Urteil des OVG Niedersachsen vom 07.02.2013
OVG Lüneburg: dokumentation, auswechslung, akteneinsicht, mitbewerber, form, datenschutz, kontrolle, vervielfältigung, genehmigung, beurteilungsspielraum
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Dokumentationspflicht der Auswahlerwägungen in
Fällen der Dienstpostenkonkurrenz
OVG Lüneburg 5. Senat, Beschluss vom 07.02.2013, 5 ME 256/12
Art 19 Abs 4 GG, Art 33 Abs 2 GG, § 1 VwVfG ND, § 114 VwGO, § 45 Abs 1 Nr 2
VwVfG, § 45 Abs 2 VwVfG
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Stade betreffend die Besetzung des ausgeschriebenen
Dienstpostens mit dem Beigeladenen hat keinen Erfolg. Die in der
Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat
beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des
verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die
Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin dem Begründungserfordernis nicht
entspricht und dass die Antragsgegnerin den Begründungsmangel auch nicht
heilen konnte.
Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat,
hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. Januar 2008 (- 5 ME 317/07
-, juris) entschieden, dass die Ablehnung der Auswahl eines
Beförderungsbewerbers als Verwaltungsakt einem Begründungserfordernis
unterliegt und dass die wesentlichen Auswahlerwägungen mitzuteilen sind (vgl.
auch Nds. OVG, Beschluss vom 24.2.2010 - 5 ME 16/10 -, juris). Das
Begründungserfordernis gilt auch in Fällen der Dienstpostenkonkurrenz. Diesen
Anforderungen ist hier nicht genügt worden. Das an den Antragsteller gerichtete
Schreiben vom 30. Mai 2012 über sein Unterliegen im Bewerbungsverfahren
enthält keine Gründe für die Auswahlentscheidung.
Zwar lassen sich Begründungsmängel eines Verwaltungsaktes gemäß § 1
NVwVfG, § 45 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 VwVfG beheben. Danach kann eine
Behörde die erforderliche Begründung eines Verwaltungsaktes bis zum
Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens nachholen. Die Vorschrift des § 45 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 VwVfG
bedeutet im vorliegenden Zusammenhang aber, dass dokumentierte materielle
Auswahlerwägungen, die für eine Entscheidung maßgebend waren und sich
lediglich in der einem Mitbewerber gegenüber erfolgten Begründung der
Entscheidung nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben fanden, nachträglich
bekanntgegeben werden können; sie ermöglicht jedoch nicht, die materiellen
Auswahlerwägungen selbst nachzuholen oder eine fehlende Dokumentation der
Auswahlerwägungen „nachzuschieben“ (so BVerwG, Beschluss vom
16.12.2008 - BVerwG 1 WB 19.08 -, juris Rn. 48).
Gemessen hieran konnte die Antragsgegnerin den Begründungsmangel nicht
heilen, weil es hier an einer Dokumentation der Auswahlerwägungen fehlte, die
sie nachträglich dem Antragsteller hätte bekanntgeben können. Aus Art. 33 Abs.
2 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die
wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine
schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis
sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen
kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden
zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob
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Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und
chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen
Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die
Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die
angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die
schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die
Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis
gelangt sind (vgl. zum Ganzen BVerfG, Kammerbeschluss vom 9.7.2007 - 2
BvR 206/07 -, juris; vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008, a. a. O., Nds.
OVG, Beschluss vom 18.8.2011 - 5 ME 212/11 -, juris Rn. 13). Eine solche
Verpflichtung besteht auch in den Fällen der Dienstpostenkonkurrenz.
Dies zugrunde gelegt, ist die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht
hinreichend dokumentiert. Als Dokumentation liegen in den Beiakten „A“ und „G“
zwar für jeden der sieben Bewerber gefertigte Bewertungsbögen über die
jeweiligen Auswahlgespräche mit Notizen der Mitglieder der
Auswahlkommission zu den einzelnen Fragestellungen vor. Jedes Mitglied der
Auswahlkommission hat darin positive und negative Gesichtspunkte der
Vorstellungen der einzelnen Bewerber notiert. Außerdem haben fünf von sechs
Mitgliedern der Auswahlkommission eine Rangreihenfolge nach den
Auswahlgesprächen vorgeschlagen. Die einzelnen Bewertungsbögen zeigen
Tendenzen zugunsten des Beigeladenen auf. Den Bewertungsbögen lässt sich
aber nicht entnehmen, welche Gesichtspunkte und Erwägungen letztlich für die
Auswahlentscheidung bestimmend waren und den Ausschlag zugunsten des
Beigeladenen gegeben haben. Es fehlt insbesondere an einer
Zusammenführung der Bewertungen der einzelnen Kommissionsmitglieder zu
einem gemeinsamen Ergebnis. Ein Auswahlvermerk mit den wesentlichen
Erwägungen der Auswahlkommission liegt - anders als in dem von der
Antragsgegnerin zitierten, vom Senat mit Beschluss vom 18. August 2011 (a. a.
O.) entschiedenen Fall - hier gerade nicht vor.Deshalb stellt sich auch nicht die
von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Münster vom 1. August 2011 (- 1 B 186/11 -, juris Rn.
24) aufgeworfene Frage, welchen (Mindest-)Inhalt die schriftlich fixierten
Auswahlerwägungen haben und insbesondere welche Begründungstiefe sie
wenigstens aufweisen müssen. Das „Feedback-Gespräch“ zwischen dem
Antragsteller und dem Leiter des PK C. am 3. Mai 2012 kann hier die fehlende
schriftliche Dokumentation der Auswahlentscheidung nach den oben
dargelegten Grundsätzen nicht ersetzen. Soweit die Antragsgegnerin meint, es
sei dem unterlegenen Bewerber zumutbar, sich über eine Akteneinsicht selbst
eine Auffassung zu bilden, ob die Auswahlentscheidung auf Basis der
Kernbegründung überzeugen könne, fehlt es hier gerade an einer solchen
„Kernbegründung“, die in einem Auswahlvermerk niederzulegen gewesen wäre.
In dem internen Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. April 2004 an das
Dezernat D. wird ebenfalls nur das Auswahlergebnis mitgeteilt, Auswahlgründe
ergeben sich daraus nicht. In dem Schreiben an den Prozessbevollmächtigten
des Antragstellers vom 30. Mai 2012 wird lediglich das Auswahlverfahren
dargestellt. Gründe, warum der Beigeladene ausgewählt worden ist, werden
darin ebenfalls nicht dargelegt.
Ermessenserwägungen können zwar gemäß § 114 Satz 2 VwGO im
gerichtlichen Verfahren ergänzt werden; unzulässig, weil keine bloße
Ergänzung, ist jedoch die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der
die Ermessensentscheidung tragenden Gründe (vgl. BVerwG, Urteil vom
5.5.1998 - BVerwG 1 C 17.97 -, juris Rn. 40). Entsprechendes gilt - unabhängig
von der Frage, ob sich der Anwendungsbereich von § 114 VwGO auch auf
Beurteilungsermächtigungen erstreckt (vgl. zum Meinungsstand Wolff, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 114 Rn. 39 m. w. N.) - für
Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht; auch insoweit ist
im gerichtlichen Verfahren nur eine Ergänzung oder Präzisierung der
Erwägungen, nicht jedoch eine vollständige Nachholung oder Auswechslung
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zulässig (BVerwG, Urteil vom 16.12.2008, a. a. O., Rn. 48).
Nach diesen Maßstäben stellt das nachträglich im gerichtlichen Verfahren
gefertigte Protokoll vom 7. August 2012 über die Sitzung der
Auswahlkommission vom 26. April 2012 keine Ergänzung von bereits mit der
Entscheidung vom 26. April 2012 getroffenen Erwägungen dar. Vielmehr werden
in diesem Protokoll auf Seite 3 unter Nr. 2. erstmals von der Auswahlkommission
zusammengeführte Gründe für die Auswahl des Beigeladenen genannt, und
zwar in Form von zwei Sätzen, die im Übrigen in keinem Verhältnis zu dem von
der Antragsgegnerin in ihren Schriftsätzen gezeigten Darstellungsaufwand
stehen und ohne Weiteres bereits am 26. April 2012 hätten niedergelegt werden
können. Eine solche erstmalige Nachholung der Ermessenserwägungen und
des Eignungsvergleichs ist nach dem Gesagten unzulässig und kann bei der
gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht gemäß § 162 Abs. 3
VwGO erstattungsfähig, weil er keinen Antrag gestellt und das Verfahren nicht
wesentlich gefördert hat.