Urteil des OVG Niedersachsen vom 15.11.2013

OVG Lüneburg: beseitigungsverfügung, rechtsnachfolger, gebäude, verfall, erhaltung, verwaltungsakt, erlass, ferien, grundstück, sorgfalt

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Baurechtliche Beseitigungsanordnung zur
Beseitigung eines verfallenden Gebäudes
Die baurechtliche Anordnung gemäß § 54 NBauO 2003 (nunmehr § 79 Abs. 3
Satz 1 NBauO 2012), ein verfallendes Gebäude zu beseitigen, wirkt
gegenüber dem Rechtsnachfolger.
OVG Lüneburg 1. Senat, Beschluss vom 15.11.2013, 1 LA 65/13
§ 79 Abs 3 BauO ND, § 54 BauO ND
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich als Rechtsnachfolger gegen eine seinem verstorbenen
Vater gegenüber ergangene Verfügung des Beklagten, mit der dieser die
Beseitigung eines baufälligen Bauernhauses anordnet.
Der Kläger ist als Rechtsnachfolger seines im Jahr 2005 verstorbenen Vaters
Eigentümer des Grundstücks D. 2 in der Gemeinde E.. Das Grundstück ist mit
einem Eindachhof, bestehend aus Wohnung, Stall und Scheune, bebaut.
Im Jahr 2004 stellte der Beklagte fest, dass das Gebäude leer stand und
deutliche Anzeichen von Verfall zeigte. Auf im Januar 2004 erstellten Fotos ist
zu sehen, dass die Fenster zerschlagen bzw. durch Bretter ersetzt worden
waren und die stallseitige Außenwand in Teilen eingestürzt war. Die Türen und
Tore waren teilweise mit Abfällen verstellt. Das umliegende Grundstück war mit
Unkraut und jungem Baumbestand überwuchert; zudem lagerten dort Abfälle.
Der Beklagte ordnete daraufhin mit Verfügung vom 10. Mai 2004 die
Beseitigung des Gebäudes an. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies
die Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom
16. November 2004 zurück.
Der Vater des Klägers erhob daraufhin Klage, die er im Wesentlichen damit
begründete, dass er das zu früherer Zeit vermietete und im Wesentlichen
intakte Gebäude in den Ferien selbst nutze. Nachdem er während des
Verfahrens verstorben und das Verfahren im Dezember 2011 mit dem Kläger
fortgeführt worden war, begründete dieser die Klage mit einer fortdauernden
Nutzung des - wie im Jahr 2012 erstellte Lichtbilder zeigen - mittlerweile zum
Teil eingestürzten Gebäudes zur Lagerung von Heu und zur Unterstellung von
landwirtschaftlichen Geräten durch einen Pächter.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Februar 2013
abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die
Beklagte habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids die
Beseitigung gemäß § 54 NBauO anordnen dürfen. Das Gebäude sei nicht
mehr genutzt worden, nachdem die letzten Mieter im Jahr 1998 ausgezogen
seien. Es sei zudem im Verfall begriffen gewesen; Maßnahmen zur Erhaltung
habe der Vater des Klägers nicht ergriffen. Die Anordnung sei auch frei von
Ermessensfehlern. Schutzwürdige persönliche Belange habe der Vater des
Klägers nicht geltend gemacht; die abgängige Bausubstanz habe auch keinen
eigentumsrechtlichen Bestandsschutz mehr genossen. Die Verfügung wirke
schließlich auch gegenüber dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger. Es
handele sich um einen grundstücksbezogenen Verwaltungsakt; für derartige
Verwaltungsakte sei anerkannt, dass sie auf den Gesamtrechtsnachfolger
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übergingen.
Diesen Ausführungen tritt der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der
Berufung entgegen; der Beklagte verteidigt demgegenüber die
verwaltungsgerichtliche Entscheidung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel
an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) sowie grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn ein
einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit
schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt wird, dass sich am
Ergebnis der Entscheidung etwas ändert. Das ist dem Kläger nicht gelungen.
Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender
Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß §
122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, entschieden, dass die auf § 54 NBauO
2003 gestützte Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 10. Mai 2004
keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die Einwände des Klägers
überzeugen den Senat nicht.
Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des
Verwaltungsgerichts, das Gebäude sei zum maßgeblichen Zeitpunkt des
Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 nicht genutzt
worden. Soweit er behauptet, tatsächlich habe ein Landwirt zum damaligen
Zeitpunkt dort seine Geräte im Rahmen eines Pachtverhältnisses untergestellt,
handelt es sich bei diesem - gegenüber seinem Vortrag im Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht gesteigerten Vorbringen (Schriftsatz vom 26. März 2012) -
ersichtlich um eine Behauptung ins Blaue hinein, für deren Richtigkeit nicht der
geringste Anhaltspunkt spricht. Im Gegenteil zeigen die im Januar 2004 von
dem Beklagten gefertigten Fotos, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt eine
Außenwand des Wirtschaftsteils des Gebäudes teilweise eingestürzt und das
Tor durch dort lagernde Abfälle verstellt war. Hinzu kommt, dass der Vater des
Klägers zu Lebzeiten keine Nutzung des Gebäudes durch Dritte behauptet
hat. Im Gegenteil hat er lediglich angegeben, er bewohne das - angesichts
seines Zustandes offensichtlich unbewohnbare - Gebäude während der Ferien
selbst. Da dem Vater des Klägers die rechtliche Bedeutung einer
fortdauernden Nutzung - wie seine Äußerungen belegen - sehr wohl bekannt
war, spricht nichts dafür, dass er dem Beklagten eine landwirtschaftliche
Nutzung verschwiegen hätte. Vor diesem Hintergrund ist ungeachtet der
Tatsache, dass Lichtbilder vom Inneren des Gebäudes nicht vorliegen,
offensichtlich nicht von einer Nutzung des Gebäudes im Jahr 2004
auszugehen.
Auch das weitere Vorbringen des Klägers, Maßnahmen zur Substanzerhaltung
seien nur aufgrund einer Erkrankung seines Vaters bzw. nach seinem Tod
aufgrund der schwebenden Beseitigungsverfügung unterblieben, erlaubt keine
andere Betrachtung. Gemäß § 54 NBauO 2003 kommt es grundsätzlich nicht
darauf an, aus welchen Gründen substanzerhaltende Maßnahmen
unterbleiben. Ist die Bausubstanz erheblich beschädigt und ist von einem
weiteren Fortschreiten auszugehen, reicht das aus, um eine bauliche Anlage
als „im Verfall begriffen“ anzusehen.
Wiederum spekulativ ist angesichts der durch Lichtbilder belegten Baufälligkeit
des Gebäudes die sinngemäß aufgestellte Behauptung des Klägers, die
Bausubstanz sei wiederherstellbar gewesen. Überdies kommt es darauf nicht
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an. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es ausreichend,
das die bauliche Anlage (erhebliche) Schäden aufweist, deren Vergrößerung
zu erwarten ist (vgl. auch Wiechert, in: Große-
Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 54 Rn. 5). Das
war - wie ausgeführt - der Fall.
Ernstlichen Zweifeln begegnet schließlich auch nicht die - von dem Kläger
lediglich im Rahmen seiner Ausführungen zu einer grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache beanstandete - Annahme des Verwaltungsgerichts, die
Beseitigungsverfügung wirke auch für und gegen den Rechtsnachfolger. Zur
Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel kann dieses Vorbringen
schon deshalb nicht führen, weil die Anfechtungsklage andernfalls wegen des
Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen gewesen
wäre. Wie das Verwaltungsgericht im Übrigen zu Recht ausgeführt hat, ist in
Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass
grundstücksbezogene Verfügungen auf den Rechtsnachfolger übergehen (vgl.
nur BVerwG, Urt. v. 22.01.1971 - IV C 62.66 -, juris Rn. 18 = NJW 1971, 1624;
Beschl. v. 20.10.1983 - 4 B 186.83 -, juris Rn. 3; Denninger, in:
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D 124). Ob sich
dieses zudem daraus ergibt, dass § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO 2003 die Geltung
von Anordnungen nach § 89 NBauO 2003 gegenüber den Rechtsnachfolgern
ausdrücklich anordnet und diese Vorschrift auch im Rahmen des den § 89
NBauO 2003 ergänzenden § 54 NBauO 2003 (vgl. dazu Wiechert, a. a. O., Rn.
2) angewandt werden kann, lässt der Senat offen.
Gegen die Geltung der Beseitigungsverfügung gegen den Kläger bestehen
auch vor dem Hintergrund der konkreten Umstände keine Bedenken. Weder
die verstrichene Zeit zwischen dem Erlass der Verfügung und dem Abschluss
des gerichtlichen Verfahrens, noch die dem Kläger entstandenen
Schwierigkeiten, den damaligen Sachverhalt aufzuklären, rechtfertigen eine
andere Betrachtung. Entgegenzuhalten ist dem Kläger bereits, dass die
erhebliche Dauer des Verfahrens nicht dem Beklagten zur Last fällt, sondern
maßgeblich auf der Verletzung eigener Obliegenheiten beruht. Ihm ist bereits
im Jahr 2006 der Erbschein erteilt worden. Hätte er den Nachlass umgehend
mit der gebotenen Sorgfalt gesichtet und sich sodann unverzüglich an den
Beklagten oder das Gericht gewandt, wäre die von ihm nunmehr beklagte
Verzögerung von (nahezu) zehn Jahren nicht eingetreten.
Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine
Rechtssache nur dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende
Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der
Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der von dem
Kläger zu bezeichnenden Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren
zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts
geboten erscheint.
Legt man dies zugrunde, hat der Kläger eine solche Frage schon nicht in der
gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt. Er begründet
die grundsätzliche Bedeutung damit, die vom Verwaltungsgericht zur Frage
der Rechtsnachfolge zitierte Rechtsprechung sei nicht anwendbar, „weil aus
dem in unserer Verfassung ungeschriebenen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und der damit möglichen Verwirkung ein entscheidender
Gesichtspunkt nicht berücksichtigt wurde.“ Solange in der Niedersächsischen
Bauordnung nicht eindeutig die Ermächtigung für eine Beseitigungsverfügung
gegen den Rechtsnachfolger geregelt sei, sei die Frage, ob noch nach einem
Zeitraum von zehn Jahren eine Wirksamkeit bestehe. Die vorstehenden
Überlegungen lassen jede Auseinandersetzung mit den von dem
Verwaltungsgericht zitierten und den zahlreichen weiteren Entscheidungen
aus der Rechtsprechung vermissen. Sie bezeichnen im Hinblick die geltend
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gemachten Verhältnismäßigkeitserwägungen und den konkreten Zeitraum
zudem eine Frage des Einzelfalls.
Ungeachtet dessen kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
zu. Die Frage der Rechtsnachfolge in durch Verwaltungsakt konkretisierte
grundstücksbezogene Pflichten ist - wie oben ausgeführt - in Rechtsprechung
und Literatur geklärt. Auf den Zeitraum, der seit Erlass der Verfügung
vergangen ist, kommt es nicht an. Das zeigt das bereits zitierte Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 1971 (a.a.O.). Die
Beseitigungsverfügung stammte aus dem November 1962; die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber der Rechtsnachfolgerin erging im
Januar 1971 und damit mehr als acht Jahre später.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).