Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.11.2008

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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 B 1631/08
Datum:
05.11.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 B 1631/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 1518/08
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der angefochtene
Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. Oktober 2008
aufgehoben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Beschluss soll den Beteiligten vorab per Telefax übermittelt werden.
Gründe:
1
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Köln vom 8. Oktober 2008, die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin
gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15. September 2008
erhobenen Klage bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren nach § 80
Abs. 5 VwGO wiederherzustellen, hat Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist
aufzuheben.
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Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts die Beschwerdemöglichkeit eröffnet.
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Bei dem Beschluss des Verwaltungsgerichts handelt es sich um eine sogenannte
Zwischenentscheidung (auch als Hänge- oder Schiebebeschluss bezeichnet).
Zwischenentscheidungen ergehen während der Anhängigkeit eines Eilverfahrens und
dienen dazu, eine möglicherweise erforderliche Regelung für den Zeitraum zwischen
dem Eingang des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht und
der gerichtlichen Entscheidung über diesen Eilantrag zu treffen. In Verfahren nach § 80
Abs. 5 VwGO kann - wie hier - mit einer Zwischenentscheidung die Vollziehung eines
Verwaltungsakts vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag
ausgesetzt werden.
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Derartige Zwischenentscheidungen sind anfechtbar. Nach § 146 Abs. 1 VwGO steht
den Beteiligten gegen alle Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden
oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, die
Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in der
Verwaltungsgerichtsordnung etwas anderes bestimmt ist. Für Zwischenentscheidungen
fehlt es an einer solchen abweichenden Regelung.
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Insbesondere greift § 146 Abs. 2 VwGO nicht ein. Danach können unter anderem
prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Eine
Zwischenentscheidung stellt aber keine prozessleitende Verfügung im Sinne von § 146
Abs. 2 VwGO dar. Solche beziehen sich allein auf den äußeren, förmlichen Fortgang
des Verfahrens. Davon kann aber bei einer Zwischenentscheidung keine Rede sein. Mit
dieser sind Auswirkungen auf den Inhalt des Verfahrens verbunden. Sie trifft der Sache
nach für einen befristeten Zeitraum eine Entscheidung über das einstweilige
Rechtsschutzbegehren des jeweiligen Antragstellers.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. April 2008 - 1 B 568/08 - und vom 10. Oktober
1996 - 10 B 2434/96 -, juris, offen gelassen im Beschluss vom 7. Februar 2008 - 6 B
73/08 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007 - 3 S 33.07 -, InfAuslR
2007, 284 = NVwZ-RR 2007, 719; OVG Hamburg, Beschlüsse vom 19. Mai 2004 - 2 Bs
240/04 -, NVwZ 2004, 1135, und vom 10. März 1988 - Bs V 10/88 -, DÖV 1988, 887 =
NVwZ 1989, 479; OVG Sachsen, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 3 BS 399/03 -,
NVwZ 2004, 1134; OVG Schleswig- Holstein, Beschluss vom 31. Mai 2001 - 4 M 38/01 -
, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 30. September 1999 - 1 ZE 99.2849 -, juris;
Guckelberger, NVwZ 2001, 275, und in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 146 Rn.
25; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. September 2003 - 2 M 417/03 -, juris;
OVG Berlin, Beschluss vom 3. Februar 1998 - 8 S 184.97 -, NVwZ-RR 1999, 212; Hess.
VGH, Beschluss vom 23. August 1994 - 1 TG 2086/94 -, NVwZ-RR 1995, 302;
MacLean, LKV 2001, 107.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Die ergangene Zwischenentscheidung ist nicht
(mehr) gerechtfertigt.
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Eine Zwischenentscheidung in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dient dazu, den nach
Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten zu sichernden effektiven Rechtsschutz des von
einem belastenden Verwaltungsakt Betroffenen für die Dauer des gerichtlichen
Eilverfahrens durchzusetzen. Ob sie erforderlich ist, ist im Wege einer
Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind die Folgen, die einträten, wenn der
Verwaltungsakt vollzogen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, gegenüber den
Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der
Eilantrag später abgelehnt würde. Auf die Folgen der Vollziehung des angefochtenen
Verwaltungsakts kommt es dagegen nicht an, wenn das Eilverfahren voraussichtlich
deshalb erfolglos sein wird, weil der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des Rechtsbehelfs offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist.
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Vgl. OVG Hamburg, Beschlüsse vom 19. Mai 2004 - 2 Bs 240/04 -, a.a.O.; VG Aachen,
Beschluss vom 2. November 2005 - 6 L 658/05 -, juris.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Zwischenentscheidung (jedenfalls
nunmehr) nicht erforderlich.
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Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für das Ergehen einer
Zwischenentscheidung im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses, zu dem dem
Verwaltungsgericht weder eine Stellungnahme der Antragsgegnerin noch deren
Verwaltungsvorgänge vorlagen, erfüllt waren. Jedenfalls nachdem im
Beschwerdeverfahren sowohl eine Stellungnahme der Antragsgegnerin als auch deren
Verwaltungsvorgänge vorgelegt worden sind, bedarf es auf der Grundlage der
vorzunehmenden Interessenabwägung keiner Zwischenentscheidung (mehr).
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Eine Interessenabwägung ist hier erforderlich, da nicht ohne Weiteres ersichtlich ist,
dass der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage
offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Für die Feststellung der
Erfolgsaussichten des Eilantrags wäre vielmehr insbesondere eine genauere
Betrachtung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände, namentlich der in den
Verwaltungsvorgängen enthaltenen Stellungnahmen der Fachinstitute, erforderlich, was
den Prüfungsrahmen des vorliegenden Zwischenverfahrens übersteigen würde.
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Die Interessenabwägung geht auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes zu
Lasten der Antragstellerin aus. Sie hat deshalb bis zum Abschluss des Eilverfahrens die
von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung
vom 15. September 2008 hinzunehmen.
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In der Antragsschrift hat die Antragstellerin sich darauf berufen, ihr entstünde durch die
Vollziehung der Ordnungsverfügung täglich ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden.
Dies ist nachvollziehbar, da ihr mit der Ordnungsverfügung das Inverkehrbringen und
damit insbesondere auch der Verkauf im Einzelnen bezeichneter Typen von
Feuerwehrstiefeln der Firma I. Schuh-GmbH untersagt worden ist.
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Dieses wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin muss aber in Anbetracht eines von
den Feuerwehrstiefeln möglicherweise ausgehenden Gefährdungspotentials
zurückstehen.
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Schon in der Ordnungsverfügung vom 15. September 2008 hat die Antragsgegnerin
angeführt, sicherheitstechnische Überprüfungen hätten ergeben, dass die
Feuerwehrstiefel erhebliche Mängel wie eine fehlende Rutschhemmung, eine zu
geringe Trennkraft der Laufsohle zum Schaft, eine zu niedrige
Zehenkappenbelastbarkeit, eine fehlende Durchtrittsicherheit und ein unzureichendes
Brennverhalten (Schmelzen von Reißverschluss und Schnürsystem) aufwiesen. Diese
sicherheitstechnischen Bedenken hat die Antragsgegnerin durch ihre Ausführungen in
der Beschwerdebegründung, die durch die vorgelegten Verwaltungsvorgänge gestützt
werden, noch weiter vertieft und insbesondere aufgezeigt, dass schon seit mehreren
Jahre immer wieder Qualitätsmängel und Probleme im Zusammenhang mit den
erforderlichen Zertifizierungen der in Rede stehenden Feuerwehrstiefel aufgetreten sind.
Die Antragstellerin hat ihrerseits im Beschwerdeverfahren den technischen Prüfbericht
eines englischen Instituts vorgelegt, der das Brennverhalten des Feuerwehrstiefels "Q. "
als ausreichend, das des Feuerwehrstiefels "G. " als ungenügend bezeichnet.
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Ob die von der Antragsgegnerin angeführten Bedenken tatsächlich zutreffen, ist im
Rahmen der vorliegend zu treffenden Interessenabwägung nicht näher zu untersuchen.
Schon allein der - wie hier - auf Untersuchungen von Fachinstituten gestützte
begründete Verdacht, dass die Feuerwehrstiefel nicht den maßgeblichen
Sicherheitsanforderungen genügen könnten, reicht aus, um das wirtschaftliche Interesse
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der Antragstellerin zurücktreten zu lassen. Feuerwehrleute, für die die Feuerwehrstiefel
gerade bestimmt sind, müssen sich bei einem Notfalleinsatz darauf verlassen können,
dass ihre Ausrüstung den erforderlichen Qualitätsstandards genügt.
Sicherheitstechnische Mängel bei ihrer Ausrüstung wie insbesondere dem Schuhwerk
haben unmittelbar die Gefahr von gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Folge.
Gerade in Anbetracht ihrer in besonderem Maße gefahrgeneigten Tätigkeit gilt es zu
verhindern, dass Feuerwehrleute durch eine unzureichende Ausrüstung ihr eigenes
Leben und auch das Leben der von ihnen zu rettenden Personen gefährden. Angesichts
dessen kann nicht hingenommen werden, dass möglicherweise den
sicherheitstechnischen Anforderungen nicht genügende Feuerwehrstiefel in den
Verkehr geraten. Jedenfalls bis der Verdacht eines vorhandenen Gefährdungspotentials
durch eine abschließende Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ausgeräumt ist, muss sichergestellt werden, dass die vorliegend in Rede stehenden
Feuerwehrstiefel nicht weiter in den Verkehr gelangen. Damit für sie verbundene
Nachteile hat die Antragstellerin angesichts einer möglichen Gefährdung von Leib und
Leben der Feuerwehrleute und der von ihnen zu rettenden Personen hinzunehmen.
Angesichts dieser Umstände überwiegt das Interesse am Fortbestand der von der
Antragsgegnerin ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung der
Ordnungsverfügung vom 15. September 2008 das Interesse der Antragstellerin,
während des weiteren Laufs des Eilverfahrens von dem Vollzug der Ordnungsverfügung
verschont zu bleiben. Allerdings wird das Verwaltungsgericht im Blick zu behalten
haben, ob in der Folgezeit bis zur Entscheidung über den Eilantrag Veränderungen der
tatsächlichen Umstände eintreten, die eine andere Interessenabwägung rechtfertigen. In
einem solchen Fall wäre das Verwaltungsgericht befugt und ggf. verpflichtet, erneut eine
Zwischenentscheidung zu treffen und die Anordnung der Vollziehung auszusetzen.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich. Die durch das Beschwerdeverfahren
entstandenen Kosten gehören zu den Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Es liegt insofern kein gegenüber jenem Verfahren selbständiges Nebenverfahren vor.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Oktober 1996 - 10 B 2434/96 -, a.a.O.; OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007 - 3 S 33.07 -, a.a.O.; OVG Hamburg,
Beschlüsse vom 19. Mai 2004 - 2 Bs 240/04 -, a.a.O., und vom 10. März 1988 - Bs V
10/88 -, a.a.O.; OVG Sachsen, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 3 BS 399/03 -,
a.a.O.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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