Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.07.2010

OVG NRW (beschwerde an das bundesverwaltungsgericht, öffentlich, juristische person, kläger, gvg, beschwerde, rechtsverhältnis, höhe, kommentar, verwaltung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 E 52/10
Datum:
29.07.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 E 52/10
Tenor:
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Aachen vom 18. Dezember 2009 wird
zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den
Verwaltungsgerichten zu Recht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 1
GVG für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige
Landgericht Aachen verwiesen.
2
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-
rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die
Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich
zugewiesen sind. Fehlt es - wie hier - an einer ausdrücklichen gesetzlichen
Rechtswegzuweisung, so richtet sich die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich
oder privatrechtlich ist, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend
gemachte Anspruch hergeleitet wird.
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Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, BVerwGE 129, 9
= juris, Rn. 4; Urteil vom 19. Mai 1994 - 5 C 33.91 -, BVerwGE 96, 71 = juris,
Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 40, Rn. 6.
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Öffentlich-rechtlich sind danach Streitigkeiten, wenn sie sich als Folge eines
Sachverhaltes darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Maßgeblich ist
dabei allein die wirkliche Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses, nicht dagegen
die rechtliche Qualifizierung des geltend gemachten Anspruchs durch den Kläger selbst.
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Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 - 5 C 33.91 -, BVerwGE 96, 71
6
= juris, Rn. 14 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 40, Rn. 6.
Sind an einem streitigen Rechtsverhältnis ausschließlich Privatrechtssubjekte beteiligt,
so scheidet eine Zuordnung des Rechtsstreits zum öffentlichen Recht grundsätzlich aus,
es sei denn, ein Beteiligter wäre durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes mit
öffentlich-rechtlichen Handlungs- oder Entscheidungsbefugnissen ausgestattet und
gegenüber dem anderen Beteiligten als beliehenes Unternehmen tätig geworden.
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Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 17. November 2008 - 6 B 41.08 -, NVwZ-
RR 2009, 308 = juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 XI ZB
7/99 -, NJW 2000, 1042 = juris, Rn. 6.
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Nach diesen Grundsätzen ist das dem vorliegenden Rechtsstreit zugrundeliegende
Rechtsverhältnis dem Privatrecht zuzuordnen.
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1. Mit dem auf Zahlung eines sog. "Familien-Baulandbonus" in Höhe von 6.000,- €
gerichteten Hauptantrag machen die Kläger einen zivilrechtlichen Anspruch geltend.
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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind zwar Fälle denkbar, in
denen die Veräußerung eines Grundstücks durch einen Träger öffentlicher Verwaltung
in Anwendung der Zwei-Stufen-Theorie in eine vorgeschaltete öffentlich-rechtliche
"Entscheidungsphase" - die Auswahl zwischen mehreren Kaufinteressenten - sowie
eine nachgelagerte privatrechtliche "Abwicklungsphase" - den Abschluss und die
Abwicklung des privatrechtlichen Kaufvertrages - unterteilt werden kann. In einem
solchen Fall wäre für Streitigkeiten, die die vorgelagerte Entscheidungsphase betreffen,
der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Voraussetzung für die Annahme einer vorgelagerten
öffentlich-rechtlichen Entscheidungsphase ist, dass mit der Veräußerung des
Grundstücks ein hoheitlicher Zweck verfolgt wird. Dies ist in der Rechtsprechung etwa
bejaht worden bei der bevorzugten Veräußerung gemeindlicher Grundstücke an
ortsansässige Gewerbetreibende zwecks Förderung der heimischen gewerblichen
Wirtschaft,
11
OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 1. September 1992 7 E 11459/92 -, NVwZ
1993, 381 = juris, Rn. 12; vgl. auch Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3.
Aufl. 2010, § 40, Rn. 351,
12
bei der Vergabe gemeindlicher Baugrundstücke im Rahmen eines sog.
Einheimischenmodells, mit dem die Gemeinde der ortsansässigen Bevölkerung den
Grunderwerb und die Errichtung von Wohnhäusern erleichtern will,
13
VG München, Urteil vom 27. Februar 1996 - M 1 K 95.174 -, BayVBl. 1997,
533; vgl. auch Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 40, Rn.
352,
14
oder bei der Veräußerung gemeindeeigener Grundstücke nach Maßgabe von
Vergabekriterien, die im öffentlichen Interesse u.a. die Förderung eines bestimmten
Personenkreises durch die Gewährung eines nach Kinderzahl gestaffelten Nachlasses
auf den Kaufpreis vorsehen.
15
OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2000 21 E 472/00 -, NWVBl. 2001, 19
= juris, Rn. 25.
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Um eine Streitigkeit, die in Anwendung dieser Kriterien einer vorgelagerten öffentlich-
rechtlichen Entscheidungsphase zugeordnet werden könnte, geht es vorliegend jedoch
nicht.
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a) Hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Klage folgt dies bereits daraus,
dass es sich insoweit um eine Streitigkeit ausschließlich zwischen
Privatrechtssubjekten handelt. Die Beklagte zu 2. ist eine privatrechtliche GmbH & Co.
KG, die nicht mit hoheitlichen Befugnissen beliehen ist. Dass die Anteile der
Gesellschaft zu 100% in öffentlicher Hand liegen, ändert hieran nichts.
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Zwar kann sich der Staat durch die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in
privatrechtlicher Gestaltungsform nicht der öffentlich-rechtlichen Bindungen entledigen.
Die Überlagerung der Privatrechtsordnung durch öffentlich-rechtliche Bindungen (sog.
Verwaltungsprivatrecht) bedeutet jedoch nicht, dass damit das Handeln selbst dem
öffentlichen Recht zuzuordnen wäre, und führt daher nicht zur Eröffnung des
Verwaltungsrechtswegs.
19
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1990 - 7 B 120.89 -, DVBl. 1990, 712
= juris, Rn. 3.
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Insbesondere die Bindung an den von den Klägern in das Zentrum ihrer Argumentation
gestellten Gleichheitssatz ist für die Qualifizierung eines Rechtsverhältnisses als
öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich nicht entscheidend, denn anderenfalls wäre
angesichts der umfassenden Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG nahezu jedes
Rechtsverhältnis zwischen der öffentlichen Verwaltung und dem Bürger als öffentlich-
rechtlich anzusehen, während für die Annahme privatrechtlichen Handelns der
öffentlichen Hand letztlich kein Raum mehr bliebe.
21
BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, BVerwGE 129, 9 = juris,
Rn. 10.
22
b) Unabhängig davon wäre die vorliegende Streitigkeit der Sache nach nicht einer
unterstellten - vorgelagerten öffentlich-rechtlichen Entscheidungsphase, sondern
ausschließlich einer nachgelagerten zivilrechtlichen Abwicklungsphase zuzuordnen.
Der von den Klägern mit dem Hauptantrag geltend gemachte Zahlungsanspruch, der auf
die Rückzahlung eines Kaufpreisanteils in Höhe des Familien-Baulandbonus
hinausläuft, betrifft allein die Abwicklung eines - unstreitig - privatrechtlichen
Kaufvertrages. Eine Entscheidung darüber, ob die Kläger den Zuschlag für den Erwerb
eines Grundstücks erhalten, stünde demgegenüber nicht (mehr) in Rede.
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Ob sich - ungeachtet der Frage, dass es sich bei der Beklagten zu 2. um eine juristische
Person des Privatrechts handelt - aus der "Richtlinie über die Gewährung eines
'Familien-Baulandbonus' im Baugebiet Lindenallee" eine öffentlich-rechtliche
Zweckbindung in einer vorgelagerten öffentlich-rechtlichen Entscheidungsphase im
Sinne der zitierten Rechtsprechung ergäbe, ist daher für die Frage der
Rechtswegzuweisung der vorliegenden Streitigkeit unerheblich.
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c) Entgegen der Auffassung der Kläger fordert auch die Rechtsweggarantie des Art. 19
Abs. 4 GG kein anderes Ergebnis. Wie sich aus der Auffangzuständigkeit der
ordentlichen Gerichte nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG ergibt, sind Zivilrechtsweg und
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Verwaltungsrechtsweg unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes
prinzipiell gleichwertig.
BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, BVerwGE 129, 9
= juris, Rn. 16, und vom 29. Mai 1990 - 7 B 30.90 -, NVwZ 1991, 59 = juris,
Rn. 5.
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Mit der Verweisung auf den Zivilrechtsweg sind die Kläger damit nicht rechtsschutzlos
gestellt.
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2. Ist der Verwaltungsrechtsweg für den Hauptantrag nicht eröffnet, so ist der
vorliegende Rechtsstreit ohne Rücksicht auf den Hilfsantrag insgesamt an das
zuständige Gericht des Zivilrechtswegs zu verweisen. Wegen des
Eventualverhältnisses darf auf den Hilfsantrag nämlich erst eingegangen werden, wenn
der Hauptantrag nicht durchgreift.
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Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar,
Stand: November 2009, § 41, zu § 17 GVG, Rn. 26; Rennert, in: Eyermann,
VwGO, 12. Aufl. 2006, § 41 (§§ 17-17b GVG), Rn. 19; BGH, Urteil vom
28. Mai 1956 - III ZR 623/54 -, DÖV 1956, 667.
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Unabhängig davon ergibt sich aus den Ausführungen unter 1.a), dass der hilfsweise
angekündigte Feststellungsantrag auch inhaltlich dem Zivilrechtsweg zuzuordnen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
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Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar,
Stand: November 2009, § 41, zu § 17 a GVG, Rn. 35 m.w.N.
32
Der Festsetzung eines Streitwertes für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht (vgl.
Kostenverzeichnis Nr. 5502, Anlage 1 zum GKG).
33
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das
Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor. Der
Beschluss ist unanfechtbar.
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