Urteil des OVG Niedersachsen vom 26.09.2014

OVG Lüneburg: versicherung, strafbefehl, abgabe, genehmigung, datenschutz, vervielfältigung, betrug, strafverfahren, gewerbe, niedersachsen

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Gewerbeuntersagung - PKH Beschwerde
OVG Lüneburg 7. Senat, Beschluss vom 26.09.2014, 7 PA 67/14
§ 35 GewO, § 291 InsO, § 301 InsO, § 302 InsO, § 807 ZPO, § 915 ZPO
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Göttingen - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 21. Juli 2014 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss
des Verwaltungsgerichts ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Klageverfahren abgelehnt mit der Begründung, dass die beabsichtigte
Rechtsverfolgung des Klägers nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1
ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Einschätzung
des Beklagten, der Kläger sei gewerberechtlich unzuverlässig, sei nicht zu
beanstanden. Die gegen den Kläger ergangenen Strafbefehle des
Amtsgerichts Göttingen wegen Betrugs und des Amtsgerichts Duderstadt
wegen Körperverletzung rechtfertigten die Annahme, dass er nicht die
notwendige Gewähr dafür biete, ein Gewerbe ordnungsgemäß zu betreiben.
Insoweit folge die Einzelrichterin den zutreffenden Ausführungen im
angefochtenen Bescheid des Beklagten und in dessen Klageerwiderung vom
19. Februar 2014. Hinzu komme, dass für den Kläger beim Amtsgericht
Duderstadt eine eidesstattliche Versicherung eingetragen sei, was zusätzlich
für eine Unzuverlässigkeit wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse
spreche.
Die Beschwerde setzt dieser Begründung überzeugende Argumente nicht
entgegen. Der Beklagte hat in der vom Verwaltungsgericht in Bezug
genommenen Klageerwiderung vom 19. Februar 2014 zu Recht angemerkt,
dass für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit auch
rechtskräftige Strafbefehle herangezogen werden können. Diese stehen
gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 GewO einem Urteil in einem Strafverfahren gleich.
Die rechtskräftigen Strafbefehle des Amtsgerichts Göttingen vom B. und des
Amtsgerichts Duderstadt vom C. sind, auch wenn dem Kläger darin keine
Straftaten bei der Ausübung des Gewerbes zur Last gelegt worden sind, für die
Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit entgegen der Auffassung
des Klägers von Belang (vgl. nur zu Eigentums- und Vermögensdelikten:
Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl., § 35 Rdnr. 38). Dem
Kläger wurde durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen zur Last
gelegt, in dem Zeitraum vom D. einen Betrug in der Gestalt rechtswidrig
erlangter Sozialleistungen begangen zu haben, wobei der geschädigte
Flecken Bovenden nachträglich im März 2009 insgesamt 1.861,- EUR an
überzahlten Leistungen zurückgefordert habe. Durch den Strafbefehl des
Amtsgerichts Duderstadt wurde dem Kläger zur Last gelegt, am E. eine
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Körperverletzung begangen zu haben, wobei er der Geschädigten - nach
Einlassung des Klägers handelte es sich um seine Freundin - in häuslicher
Umgebung im Zuge verbaler Auseinandersetzungen mit der Hand ins Gesicht
geschlagen haben soll. Der Kläger hat die mit Geldstrafen von 50 Tagessätzen
(Amtsgericht Göttingen) bzw. 10 Tagessätzen (Amtsgericht Duderstadt)
geahndeten Straftaten im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen als ein
jeweils einmaliges Fehlverhalten ohne Bezug zur Gewerbeausübung
dargestellt und - wohl eher - bagatellisiert. Dies bedarf hier aber keiner weiteren
Vertiefung. Denn der Beklagte und ihm folgend das Verwaltungsgericht haben
weiterhin einen Unzuverlässigkeitsgrund in den durch Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung (am H.) zum Ausdruck gekommenen
ungeordneten Vermögensverhältnissen des Klägers gesehen. Die
Beschwerde stellt diese - die Gewerbeuntersagungsverfügung selbständig
tragende - Erwägung nicht in Frage und sie ist auch in der Sache nicht zu
beanstanden, wobei lediglich ergänzend anzumerken ist, dass die Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO von Teilen der Rechtsprechung
nicht unter dem Gesichtspunkt der ungeordneten Vermögensverhältnisse,
sondern einer - ebenso relevanten - wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des
Schuldners gesehen wird (vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand:
März 2014, § 35 Rn. 45ff m.w.N.). Wer vermögenslos und folglich
leistungsunfähig ist, ist gewerberechtlich unzuverlässig (vgl. Hess. VGH,
Beschl. vom 9.11.1992 - 8 TH 2651/91-, GewArch 1993, 157).
Der Umstand, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers
durch Beschluss des Amtsgericht Göttingen vom F. aufgehoben und ihm im
Restschuldbefreiungsverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Göttingen
vom G. Restschuldbefreiung erteilt worden ist, führt zu keiner abweichenden
Beurteilung der Erfolgsaussichten für die Klage. Zwar führt die
Restschuldbefreiung gemäß § 301 InsO dazu, dass der Schuldner von seinen
im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten mit Wirkung gegenüber
allen Insolvenzgläubigern befreit wird. Außerdem kommt bereits dem
Beschluss über das Inaussichtstellen der Restschuldbefreiung nach § 291
InsO (a.F., vgl. nunmehr § 287a InsO n.F.), durch den sich die zunächst nur
abstrakte Möglichkeit einer späteren Restschuldbefreiung zu einer konkreten
Aussicht verdichtet, eine gesteigerte Ordnungsfunktion zu, durch die z. B. bei
der Prüfung des Regelversagungsgrunds der ungeordneten
Vermögensverhältnisse gemäß § 34c Abs. 2 Nr. 2 GewO die Regelvermutung
durchgreifend in Frage gestellt werden kann (Beschl. des Senats vom
25.9.2014 - 7 PA 29/14 -; vgl. auch zu § 34d Abs. 2 Nr. 2 GewO OVG
Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 8.12.2011 - 4 A 1115/10 -, GewArch 2012, 499).
Allerdings schließt der Umstand der Restschuldbefreiung nicht aus, dass aus
anderen Gründen die Vermögensverhältnisse des Schuldners ungeordnet
sein können (vgl. Beschl. des Senats vom 25.9.2014, a.a.O.) bzw. die
wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit gegeben sein kann (vgl. OVG Sachsen-
Anhalt, Beschl. vom 27.12.2013 - 1 L 112/13 -, juris). So sind von der Wirkung
der Restschuldbefreiung auch von vornherein ausgenommen neben den in §
302 InsO aufgeführten Forderungen die Verbindlichkeiten gegenüber
Neugläubigern, welche im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
keine Insolvenzgläubiger gewesen sind. Hierauf hat das Amtsgericht Göttingen
in seinem Beschluss vom G. klarstellend hingewiesen. Der Umstand, dass der
Kläger weiterhin im Schuldnerverzeichnis nach § 915 ZPO aufgeführt ist, kann
danach nicht allein unter Verweis auf die Erteilung der Restschuldbefreiung
relativiert und die am H. abgegebene eidesstattliche Versicherung nicht als
hinfällig angesehen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Eintragung in
rechtswidriger Weise vorgenommen oder zu Unrecht noch nicht gelöscht sein
könnte, liegen nicht vor.
Aller Voraussicht nach ist es auch unschädlich, dass der Beklagte in dem
Bescheid vom 21. Oktober 2013 nicht auf diesen Unzuverlässigkeitsgrund
abgehoben hat. Der Grund lag jedenfalls objektiv vor; im Übrigen könnte er,
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selbst wenn er nachträglich eingetreten wäre, im
Gewerbeuntersagungsverfahren noch berücksichtigt werden (vgl. OVG
Lüneburg, Urt. vom 15.1.1986 - 7 A 83/85 - und Urt. vom 16.9.1993 - 7 L
5832/92 -, jew. zit. nach juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 VwGO i.V.m.
§ 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).