Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.05.2005

OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vorverfahren, bevollmächtigung, rechtsmittelbelehrung, steuerverwaltung, beschwerdefrist, verschulden, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 E 248/05
Datum:
30.05.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 E 248/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 K 7339/02
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers für das
Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
G r ü n d e :
1
Die - nunmehr erhobene - Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Der Zulässigkeit der Beschwerde des - jetzt anwaltlich vertretenen - Klägers steht nicht
entgegen, dass sie erst am 00.00.0000 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist des
§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen eingegangen ist (§ 147 Abs. 2 VwGO). Insoweit kann vorliegend offen
bleiben, ob die dem angefochtenen Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die
keinen Hinweis auf den gemäß § 67 Abs. 1 VwGO beim Oberverwaltungsgericht
herrschenden Vertretungszwang enthält, unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1
VwGO ist. In diesem Fall würde für den Kläger nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die
Jahresfrist gelten; die vorliegende Beschwerde wäre fristgerecht erhoben. Andernfalls
wäre dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1
VwGO), weil er durch den der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Beschlusses
fehlenden Hinweis auf den Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO jedenfalls ohne
Verschulden gehindert war, die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzuhalten.
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Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten
des Klägers für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im
Vorverfahren ist notwendig, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen
und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen.
Maßgeblich ist insoweit, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und
Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder eines
sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Bei der Beurteilung dieser Frage ist auf den
Zeitpunkt der Hinzuziehung des Bevollmächtigten, d.h. seiner förmlichen
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Bevollmächtigung, abzustellen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 26. Januar 1996 - 8 C 15.95 -, Bayrische
Verwaltungsblätter (BayVBl.) 1996, 571, und vom 22. Januar 1997 - 8 C 39.95 -,
BayVBl. 1998, 91.
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Dem Kläger war es zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung seiner Rechtsanwälte nicht
zuzumuten, das Vorverfahren ohne anwaltlichen Beistand zu führen. Dies ergibt sich
aus dem komplexen Sachverhalt und aus dem Umstand, dass die in diesem Verfahren
einschlägige Rechtsmaterie einen nicht unerheblichen Schwierigkeitsgrad aufweist.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Kläger um einen
Beamten des gehobenen Dienstes der Steuerverwaltung des Landes Nordrhein-
Westfalen handelt. Zwar mag er als solcher mit Problemstellungen dienstrechtlicher Art
im Ansatz vertraut sein. Es ist aber - auch unter Berücksichtigung des von ihm seinerzeit
bereits begonnenen Studium der Rechtswissenschaften - nicht ersichtlich, dass seine
diesbezüglichen Kenntnisse so beschaffen sind, dass es ihm zuzumuten gewesen
wäre, das Vorverfahren selbständig durchzuführen.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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