etwa
400.000 Tamilen im Großraum Colombo leben, von denen ca. 150.000 aus dem Norden
und Osten des Landes stammen (EU 11.11.1997 S. 13). Im Ergebnis nichts anderes gilt
bezogen auf den Anteil der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die
Altersgruppe der 15- bis 30- jährigen (so AA 24.10.2001 S. 12) bzw. der 15- bis 40-
jährigen (so KK 04.01.1996 S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders betroffen;
auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein hierzu:
Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen,
offenbar weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als
"Suicid-Bombers" beteiligt waren (AA 24.10.2001 S. 12; KK [Keller] Südasien 1/00; EU
25.06.2001 S.32). Der Anteil der in Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch,
dass sich die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen
dieser Gruppe nicht feststellen lässt.
106
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200 (203) und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
107
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14- bis 40-jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von
Colombo nichts Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise
240.000 bzw. - soweit zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des
Landes abgestellt wird - 80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe
angehören.
108
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden'" (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998
S. 2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht
mit der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.)
angibt, "etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem
Nord/Osten ohne ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden'
[befänden] sich im Rahmen der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in
widerrechtlicher Haft" - andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13) -, ist
die Aussage zum einen mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem
Hintergrund des sonstigen Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt
es an der erforderlichen Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als
politische Verfolgung, wie sie im Vorstehenden dargetan ist. Jedenfalls ist nicht
ersichtlich, dass Rückkehrer nach längerem Auslandsaufenthalt in einer mit derjenigen
der angesprochenen "Untergruppe" vergleichbaren Gefährdungssituation sind. Vielmehr
stehen sie nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (18.04.2000 S. 5) weit weniger
im Verdacht als etwa Tamilen, die erst kürzlich aus den östlichen oder nördlichen
Landesteilen nach Colombo gekommen sind. So sind in der schon wiederholt
angesprochenen Zusammenstellung (KK 08.12.1998) für den Zeitraum von etwa einem
Jahr lediglich drei Fälle längerfristiger Verhaftung von Personen belegt, die rund zwei
Wochen bis fünf Monate zuvor aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückgekehrt und in
Colombo verblieben waren. Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Kriterien, die die
Sicherheitskräfte bei den Sicherheitskontrollen anlegen - Identitätsnachweis und 'valid
reason' - für das Ausweiserfordernis von wesentlicher Bedeutung, dass eine
Vereinbarung zwischen der srilankischen Regierung und dem UNHCR getroffen wurde,
wonach den Einreisenden ihre Einreisepapiere zum Zwecke des Nachweises belassen
werden sollen (Wingler 11.10.1995 S. 3); allerdings wurde dies in der Vergangenheit
vielfach nicht eingehalten, vielmehr wurden gerade die "emergency certificates" nach
Verhören auf dem Flughafen des Öfteren einbehalten und durch Ausweispapiere zur
Meldung bei der örtlich zuständigen Behörde in Colombo ersetzt (Wingler 31.05.1998 S.
30; ai 23.02.2000 S. 3; AA 05.06.2000 S. 5). Mittlerweile werden
jedoch die von den srilankischen Auslandsvertretungen ausgestellten
Rückreisedokumente den Rückkehrern regelmäßig nicht mehr am Flughafen
abgenommen, sondern ihnen belassen (AA 06.09.2001 S. 4 f.; 24.10.2001 S. 26). Der
eigentliche Nachweis erfolgt durch die Identitätskarte (UNHCR 12.02.1998; KK
22.09.1997 S. 4), die jeder srilankische Staatsbürger ab 16 Jahren mit sich führen muss
(AA 28.04.2000 S. 22; 06.09.2001 S. 2). Die zur Erlangung des Dokuments erforderliche
Geburtsurkunde können Rückkehrer im Regelfall - auch schon von Europa aus -
erhalten (Wingler 11.10.1995 S. 3 f., 31.05.1998 S. 40; EU 02.04.1997 S. 6; AA
27.07.2000 an VG Karlsruhe S. 1 f.). Zur Erledigung der Formalitäten, insbesondere der
Meldepflicht, steht ein Beratungsbüro (Front Office) zur Verfügung (AA 28.04.2000 S. 26;
05.06.2000 S. 5; 06.09.2001 S. 1 f.; 24.10.2001 S. 29). In diesem Zusammenhang ist
109
davon auszugehen, dass für Rückkehrer die (Wieder-)Erlangung der nationalen
Identitätskarte (NIC) jedenfalls seit der zweiten Jahreshälfte 2000 bei ordnungsgemäßer
Mitwirkung des Betroffenen normalerweise innerhalb von 3 Wochen möglich ist (AA
06.09.2001 S. 2 ff.; vgl. auch UNHCR 07.08.2001). Zudem wird bei der Beantragung der
Identitätskarte auf einem speziellen mit den Personalien des Antragstellers versehenen
Abschnitt des NIC- Antragsformulars eines der eingereichten Passfotos angebracht und
gilt als provisorisches Identitätspapier (AA 26.07.2001 S. 1; 06.09.2001 S. 3). Dem
umfangreichen Auskunftsmaterial, das den Fragenkreis der Rückkehr detailliert
behandelt, ist nicht zu entnehmen, dass die Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt
nach lange zurückliegender Aufgabe des srilankischen Wohnsitzes und dem Verlust der
Verbindung zum früheren Heimatort und der damit verbundenen Notwendigkeit, in Sri
Lanka wieder Fuß zu fassen, von vornherein nicht als plausibler Grund für den
Aufenthalt in Colombo als dem Ort, der im Rahmen der Rückkehr als Erster erreicht
wird, angesehen wird. Nach einer einzelnen Auskunft des Auswärtigen Amtes bedarf es
bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland keiner (weiteren) "valid reason" für die
Wohnsitznahme in Colombo (AA 05.06.2000 S. 1).
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zur
Bedeutung von Auslandsaktivitäten im Zusammenhang mit den Einreisekontrollen am
Flughafen von Colombo verwiesen. Vergleichbares gilt für eine zurückliegende LTTE-
Mitgliedschaft oder -Unterstützung in Sri Lanka. Wer die LTTE, insbesondere im Bereich
der von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karitativen Bereich (z.B. Essenausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligten LTTE-Kadern, die sich unter Bekenntnis zu ihrer
Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 11.02.2000 S. 4 ff.; 05.06.2000 S. 10 ff.; 24.10.2001 S. 14; vgl.
auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S. 1 f.).
110
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt im Allgemeinen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1;
01.12.2000; 24.10.2001 S. 16). Gefährdet sind allenfalls Rückkehrer, deren Angehörige
eine höherrangige aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den
Sicherheitsbehörden bekannt wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die
verwandtschaftliche Beziehung, je höher die Stellung des Verwandten in der LTTE ist
und je spektakulärer seine Taten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000
S. 2; siehe auch KK 03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle
ausdrücklich ein Bezug zu Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige
Aktivität für die LTTE, z.B. die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der
LTTE, führt demgegenüber nicht zu einer erhöhten Gefährdung von
Familienangehörigen des Verfassers (KK 17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen
Rückkehrer regelmäßig unschädlich, wenn er nur mit einem einfachen Kämpfer der
111
LTTE verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es zahlreiche Familien gibt, die - häufig
zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA 05.09.1997 S. 1 f.; 05.06.2000 S. 10),
die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen demgegenüber aber
vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus, dass "derzeit nicht
von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen ausgegangen
werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige Einzelfälle hinaus
keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen bekannter oder
mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000 S. 4).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen oftmals nur
schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen "Dienstzeit"
Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende bekannt geben (AA
09.11.1996 S. 3.).
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA
25.01.2000 S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE- Kämpfer zugezogen haben
kann (so ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
Straßenverkehrs- und Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S.
1 f.), sodass ein etwaiger Anfangs- Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer erheblicher
Verdachtsmomente - regelmäßig nichts für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine Schusswunde kann jemand nicht nur
als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
112
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete
allgemeine Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm im Falle seiner
Rückkehr konkret drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in
seiner Person konkret verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner
individuellen Situation bewertet werden. Insofern wird auf die Darlegungen im
Anschluss an die Bewertung der allgemeinen in Sri Lanka gegebenen Situation unter I.
2. c) der Entscheidungsgründe verwiesen.
113
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
114
Die Situation, mit der aus dem Ausland nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert
sind, trägt auch nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf
die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder
einer nach asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der
Aufenthalt ist zwar schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie
überhaupt die für eine Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem
solchen Grade, dass auf die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige
115
Dichte geschlossen werden kann, bzw. lassen sie sich weithin und in entscheidendem
Umfang nicht auf ein staatliches Handeln mit der eine politische Verfolgung
ausmachenden Gerichtetheit auf asylerhebliche Merkmale zurückführen.
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo
116
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere in Folge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997, Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo
jedenfalls nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden aus dem Ausland
zurückkehrenden Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche
Regelungen in dieser Hinsicht - mit der anzunehmenden Folge einer verbreiteten
Durchsetzung - bestehen nicht (AA 02.10.1997; 30.01.1998; 24.10.2001 S. 31; UNHCR
12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4; 18.02.2000 an VG Hannover S. 2 f.; 11.06.2001 S.5;
02.08.2001 S. 2; Wingler 08.10.1997 S. 40). Zwar ist zu beobachten, dass Rückkehrer,
die sich bei der zuständigen Polizeistation melden, um sich dort registrieren zu lassen,
ein so genanntes "stay permit" regelmäßig jeweils nur für wenige Wochen erhalten und
bei der Erteilung und Verlängerung - zumal mangels klarer Vergabevorschriften -
Korruption und Willkür eine Rolle spielen (KK 18.02.2000 an VG Hannover). Auf der
anderen Seite fehlt es aber an nachvollziehbaren Referenzfällen über zwangsweise
Rückführungen von aus dem Norden oder Osten zugewanderten, geschweige denn von
aus Europa zurückkehrenden Tamilen in ihre Heimatgebiete. Vielmehr wird berichtet,
dass gerade die aus dem Ausland abgeschobenen oder zurückgekehrten Asylbewerber
es vorziehen und es ihnen vielfach auch gelingt, im Großraum Colombo ihren Wohnsitz
zu nehmen (AA 28.04.2000 S. 28; 24.10.2001 S. 31). Dies schlägt sich insbesondere
auch darin nieder, dass der Anteil der tamilischen Wohnbevölkerung Colombos weit
überproportional wächst und kaum noch oder gar nicht mehr hinter dem singhalesischen
Bevölkerungsanteil zurücksteht (AA 05.06.2000 S. 2 f.; 21.06.2001 S. 8). Es fehlt damit
schon an einer tatsächlichen Grundlage für den Schluss, jedem Rückkehrer aus der
Volksgruppe der Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe drohten mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang erweisen,
Colombo zu verlassen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete ausweichen
könnte, in denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht konfrontiert
wäre. Soweit zurückkehrenden Tamilen durch Meldeauflagen, das Erfordernis von
Ausweispapieren und eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt sowie durch - unter
Umständen bei Nichterfüllen dieser Anforderungen - drohende Festnahme bei den
zahlreichen Kontrollen und die im Umgang mit den Sicherheitskräften bestehenden
sprachlichen Schwierigkeiten (KK 22.09.1997 S. 4; 08.12.1998 S. 3; 02.08.2001 S. 2;
Südasien 6/97 S. 8; EU 11.11.1997 S. 13) der Aufenthalt in Colombo erschwert und -
wie in den Auskünften zum Teil gefolgert wird - faktisch verwehrt wird (Wingler
08.10.1997 S. 40; KK 22.09.1997 S. 4; 22.06.1999 S. 8; Südasien 1-2/98 S. 14), ist auf
die vorstehenden Ausführungen zur Möglichkeit, eventuell fehlende Papiere zu
erlangen, und zu mangelnden Anhaltspunkten dafür, dass gerade bei Rückkehrern die
Anerkennung eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt verneint wird, zu verweisen.
Ein genereller Grund, die Meldeauflagen als unzumutbar nicht zu befolgen oder nicht
erfüllen zu können, ist daher auch nicht ersichtlich. Da der in Auskünften
angesprochene Druck, Colombo zu verlassen, letztlich aus den drohenden Festnahmen
117
gefolgert wird (KK 08.12.1998 S. 4 ff.), kann insofern auf das oben zur mangelnden
Intensität und Dichte derartiger Übergriffe Gesagte verwiesen werden.
(b) Existenzbedingungen
118
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die aus dem
Ausland zurückkehrende Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere
nach noch nicht asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
besorgen oder sind nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu
werten. Arbeit zu finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon wegen der
angespannten Arbeitsmarktsituation (die Arbeitslosenquote betrug laut Fischer-
Weltalmanach 2002, Spalte 758, im Jahresdurchschnitt 2000 7,5 v.H.), also in Folge der
allgemeinen Wirtschaftslage nicht einfach. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen
verwiesen wird, weil potentielle Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen
Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 49;
22.06.1999 S. 9), kann ungeachtet der Frage nach der erforderlichen Schwere der
Beeinträchtigung nicht von einer politischen Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit
Sprachprobleme (KK 08.12.1998 S. 3) trotz des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils
in Colombo (AA 27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4) Bedeutung haben und inwieweit sie
durch Vorteile wie etwa während des Auslandsaufenthalts gesammelte Ersparnisse
oder erworbene Fach- und Sprachkenntnisse aufgewogen werden (AA 06.05.1998 S. 2)
mag dahinstehen; hier fehlt jeder Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die
Möglichkeit, sich eine Unterkunft zu verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine
Knappheit an Wohnraum in Colombo und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die
Sicherheitslage mit der Folge von Kontrollen und unter Umständen auch Schließung
von Unterkünften geprägt (KK 08.12.1998), sodass dieselben Erwägungen wie zur
Arbeitssituation eingreifen und zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit drohender Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und
Aufenthaltsberechtigung entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt,
insbesondere unter dem Aspekt des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden
kann. Für eine weit verbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial
nichts Greifbares zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in
einem der zahlreichen Billighotels (lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S.
2; 21.06.2001 S. 4; KK 20.07.2000 S. 2; 11.06.2001 S.3; 02.08.2001 S. 1; UNHCR
24.08.2001 S. 4). Dass Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige
schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist
nicht festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln
oder Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zu Grunde liegt. Fälle der
Verelendung oder eines bloßen Dahinvegetierens am Rande des Existenzminimums
sind nicht bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 21.06.2001 S. 5; KK 08.12.1998 S. 8). Selbst
wenn ein für Rückkehrer eingreifendes System der sozialen Grundsicherung nicht
besteht (AA 27.05.1999 S. 1; 24.10.2001 S. 30; KK 08.12.1998 S. 1 ff.), ist dies kein
tragfähiges Indiz für eine in dem erforderlichen Grad konkretisierte Gefahr der
Rechtsgutverletzung. Insofern sind die in Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu
beachten, nach denen die Familien und die Dorfgemeinschaften traditionell für
Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1; 24.10.2001 S. 31), und sich demgemäß
ein fest gefügtes System der Sicherung nicht entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund
kommt der Feststellung der tatsächlichen Lebensmöglichkeiten entscheidendes
Gewicht gegenüber dem Fehlen einer organisierten und geregelten, regelmäßigen
Unterstützung - nur diese wird von Keller-Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch für die Hilfe
der Volksgruppe sowie karitativer Organisationen und Einrichtungen verneint - zu. Für
119
Feststellungen, dass es in einer relevanten Dichte zu Fällen von Verelendung
tatsächlich gekommen ist oder kommen wird, gibt das umfassende Auskunftsmaterial
nichts her.
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
120
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen
Staates. Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo
ansässigen Tamilen zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut
verlor, ist es seitdem trotz fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr
gekommen. Ereignisse wie die Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle
(AA 12.10.1995 S. 3; Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf
indien-tamilische Siedler im Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde
(Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im
Oktober 1995 in Colombo (KK 26.10.1995 S. 7) sowie am 25. Oktober 2000 ein Vorfall
im Bezirk Bandarawela, bei dem Singhalesen etwa 30 tamilische Insassen eines
"Rehabilitationslagers" getötet und weitere ca. 15 zum Teil schwer verletzt haben
(Busch 02.11.2000 S. 2; AA 26.01.2001 S. 5; 24.10.2001 S. 15 f.; Wingler --.04.2001 S.
3), sind - verglichen mit der Bevölkerungszahl im Süden des Landes - verschwindend
gering und haben bei weitem nicht das Ausmaß der früheren Pogrome erreicht. Zudem
ergreift der srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen, um derartige Übergriffe zu
verhindern bzw. gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären. So wurden die
Ausschreitungen im Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden Singhalesen
verhaftet (KK 24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes Handeln im
Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen
(KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte Staatspräsidentin
Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62). Auch am Abend des
Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am 25. Juli 1996 mit ca.
70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996 S. 4), sodass die
gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler --.09.1996 S. 41). Dass
Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur Besonnenheit
mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt der
Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf das buddhistische
Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach dem Attentat auf die
Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten Ausschreitungen kam
(AA 28.04.2000 S. 14). Schließlich kündigte die Präsidentin auch unmittelbar nach dem
oben angesprochenen Vorfall in Bandarawela an, alle Schritte zu unternehmen, um die
Situation unter Kontrolle zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen (Busch 02.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Die Familien
erhielten in der Folgezeit eine Entschädigung und es wurde eine Sonderkommission zur
Untersuchung des Vorfalls eingesetzt. Zwischenzeitlich wurden 60 Polizisten vom
Dienst suspendiert; es wurde eine polizeiliche Sonderermittlungsgruppe
zusammengestellt, die gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft ermittelt und der
Sonderkommission zuarbeitet. Mehrere hundert Zeugen wurden vernommen und es
erfolgten auch Verhaftungen (AA 26.01.2001 S. 6; 24.10.2001 S. 16). Bei dieser
Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass es in absehbarer Zukunft zu
pogromartigen Ausschreitungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
kommt, die dem srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen jeden Tamilen die
121
konkrete Gefahr eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
cc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
122
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet. Seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem
Bruch der "Vereinbarung zur Einstellung der Feindseligkeiten" (KK 20.02.1995 S. 3;
Wingler 31.03.1995 S. 2) kam es zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna- Halbinsel
(KK 04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der "Vanni-Region" - hierzu zählen die Distrikte
Mullaitivu, Kilinochchi sowie Teile von Vavuniya und Mannar - (Wingler 30.01.1998 S.
14; 31.05.1998 S. 16 ff.; 30.09.1998 S. 19; 01.04.1999 S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es zunächst gelang, die LTTE
zurückzudrängen (AA 19.01.1999 S. 5, 18). Nach erheblichen Geländegewinnen der
LTTE sowohl auf der Halbinsel Jaffna als auch in der Vanni- Region im November 1999
und April 2000, bei denen unter anderem der strategisch wichtige "Elephant Pass"
eingenommen wurde (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001 S. 1), erstreckt sich das von der
LTTE beherrschte Gebiet auf die Region nördlich Vavuniyas bis nördlich vom "Elephant
Pass" (AA 24.10.2001 S. 18). Der weitere Vormarsch der LTTE auf die Stadt Jaffna
konnte von den Regierungstruppen gestoppt werden (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001
S. 1). Eine Gegenoffensive der Regierungstruppen auf der Jaffna-Halbinsel im April
2001 blieb erfolglos (AA 24.10.2001 S. 6). Den Auskünften über die
Auseinandersetzungen ist zu entnehmen, dass die im Kampfgebiet lebende
Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird (ai 23.02.2000
99.135> S. 2; AA 11.07.2000 S. 1; ai --.--.2001 S. 519). Darüber hinaus kommt es in
Folge des Kampfgeschehens zur Zerstörung und Beschädigung sozialer, kultureller und
religiöser Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.; Wingler 30.09.1998 S. 20; ai
23.02.2000
mit in die Hunderttausende gehenden Flüchtlingen aus (AA 19.01.1999 S. 18;
26.01.2001 S. 1; 24.10.2001 S. 19; KK 04.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 6;
30.01.1998 S. 14; 31.05.1998 S. 19; --.04.2001 S. 4; ai --.--.2001 S. 519; UNHCR
24.08.2001 S. 1); daneben führt auch Zwang von Seiten der LTTE zu
Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 24.10.2001 S. 18).
123
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose
können neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die
Erkenntnisse zum staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt
werden. Es mangelt an Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei
räumlicher Verlagerung qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die
Beurteilung beeinflussen können. Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge
der LTTE und die Entwicklungen in jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem
langjährigen Auf und Ab des Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der
Kriegsgegner den anderen kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden
Informationen - weitere Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - lassen sich dabei keine
Ansatzpunkte dafür entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr eine
neue, den bisherigen Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende Entwicklung
eingeleitet worden wäre.
124
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in
einer Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem
Maße vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen
bieten aber keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen
125
Sicherheitskräfte die Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als
Partei im Bürgerkrieg möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist
(wie hier OVG Lüneburg, Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19.
September 1996 - 12 L 2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 -
A 16 S 60/97 -, S. 87 ff. und Beschluss vom 8. Februar 2001 - A 6 S 1888/00 -, S. 13, 16;
VGH Kassel, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 -, S. 26 ff., vom 3. Mai
2000 - 5 UE 4657/96.A -, S. 38 ff., und vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/69.A -, S. 52
ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2000 - 3 B 47.95 -, S. 26 ff.; ähnlich OVG
Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 -, S. 48 ff.; in der Bewertung
abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 1996 - 11 A 11369/96 -, S. 8 f., im
jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -, S. 5 als "sehr zweifelhaft"
bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte
nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit dem Ziel der
Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter Gebiete
(KK 24.10.1995 S. 9 f.; 04.01.1996 S. 22; 20.03.1996 S. 6) sowie der Abwehr,
Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; 19.01.1999 S. 19;
Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
126
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
Netz mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S.
2) und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (Wingler 01.11.1995 S. 4,
8; KK 04.01.1996 S. 41; AA 16.01.1996 S. 6) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise der Armee bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung
ist nicht festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3; 12.10.1995 S. 3;
05.06.2000 S. 4, 28.04.2000 S. 15: "ethnische Säuberung") ausschließlich Tamilen
leben. Der Umstand, dass die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine
(Wingler 20.07.1995 S. 4) oder nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf
eventuell mitbetroffene Zivilisten nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig
prägen, stellt allein jedoch keinen Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche
Merkmale anknüpfende staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl.
BVerfGE 80, 341), zumal die Sicherheitskräfte angewiesen wurden und bemüht sind,
bei Kampfhandlungen die Verluste unter der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu
halten (AA 28.04.2000 S. 8; 01.12.2000 S. 2; 26.01.2001 S. 2). So wurde etwa die
Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA 19.01.1999 S. 19; US
State Department --.02.2001, S. 10). Für die Opfer einer irrtümlichen Bombardierung
durch die Luftwaffe im September 1999, bei der in einem Dorf bei Puthukkudiyiruppu 22
Zivilisten den Tod fanden, ordnete die Regierung die Zahlung einer Entschädigung an
(US State Department --.02.2001 S. 4, 10). Angesichts des Umfangs der Offensiven, des
eingesetzten Kriegsgeräts, der im Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte, die
127
sich in den Zahlen der Flüchtlinge niederschlägt, sowie der Dauer und Härte der
Auseinandersetzungen tragen die Zahl der Vorkommnisse mit erheblicher
Einbeziehung der Zivilbevölkerung und die Zahl der Opfer nicht den Schluss, dass die
Aktionen objektiv auch auf die physische Vernichtung oder schwer wiegende
Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
Für die Jaffna-Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive im Jahre 1995
von 234 toten und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler
03.10.1995 S. 24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten
und ca. 188.000 Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im
Dezember 1995 zur Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im
Oktober 1995 neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und
LTTE-Kämpfern 104 Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996
S. 12) und führte zu 200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl
der getöteten oder verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende
1995/Frühjahr 1996 mit 800 angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22:
800 Tote), für die Zeit bis Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der
Kämpfe im Jahr 2000 wird von mindestens 150 - von beiden Kampfparteien - getöteten
Zivilisten berichtet (ai --.--.2001 S. 519), wobei allein der Vormarsch der LTTE auf Jaffna
im April und Mai mehr als 100 zivile Opfer gefordert haben soll, hierunter auch Opfer von
Bombardierungen und Artilleriebeschuss seitens der srilankischen Streitkräfte (US State
Department --.02.2001 S. 10). Insofern ist von Bedeutung, dass nach der Rückeroberung
Jaffnas durch die Regierungstruppen etwa 500.000 Einwohner zurückgekehrt sind (AA
28.04.2000 S. 15; 24.10.2001 S. 19), die nunmehr von den neuerlichen
Kampfhandlungen betroffen werden.
128
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen
Bevölkerung von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15), ca. 490.000 (US State
Department --.02.2001 S. 10) oder weit mehr als 500.000 Personen (Wingler 31.05.1998
S. 19) auszugehen. Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wird von 37 bei
Bombardierungen (von beiden Kampfparteien) getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1
zu UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest, dass bei den Militäraktionen bis
Sommer 1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren als bei der Eroberung Jaffnas
1995 (Wingler, 10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe Ende 1999 wird von einer
massiven Betroffenheit der Zivilbevölkerung berichtet und als Beispiel ein Granatangriff
auf die Kirche von Madhu bei Mannar genannt, bei dem 44 Zivilisten getötet und 50
Menschen verletzt worden sind (ai 23.02.2000
2000 wird im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg von insgesamt mehr als 100 bzw.
mindestens 150 zivilen Opfern gegenüber 2.000 Toten in den Reihen der Kriegsparteien
berichtet (US State Department --.02.2001 S. 9 f.; ai --.--.2001 S. 519).
129
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen
seien geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall
sei (AA 24.10.2001 S. 11). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer
beeinträchtigenden Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.)
in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen
Regierungstruppen standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach
auf das objektive Ziel einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen
schließen ließe, kann nicht festgestellt werden. Die von Wingler als
"Flächenbombardierungen" zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im
Einzelnen benannte Ansiedlungen (Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend
130
gegen von der LTTE kontrollierte Orte richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996
S. 1), lassen einen militärischen Bezug der Angriffe insofern erkennen, als sie den
Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler 29.04.1996 S. 22) und die
benannten Orte später von den Regierungstruppen eingenommen wurden (AA
16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR (UNHCR --.07.1998, S. 2,
Anlage 1, Rdnr. 151) stellt in Bezug auf die angeführten Menschenrechtsverletzungen
der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum Bürgerkriegsgeschehen besonders
heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile Ziele können ebenfalls keine
tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele hinausgehende Gerichtetheit
der Aktionen entnommen werden; insofern wird beispielsweise auf den Bombenangriff
auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen, bei dem wohl 130 Menschen den
Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt, insbesondere steht die Möglichkeit
im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion eines nahe gelegenen
Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4; AA 16.01.1996 S. 3).
Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die Kirche von Madhu
wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und LTTE-
Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 S. 2); von welcher Seite
der Angriff ausging, wird nicht berichtet.
(2) "Gegenterror"
131
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 21 ff.) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet
ist, die im LTTE-Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar
beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder
Beeinträchtigung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann
ebenfalls nicht festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen
Regierung verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige)
politische Konzept zur Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw.
Regionalisierung der Macht und teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete
sowie das in den vergangenen Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg
durchgeführte Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA
16.01.1996 S. 5; 28.04.2000 S. 15, 16; 05.06.2000 S. 6; 24.10.2001 S. 19). Ferner
spricht dagegen, dass von der Regierung etwa im Fall Navali die Untersuchung durch
eine Kommission angeordnet wurde und die berichteten schwer wiegenden Angriffe auf
zivile Ziele eher Einzelfälle geblieben sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt
verfügten, zwischenzeitlich jedoch wieder aufgehobenen (AA 24.10.2001 S. 12)
Pressezensur für die Berichterstattung über Vorfälle im Zusammenhang mit Aktionen
der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (AA 30.08.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 9;
01.08.2000 S. 2; KK 04.01.1996 S. 10; Wingler 31.05.1998 S. 18; 30.09.1998 S. 19)
möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es während ihrer Geltung zu
schwer wiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf zivile Ziele gekommen ist,
da diese nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen bekannt geworden wären und
der Propagandaapparat bzw. "Auslandsinformationsdienst" der LTTE unabhängig von
den Zensurmaßnahmen in der Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten (Wingler 03.10.1995
S. 45 f.); derartige Meldungen fehlen auch für die gegenwärtige Situation.
132
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
133
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine
Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine
Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden
gerichtet sind, ist ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der
medizinischen ist in den Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote
für Waren, die der LTTE für die Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee
die Verbote zum Teil auch auf nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 24.10.2001 S.
30; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.). Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 vorübergehend erfolgten Kürzung der Lebensmittellieferungen an die
Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt die Regierung aber immer wieder
Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung, insbesondere unter Einschaltung
des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA 24.10.2001 S. 30). Die Lage ist
danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel festzustellen war (vgl. dazu KK
04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weit gehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile von
Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2; 24.10.2001 S.
30), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstrukur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna seit
Jahren zur freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen geführt hat (AA 24.10.2001 S.
19).
134
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
135
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu
Zivilisten zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es
die wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung
zweier junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der
Ermordung dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne
Aussagegehalt für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden,
dass in derartigen Fällen Sonderkommissionen zur Untersuchung eingesetzt,
Armeeangehörige verhaftet (Südasien 7-8/96 S. 17; KK 24.02.1997 S. 6; AA 24.10.2001
S. 25) und in einem aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige als Täter
zum Tode und weitere zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (South-
Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10; AA 28.04.2000 S. 20; ai 25.01.2001 S. 3). Es zeigt
sich, dass die Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als
Mittel einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
136
(5) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch die LTTE
137
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten, in denen der srilankische Staat seine
Gebietsgewalt an die LTTE verloren hat, hat diese - unter Übernahme des
Vorgefundenen - eigene quasi-staatliche Strukturen aufgebaut (AA 05.06.2000 S. 7 f.;
24.10.2001 S. 18; Südasien 5/00 S. 16) und eine innere Ordnung von gewisser Stabilität
errichtet, wenngleich diese nur durch Hilfeleistung des srilankischen Staates - etwa
durch Finanzierung der Einrichtungen der Daseinsvorsorge und
Nahrungsmittellieferungen - aufrecht zu erhalten ist (AA 05.06.2000 S. 7 f.). Aufgrund
138
dieser in den betreffenden Gebieten errungenen Ordnungsgewalt dürfte die LTTE trotz
der andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen um ihren Einflussbereich mit den
srilankischen Streitkräften und der deshalb fehlenden Gebietsherrschaft "nach außen"
die Fähigkeit zu einer "quasi-staatlichen" politische Verfolgung der dort ansässigen
Bevölkerung erlangt haben.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 - und - 9 C 21.00 -, jeweils a.a.O.
139
Gleichwohl kann im hier gegebenen Zusammenhang offen bleiben, ob das in den
Erkenntnisquellen als brutal und menschenrechtswidrig beschriebene Vorgehen der
LTTE-Angehörigen gegenüber der in ihrem Einflussbereich ansässigen
Zivilbevölkerung - so werden Entführungen zur Lösegelderpressung, Festnahmen und
Hinrichtungen politisch Andersdenkender, Tötung von "Kriegsgefangenen" und
Zivilisten, Folterungen und Zwangsrekrutierungen beschrieben (AA 24.10.2001 S. 18;
Südasien 3/01 S. 65) - die Merkmale einer "quasi-staatlichen" politischen Verfolgung
aufweist. Die der LTTE aufgrund ihrer Gebietsgewalt gegebene Verfolgungsmächtigkeit
ist auf geringe Teilflächen des Staatsgebiets von Sri Lanka beschränkt; Rückkehrer aus
dem Ausland werden sowohl am Ort ihrer Ankunft als auch in den übrigen, vom
srilankischen Staat beherrschten Landesteilen durch die srilankischen Sicherheitskräfte
geschützt; dort droht ihnen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung durch die LTTE.
140
Vgl. zum anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit BVerwG, Urteil
vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, NVwZ 1997, 194 (196 f.).
141
Bei der insoweit - gegebenenfalls - vorliegenden Konstellation der Verfolgung durch
einen anderen ("Quasi-") Staat ist es auch ohne Bedeutung, ob am Ort der
Schutzgewährung die Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative gegeben
sind.
142
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996, a.a.O., S. 197.
143
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Annahme einer
politischen Verfolgung von Tamilen durch die LTTE in deren Einflussgebiet auch für die
Frage einer politischen Verfolgung von Tamilen durch den srilankischen Staat in den
übrigen Landesteilen für das Klagebegehren ohne jede Bedeutung wäre; insbesondere
wäre wegen des fehlenden sachlichen Zusammenhangs zwischen eventuellen
Verfolgungsakten der LTTE und dem Handeln der srilankischen staatlichen
Sicherheitskräfte -
144
vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urteile vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, a.a.O., S.
196 f., und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 ff. = NVwZ 1997, 1134 -
145
weiterhin für die Frage staatlicher politischer Verfolgung der Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.
146
dd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
147
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist
und der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen
der jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
148
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung für Rückkehrer nicht festzustellen.
(1) Allgemeine Sicherheitslage
149
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große
Zahl von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna-Halbinsel geflüchteten Tamilen ist
nach der Einnahme weiter Gebiete der Jaffna-Halbinsel durch die Armee (Südasien-
Büro 15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27;
AA 24.10.2001 S. 19). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa
500.000 angegeben (AA 24.10.2001 S. 19). Ein singhalesischer Journalist berichtete
nach einer Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung
bemüht sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch
nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.)
wurde die Rolle der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi
und in dem die Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat
auch ein Abgeordneter im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Armee und Bevölkerung beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung
wurden alsbald große Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die
Zivilbevölkerung zu versorgen (Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit
Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele Schulen, die Universität und Krankenhäuser
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA 30.08.1996 S. 9; 27.05.1999 S. 6;
28.04.2000 S. 15; 05.06.2000 S. 7; 26.01.2001 S. 2; Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum
Aufbau einer zivilen Verwaltung auf der Jaffna-Halbinsel entsandte die Regierung
tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3 f.); im Januar 1998 fanden kommunale Wahlen
statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und die Situation in Jaffna verbessert sich trotz weit
greifender Kontrollen durch das Militär zusehends (UNHCR --.07.1998 S. 4 und
zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die Menschenrechtslage wird gegenüber derjenigen vor
Juni 1997 als erheblich verbessert beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler 30.09.1998
S. 10; --.04.2001 S. 3 f.). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verhalten der
Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von ihnen beherrschten
Gebieten im Norden in Folge des Wiederaufflammens der kriegerischen
Auseinandersetzungen ab Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
150
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
151
Soweit die Sicherheitskräfte bei ihrem Kampf gegen die LTTE wie im Großraum
Colombo und den übrigen südlichen Gebieten zum Mittel kurzzeitiger
Massenverhaftungen von Tamilen zum Zweck der Identitätskontrolle greifen (UNHCR
24.08.2001 S. 1 f.), gilt das oben Ausgeführte. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit
politischer Verfolgung ergibt sich hieraus - von Fällen eines konkreten LTTE- Verdachts
der Sicherheitsbehörden gegen den Betroffenen abgesehen - nicht. Bedenken im
Hinblick auf eine politische Verfolgung folgten aus früheren Berichten über Festnahmen
und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl. insoweit die
Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai --.11.1997 nebst Anhängen A
und C). Für den jetzigen Zeitraum sowie die weitere Entwicklung - auch in künftig
wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte gelangenden Bereichen - und für den
Personenkreis der Rückkehrer nach längerem Auslandsaufenthalt ergeben diese
Vorgänge jedoch nichts Tragfähiges im Sinne der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
152
politischer Verfolgung.
(a) Vorfälle im Jahr 1996
153
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter
den Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an
unbekannte Orte - auch im Süden des Landes - verbracht worden sein, wobei spätere
Freilassungen nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach
Bombenanschlägen zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S.
12, 36). Für den Herbst 1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in
Militärhaft genommen worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach
Zusammenstellungen eines Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und
dem Januar 1997 wurden in jener Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten
als verschwunden (KK 24.02.1997 S. 5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996
über 700 Personen als verschwunden (AA 18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des
Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S. 1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt
umgebracht worden oder unter Folter zu Tode gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19).
Hierauf deutet auch die Aussage eines angeklagten Armeeangehörigen zu
Massengräbern in der Region um Chemmani hin (South-Asia Bureau, Inform --.07.1998
S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die hieran anschließenden
Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von 15 Leichen führten
(AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser Größenordnung -
gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene Fälle - zu Grunde
gelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai --.11.1997 S. 9)
- doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der
LTTE oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7; AA 28.04.2000 S.
19), auch für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben,
ob aus den Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende
Verfolgungsdichte geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind
nämlich für die heutige Situation und für Tamilen, die nach jahrelangem
Auslandsaufenthalt zurückkehren, ohne tragenden Aussagegehalt.
154
(b) Entwicklung nach 1996
155
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme
der bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle
habe sich 1997 wiederum erhöht - soweit damit nicht die über mehrere Jahre
fortgeschriebene Gesamtzahl gemeint ist -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel -
Jaffna ist neben Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - nicht zu
Grunde gelegt werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf
tragfähige Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch
dem Material, auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen
Unterlagen Sri Lanka als das Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997
bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer 348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und
in Bezug auf den hier zu betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die
156
ersichtlich zeitlich weit greifende Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten
seien über Jahre hinweg so zahlreich, häufig und ernstlich, dass man nicht von
isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151).
Demgegenüber enthält das sonstige Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit
unterschiedlichen Quellen genaue Angaben und ergibt ein in den Grundzügen
übereinstimmendes Bild, sodass den pauschalen und ohne Bestätigung gebliebenen
Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden kann: Für die erste Jahreshälfte
1997 wird von 35 bzw. 41 Verschwundenen berichtet. In der Folgezeit ist zunächst kein
Fall dieser Art auf der Jaffna-Halbinsel mehr bekannt geworden (ai --.11.1997 S. 2;
Wingler 30.01.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 23; US State Department --.02.2001 S. 5).
Im Dezember 2000 ereignete sich dann ein weiterer Vorfall mit 8 Verschwundenen - und
letztlich Getöteten - bei Mirusevil auf der Halbinsel Jaffna (US State Department --
.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22; ai --.--.2001 S. 519), der unmittelbar nach
Bekanntwerden zur Festnahme der verantwortlichen Soldaten wegen Folter und Mordes
führte (US State Department --.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22); das Verfahren
gegen die 19 in Untersuchungshaft befindlichen Armeeangehörigen dauert an (AA
24.10.2001 S. 22). In den übrigen Gebieten des Nordens können sich in der Folgezeit
nur einzelne Fälle von Verschwindenlassen ereignet haben, da die Zahl möglicher
Verschwundener für 1999 und 2000 landesweit mit jeweils 12 bis 15 (ai --.--.2001 S.
519: "mindestens 20" im Jahr 2000, davon 11 im Gebiet Vavuniya) angegeben wird (AA
24.10.2001 S. 23), von denen 1999 allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet werden
(AA 28.04.2000 S. 20). Für die Monate Januar bis September 2001 nennt das
Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf amnesty international landesweit etwa 10 Fälle
(AA 24.10.2001 S. 23); anderenorts wird berichtet, Fälle von Verschwindenlassen
ereigneten sich vor allem in den Regionen Vavuniya und Mannar, wobei auf eine von
der HRC in Vavuniya genannte Zahl von 15 nach Verhaftung vermissten Personen
Bezug genommen und eine Vielzahl von Fällen durch die LTTE Entführter aufgeführt
wird (Südasien 3/01 S. 65).
Abgesehen von der sich aus diesen bekannt gewordenen Zahlen ergebenden
durchgreifenden Verbesserung der Situation gibt es weitere Umstände, die es plausibel
erscheinen lassen, dass sich die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen
Stand reduziert hat, bei dem es ersichtlich an der für eine Gruppen- oder
Untergruppenverfolgung erforderlichen Dichte fehlt; von einer Situation, in der die
Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer (Unter-) Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht -
157
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S.
203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, a.a.O. -,
158
kann nicht gesprochen werden. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen
der Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben
zum Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur
Anwendung zu bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - so werden etwa Mitteilungen über eine
Verhaftung erstellt (Wingler 31.05.1998 S. 44) - sowie das Bewusstsein für die
Menschenrechte in der Armee zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der
Rekruten- als auch bei der Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den
Ausbildungskatalog aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2; 28.04.2000 S. 8); bei den in
Jaffna stationierten Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten"
159
- human right cells - eingerichtet (AA 24.10.2001 S. 10; 28.04.2000 S. 20; US State
Department -- .02.2001 S. 10); nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes beruht die zu
beobachtende Reduzierung der Fälle von Vermissten auf den von der Regierung bzw.
der Präsidentin getroffenen Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 23). Insbesondere aber ist
Wirkung davon zu erwarten, dass es - wie etwa im Anschluss an den erwähnten Vorfall
in Mirusuvil - zu Verfahren kommt, in denen die Verantwortlichkeit von
Armeeangehörigen für schwer wiegende Vorkommnisse geklärt werden soll und über
die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997 S. 2: "Signal für die Sicherheitskräfte"; AA
24.10.2001 S. 22 f.; 28.04.2000 S. 20) - in einem Strafverfahren gegen
Armeeangehörige, die im Norden eingesetzt waren, ist es inzwischen zu einer
Verurteilung gekommen (South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA 28.04.2000 S.
20). Armee- und Polizeiführung haben die Verschwundenenfälle kritisiert und
angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (US State Department --
.02.2001 S. 5). Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch
staatlich eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim
Verteidigungsministerium ein Board of Investigation eingerichtet worden, dem Hunderte
von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt
worden sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen über Zweigniederlassungen in
Jaffna und Vavuniya verfügt (AA 24.10.2001 S. 9; Wingler 30.01.1998 S. 19),
eingeschaltet, die bereits Ende 1997 über 270 Fällen nachging (ai --.11.1997 S. 2, 12,
13); auf Anordnung von Präsidentin Kumaratunga wurden sieben im August 2000
bekannt gewordene Fälle von Verschwinden einer internen Untersuchung unterzogen
(ai --.--.2001 S. 519). Schließlich wird dem Vorgehen der Armee insbesondere im
Hinblick auf das Verschwinden von Zivilisten auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit
gewidmet. So hatte eine in Colombo erscheinende Wochenzeitung eine regelmäßige
Rubrik mit Namen von als verschwunden geltenden Personen eingerichtet (KK
22.02.1997 S. 5); ferner warfen Richter des Obersten Gerichtshofs den
Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor (KK 24.02.1997 S. 4;
ai 23.02.2000 S. 5). Auch der Aussage eines wegen der Tötung von
Zivilisten zum Tode verurteilten Armeeangehörigen zur Existenz von Massengräbern
von der Armee Getöteter wird durch staatliche Stellen, die hierbei internationale
Menschenrechtsorganisationen beteiligen, unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit
nachgegangen (AA 28.04.2000 S. 20). In jüngerer Zeit hat die srilankische Regierung -
auch auf die Kritik nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen hin -
eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um von Polizei- und Armeeangehörigen
begangene Menschenrechtsverstöße konsequenter zu ahnden und die Verfahren zu
beschleunigen, wie die Anordnung von Gegenüberstellungen und die Durchführung von
Prozessen vor einem Gremium von Berufsrichtern; letztere Maßnahme dient auch dazu,
einer möglichen Einflussnahme auf Schöffenrichter vorzubeugen (AA 24.10.2001 S. 23).
(c) Gefährdungsminderung für Rückkehrer aus dem Ausland
160
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Gefährdungssituation von Rückkehrern nach
einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt gegenüber derjenigen der in den hier
betroffenen Gebieten ununterbrochen lebenden jungen männlichen Tamilen gemindert
ist. Denn als Vergleichsfälle sind die Vorkommnisse auszuschließen, die nach der
Beendigung des offenen Bürgerkrieges zur Sicherung der wiedererlangten
Gebietshoheit dort darauf gerichtet waren, LTTE-Verdächtige in der Bevölkerung,
insbesondere unter den Flüchtlingen festzunehmen - was auf die Mehrzahl der im Jahr
1996 in Jaffna festgestellten Verschwundenenfälle zutreffen soll (AA 28.04.2000 S. 19 f.)
- und - unterhalb der Schwelle, die zu politischer Verfolgung führen könnte -
161
Informationen über LTTE-Aktivitäten zu gewinnen. Insofern ist der Umstand, sich in der
letzten Zeit der LTTE-Herrschaft in dem Bereich aufgehalten zu haben, ein wesentliches
Merkmal für den Kreis der Betroffenen, das die Rückkehrer aus dem Ausland nicht
teilen.
Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 1998 - 9 B 136.98 -.
162
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
163
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - für die Zeit von Januar bis
September 1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen
durchgeführt worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - ist auf die
vorstehenden Ausführungen zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen,
zumal der Verdacht auf extralegale Tötungen durch die Sicherheitskräfte in den Jahren
2000 und 2001 in erster Linie im Zusammenhang mit den Verschwundenen-
Schicksalen steht (AA 24.10.2001 S. 22). Auch insofern greifen die Maßnahmen zur
stärkeren Disziplinierung der Soldaten, sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten
auszugehen ist, die nicht als politische Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt
es auch hier an der erforderlichen Dichte der Übergriffe.
164
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
165
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - und "Tamil Eelam
Liberation Organisation" - TELO -. Diese Organisationen geben zum einen
Informationen über LTTE-Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der
Identifikation von LTTE-Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern
von ihnen aufgegriffene LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 24.10.2001 S.
17). Zum anderen führen die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen
und Verhaftungen durch, in deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige
Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des
Verschwindenlassens (AA 24.10.2001 S. 17 f.; ai 01.03.1999 S. 4; 16.01.2001 S. 5; US
State Department --.02.2001 S. 2, 6 ff.).
166
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen
Vorfällen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser
Organisationen gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung
oder jedenfalls Duldung unterliegt und diesem daher zuzurechnen ist, oder ob der Staat
in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen ergreift, um Übergriffen
entgegenzuwirken, was einer Qualifizierung als mittelbare staatliche Verfolgung bereits
vom Ansatz her entgegenstünde. Von einer Duldung illegaler Inhaftierungen geht
amnesty international unter Hinweis auf die Beobachtung von Armeefahrzeugen und
Soldaten in illegalen Haftzentren der PLOTE aus (ai 23.02.2000 S. 3).
Wingler meint, die Aktivitäten entzögen sich "fast jeglicher Kontrolle" und die Regierung
167
habe "keine klaren Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken (Wingler --.05.2000
S. 2; --.04.2001 S. 3). Das Auswärtige Amt spricht von einem "entschiedenen
Eingreifen" der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Aktivitäten der PLOTE und TELO
in Vavuniya in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 (AA 04.02.2000 S. 2; 01.12.2000 S.
4) bzw. in jüngerer Zeit (AA 24.10.2001 S. 18); insofern berichtet das US State
Department von einer Entwaffnung der PLOTE und TELO durch die Regierung im
Anschluss an eine bewaffnete Auseinandersetzung in Colombo im Mai 1999 (US State
Department --.02.2001, S. 2, 6), die allerdings als nicht effektiv eingeschätzt wird (US
State Department --.02.2001 S. 4). Die Angaben in den vorliegenden Erkenntnissen
ergeben jedenfalls nicht, dass diejenigen Übergriffe von Seiten der genannten
Organisationen, die nicht bereits bei objektiver Bewertung auf die Bekämpfung der
LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin erschöpfen, von einer derartigen
Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren hunderttausend) Tamilen im betroffenen
Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne Anknüpfung an irgendwelche über
Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausgehenden individuellen Merkmale
Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. So beziffert etwa amnesty
international die Zahl der in illegalen Haftzentren der PLOTE in "unbestätigter Haft"
gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen sich die Fälle von
Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird (Nachweise etwa
in Anlage 1 zu KK 26.02.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen zudem
staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK 26.02.1999). Soweit davon
berichtet wird, nach einer Meldung der Zeitung "The Island" vom 24. März 2000 werde
die PLOTE in einem Untersuchungsbericht für die Tötung von 620 Menschen in
verschiedenen Teilen des Landes verantwortlich gemacht, wobei sie Unterstützung von
Armeeangehörigen erhalten habe (ai 16.01.2001 S. 5), bezieht sich die Zahlenangabe
ersichtlich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und hat keinen Bezug zu aktuellen
Entwicklungen. So hat das Auswärtige Amt in jüngerer Zeit noch einmal bekräftigt, dass
die Regierung seit 1999 verschärft gegen Eigenmächtigkeiten der PLOTE vorgehe,
dass sich die Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des Jahres 1999, insbesondere nach
der Ermordung eines örtlichen PLOTE- Führers im September 1999, verbessert hätten
(AA 01.12.2000 S. 4) und dass der Einfluss der PLOTE gerade seit den letzten Wahlen
zurückgegangen sei, nachdem sie nicht mehr im srilankischen Parlament vertreten sei
(AA 24.10.2001 S. 18). Für eine gegenteilige Entwicklung sind keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
ee) Östliche Landesteile
168
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten über die auch in den anderen
Landesteilen verbreiteten Aktionen der Sicherheitskräfte zur Identifizierung und
Verhaftung von LTTE-Angehörigen, die in gleicher Weise wie dort zu bewerten sind,
hinaus zwar Gefährdungen von Leib und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche
oder staatlich geduldete bewaffnete Kräfte. Die für die Annahme einer
Gruppenverfolgung unerlässliche Dichte von derartigen Übergriffen, also eine Situation,
in der die Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen
lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder eine Untergruppe nicht festzustellen.
169
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
170
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995
S. 45; 31.01.1996 S. 39; Südasien 7-8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug der
Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der Einflussbereich
der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro
15.04.1996 S. 2). Nach ihrer Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie ihre Präsenz im
Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996 S. 13; Wingler --
.09.1996 S. 36; AA 24.10.2001 S. 18: Gebiete um Batticaloa und Amparai); die
srilankische Regierung hielt und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den
Landstreifen an der Küste und die dortigen (größeren) Ortschaften (EU 02.04.1997 S. 4;
Wingler 31.05.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 18; KK 04.01.1996 S. 32). Zu militärischen
Aktionen, die zum Teil auch zivile Opfer, ganz überwiegend aber Opfer unter den
staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE fordern, kommt es nur vereinzelt
(Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S. 18, AA 24.10.2001 S. 18);
Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen Urwaldeinrichtungen der LTTE
gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht statt (KK 04.01.1996 S. 18).
Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler Ziele berichtet wird
(UNHCR --.07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen der geringen Zahl
der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine Zahl von 37
Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die zudem
zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das militärische
Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet prägendes
Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen im Norden
Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in erhöhte
Alarmbereitschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE militärisch
entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als
politische Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
171
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE-Aktionen/"Verschwindenlassen"
172
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend
außergesetzlicher Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und
für November 1995 in einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von
der Tötung von drei oder sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem
besonders gravierenden Vorfall mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern
und auch Frauen (KK 20.03.1996 S. 4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9
f.). Gegen Ende 1996 wurde eine Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner
ganzer Ortschaften ins offene Feld getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte
Zahl nach der Festnahme durch die Armee verschwunden ist und mehrere Personen
getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30, 40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner
Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner belegt, wobei auch Personen zu
Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997 S. 23 f.). Für die ersten acht
173
Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und davon, dass die Fälle
unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass Tötungen von den
Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben werden, um so
eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im September
1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt oder
verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge Tamilen
verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens von
tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - etwa nach Festnahmen durch die
Sicherheitskräfte bei Kontrollen - festzustellen (UNHCR --.07.1998 S. 3), wobei die Zahl
den Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung
und Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird
für den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30
angegeben (KK 04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den
Osten einige Fälle von Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis
auf die von amnesty international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf
Trincomalee kein Fall mehr benannt (AA 24.10.2001 S. 23). Für den Bezirk Batticaloa
wird berichtet, im ersten Halbjahr 1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --.11.1997
S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA 28.04.2000 S. 20). Für die ersten 9 Monate des
Jahres 2000 wird für das Gebiet um Vavuniya und den Osten Sri Lankas zusammen die
Zahl von 9 Personen genannt, die aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte
verschwunden sind (US State Department --.02.2001 S. 1), für die Zeit von Januar bis
September 2001 ist von landesweit etwa 10 Verschwundenenfällen die Rede (AA
24.10.2001 S. 23). Der UNHCR teilt mit, im Osten seien Fälle von Verschwindenlassen
sowie schwer wiegende Misshandlungen im Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu
nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S. 4); konkretere Angaben lassen sich seiner
Stellungnahme und dem in Bezug genommenen Material allerdings nicht entnehmen.
Eine Liste mit den Namen von 2.000 Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler
08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht
nicht deutlich wird - allein auf die Zeit nach dem Regierungswechsel, den
Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen der LTTE-Übergriffe bezogen wird,
wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab 1990/1991, die ein nachhaltig anderes
Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - 21
A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
junger tamilischer Männer trugen. Da der Verfasser der Liste seit langer Zeit in
Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation der Bevölkerung befasst, ist
anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste handelt; angesichts der sich
nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden Beobachtung der Entwicklung durch
Menschenrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S. 5) kann trotz des oben aufgezeigten
Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt gewordenen Zahl in der genannten
Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch der Angabe von Wingler (Wingler --
.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von Verschwinden und Tod in Haft werden derzeitig
aus dem Osten berichtet", ist keine Aussage zu einer hohen Zahl derartiger
Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet vielmehr ihre Erklärung in dem allgemein in Sri
Lanka konstatierten Rückgang derartiger Übergriffe, der sich etwa in der Zahl von
landesweit jeweils etwa 12 bis 20 Verschwundenenfällen in den Jahren 1999 und 2000
und etwa 10 Fällen in den ersten neun Monaten des Jahres 2001 widerspiegelt (AA
24.10.2001 S. 23; ai --.--.2001 S. 519), wobei sich allerdings allein im Jahr 1999
mindestens sechs Fälle im Raum Batticaloa ereigneten (AA 28.04.2000 S. 20).
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
174
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa
(KK 24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte
von Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5;
28.04.2000 S. 13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der
LTTE sind Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von
Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf
eine Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52,
08.10.1997 S. 26; EU 02.04.1997 S. 12; AA 24.10.2001 S. 25).
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
175
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich
aufhaltende Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob
hinter den vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine
politische Verfolgung beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei
braucht nicht auf die Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine
Qualifizierung von Vorfällen als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der
Annahme eines Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und
Spannweite der vorstehend aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen
sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon
ausgegangen werden, die Regierung lasse die Situation gewollt unkontrolliert und
dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen, etwa um diese als
Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen.
Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall
von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA
30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997 alsbald zur
Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 22.02.1997 S. 6 f.).
Als Folge eines Vorfalls in Thamapalakamam in der Nähe von Trincomalee im Februar
1998, bei dem Polizei und Heimwehren acht Tamilen, darunter drei Kinder getötet
haben sollen, wird von der Inhaftierung von 31 Polizisten und 10 Mitgliedern der
Heimwehren berichtet, von denen 4 Personen wegen Mordes und 17 Personen wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt worden sind (US State Department --
.02.2001 S. 3). Die eingeleiteten Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der
Verantwortlichkeit und abschließenden Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; Wingler
08.10.1997 S. 25), sie stehen aber der in dem angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992
- 21 A 914/91.A - noch maßgeblich mit herangezogenen Schlussfolgerung entgegen,
die Tamilen seien Übergriffen völlig hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In
diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass in den Medien von den Übergriffen
berichtet wird, Politiker Vorfälle aufgreifen und öffentliche Proteste stattfinden (AA
24.10.2001 S. 25; Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht des UNHCR vom Juli
1998 wiedergegebene Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-
Menschenrechtskommission über eine "systematische Praxis des
Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage wird in keiner Hinsicht
konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit welchen Kriterien in
Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig verdeutlicht wie die
tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in bestimmter Weise
anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht entnehmen;
insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende Bericht
176
die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik von
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdnr.
151).
(b) Dichte der Übergriffe
177
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge
sind im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die
Situation ist seit Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen
auf strategisch wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34;
AA 17.03.1997 S. 4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34;
Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu
Übergriffen der LTTE mit in Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung - so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im
Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK 24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten
Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S.
23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über 500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34),
allein im Januar 1997 betrug sie über 200 (Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf
Armeelager und Polizeistellen, die teilweise mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben
fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal als fast täglich geschehend dargestellt
(Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9, 10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1).
Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --
.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; AA 05.06.2000 S. 13). Eine Situation, bei der
praktisch nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen ist, ist
daher nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von Personen bei Gelegenheit der
Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die Vergewaltigungen
sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts einfließen muss -
Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst bei
Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass für jeden
aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen Eintritt
zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen
Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das
Heranziehen zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem
umfangreichen Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu
bringen war, sodass auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem
erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
178
(3) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch LTTE
179
Ob Angehörige der LTTE in den von ihr beherrschten südöstlichen Gebieten um
Batticaloa und Amparai (AA 24.10.2001 S. 18) politische Verfolgung betreiben, kann
ebenso dahingestellt bleiben, wie dies hinsichtlich der LTTE-beherrschten Gebiete im
Norden der Fall ist. Insofern kann auf das oben Ausgeführte Bezug genommen werden.
180
ff) Absehbare weitere Entwicklung
181
Die Beurteilung der Situation der Tamilen in Sri Lanka durch den Senat beruht auf
Erkenntnissen über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Diese Beurteilung kann auch
bei der gebotenen Prognose zu Grunde gelegt werden, da beachtliche Anhaltspunkte
für eine Entwicklung hin zum Schlechteren fehlen. Die Ereignisse aus jüngster Zeit,
namentlich das Geschehen im Jahre 2001 bis zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung,
geben nichts Greifbares dafür her, dass sich die Situation in absehbarer Zeit zu Lasten
der tamilischen Bevölkerung in asylrelevanter Weise verschärfen könnte. Der Stand der
militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Regierungstruppen und der LTTE
im Norden Sri Lankas lässt keine grundlegend neue und abweichend zu den obigen
Ausführungen zu bewertende Entwicklung erwarten. Die militärische Lage war bereits
nach den kriegerischen Auseinandersetzungen im Vorjahr (AA 11.03.2001 S. 5, AA
24.10.2001 S. 5) und ist auch aktuell gekennzeichnet durch ein "Patt" im Kampf um die
Kontrolle der Halbinsel Jaffna (Fischer Weltalmanach 2002, Spalte 759). Hieran haben
auch die nach Aufkündigung eines von der LTTE am 24. Dezember 2000 einseitig
ausgerufenen Waffenstillstandes am 24. April 2001 (NZZ vom 24.04.2001, AA
24.10.2001 S. 5) für wenige Tage ausgebrochenen schweren Kämpfe (FR vom
26.04.2001, NZZ vom 27.04.2001, SZ vom 27.04.2001) nichts geändert. Vielmehr ist
erneut die Aussichtslosigkeit einer militärischen Lösung des Konflikts deutlich geworden
(NZZ vom 30.04.2001). Während die Regierungstruppen bei einem abermaligen
Versuch scheiterten, ihre Einkesselung auf der Jaffna-Halbinsel durch die Gewinnung
einer Landverbindung über den "Elephant Pass" zu sprengen, gelang es der LTTE
nicht, die Regierungstruppen von der Jaffna-Halbinsel zu vertreiben (FR vom
30.04.2001, NZZ vom 30.04.2001, Fischer Weltalmanach 2002, Spalte 759). Auch die
durch die Auflösung des Parlaments für 60 Tage (FR vom 12.07.2001, NZZ vom
14.07.2001), durch Demonstrationen oppositioneller Gruppen mit teilweise
gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und
Sicherheitskräften (FR vom 17.07.2001, FAZ vom 20.07.2001, SZ vom 17.07.2001 und
vom 23.07.2001) sowie durch eine Regierungskrise bestimmte labile innenpolitische
Entwicklung (Flück, Politische Entwicklungen in Sri Lanka, Südasien 3/01 S. 60 ff.) gibt
keinen Anlass für die Annahme einer Verschärfung der Sicherheitslage. Zwar ist die
Friedensinitiative Norwegens, in deren Rahmen noch im Frühjahr 2001 beide Seiten
Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten (FAZ vom 12.03.2001 und vom 15.03.2001)
und die Regierung im Zusammenhang mit der Milderung des Wirtschaftsembargos
gegen den Norden Sri Lankas (NZZ vom 07./08.04.2001) konkrete Friedensgespräche
angekündigt hatte (NZZ vom 04.04.2001), im Sommer 2001 aufgrund der
innenpolitischen Situation ins Stocken geraten (Flück, Politische Entwicklungen in Sri
Lanka, Südasien 3/01 S. 62) und ruht derzeit faktisch (AA 24.10.2001 S. 6). Auch hat der
Anschlag der LTTE auf den Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden
Bandaranaike- International-Airport am 24. Juli 2001 (FAZ vom 25.07.2001, FR vom
25.07.2001, NZZ vom 25.07.2001 und 03.08.2001, SZ vom 25.07.2001, AA 24.10.2001
S. 5) das Land erschüttert. Zu berücksichtigen ist aber im Hinblick auf die künftige
Entwicklung vor allem, dass dieser Anschlag trotz seiner massiven Auswirkungen auch
auf die srilankische Wirtschaft und insbesondere den Tourismussektor im Gegensatz zu
früheren Vorfällen nicht zu einer Eskalation der Verhältnisse und/oder zu einer
massiven Verschärfung der Sicherheitslage oder der Verfahrenspraxis in Bezug auf
Rückkehrer geführt hat (AA 24.10.2001 S. 12, 27). Vielmehr hat dieser Anschlag
offensichtlich mehr als der Bürgerkrieg und die Attentate der letzten 18 Jahre auch einen
tiefen Schock ausgelöst (taz vom 27.08.2001) und die Gewissheit verstärkt, dass die
Lösung des Konfliktes nur in Friedensgesprächen liegen kann. Die Regierung hat
182
bereits im August 2001 wieder Kontakt zur LTTE aufgenommen, um die Möglichkeit für
eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zu sondieren (NZZ vom 16.08.2001).
Bei den Gesprächen im Norden Sri Lankas soll auch die LTTE Bereitschaft zu
Verhandlungen signalisiert haben (NZZ vom 16.08.2001). Vertreter der srilankischen
Unternehmerverbände haben sich für die Aufnahme von Friedensgesprächen stark
gemacht (taz vom 27.08.2001). Die Regierungskrise konnte Anfang September 2001
durch ein Duldungsbündnis des regierenden Parteienbündnisses "People's Alliance"
(PA) mit der oppositionellen "Janatha Vimukthi Peramuna" (JVP) zunächst abgewendet
werden (NZZ vom 04.09.2001, AA 24.10.2001). Nach Auflösung des Parlaments am 10.
Oktober 2001 (NZZ 11.10.2001) sind Neuwahlen für den 5. Dezember 2001 angesetzt
(FR vom 12.10.2001, NZZ vom 12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist es wie
auch schon regelmäßig bei früheren Parlamentswahlen in den letzten Wochen zu
Anschlägen gekommen, unter anderem zu einem fehlgeschlagenen Selbstmordattentat
auf den srilankischen Premierminister in Colombo am 29. Oktober 2001 (SZ vom
30.10.2001) und zu einem Selbstmordanschlag auf einen Öltanker vor der Küste Sri
Lankas am 30. Oktober 2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001). Die aktuelle Situation und die
in absehbarer Zeit zu erwartende Entwicklung fügen sich nach alledem ohne Weiteres
in das schon in der Vergangenheit wiederholt zu verzeichnende Auf und Ab der
staatlichen Maßnahmen entsprechend der jeweiligen Einschätzung der Sicherheitslage
ein und geben zu einer Neubewertung der Situation im Hinblick auf ihre Asylrelevanz
keinen Anlass. Zweifel an dieser Einschätzung ergeben sich auch nicht aus den bereits
in anderem Zusammenhang gewürdigten Erkenntnissen, namentlich etwa der
Stellungnahme von amnesty international vom 16. Januar 2001, dem Jahresbericht
2001 von amnesty international für Sri Lanka, dem Menschenrechtsbericht des US State
Department von Februar 2001 für das Jahr 2000 oder dem vom Rat der Europäischen
Union unter dem 25.06.2001 im Rahmen der CIREA-Arbeitsgruppe veröffentlichten
Hintergrundpapiers des UNHCR von Juni 2001 zu Flüchtlingen und Asylsuchenden aus
Sri Lanka. Die in diesen Unterlagen angesprochenen Vorfälle und Ereignisse liegen,
soweit sie in nachvollziehbarer Weise konkretisiert sind, in qualitativer und quantitativer
Hinsicht im Rahmen dessen, was der Senat seiner Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht
zu Grunde legt."
gg) Entwicklung seit den Urteilen vom 23. und 29. November 2001 sowie aktuelle
Bewertung
183
Der Senat hält an dieser Bewertung der Nachfluchtgründe im Anschluss an die
rechtskräftigen Urteile vom 23. November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A -
und 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A - in der Gesamtbeurteilung und in der
Beurteilung aller Einzelumstände auch unter Berücksichtigung der aktuellen
Entwicklung in Sri Lanka seit Oktober 2001 fest. In deren Mittelpunkt stehen das am 22.
Februar 2002 geschlossene unbefristete Waffenstillstandsabkommen zwischen der
srilankischen Regierung und der LTTE (AA 06.09.2002 S. 5; FR vom 23.02.2002, NZZ
vom 23./24.02.2002 und 25.02.2002) und die Aufnahme von Friedensverhandlungen
zwischen den Bürgerkriegsgegnern unter norwegischer Vermittlung am 16. September
2002 in Thailand (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt in Sri Lanka,
Südasien 3/02, S. 72 ff.; Keller, Die Suche nach der Konfliktlösung hat begonnen,
Südasien 3/02, S. 75 ff.; FAZ vom 16.09.2002 und 17.09.2002, NZZ vom 16.09.2002).
184
Ausgangspunkt der aktuellen Entwicklung war die Parlamentswahl im Dezember 2001.
Nach dem Übertritt von 13 Abgeordneten zur Oppositionspartei "United National Party"
(UNP) und dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit ihres Wahlbündnisses
185
"People's Alliance" (PA) sah sich Präsidentin Kumaratunga veranlasst, am 10. Oktober
2001 das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 747; FR vom 12.10.2001, NZZ vom 11.10.2001 und
12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen kam es - wie schon regelmäßig bei
früheren Parlamentswahlen - zu Anschlägen, unter anderem zu einem
fehlgeschlagenen Selbstmordattentat auf den damaligen Premierminister Ratnasiri
Wickremanayake am 29. Oktober 2001 in Colombo (AA 06.09.2002 S. 6; SZ vom
30.10.2001) und zu einem Selbstmordanschlag auf den Öltanker "Silk Pride" vor der
Küste Sri Lankas am 30. Oktober 2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001); insgesamt kamen in
dem von Gewalttaten geprägten "blutigen Wahlkampf" (Flück, Menschenrechtslage in
Sri Lanka, Südasien 4/01 S. 67; NZZ vom 05.12.2001 und 07.12.2001) - in anderen
Berichten ist sogar vom "blutigsten Wahlkampf in der Geschichte des Inselstaates" (FR
vom 05.12.2001) bzw. vom "gewalttätigsten in Sri Lankas Geschichte" (SZ vom
05.12.2001) die Rede - über 40 Menschen ums Leben (ai Jahresbericht 2002 S. 514 (47
Tote); AA 06.09.2002 S. 23 und Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 (43 Tote)).
Auch der Wahlgang selbst wurde überschattet von Schießereien, Bombenanschlägen
und mindestens zehn Todesopfern (AA 06.09.2002 S. 23; NZZ vom 06.12.2001 und
07.12.2001). Bei der Abstimmung am 5. Dezember 2001 rutschte die bisher regierende
PA, die weiterhin eine strikt militärische Lösung des Konflikts mit der LTTE forderte, auf
einen Stimmenanteil von 37,2 v.H. ab. Die mit der PA verbündete marxistische Janatha
Vimukthi Peramuna kam auf 9,1 v.H. Demgegenüber konnte die oppositionelle UNP, die
den Wahlkampf mit dem zentralen Versprechen geführt hatte, umgehend
Friedensgespräche aufzunehmen, 45,6 v.H. der Stimmen gewinnen; sie stellt nun 109
der 225 Abgeordneten und besitzt zusammen mit der verbündeten "Tamil United
Liberation Front" (15 Mandate) und dem "Sri Lanka Muslim Congress" (5 Mandate) die
Parlamentsmehrheit (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; FAZ vom 08.12.2001,
FR vom 08.12.2001, NZZ vom 07.12.2001 und 08./09.12.2001, SZ vom 08./09.12.2001).
Mit Amtsantritt der neuen "United National Front" (UNF)-Regierung unter dem UNP-
Vorsitzenden Ranil Wickremasinghe am 12. Dezember 2001 (Fischer Weltalmanach
2003 Spalte 747 f.; NZZ vom 10.12.2001) wurden die Bemühungen um eine friedliche
Lösung des Konflikts wieder aufgenommen (AA 06.09.2001 S.5 f.). Schon am 19.
Dezember 2001 kündigte die LTTE einen einseitigen Waffenstillstand für einen Monat
als Geste des guten Willens an (NZZ vom 20.12.2001). Diese Erklärung erfolgte zu
einem Zeitpunkt, in dem die LTTE weltweit zunehmend unter Druck und dabei vor allem
auch in finanzielle Bedrängnis geraten war und weiter geriet (NZZ vom 05.07.2002).
Bereits vor dem 11. September 2001 hatten die USA, Großbritannien, Indien und
Kanada die Tätigkeit der LTTE in ihren Ländern unterbunden und ihr damit einen
wesentlichen Teil ihrer traditionellen finanziellen Basis entzogen (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 05.07.2002 und 16.09.2002; vgl. zur
Finanzbeschaffung der LTTE in Deutschland Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutzberichte 2000 S. 219, und 2001 242 f.; Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein- Westfalen über das Jahr 2001 S.
247). Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York
und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 hatten Forderungen, die
LTTE bzw. LTTE-Frontorganisationen auch in anderen Ländern zu verbieten sowie ihre
"fundraising"-Aktivitäten zu beschneiden, neue Nahrung erhalten (KK 17.04.2002 S. 5;
FAZ vom 23.09.2002). Am 21. Dezember 2001 schlossen sich die Regierungstruppen
dem Waffenstillstand an; eine Vereinbarung über eine vorläufige einmonatige
Waffenruhe trat am 24. Dezember 2001 in Kraft (AA 06.09.2002 S. 5 f; Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 27.12.2001). Noch im Dezember 2001 bat die
neue Regierung Norwegen offiziell um Hilfe bei der Wiederaufnahme von
Friedensgesprächen (NZZ vom 27.12.2001). Am 15. Januar 2002 lockerte die
Regierung weitgehend das Embargo gegen die von der LTTE gehaltenen Gebiete (AA
06.09.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; KK 17.04.2002; FR vom
03.01.2002, FAZ vom 16.01.2002, SZ vom 17.01.2002) und bestärkte damit die
Hoffnungen auf Frieden in Sri Lanka (FAZ vom 16.01.2002, SZ vom 17.01.2002). Am
21. Januar 2002 wurde die Waffenruhe beidseitig um einen Monat verlängert (Fischer
Weltalmanach 2002 Spalte 748; NZZ vom 22.01.2002, FAZ vom 23.01.2002). In einer
symbolischen "Geste guten Willens" entließ die LTTE am 22. Januar 2002 zehn seit
Jahren gefangene Regierungssoldaten und übergab sie an eine Friedensorganisation
aus dem Süden des Landes, in der sich Eltern verschollener Soldaten
zusammengeschlossen haben (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom
23.01.2002). Die Hauptbemühungen der auch von Präsidentin Kumaratunga
unterstützten norwegischen Friedensinitiative galten in der Folgezeit dem Abschluss
eines formalisierten längerfristigen Waffenstillstandsabkommens zwischen Regierung
und LTTE als Basis für weitere Verhandlungen (AA 06.09.2002 S. 6). Rasch stellten
sich Fortschritte und Zeichen wachsender Normalisierung ein (FAZ vom 08.02.2002, FR
vom 23.01.2002). Mitte Februar 2002 wurde vereinbart, die jahrelang umkämpfte
Verbindungsstraße von der Halbinsel Jaffna in den Süden Sri Lankas wieder zu
eröffnen (FR vom 16.02.2002); von Seiten der Regierung wurde die Aufhebung des
Verbots der LTTE in Aussicht gestellt, die diese zur Vorbedingung für die Aufnahme von
Friedensgesprächen gemacht hatte (NZZ vom 24.01.2002, FR vom 20.02.2002 und
08.06.2002, FAZ vom 22.02.2002). Am 22. Februar 2002 erreichten die norwegischen
Vermittler unter dem stellvertretenden Außenminister Vidar Helgesen ungeachtet
schwerer Seekämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen vor der Küste Sri
Lankas (FAZ vom 22.02.2002) ein unbefristetes Waffenstillstandsabkommen zwischen
Regierung und LTTE (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FAZ vom 22.02.2002,
NZZ vom 22.02.2002, 23./24.02.2002 und 25.02.2002, FR vom 23.02.2002), das
allerdings auf Kritik bei Präsidentin Kumaratunga stieß (Fischer Weltalmanach 2003
Spalte 748; FR vom 23.02.2002, NZZ vom 25.02.2002). Dieses Abkommen trat in der
Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2002 in Gestalt des "Memorandum of Understanding
between the Government of the Democratic Socialist Republic of Sri Lanka and the
Liberation Tigers of Tamil Eelam" in Kraft. (KK 17.04.2002 S. 6; AA 06.09.2002 S. 5 f.;
NZZ vom 25.02.2002). Neben einem beidseitigen unbefristeten Waffenstillstand sieht es
eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen auf beiden Seiten, Erleichterungen für die
Bevölkerung in den Gebieten unter der Kontrolle der LTTE und Fristen von 30 bis 90
Tagen für die Umsetzung aller Vorschriften vor. Eine international besetzte "Sri Lanka
Monitoring Mission" unter Führung Norwegens überwacht die Durchführung des
Abkommens. Als Zeitpunkt für Vorgespräche über eine mögliche friedliche
Konfliktbeilegung wurde Anfang Mai 2002 in Aussicht genommen (AA 06.09.2002 S. 6).
Der Waffenstillstand wurde in der Folgezeit eingehalten und es gab auch keine
Selbstmordanschläge mehr (NZZ vom 05.07.2002). Am 14. März 2002 besuchte zum
ersten Mal seit 20 Jahren wieder ein srilankischer Regierungschef die LTTE- Hochburg
Jaffna (NZZ vom 15.03.2002 und 05.07.2002). Bei Kommunalwahlen unterstützte die
Bevölkerung den Kurs der UNF-Regierung und die geplanten Verhandlungen mit der
LTTE (NZZ vom 22.03.2002 und 23.05.2002, FR vom 22.05.2002). Anfang April 2002
erhielt die LTTE die Erlaubnis, Büros auch in den bislang von Regierungstruppen
kontrollierten Gebieten zu eröffnen, um dort ihrer politischen Arbeit nachgehen zu
können (KK 17.04.2002 S. 6). Am 9. April 2002 wurde die Hauptzufahrtsstraße nach
Jaffna nach ihrer Entminung wieder für den Verkehr freigegeben, sodass nach 12
Jahren Unterbrechung erstmals die Landverbindung zwischen der Hauptstadt Colombo
und Jaffna wieder durchgängig befahrbar ist (KK 17.04.2002 S. 6; Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 10.04.2002). Erste Inlandsflüchtlinge
begannen mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; FR vom 30.07.2002); LTTE- Führer Prabhakaran, der sich am 10. April 2002 nach
zwölf Jahren Versteck anlässlich einer Pressekonferenz in Kilinochchi wieder in der
Öffentlichkeit hatte sehen lassen (NZZ vom 11.04.2002 und 05.07.2002, SZ vom
12.04.2002), und der Vorsitzende der muslimischen Partei SLMC unterzeichneten ein
Abkommen über die Rückkehr von 100.000 Muslimen in den Norden Sri Lankas (FAZ
vom 15.04.2002). Die zunächst für Anfang Mai, später für Juni und dann für Juli 2002
angekündigte Aufnahme der Friedensverhandlungen (NZZ vom 28.03.2002,
10.04.2002, 19.04.2002, 23.05.2002 und 05.07.2002, SZ vom 28./29.03.2002)
verzögerte sich auch wegen der von der LTTE gestellten Bedingung einer vorherigen
Aufhebung des Verbots ihrer Organisation weiter (FR 31.05.2002). Am 7. Juni 2002
kündigte die Regierung an, das Verbot zehn Tage vor Beginn der Verhandlungen
aufzuheben (FAZ vom 08.06.2002, FR vom 08.06.2002). Mitte August 2002
verständigten sich Regierung und LTTE in Oslo darauf, dass die
Friedensverhandlungen nach Aufhebung des Verbots der LTTE zwischen dem 12. und
17. September 2002 in Bangkok beginnen sollen (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; NZZ vom 15.08.2002, 16.08.2002, 17./18.08.2002 und 14./15.09.2002, SZ vom
14./15.09.2002). Am 5. September 2002 verkündete der srilankische
Verteidigungsminister offiziell das Ende des Verbots der LTTE (Flück, Militärische und
politische Situation im Konflikt in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72; Keller, Die Suche
nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02, S. 75 (76)). Ungeachtet schwerer
innenpolitischer Spannungen zwischen Präsidentin Kumaratunga und Premierminister
Wickremasinghe (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt in Sri Lanka,
Südasien 3/02 S. 72) wurden die Friedensverhandlungen sodann am 16. September
2002 auf dem Flottenstützpunkt Sattahip südöstlich von Bangkok aufgenommen (FAZ
vom 16.09.2002 und 17.09.2002, NZZ vom 16.09.2002) und allgemein als "einmalige
Chance für Sri Lanka" (NZZ vom 16.09.2002) bewertet. In dieser ersten Runde der
Friedensverhandlungen rückte die LTTE überraschend von ihrer von der Regierung
stets als unverhandelbar (NZZ vom 16.09.2002) bezeichneten Forderung nach einem
eigenen Staat ab (FAZ vom 19.09.2002, NZZ vom 19.09.2002, SZ vom 19.09.2002). Die
Konfliktparteien einigten sich darüber hinaus auf verschiedene vertrauensbildende
Maßnahmen (NZZ vom 19.09.2002). Diese positiven Resultate der ersten
Verhandlungen ließen die Hoffnung auf Frieden weiter wachsen (NZZ vom 19.09.2002,
FAZ vom 23.09.2002). Weitere Gespräche wurden für Oktober und Dezember 2002
sowie für Januar 2003 vereinbart (SZ vom 19.09.2002). Im Oktober 2002 wurde der
Friedensprozess durch verschiedene Gewalttätigkeiten überschattet. Am 9. Oktober
2002 kamen acht Demonstranten durch Polizeischüsse in Ampara im Osten von Sri
Lanka ums Leben, dem ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn der Waffenruhe im
Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002). In der Folge dieser Ereignisse kam es am 11.
Oktober 2002 zu Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im Nordosten
Sri Lankas, bei denen drei Menschen getötet wurden (FAZ vom 12.10.2002). Außerdem
wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt gegen die muslimische Minderheit
im Osten des Landes berichtet (NZZ vom 16.10.2002, FR vom 26.10.2002), die
befürchtet, unter tamilischer Verwaltung diskriminiert zu werden (Fischer Weltalmanach
2003 Spalte 748). Von diesen Ereignissen und auch von der Verurteilung Prabhakarans
zu 200 Jahren Haft durch das Oberste Gericht Sri Lankas am 31. Oktober 2002
unbeeinflusst fand die zweite Runde der Friedensgespräche vom 31. Oktober bis 3.
November 2002 in Bangkok statt; sie endete erneut mit positiven Resultaten, u.a. der
Gründung paritätisch besetzter Ausschüsse, die auf dem Weg zum Frieden
wirtschaftliche, politische und Sicherheitsprobleme lösen sollen. Der weitere Verlauf der
Friedensverhandlungen bleibt abzuwarten.
Der eingeleitete Friedensprozess hat im Laufe des Jahres 2002 bereits zu signifikanten
Veränderungen im Alltagsleben Sri Lankas und einer spürbaren Entspannung der
Gesamtsituation - gerade auch für die tamilische Bevölkerung - geführt. Die
Reisebeschränkungen zwischen dem Norden und Süden des Landes sind weitgehend
aufgehoben. Die aktuelle Lage in der Hauptstadt Colombo, die in den letzten Jahren
immer wieder das Ziel von Selbstmordattentaten der LTTE war, wird dahin gehend
beschrieben, dass sie wieder "das Flair einer normalen asiatischen Großstadt
verbreitet" (Keller, Die Zeichen stehen auf Frieden, Südasien 1/02 S. 60 (61); ders., Die
Suche nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02, S. 75; DSE 12.06.2002),
nachdem die massiven regelmäßigen Kontrollen durch Sicherheitskräfte und die
Sperrung ganzer Straßenzüge der Vergangenheit angehören. Auch in den
Bürgerkriegsgebieten häufen sich in den letzten Monaten die Zeichen für eine
fortschreitende Normalisierung: Eine zweite Fluglinie bedient Jaffna; Pilger durften den
Amman-Tempel beim Luftwaffenstützpunkt Palali besuchen; die LTTE konnte auf einer
neu bewilligten Seeverbindung zwischen Mullaitivu und Vaakarai in vier Schiffen 170
Kämpfer zu Verwandtenbesuchen transportieren; (Kriegs-)Gefangene wurden von
beiden Seiten entlassen; Vertriebene konnten in ihre Heimat zurückkehren; Opfer der
srilankischen Sicherheitskräfte erhielten Entschädigungen; Kriegsverbrecher der Armee
wurden vor Gericht gestellt (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt in Sri
Lanka, Südasien 3/02 S. 72 (73)). Bei aller verbleibender Skepsis, ob eine politische
Lösung diesmal anders als in der Vergangenheit gelingen wird (KK 17.04.2002; DSE
12.06.2002; Keller, Die Opposition formiert sich langsam, Südasien 2/02 S. 56; Flück,
Militärische und politische Situation im Konflikt in Sri Lanka, a.a.O., S. 73 f.; NZZ vom
11./12.05.2002 "Sri Lanka zwischen Krieg und Frieden", FR vom 14.05.2002 "Zwischen
Krieg und Frieden"), gibt der aktuelle Friedensprozess damit Anlass für eine
optimistischere Prognose der voraussichtlichen weiteren Entwicklung (Keller, Die
Zeichen stehen auf Frieden, Südasien 1/02, S. 60 ff.), als sie der Senat noch in seinen
Urteilen vom 23. November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und 29.
November 2001 - 21 A 3853/99.A - zu Grunde legen konnte. Er ist allerdings noch nicht
so weit und so unumkehrbar fortgeschritten, dass schon jetzt eine völlige Neubewertung
der Lage möglich und geboten und etwa - bei allen Fortschritten der derzeitigen
Entwicklung - die Annahme hinreichender Sicherheit für alle zurückkehrenden
tamilischen Volkszugehörigen gerechtfertigt wäre. Sri Lanka befindet sich nach wie vor
im Bürgerkrieg; nach wie vor kommt es auch zu schweren Menschenrechtsverletzungen,
wenn auch in geringerem Umfang als Mitte der neunziger Jahre (AA 06.09.2002 S. 5).
Es gibt weiterhin Gefangene, die auf der Basis des PTA verhaftet wurden; Funktionäre
der LTTE werden an einigen Orten bedroht und misshandelt (Flück, Militärische und
politische Situation in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72 <73>). Anderseits ist ohne
weiteres die Beurteilung gerechtfertigt, dass sich die Lage der Tamilen in Sri Lanka seit
Oktober 2001 in asyl- und abschiebungsrelevanter Hinsicht unter keinem Aspekt
verschlechtert hat.
186
c) Individuelle Anknüpfungspunkte für eine politische Verfolgung
187
Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende
Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit
gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht gegeben.
188
Der Kläger weist zwar verschiedene Risikofaktoren auf, die die Wahrscheinlichkeit
189
eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung erhöhen können; sie tragen aber nicht den
Schluss, dass ihm dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche
längerfristige Inhaftierung und/oder körperliche Misshandlungen drohen. Mit Blick auf
die Risikofaktoren fehlende Ausweispapiere, möglicherweise unzureichende
Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft teilt der Kläger das Schicksal einer Vielzahl nach
Sri Lanka zurückkehrender tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren liegt, deren Geburts- oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel oder im übrigen
Norden Sri Lankas liegt, die die singhalesische und englische Sprache nicht
beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere verfügen,
ohne dass es bei diesem Personenkreis, wie bereits zur allgemeinen Sicherheitslage im
Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Übergriffen kommt. Im Ergebnis gilt dies auch für den vom Kläger in den
Vordergrund gerückten Risikofaktor des Verlusts seines rechten Arms. Hierbei handelt
es sich zwar um einen Umstand, der den Kläger - ungeachtet der Versorgung mit einer
Armprothese - aus der Menge der jüngeren männlichen Tamilen in Sri Lanka
hervorheben kann und der auch nach Einschätzung des Senats im Falle einer Kontrolle
durch die srilankischen Sicherheitskräfte bei diesen ein gesteigertes Interesse wecken
und zu einem Anfangsverdacht einer Beteiligung an Aktionen der LTTE führen kann.
Insofern gilt aber für den Kläger nichts anderes als für Tamilen, die an ihrem Körper
auffällige und nicht durch Kleidung verdeckte Verletzungsnarben tragen. Wenngleich
der Verlust eines Armes auch das Ergebnis von in Kampfhandlungen erlittenen
Verletzungen sein kann, ist ein solcher Zusammenhang - wie auch das Schicksal des
Klägers deutlich macht - nicht zwangsläufig gegeben. Insofern ist auf den geringen
Mechanisierungs- und Automatisierungsgrad in der srilankischen Landwirtschaft, im
Handwerk, im verarbeitenden Gewerbe sowie auf fehlende bzw. nicht eingehaltene
Arbeits- und sonstige Schutzvorschriften im srilankischen Arbeitsalltag zu verweisen
(vgl. neben den bereits unter 2. b) bb) (5) genannten Auskünften AA 06.07.2000 S. 7).
Es spricht daher nichts dafür, dass srilankische Sicherheitskräfte an eine Verletzung wie
diejenige des Klägers für sich genommen im Allgemeinen oder im Fall des Klägers
mehr als einen Anfangsverdacht knüpfen könnten. Dieser kann zwar eine Verhaftung
mit anschließender Identitätsfeststellung und einen Abgleich mit den Strafregistern bzw.
eine Sicherheitsüberprüfung nach sich ziehen, diese Maßnahmen können aber
regelmäßig innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Wenn sich hieraus keine weiteren
Verdachtsmomente ergeben, endet die Inhaftierung in der Regel mit einer Freilassung
(vgl. neben den oben genannten Auskünften noch AA 06.07.2000 S. 6).
Dementsprechend ist davon auszugehen, dass das Erscheinungsbild des Klägers -
ebenso, wie es in Sri Lanka bei Tamilen beim Vorhandensein von Narben der Fall ist
(vgl. AA 06.07.2000 S. 6 f.) - ohne Hinzutreten weiterer erheblicher Risikofaktoren nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen politischer Verfolgung nach sich
ziehen wird. Derartige Besonderheiten, die bei bestehendem Anfangsverdacht aufgrund
des Verlusts des Armes ein erhöhtes Risiko von Misshandlungen oder längerfristigen
Inhaftierungen durch srilankische Sicherheitskräfte ergeben könnten, sind in der Person
des Klägers jedoch nicht gegeben. Insbesondere fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass
sich die Sicherheitsbehörden wegen einer Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen,
eines in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte
festgehaltenen Verdachts einer LTTE-Mitgliedschaft oder einer Identifikation als LTTE-
Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte für ihn interessieren. Das Vorbringen
des Klägers, er sei bereits einmal unter dem Verdacht, Mitglied der LTTE zu sein, in
Colombo festgenommen, inhaftiert und erst gegen Bestechungsgeld freigelassen
worden, ist - wie oben ausgeführt - unglaubhaft. Dementsprechend spricht nichts dafür,
dass ein solcher Verdacht in den Unterlagen der srilankischen Sicherheitskräfte
festgehalten ist. Im Übrigen wäre es auch bei unterstellter Richtigkeit des Vortrags des
Klägers höchst unwahrscheinlich, dass dem Kläger diese Inhaftierung, die mit seiner
Freilassung geendet hat, bei der Rückkehr nach Ablauf von sechs Jahren überhaupt
noch - insbesondere unter Berücksichtigung der bereits dargelegten aktuellen
Entwicklung - entgegengehalten wird und werden könnte. Das vom Kläger vorgelegte
Schreiben der Caritas Sri Lanka vom 23. März 2000 (Gerichtsakte Bl. 122) rechtfertigt
keine abweichende Gefahrenprognose. Für die hierin enthaltene pauschale Bejahung
der Frage, ob der Kläger "aufgrund des Armverlustes für einen Kämpfer der LTTE
gehalten wird und somit bei einer Rückkehr nach Sri Lanka im Vergleich zu gesunden
jungen Männern sich einer besonderen Gefahr ausgesetzt sehen müßte", fehlt es an
einer nachvollziehbaren Begründung; auch die Tatsachengrundlage für diese
seinerzeitige Einschätzung wird nicht mitgeteilt. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, ob
und inwieweit sich die Aussage überhaupt auf asylrelevantes Geschehen - und nicht
lediglich auf Maßnahmen der Identitätsfeststellung - bezieht. Dem Inhalt des Schreibens
kommt daher gegenüber dem übrigen vom Senat ausgewerteten Erkenntnismaterial
keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Dem Kläger drohen im Falle einer Rückkehr nach Sri Lanka auch nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit andere Beeinträchtigungen, die einen Anspruch auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG begründen. Wie bereits ausgeführt spricht
nichts dafür, dass tamilische Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem
unausweichlichen Zwang ausgesetzt sind, Colombo als Ort ihrer Einreise zu verlassen.
Diese Einschätzung trifft entgegen seiner pauschalen Behauptung auch auf den Kläger
zu. Dabei ist davon auszugehen, dass er sich nach seiner Rückkehr sogar in einer in
mehrfacher Hinsicht günstigeren Position als die Masse der Rückkehrer befinden wird.
So verfügt er über einen nachvollziehbaren Grund - "valid reason" - für seinen Aufenthalt
in Colombo, weil er - eigenen Angaben zufolge - der regelmäßigen ärztlichen Kontrolle
seiner Operationsnarbe sowie der regelmäßigen Wartung seiner Armprothese bedarf,
eine Versorgung seiner Verletzung ausweislich des Schreibens der Caritas Sri Lanka
vom 23. März 2000 im Norden der Insel jedoch nicht möglich ist, was - gegebenenfalls -
auch den Sicherheitsbehörden in Colombo bekannt wäre. Im Übrigen befindet sich der
Kläger aufgrund seiner Verletztenrente der Fleischerei-Berufsgenossenschaft, die ihm
nach den vorliegenden Unterlagen auch in Sri Lanka ausgezahlt werden kann und wird
(vgl. das zu den Gerichtsakten gereichte Schreiben der Fleischerei-
Berufsgenossenschaft vom 10. Oktober 2002 an den Kläger, Bl. 114 d. A.), gegenüber
dem "durchschnittlichen" Rückkehrer in einer ungleich günstigeren wirtschaftlichen
Situation, die ihm etwa die Erlangung einer Unterkunft in Colombo auch außerhalb einer
der "Billig-Lodges", die bevorzugt von Kontrollen der Sicherheitskräfte in Colombo
betroffen sind (AA 06.07.2000 S. 5), erheblich erleichtert. Diese Rente belief sich nach
einer bei den Ausländerakten befindlichen Bescheinigung der Fleischerei-
Berufsgenossenschaft vom 21. Juni 2001 ab dem 1. Juli 2001 auf monatlich 1.711,74
DM und lag damit um ein Vielfaches über dem monatlichen Durchschnittseinkommen in
Sri Lanka, das etwa Keller-Kirchhoff auf 5.000 Rupien beziffert (KK 12.04.2002 S. 5); bei
dem von Keller-Kirchhoff genannten Wechselkurs (1 EUR = ca. 80 Rs, a.a.O., S. 1) sind
dies etwa 62,50 EUR monatlich. Schließlich wird es diese Rente dem Kläger im Falle
einer Rückkehr voraussichtlich auch ermöglichen, seinen Lebensunterhalt in Colombo
ohne Arbeitsaufnahme zu bestreiten und die für die Lebensführung dort erforderlichen
persönlichen Hilfestellungen zu erlangen, sodass auch von daher erhebliche
Beeinträchtigungen nicht zu befürchten sind.
190
II. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
191
Die Klage bleibt auch mit ihrem Hilfsantrag ohne Erfolg. Der Kläger hat gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf die Feststellung, dass eines der in § 53 AuslG geregelten
Abschiebungshindernisse besteht.
192
1. § 53 Abs. 1 AuslG
193
§ 53 Abs. 1 AuslG greift nicht ein; die dort geforderte konkrete Gefahr, der Folter
unterworfen zu werden, besteht nicht. Wie in Teil I. insbesondere zum Großraum
Colombo schon ausgeführt, sind Fälle von Folterung zwar nicht generell
auszuschließen, diese fallen aber im Wesentlichen mit Fällen politischer Verfolgung
zusammen. Da dergleichen aber, wie im Einzelnen dargestellt, vorliegend nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist auch eine konkrete Gefahr -
194
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391 -,
195
der Folter unterworfen zu werden, zu verneinen.
196
2. § 53 Abs. 4 AuslG
197
Eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention -
(EMRK), die zu einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG führen könnte, ist
ebenfalls nicht festzustellen. In Betracht zu ziehen sind nur Umstände, die sich aus
Gefahren ergeben, die in Sri Lanka als dem Zielland der Abschiebung drohen.
Demgegenüber sind nicht von der Beklagten, sondern von der Ausländerbehörde zu
berücksichtigen und im vorliegenden Verfahren daher ohne Belang - neben sonstigen
tatsächlichen Vollstreckungshindernissen wie etwa krankheitsbedingte
Reiseunfähigkeit, fehlende Papiere oder fehlende Verkehrsverbindungen - solche
Umstände, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls
ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde.
198
Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322 = NVwZ
1998, 526 und vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 = DVBl. 2000,
419.
199
Hierzu gehören beispielsweise ein möglicher Anspruch auf Wahrung des
Familienlebens aus Art. 8 EMRK/Art. 6 Abs. 1, 2 GG - bei dessen Prüfung dann
allerdings auch die mittelbar trennungsbedingten Folgen im Zielstaat allein von der
Ausländerbehörde in den Blick zu nehmen sind -,
200
vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, a.a.O.,
201
sowie Rechtsgutgefährdungen, die allein durch die Abschiebung als solche und nicht
durch die spezifischen Verhältnisse im Zielstaat eintreten.
202
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG
Nr. 24.
203
Weiterhin scheiden mit Bedeutung insbesondere für die Unzulässigkeit der
Abschiebung wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, Art. 3 EMRK,
204
Umstände aus, die nicht vom srilankischen Staat ausgehen oder sonst von ihm zu
verantworten sind, also etwa die Folgen des Bürgerkrieges sowie die Auswirkungen
eines unterentwickelten Gesundheitssystems.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 = NVwZ
1996, 476, vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265 = NVwZ 1997, 1127,
vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187 = NVwZ 1999, 311, vom 25.
November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524 und vom 24. Mai
2000 - 9 C 34.99 -, BVerwGE 111, 223 = NVwZ 2000, 1302; ferner Beschluss vom 27.
April 2000 - 9 B 153.00 -, NVwZ-Beilage I 9/2000, 98.
205
Die danach im Rahmen des § 53 Abs. 4 AuslG als möglicherweise relevant
verbleibenden Anknüpfungspunkte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
sind bereits im Zusammenhang mit den Fragen zur politischen Verfolgung erörtert; dass
diesbezüglich die erforderliche konkrete Gefahr -
206
vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384/95 -, DVBl. 1996, 196;
BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, InfAuslR 1996, 289 -
207
die im Ansatz mit dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
übereinstimmt, wobei jedoch das Element der Konkretheit der Gefahr für diesen
Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten
und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet -
208
Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -, NVwZ-Beilage 8/1996, 58, vom 4.
Juni 1996 - 9 C 134.95 -, a.a.O. und vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, a.a.O.; ferner
BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384.95 -, a.a.O. -
209
nicht besteht, ergibt sich - vorbehaltlich des nachstehend Ausgeführten - aus den obigen
Ausführungen. Eine konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des
Art. 3 EMRK lässt sich auch nicht im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche
Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen die srilankischen Ein-, Ausreise- und
Passbestimmungen feststellen. Wie bereits oben unter I. 2. a) cc) ausgeführt, ist es
schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Strafverfahren wegen eines solchen
Verstoßes eingeleitet wird.
210
Abgesehen davon fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten dafür, dass es sich bei der
strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung solcher Verstöße - etwa im Hinblick auf das zu
erwartende oder verhängte Strafmaß - um eine unmenschliche Behandlung im Sinne
des Art. 3 EMRK handelt. Denn die vorgesehenen Strafen gelten für eine große
Spannweite von Delikten und Begehungsformen; Feststellungen zu der tatsächlich
geübten Praxis sind nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das ersichtlich alle zur
Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und -möglichkeiten ausschöpft, nicht zu treffen.
Auch sonst kann die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung während der
Untersuchungshaft oder während des Vollzugs einer Strafe wegen eines Verstoßes
gegen die genannten Ein-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht festgestellt werden.
Zwar lassen sich während der Haft massive Menschenrechtsverletzungen durch die
Sicherheitskräfte nicht ausschließen, insbesondere dann nicht, wenn zusätzlich ein wie
auch immer gearteter Verdacht auf LTTE-Unterstützung besteht (ai 01.03.1999 S. 3); für
eine beachtliche Wahrscheinlichkeit aber ergibt sich daraus nichts (vgl. auch AA
16.04.1999 S. 3). Eine konkrete Gefahr einer längeren - nicht mit Folter oder sonstiger
211
menschenrechtswidriger Behandlung verbundenen - Haft wegen eines Passdelikts
stünde im Übrigen einer Abschiebung nach Sri Lanka nicht entgegen (vgl. § 53 Abs. 5
AuslG).
3. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
212
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen
Gründen, § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, ist nicht geltend gemacht oder ersichtlich. Eine
extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen zurückkehrenden Tamilen
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern
und daher in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein
Abschiebungshindernis nach Satz 1 begründen würde -
213
vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 = NVwZ
1996, 199 und vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 = DVBl 1999, 549;
Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 671.98 -, NVwZ 1999, 668; Urteile vom 12. Juli
2001 - 1 C 2.01 und 1 C 5.01 -
214
ist jedenfalls für den Großraum Colombo, den die Rückkehrer als Erstes erreichen, nicht
gegeben. Soweit oben bereits Übergriffe und sonstige Beeinträchtigungen
angesprochen worden sind, die Tamilen oder Gruppen von ihnen treffen können, sind
sie im vorliegenden Zusammenhang ohne Gewicht, weil sie sich - zumal mit der in Rede
stehenden Eingriffsintensität - schon nicht mit der für die Annahme einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit der für die Annahme einer extremen
Gefahrenlage erforderlichen Dichte feststellen lassen. Insoweit kann auf die
Ausführungen zum Hauptbegehren verwiesen werden. Ebenso wenig liegen
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rückkehrer einer Verelendung ausgeliefert wären.
Das umfangreiche Auskunftsmaterial, das gerade auch die Lebensbedingungen im
Großraum Colombo in den Blick nimmt, enthält für den hier erforderlichen
Gefährdungsgrad keine tragfähigen Hinweise. Zwar ist die Erlangung einer
wirtschaftlichen Lebensgrundlage für Tamilen jedenfalls dann nicht einfach, wenn ihnen
familiäre Beziehungen fehlen (UNHCR 23.07.1996 S. 4; KK 24.02.1997 S. 1 und
02.08.2001 S. 1, 3); auch mag der Zugang zu staatlichen Hilfsprogrammen für
Rückkehrer, die nicht aus Colombo stammen, ausgeschlossen sein (AA 27.05.1999 S.
1; 11.03.2001 S. 28 und 24.10.2001 S. 30; KK 08.12.1998 und 22.06.1999 S. 8). Doch
greifen ersichtlich andere Hilfsmöglichkeiten ein, etwa durch bereits in Colombo
ansässige Volkszugehörige oder durch lokale und in Sri Lanka zahlreich vertretene
internationale Hilfsorganisationen (AA 14.01.1997, 27.05.1999 S. 2); ferner sind - wenn
auch möglicherweise nur eingeschränkte (KK 22.06.1999 S. 9) - Möglichkeiten zu
berücksichtigen - in verschiedenen Wirtschaftszweigen eine einfache, vergleichsweise
schlecht entlohnte Arbeit zu finden (AA 27.05.1999 S. 3; 11.03.2001 S. 29; 21.06.2001
S. 4 und 24.10.2001 S. 31), die es Rückkehrern im Allgemeinen erlaubt, sich mit den
Verhältnissen oftmals auch aufgrund der Unterstützung durch Angehörige im In- und
Ausland, die in die gerichtliche Prognose einzubeziehen ist,
215
vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1998 - 9 C 4.98 -, a.a.O., DVBl. 1999, S. 551, und
Beschluss vom 1. Oktober 2001 - 1 B 185.01 -, Beschlussabdruck S. 3,
216
zu arrangieren. Auch dies erklärt, dass keine Berichte zu Beispielsfällen tatsächlicher
existentieller Gefährdung von Einzelnen oder bestimmten Gruppen vorliegen (AA
06.05.1998, 27.05.1999 S. 4 f.; 11.03.2001 S. 27 ff.; 21.06.2001; 24.10.2001 S. 29 ff.),
217
obwohl angesichts der vielfältigen Beobachtung der Situation dergleichen schwerlich
unerkannt geblieben wäre. Das Fehlen von Belegfällen für eine Verelendung kann nicht
darauf zurückgeführt werden, dass die Rückkehrer nicht im Großraum Colombo
verblieben wären, denn es wird zugleich auf erhebliche Hemmnisse, in andere,
insbesondere tamilisch besiedelte Gebiete zurückzukehren, verwiesen (KK 08.12.1998)
und darüber hinaus berichtet, dass Rückkehrer, soweit ihnen nicht eine erneute
Ausreise gelingt, es in der Mehrzahl vorziehen, im Großraum Colombo Wohnsitz zu
nehmen (AA 27.05.1999 S. 3; 11.03.2001 S. 29; 24.10.2001 S. 31).
Dass sich die Situation für den Kläger nach seiner Rückkehr aus individuellen Gründen
schlechter darstellen könnte als für tamilische Rückkehrer allgemein, ist auch bezogen
auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht zu erkennen. Im Hinblick
auf seine Verletztenrente ist vielmehr ohne weiteres vom Gegenteil auszugehen. Auch
die Kosten für notwendige ärztliche Behandlungen bzw. Wartungsarbeiten an seiner
Armprothese wird der Kläger mit den Rentenzahlungen bestreiten können. Für das von
ihm behauptete "unüberschaubare Wundinfektionsrisiko" in Sri Lanka fehlt angesichts
dessen, dass seine Operationsnarben nach Lage der Akten problemlos verheilt sind,
jeglicher Anhaltspunkt.
218
Ist der Kläger somit nach den im vorliegenden Verfahren zu prüfenden
Rechtsgrundlagen zur Rückkehr nach Sri Lanka verpflichtet, so bleibt die
Ausländerbehörde gleichwohl aufgerufen, in eigener Zuständigkeit außerhalb des
Asylverfahrens zu prüfen, ob dem Kläger im Hinblick auf sein schweres persönliches, in
der Bundesrepublik Deutschland erlittenes Schicksal aus humanitären Gründen ein
Bleiberecht eingeräumt werden kann.
219
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gründe, die Revision
zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.
220