Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.07.2008

OVG NRW: aufschiebende wirkung, abgrabung, kellergeschoss, profil, breite, einsichtnahme, belichtung, beschwerdeschrift, grundstück, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 999/08
Datum:
08.07.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 999/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 L 617/08
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- EUR
festgesetzt.
Gründe:
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Die Beschwerde des Beigeladenen hat keinen Erfolg.
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Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, führen nicht zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht die aufschiebende
Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung des Antragsgegners vom 12. Februar 2008 zur Errichtung des
Wohnhauses "G. -X. -Straße 55/57" angeordnet hat.
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Klarzustellen ist vorab, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens allein die
Baugenehmigung vom 12. Februar 2008 ist. Zwar hat der Antragsgegner dem
Beigeladenen nach der erstinstanzlichen Entscheidung unter dem 19. Juni 2008 eine
sogenannte "1. Nachtragsgenehmigung" erteilt. Diese stellt jedoch in der Sache eine
Baugenehmigung für ein aliud und nicht eine bloße Modifizierung der
Ursprungsbaugenehmigung dar, weil mit den zugelassenen Änderungen gerichtlich
beanstandete Nachbarrechtsverletzungen ausgeräumt werden sollen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. Juni 1996 -11 B 1276/96 -, BRS 58 Nr. 189;
Böddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW,
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Stand: Juli 2008, § 75 Rdnr 312 ff. m.w.N.
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Gleichwohl geht der Senat unter den hier gegebenen Umständen im vorliegenden
Verfahren nicht davon aus, dass das Rechtsschutzbedürfnis für den Antragsteller
deshalb entfällt, weil von der angefochtenen Baugenehmigung kein Gebrauch mehr
gemacht wird. Denn der Beigeladene hat sich bereits in seiner Beschwerdeschrift
ausdrücklich vorbehalten, nach Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des
Verwaltungsgerichts die Abgrabung, soweit sie zwischenzeitlich aufgrund der - nur zur
Vermeidung eines Baustopps beantragten - Nachtragsbaugenehmigung wieder verfüllt
werden, entsprechend der Baugenehmigung vom 12. Februar 2008 erneut
vorzunehmen.
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In der Sache steht der Antragstellerin auch in Würdigung des Beschwerdevorbrin-gens
ein Abwehranspruch gegen das genehmigte Bauvorhaben des Beigeladenen zu, weil
es zu ihren Lasten gegen Abstandflächenvorschriften verstößt. Die östliche Außenwand
des genehmigten Bauvorhabens hält die erforderliche Abstandfläche gegenüber der
Grenze zum Grundstück der Antragstellerin nicht ein.
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Zu Unrecht wendet der Beigeladene ein, der Bereich der Abgrabung und Abböschung
müsse bei der Errechnung der Abstandfläche unberücksichtigt bleiben, weil die
Abgrabung im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 5 BauO NRW ausschließlich der Belichtung
diene. Zur Begründung führt er aus, auch die Bereiche der Abgrabungen, in denen sich
weder Zugänge noch Fenster befänden, nähmen Licht weg, wenn sie wieder verfüllt
würden. Dies gelte auch für die Bereiche zwischen den 3 m auseinander liegenden
Fenstern der beiden Gästezimmer im Untergeschoss. Unterhalb der Fenster des
Untergeschosses sei es aus technischen Gründen zur Einhaltung der Normen und
Richtlinien für die Bauausführung geboten, die Abgrabungen nicht zu verfüllen. Der
Bereich könne nicht betreten werden und es bestünden auch keine Möglichkeiten zur
Einsichtnahme aus dem Kellergeschoss auf das Nachbargrundstück. Es sei auch keine
Tatbestandsvoraussetzung des § 6 Abs. 4 Satz 5 BauO NRW, dass eine Abgrabung
ausschließlich Belichtungszwecken dienen müsse.
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Diese Ausführungen liegt ein grundlegendes Fehlverständnis der Bestimmung des § 6
Abs. 4 Satz 5 BauO NRW zugrunde. Die Regelung bezweckt nach der Begründung des
Entwurfs der Landesregierung (LT-Drs. 14/2433) zum einen eine Klarstellung im Sinne
der bisherigen Rechtsprechung zu sog. untergeordneten oder unselbständigen
Abgrabungen.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 18. April 1991 - 11 A 969/87 -, BRS 52 Nr. 180;
Beschluss vom 8. August 1995 - 7 B 1831/95 -.
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Danach darf die Vertiefung lediglich einen Teil des Baukörpers selbst darstellen,
diesem unmittelbar zugeordnet sein, technisch mit ihm in Verbindung stehen und der
Funktion des angrenzenden Raumes unmittelbar dienen wie z.B. bei einem
Kellerschacht oder einer Kellertreppe. Kennzeichnend hierfür ist, dass durch die
Abgrabung das Profil des Baugrundstücks nur punktuell und im Verhältnis zur übrigen
Grundstücksfläche in untergeordnetem Umfang und nicht in einem großräumigen
Zusammenhang verändert wird.
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Bei der hier in Rede stehende Abgrabung über eine Länge von mehr 13 m mit
erheblicher Breite und Tiefe kann von einer untergeordneten und nur punktuellen
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Veränderung des Niveaus des Baugrundstücks in dem dargelegten Sinne keine Rede
sein.
Inwieweit über die vorstehenden Grundsätze hinaus gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 BauO
NRW Abgrabungen bei der Ermittlung der Wandhöhe außer Betracht bleiben, soweit sie
nach § 9 Abs. 3 BauO NRW die Geländeoberfläche zulässigerweise verändern, bedarf
im vorliegenden Verfahren keiner Vertiefung. Die Beschwerdebegründung verhält sich
hierzu nicht. Es ist bei summarischer Prüfung auch nichts dafür ersichtlich, dass ein
sachlicher Grund im Sinne des § 9 Abs. 3 BauO NRW für die Veränderung der
Geländeoberfläche gegeben sein könnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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