Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.07.2002

OVG NRW: genehmigungsverfahren, trennung der verfahren, umweltverträglichkeitsprüfung, öffentliches recht, aufschiebende wirkung, verordnung, behörde, rechtsschutz, vorprüfung, rechtsverletzung

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 788/02
Datum:
01.07.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 788/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 2 L 1491/01
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Münster vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung
für die Zeit bis zur Trennung der Verfahren (Beschluss des VG Münster
vom 8. April 2002) auf 34.000 EUR und für die Zeit danach für beide
Rechtszüge auf 7.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
2
Bei der nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden
Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen
Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse des Antragstellers, von dem Vollzug
der Baugenehmigung vorerst verschont zu bleiben. Nach der im vorliegenden Verfahren
nur möglichen summarischen Prüfung ist es auf der Grundlage der gemäß § 146 Abs. 4
Satz 3 VwGO dargelegten Beschwerdegründe, die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom
Senat nur zu prüfen sind, überwiegend wahrscheinlich, dass die angefochtenen
Baugenehmigungen keine Nachbarrechte des Antragstellers verletzen.
3
Der Antragsteller macht mit der Beschwerde in erster Linie geltend, die angefochtenen
Baugenehmigungen seien nichtig, weil der Antragsgegner für deren Erteilung nicht
zuständig gewesen sei. Statt der Baugenehmigung habe es einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch die Bezirksregierung Münster bedurft.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Dies gilt sowohl im
Hinblick auf den gerügten Zuständigkeitsmangel als auch mit Rücksicht auf den damit
zusammenhängenden Vorwurf, die Genehmigung sei im falschen Verfahren erteilt
4
worden.
Gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG und der Anlage Nr.
1.6 Spalte 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) vom
14. März 1997 (BGBl. I, 1950) i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-
Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz
vom 27. Juli 2001 (BGBl. I, 1950), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung zur
Änderung immissionsschutzrechtlicher Vorschriften vom 6. Mai 2002 (BGBl. I, 1566),
zählen Windfarmen mit drei bis weniger als sechs Windkraftanlagen zu den im
vereinfachten Verfahren gemäß § 19 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen.
Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für solche Windfarmen ist aber erst seit
dem 3. August 2001 erforderlich, an dem das oben zitierte Gesetz nach dessen Art. 25 in
Kraft getreten ist. Die Anträge auf Erteilung der Baugenehmigungen sind am 2. März
2001 (Beigeladener zu 1.) und am 11. Juli 2001 (Beigeladene zu 2.) gestellt worden. Die
dementsprechenden Baugenehmigungen datieren vom 8. Oktober 2001 (Beigeladener
zu 1.) und vom 20. November 2001 (Beigeladene zu 2.). Der Senat braucht nicht zu
entscheiden, ob die durch die angefochtenen Baugenehmigungen genehmigten
Windenergieanlagen (WEA) als Windfarm anzusehen sind. Soweit es sich nicht um eine
Windfarm handelt, greifen die vom Antragsteller geltend gemachten Einwände
hinsichtlich der Unzuständigkeit des Antragsgegners von vornherein nicht durch, weil
die Genehmigungen dann zu Recht von der Bauaufsichtsbehörde erteilt worden sind.
Aber auch soweit eine Windfarm vorliegt, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Geht man
von einer Windfarm aus, so findet sich die maßgebliche Übergangsvorschrift in § 67
Abs. 2 BImSchG. Danach muss eine genehmigungsbedürftige Anlage, die bei
Inkrafttreten der 4. BImSchV errichtet oder wesentlich geändert ist, oder mit deren
Errichtung oder wesentlichen Änderung begonnen worden ist, innerhalb eines
Zeitraums von drei Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung der zuständigen Behörde
angezeigt werden, sofern keine - hier nicht einschlägigen - Ausnahmen gegeben sind. §
67 Abs. 2 BImSchG gilt nicht nur für den Fall des erstmaligen Inkrafttretens der
Verordnung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG, sondern ist auch auf Anlagen
anzuwenden, die - wie hier - auf Grund einer Änderung der 4. BImSchV erstmals in den
Katalog der genehmigungsbedürftigen Anlagen aufgenommen worden sind. Nach § 67
Abs. 2 BImSchG kommt es für die Anwendung des BImSchG auf Windfarmen darauf an,
ob mit der Errichtung der Windfarm am 3. August 2001 schon begonnen worden war. Ist
dies der Fall, so ist die Windfarm der zuständigen Behörde (lediglich) anzuzeigen. War
dagegen mit der Errichtung noch nicht begonnen worden, so war das Verfahren nach
den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu Ende zu führen.
5
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2002 - 10 B 671/02 -; Landmann/Rohmer,
Umweltrecht, Band. I, BImSchG, Stand: Oktober 2001, § 67 Rn. 16 und 44.
6
§ 67 Abs. 2 BImSchG bestimmt somit, ob das Immissionsschutzrecht (mit dem
zugehörigen Verfahrensrecht - vgl. die Neunte Verordnung zur Durchführung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes - Verordnung über das Genehmigungsverfahren -, in
der Fassung vom 27. Juli 2001 - BGBl. I S. 1950 -) und somit nicht Baurecht
anzuwenden ist. Insoweit ist die bundesrechtliche Rechtsvorschrift maßgebend und
kann nicht durch landesrechtliche Zuständigkeitsregelungen verdrängt werden. Zwar
bestimmt § 3 Abs. 3 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet
des technischen Umweltschutzes i.d.F. vom 21. März 2000 - GV NRW S. 364 -
(ZustVOtU), dass, wenn die Zuständigkeit für die Durchführung von
Genehmigungsverfahren oder sonstigen Zulassungsverfahren geändert wird, die
7
ursprünglich zuständige Behörde bis zum Abschluss des Verfahrens durch
bestandskräftige Entscheidung zuständig für diejenigen Verfahren bleibt, in denen am
Tag des Inkrafttretens der Änderung die vom Antragsteller einzureichenden Unterlagen
vollständig vorliegen. Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht die bloße Zuständigkeit für
die Durchführung des Genehmigungsverfahrens geändert worden. Vielmehr ist die
Genehmigung einer Windfarm von drei bis sechs WEA einem anderen materiell- und
verfahrensrechtlichen Regelungszusammenhang, nämlich dem des
Bundesimmissionsschutzgesetzes unterstellt worden mit der Folge, dass es nunmehr
einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch die dafür zuständige Behörde
bedarf.
Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob mit der Errichtung der WEA am 3. August
2001 i.S.v. § 67 Abs. 2 BImSchG schon begonnen worden und das
Genehmigungsverfahren deshalb nach den (neuen) Bestimmungen des
Bundesimmissionsschutzgesetzes weiter zu führen war. Unabhängig davon liegt
nämlich jedenfalls eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers nicht vor.
8
Der Antragsteller kann lediglich Eingriffe in seiner eigenen Rechtsposition abwehren.
Ob hier eine Vorschrift des öffentlichen Baurechts oder des Immissionsschutzrechts eine
solche Rechtsposition, also ein subjektiv öffentliches Recht für den Nachbarn enthält,
beurteilt sich nach der so genannten Schutznormtheorie. Danach vermitteln Drittschutz
nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu
ermittelnden Entscheidungsprogramm auch der Rücksichtnahme auf die Interessen des
betreffenden Dritten dienen.
9
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297, 307;
BVerwG, Urteil vom 16. August 1983 - 4 B 94.83 -, NVwZ 1984, 38 = BauR 1983, 560;
Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, BRS 46 Nr. 173; Urteil vom 30. März 1995 -
3 C 8.94 -, NVwZ 1995, 1200 ff. m.w.N.; Hahn/Schulte, Öffentlich- rechtliches
Baunachbarrecht, Rn. 15.
10
Für die erfolgreiche Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Nachbarschutzes
besteht darüber hinaus kein allgemeines Erfordernis einer tatsächlichen
Beeinträchtigung. Vielmehr regelt das jeweils einschlägige Recht differenziert die
Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer Baugenehmigung Rechte eines
Dritten mit der Folge verletzt, dass dieser einen Abwehranspruch hat.
11
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 1984 - 4 B 147.84 -, BRS 42 Nr. 182.
12
In Anwendung dieser Kriterien hat die Rechtsprechung ein differenziertes System des
Nachbarschutzes wegen Verletzung materiellen Rechts entwickelt.
13
Vgl. Hahn/Schulte, a.a.O., Rn. 116 ff.
14
Demgegenüber kommt Nachbarschutz wegen der Verletzung formellen Rechts nur
ausnahmsweise in Betracht.
15
Vgl. Hahn/Schulte, a.a.O., Rn. 403 ff.
16
Jedenfalls kann der Antragsteller sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die WEA hätten im
vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG genehmigt werden müssen.
17
Denn die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes
über das vereinfachte Genehmigungsverfahren gemäß § 19 BImSchG begründen
keinen Drittschutz. Das Bundesverwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem
Bundesverfassungsgericht im Atomrecht Verfahrensvorschriften als drittschützend
angesehen, und zwar insofern, "als sie im Interesse eines effektiven
Grundrechtsschutzes den potentiell von dem Vorhaben betroffenen Dritten die
Möglichkeit eröffnen, ihre Belange schon im Genehmigungsverfahren vorzubringen und
sich damit - wenn nötig - schon frühzeitig gegen die Anlage zur Wehr zu setzen". Auch
im Immissionsschutzrecht hat das Bundesverwaltungsgericht Verfahrensvorschriften als
drittschützend erkannt, nämlich § 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, wonach der Inhalt von
Unterlagen, die geheimhaltungsbedürftig sind, so ausführlich dargestellt sein muss,
dass es Dritten möglich ist zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den
Auswirkungen der Anlage betroffen werden können. Dieser Ansatz kann jedoch nicht
ohne weiteres verallgemeinernd auf jegliche Vorschriften über Genehmigungsverfahren
übertragen werden, die auch dazu dienen, die Einhaltung von drittschützenden
materiell-rechtlichen Anforderungen an Anlagen zu gewährleisten. Insbesondere kann
er nicht auf das vereinfachte immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren nach
§ 19 BImSchG übertragen werden. Der "vorgezogene Grundrechtsschutz durch
behördliches Verfahren" ist in Bezug auf das atomrechtliche Genehmigungsverfahren
begründet worden aus dem im Kernkraftwerk "verkörperten außerordentlichen
Gefährdungspotential". Das schließt nicht aus, dass der Gesetzgeber auch in weiteren
Genehmigungsverfahren, wie im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren
in § 10 Abs. 2 bis 4, 6, 8 und 9 BImSchG, "vorgezogenen Rechtsschutz" einräumt; für
das vereinfachte immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren hat er das aber
gerade nicht getan. Er hat nämlich in § 19 BImSchG ausdrücklich den § 10 Abs. 2 bis 4,
6, 8 und 9 BImSchG für nicht anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber hat also darauf
verzichtet, potentiell Drittbetroffenen einen vorgezogenen Rechtsschutz durch
Beteiligung am Verwaltungsverfahren einzuräumen. Er hat diese Vereinfachung des
Genehmigungsverfahrens durch Verzicht auf Beteiligung von Drittbetroffenen
vorgesehen für die Genehmigung von Anlagen, die nach Art und Umfang ein geringeres
Gefährdungspotential für die Nachbarschaft haben als die dem üblichen
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren unterliegenden Anlagen. Es
besteht deshalb kein Anlass, den bloßen Genehmigungsvorbehalt für diese Anlagen als
solchen schon als drittschützend in der Weise anzusehen, dass eine Verletzung des
Genehmigungsvorbehalts unabhängig von der materiell-rechtlichen Betroffenheit zur
Aufhebung der erteilten Genehmigung führt. Dies gilt umso mehr, als § 22 BImSchG
sowohl im immissionsschutzrechtlichen als auch im baurechtlichen
Genehmigungsverfahren die materielle Prüfungsgrundlage bildet.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 - 7 C 55 und 56.89 -, BVerwGE 85, 368, 373 ff.
m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 1994 - 11 B 3128/93 -, GewArch 1994,
257, 258; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Oktober 1995 - 1 M 5017/95 -, UPR 1996,
78.
18
Die Beurteilung fehlenden Drittschutzes der verfahrensrechtlichen Bestimmungen über
das vereinfachte Genehmigungsverfahren gemäß § 19 BImSchG ändert sich auch nicht
etwa deshalb, weil der Widerspruch gegen eine immissionsschutzrechtliche
Genehmigung - anders als gegen eine Baugenehmigung (vgl. § 212a BauGB) - gemäß
§ 80 Abs. 1 VwGO kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Denn der Betroffene kann
ungeachtet dessen auch gegen eine mit § 22 BImSchG nicht zu vereinbarende
bauaufsichtliche Zulassung einer Windfarm effektiven vorläufigen Rechtsschutz
19
erlangen.
Weiterhin rügt der Antragsteller mit der Beschwerde, es habe vor der Genehmigung der
WEA eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müssen. Auch insoweit
greift das Beschwerdevorbringen nicht durch. Nach Nr. 1.6.3 der Anlage 1 zum Gesetz
über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) bedarf die Errichtung von drei bis
weniger als sechs Windkraftanlagen einer standortbezogenen Vorprüfung des
Einzelfalls gemäß § 3 c Abs. 1 Satz 2 UVPG. Gemäß § 3 c Abs. 1 Satz 2 UVPG ist für
solche Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen, wenn trotz der
geringen Größe oder Leistung des Vorhabens nur aufgrund besonderer örtlicher
Gegebenheiten gemäß den in der Anlage 2 Nr. 2 zum UVPG aufgeführten
Schutzkriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Eine
dementsprechende Vorprüfung hat der Antragsgegner mit dem Ergebnis vorgenommen,
dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchzuführen ist. Ob diese
Einschätzung zutreffend und eine Umweltverträglichkeitsprüfung deshalb zu Recht
unterblieben ist, kann offen bleiben. Das UVPG vermittelt keinen
nachbarrechtsrelevanten Drittschutz, denn es ist nach seinem Regelungsgehalt nicht
dazu bestimmt, dem Schutz eines bestimmten Personenkreises zu dienen. Das UVPG
beschränkt sich seinem Regelungsgehalt nach auf die Regelung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung als verfahrensrechtlicher Anforderung im Vorfeld der
Sachentscheidung, ohne diese um materiell-rechtliche Vorgaben anzureichern,
20
vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 -, BVerwGE 100, 370 ff.; BVerwG,
Urteil vom 23. April 1997 - 11 A 7.97 -, BVerwGE 104, 337 ff. (346); BVerwG, Urteil vom
16. November 1998 - 6 B 110/98 -, NVwZ-RR 1999, 429 ff.; OVG NRW, Urteil vom 18.
November 1997 - 21 D 10/95.AK -; OVG NRW, Beschluss vom 30. Dezember 1997 -
10a D 41/95.NE -, BRS 59 Nr. 2; OVG NRW, Beschluss vom 4. November 1999 - 7 B
1341/99 -.
21
Auf die Frage, ob die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung in der Sache ohne den
- unterstellten - Verstoß gegen Vorschriften des UVPG für den Drittbetroffenen günstiger
ausgefallen wäre, kommt es in diesem Zusammenhang entgegen der Ansicht des
Antragstellers nicht an. Nichts anderes folgt aus der von dem Antragsteller angeführten
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts,
22
BVerwG, Urteil vom 8. Juni 1995 - 4 C 4/94 -, NVwZ 1996, 381.
23
Diese Entscheidung betrifft eine andere Fallkonstellation. Sie bezieht sich auf
Grundstückseigentümer, die durch eine straßenrechtliche Planfeststellung enteignend
betroffen waren. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts geht in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass der Eigentümer eines durch eine straßenrechtliche
Planfeststellung mit enteignender Wirkung betroffenen Grundstücks die Verletzung des
planfeststellungsrechtlichen Abwägungsgebots auch mit der Begründung geltend
machen kann, öffentliche Belange - hier: die Anforderungen des UVPG - seien nicht
hinreichend berücksichtigt worden, soweit sich dieser Verstoß auf seine subjektive
Rechtsstellung ausgewirkt haben kann.
24
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996 - 4 C 5.95 -, BRS 58 Nr. 7.
25
Abweichend von dieser Fallkonstellation ist der Antragsteller des vorliegenden
Verfahrens durch die angefochtenen Baugenehmigungen weder enteignend betroffen,
26
noch hat er ein Recht darauf, dass seine Belange bei der Erteilung der Genehmigung
abgewogen werden. Abgesehen davon hat der Antragsteller auch nicht dargelegt, dass
im Falle der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung die konkrete Möglichkeit
einer anderen Sachentscheidung bestanden hätte. Deshalb hätte die Beschwerde auch
dann keinen Erfolg, wenn man die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung
unterstellen und den Bestimmungen des UPVG drittschützenden Charakter beimessen
wollte. Denn auch bei drittschützenden Verfahrensbestimmungen ist eine
kausalitätsunabhängige Klagemöglichkeit nach innerstaatlichem Recht nicht gegeben
und auch europarechtlich im Hinblick auf die UVP-Richtlinie nicht geboten.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996, a.a.O.; Schenk, in: Birkl, Praxishandbuch des
Bauplanungs- und Immissionsschutzrechts, Teil F Rn. 122 b m.w.N..
27
Ebenso wenig wie durch die verfahrensrechtlichen Vorschriften wird Drittschutz im
vorliegenden Zusammenhang dadurch vermittelt, dass der Antragsgegner für die
Erteilung einer etwa erforderlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht
zuständig gewesen wäre. Denn die Vorschriften über die Zuständigkeit von Behörden
zur Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im vereinfachten
Genehmigungsverfahren gemäß § 19 BImSchG sind nicht nachbarschützend; sie
dienen nicht auch der Rücksichtnahme auf die Interessen betroffener Dritter.
28
Vgl. (betr. die Vorschriften über die Zuständigkeit zur Erteilung einer Baugenehmigung)
OVG NRW, Urteil vom 5. Dezember 1997 - 7 A 6206/95 -; VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 25. November 1988 - 5 S 1061/88 -, VBIBW 1988, 261.
29
Der Senat folgt nicht der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,
30
BayVGH, Beschluss vom 13. August 1996 - 20 CS 96.2369 -, BRS 58 Nr. 184,
31
nach der jeder von einem Verwaltungsakt Betroffene die sachliche Unzuständigkeit der
erlassenden Behörde rügen kann. Diese Ansicht trägt den oben erwähnten
Besonderheiten des Rechtsschutzes Drittbetroffener gegenüber dem Rechtsschutz der
unmittelbar Betroffenen nicht hinreichend Rechnung. Die Differenzierung zwischen dem
Schutz der genannten Personenkreise ist zwingend geboten und entgegen der Meinung
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keinesfalls sinnwidrig. Ein unmittelbar von
einer belastenden staatlichen Maßnahme Betroffener wird - anders als der
Drittbetroffene - grundsätzlich jedenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG
beeinträchtigt. Damit liegt eine Beeinträchtigung subjektiver Recht des unmittelbar
Betroffenen vor, die im Falle der - formellen oder materiellen - Rechtswidrigkeit des
Eingriffs zu einer Rechtsverletzung führt.
32
Der hilfsweise Vortrag des Antragstellers, es stehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
einmal fest, welche seiner Rechte überhaupt betroffen sein könnten, führt ebenfalls nicht
zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Antragsteller führt
insoweit aus, es sei beispielsweise noch nicht untersucht worden, ob durch die
Aufstellung der Anlagen z.B. der Empfang von Funkwellen jeder Art beeinträchtigt
werde und es sei weiterhin unklar, wie sich die Geländeoberfläche auf die
Schallausbreitung auswirke, zumal sein - des Antragstellers - Hof in der Nähe eines
Waldes liege, der den Schall zurückwerfe. Die damit dargelegten Gründe begründen
keine Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, die streitigen
Baugenehmigungen verletzten nachbarliche Rechte des Antragstellers mit
33
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht. Eine Rechtsverletzung liegt nicht bereits darin,
dass es an den vom Antragsteller vermissten Untersuchungen fehlt. Der Antragsteller
hat mit der Beschwerde in keiner Weise ausgeführt, dass die Untersuchungen eine
Verletzung seiner Rechte ergeben hätten. Abgesehen davon schützt weder das
Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG noch die
Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG davor, dass sich die Umgebung ändert und
infolgedessen die bisherige Möglichkeit des Rundfunk- und Fernsehempfangs den
neuen Gegebenheiten technisch angepasst werden muss und hierfür gegebenenfalls
finanzielle Aufwendungen getätigt werden müssen.
Vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1982 - V ZR 166/82 -, BGHZ 88, 344.
34
Ebenso wenig hat der Besitzer eines Mobilfunktelefons aus Art. 5 Abs. 1 GG oder aus
Art. 2 Abs. 1 GG eine eigene Rechtsposition, kraft derer er Veränderungen in der
Umgebung verhindern könnte, welche die Benutzung eines Mobilfunktelefons auf
seinem Grundstück erschweren.
35
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. April 1998 - 10a B 550/98.NE -, und vom 9.
September 1998 - 7 B 1591/98 -.
36
Fern liegt auch die Annahme, dass der in der Nähe der Hofstelle des Antragstellers
liegende Wald zu Schallreflexionen führen könnte, aufgrund derer die maßgeblichen
Immissionsrichtwerte überschritten würden. In der Schallimmissionsberechnung des
Ingenieurbüros C. T. vom 31. Juli 2001 für Emmissionen durch den Betrieb von WEA
werden Schallpegelminderungen durch Bewuchs und Bebauung in den Berechnungen
nicht berücksichtigt (vgl. S. 6 des Gutachtens). Etwaige immissionserhöhende
Wirkungen des Bewuchses werden in dem Gutachten nicht untersucht. Dies erscheint
auch durchaus nachvollziehbar, weil davon auszugehen sein dürfte, dass sich Bewuchs
grundsätzlich schallmindernd auswirkt. Das Beschwerdevorbringen enthält keine
substantiierten Darlegungen, aus denen sich Gegenteiliges ergäbe.
37
Da der Antragsteller die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass materielle
Nachbarrechte des Antragstellers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht verletzt
seien, im übrigen mit der Beschwerde nicht angegriffen hat, ist eine dahingehende
Prüfung nicht vorzunehmen.
38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG; die Abänderung der erstinstanzlichen
Wertfestsetzung erfolgt nach § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Nach der Streitwertpraxis des
Senats richtet sich der Streitwert bei einer Nachbarstreitigkeit gegen eine WEA im
Wesentlichen nach deren Größe und deren Abstand zu dem Ort, für den der Kläger
Beeinträchtigungen durch die WEA geltend macht. Dies zugrunde gelegt entnimmt der
Senat - nach Abstimmung mit dem ebenfalls für Baurecht zuständigen 7. Senat - in
Hauptsacheverfahren den Streitwert einem Rahmen von 10.000,-- EUR bis 15.000,--
EUR, soweit der Abstand bis 500 m beträgt. Ist der Abstand größer, so ist ein geringerer
Wert anzusetzen. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Streitwert
wegen des vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung auf die Hälfte zu
reduzieren. Davon ausgehend ist der Streitwert in der aus der Beschlussformel
ersichtlichen Höhe festzusetzen. Soweit sich der Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes gegen die Baugenehmigung vom 8. Oktober 2001 zugunsten des
Beigeladenen zu 1. richtet, hält der Senat einen Streitwertanteil in Höhe von 3.500 EUR
39
für angemessen, weil sich die damit genehmigte WEA mehr als 500 m von dem
maßgeblichen Immissionspunkt entfernt befindet. Soweit sich der Antrag auf die
Baugenehmigung vom 20. November 2001 zugunsten der Beigeladenen zu 2. bezieht,
geht der Senat ebenfalls von einem Streitwertanteil in Höhe von 3.500 EUR aus, weil
die nächstgelegene der damit genehmigten drei WEA in einer Entfernung von ebenfalls
mehr als 500 m vom maßgeblichen Immissionspunkt liegt. Insoweit ist der Streitwert
auch nicht deshalb zu erhöhen, weil die Baugenehmigung sich auf drei WEA bezieht.
Nach den Umständen des Falles wird die vom Antragsteller geltend gemachte und
objektiv gegebene Beeinträchtigung durch diesen Umstand nicht wesentlich erhöht. In
Anwendung dieser Grundsätze beträgt der Streitwert des ungetrennten Verfahrens 2 L
1491/01 (VG Münster) 34.000 EUR, wovon 7.000 EUR auf das vorliegende Verfahren,
10.000 EUR auf das abgetrennte Verfahren 10 B 790/02 (Abstand zur durch
Baugenehmigung vom 8. Oktober 2001 und zur nächstgelegenen durch
Baugenehmigung vom 20. November 2001 genehmigten WEA jeweils mehr als 300 m)
und jeweils 8.500 EUR auf die abgetrennten Verfahren 10 B 789/02 und 10 B 791/02
(Abstand zur durch Baugenehmigung vom 8. Oktober 2001 genehmigten WEA jeweils
mehr als 500 m und zur nächstgelegenen durch Baugenehmigung vom 20. November
2001 genehmigten WEA jeweils mehr als 300 m) entfallen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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