Urteil des OVG Niedersachsen vom 15.11.2013

OVG Lüneburg: ablauf der frist, vollmacht, mangel, zukunft, rüge, verfahrenskosten, firma, beendigung, datenschutz, genehmigung

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Erstmalige Vorlage einer Prozessvollmacht im
Beschwerdeverfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes
Auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist eine Heilung bei einer
in erster Instanz nicht vorgelegten Prozessvollmacht grundsätzlich dann
nicht mehr in zweiter Instanz möglich, wenn dem Verwaltungsgericht trotz
zulässig erfolgter Fristsetzung eine ordnungsgemäße schriftliche Vollmacht
nicht vorgelegt und der Antrag deshalb durch eine Prozessentscheidung als
unzulässig abgelehnt bzw. verworfen worden ist.
OVG Lüneburg 13. Senat, Beschluss vom 15.11.2013, 13 ME 189/13
§ 67 Abs 6 S 4 VwGO, § 67 Abs 6 S 2 VwGO, § 88 ZPO, § 89 ZPO
Gründe
I.
Der Antragsgegner untersagte einer "B. A.." im Rahmen seiner
Überwachungsaufgaben nach dem Arzneimittelgesetz unter Anordnung der
sofortigen Vollziehung das Inverkehrbringen von "MMS" als Tropfen und
Kapseln. Dagegen wurde anwaltlich für eine "A. in Firma B. " Klage erhoben
und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Das
Verwaltungsgericht hat die anwaltliche Vertretung unter Fristsetzung
aufgefordert, die Klägerin bzw. Antragstellerin näher zu bezeichnen sowie eine
schriftliche Prozessvollmacht vorzulegen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist
hat das Verwaltungsgericht den Antrag als unzulässig abgelehnt und dem
Rechtsanwalt als vollmachtlosem Vertreter die Kosten des Verfahrens
auferlegt. Dagegen richtet sich die Beschwerde, die unter Vorlage einer
Prozessvollmacht erhoben worden ist.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht als unzulässig abgelehnt
und dem aufgetretenen Rechtsanwalt die Verfahrenskosten auferlegt. Der
Senat nimmt auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen
Beschlusses Bezug und macht sie sich zu eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, führt zu keiner vom erstinstanzlichen
Beschluss abweichenden Entscheidung.
1. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kann nicht von
einer ordnungsgemäßen Antragstellung ausgegangen werden. Es fehlt nach
wie vor an einer hinreichenden Bezeichnung der Antragstellerin. Entgegen der
Ankündigung in der Beschwerdeschrift ist insoweit weiterer Vortrag innerhalb
der Beschwerdefrist nicht erfolgt. Es bleibt damit nach wie vor im Unklaren, wer
oder was sich hinter der "A. in Firma B. " eigentlich verbirgt. Allein die ohne
nähere Erläuterungen erfolgte Einreichung einer Vollmachtskopie, die eine
unleserliche Unterschrift aufweist, bringt hier keine weitere Klärung. Schon
infolge dieser nach wie vor verbleibenden Unklarheit kann auch die
Beschwerde nicht als ordnungsgemäß erhoben angesehen werden.
2. Selbst, wenn man von einer nunmehr erfolgten hinreichenden Bezeichnung
der Antragstellerin nebst vertretungsberechtigter Person und der Nachreichung
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einer hinreichenden Prozessvollmacht ausginge, bliebe der Beschwerde
allerdings der Erfolg verwehrt:
a) Zwar ist im Ausgangspunkt § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO und § 173 Satz 1
VwGO i. V. m. § 89 Abs. 2 ZPO zu entnehmen, dass die Erteilung und Vorlage
einer Prozessvollmacht auch mit genehmigender Wirkung der bisherigen
Prozessführung - also rückwirkend - erfolgen kann. Dies gilt zunächst
uneingeschränkt für eine zum Zeitpunkt der Nachreichung noch nicht
abgeschlossene Instanz. Auch bei Nachreichung erst in einer nachfolgenden
Instanz ist eine Heilung für die vorhergehende Instanz noch möglich. Dies gilt
allerdings nicht, wenn in der Vorinstanz trotz zulässig erfolgter Fristsetzung
eine ordnungsgemäße schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt und der
Rechtsbehelf bzw. das Rechtsmittel deshalb durch eine Prozessentscheidung
als unzulässig abgewiesen worden ist. Ansonsten würde nämlich einer zu
Recht ergangenen Entscheidung nachträglich die Grundlage entzogen
werden. Eine erst nach Ergehen einer solchen Prozessentscheidung
ausgestellte und erst in der nachfolgenden Instanz vorgelegte
Bevollmächtigung kann mithin nur noch für die Zukunft wirken und keine
rückwirkende Heilung auch für die Vorinstanz entfalten (vgl. dazu etwa
Schoch/Schneider/Bier: VwGO, 24. Erg.-Lfg. 2012, § 67 Rdnr. 98;
Sodan/Ziekow: VwGO, 3. Aufl., § 67 Rdnrn. 71-73; GmS-OGB, Beschl. v.
17.04.1984 - GmS-OGB 2/83 -, juris; BSG, Urt. v. 23.01.1986 - 11a RA 34/85 -,
juris). Eine rückwirkende Heilung in einer nachfolgenden Instanz bleibt mithin
auf die Fälle beschränkt, in denen eine nicht auf das Fehlen einer
ordnungsgemäßen Vollmacht gestützte (Sach-)Entscheidung ergangen ist
oder in denen eine auf das Fehlen der Vollmacht gestützte
Prozessentscheidung sich nunmehr als fehlerhaft herausstellt, etwa weil eine
ordnungsgemäß ausgestellte Vollmacht bereits vor Abschluss der Vorinstanz
vorlag und lediglich nachträglich vorgelegt worden ist (vgl. dazu: BVerwG, Urt.
v. 22.01.1985 - 9 C 105/84 -, juris Rdnr. 12; Zöller: ZPO, 26. Aufl., § 89 Rdnr.
11).
Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats nicht nur in
Hauptsacheverfahren, sondern ohne weiteres auch in Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes. Allein der Umstand, dass parallel ein
Klageverfahren anhängig ist, für das eine nachträglich ausgestellte und
vorgelegte Prozessvollmacht noch genehmigende Wirkung zu entfalten
vermag, kann nichts an einer im erstinstanzlichen Eilverfahren zutreffend als
unzulässig abgelehnten Prozessentscheidung ändern. Hat das
erstinstanzliche Eilverfahren auf diese Weise seinen zutreffenden Abschluss
gefunden, ist ein Rechtsschutzsuchender darauf beschränkt, erneuten
Eilrechtsschutz zu beantragen. Die Korrektur einer inhaltlich zutreffend
ergangenen Prozessentscheidung - mit der für den vollmachtlos aufgetretenen
anwaltlichen Prozessvertreter resultierenden negativen Kostenfolge - im
Beschwerdeverfahren scheidet hingegen aus.
b) Eine entsprechende zutreffende Prozessentscheidung im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht hier getroffen. Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht mit zugestellten Verfügungen vom 6. August
2013 und nochmals vom 10. September 2013 unter Fristsetzung zur Vorlage
einer Prozessvollmacht aufgefordert und dabei auch auf die Folgen einer
Nichtvorlage hingewiesen. An einer Anforderung der Prozessvollmacht war
das Verwaltungsgericht auch nicht etwa durch § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO
gehindert. Nach dieser Bestimmung, die durch Art. 13 Nr. 2 des Gesetzes zur
Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I
2007, 2840) mit Wirkung zum 1. Juli 2008 ihre aktuelle und an die
zivilprozessuale Regelung des § 88 Abs. 2 ZPO angeglichene Fassung
gefunden hat, hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu
berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Aus
dieser Neuregelung ergibt sich aber nicht, dass dem Gericht bei einem im
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Verfahren auftretenden Rechtsanwalt die Prüfung einer ordnungsgemäßen
Prozessvollmacht und die Berücksichtigung eines Mangels nur auf Rüge eines
anderen Beteiligten möglich wäre (so aber wohl: Sodan/Ziekow: VwGO,
3. Aufl., § 67 Rdnr. 67). Vielmehr entfällt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
bei fehlender Rüge eines anderen Beteiligten lediglich die Pflicht des Gerichts,
nicht jedoch dessen Befugnis, einen Mangel der Vollmacht bei Auftreten eines
Rechtsanwalts zu prüfen und zu berücksichtigen. Schon die Art und Weise der
Prozessführung kann dem Gericht nämlich berechtigten Anlass für eine solche
Prüfung und Berücksichtigung geben. Ein Mangel darf jedenfalls berücksichtigt
werden, wenn der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung
innerhalb der gesetzten Frist weder die Vollmacht nachreicht, noch auch nur
den angeblich vertretenen Kläger ordnungsgemäß bezeichnet. In diesem Fall
ist nicht zu erkennen, für wen der Prozess geführt wird und wer dem
Rechtsanwalt eine wirksame Vollmacht erteilt haben oder die Prozessführung
noch vor Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung wirksam
genehmigen könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2011 - 8 A 1/10 -, juris Rdnr.
16).
Eine solche Situation lag hier erkennbar vor. Der für die Antragstellerin
erstinstanzlich aufgetretene Rechtsanwalt hat trotz entsprechender
gerichtlicher Aufforderungen fristgemäß weder eine schriftliche
Prozessvollmacht zu den Akten gereicht, noch die Antragstellerin und deren
gesetzlichen Vertreter näher zu bezeichnen vermocht. Anschließend ist das
erstinstanzliche Eilverfahren durch Prozessentscheidung beendet worden.
Eine rückwirkende Heilung durch die zugleich mit der Beschwerdeerhebung
eingereichte und unter dem 10. Oktober 2013 ausgestellte Prozessvollmacht
konnte auch nicht ausnahmsweise trotz bereits erfolgter Beendigung der
Vorinstanz eintreten. Selbst, wenn man die Vollmacht als inhaltlich
ordnungsgemäß ansehen würde, könnte sie vorliegend nur Wirkungen für die
Zukunft entfalten. Sie wurde nämlich offensichtlich nicht etwa bereits vor Erlass
der Prozessentscheidung ausgestellt, sondern erst, nachdem dem
erstinstanzlich aufgetretenen Rechtsanwalt der Gerichtsbeschluss schon
zugegangen war.
3. Es hat wegen der zu Recht aufgrund nicht vorgelegter Vollmacht
ergangenen Prozessentscheidung somit für das erstinstanzliche Eilverfahren
auch bei der für den aufgetretenen Rechtsanwalt negativen Kostenfolge zu
verbleiben. Ob diese sich aus § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 89 Abs. 1 Satz 3
ZPO oder aus dem in dieser Bestimmung sowie den
Kostentragungsregelungen der §§ 154 ff. VwGO zum Ausdruck kommenden
Veranlassungsprinzip im Wege einer Rechtsanalogie ergibt (vgl. dazu
Sodan/Ziekow: VwGO, 3. Aufl., § 67 Rdnr. 108; VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
09.11.1981 - A 12 S 414/81 -, NJW 1982, 842; zu §§ 91 ff. ZPO: Zöller, ZPO,
26. Aufl., § 88 Rdnr. 11, § 89 Rdnr. 8), kann offenbleiben. Da der Rechtsanwalt
in Kenntnis des Fehlens einer ordnungsgemäßen Vollmacht aufgetreten ist,
scheidet es auch unter Zugrundelegung des Veranlassungsprinzips aus, nicht
ihm, sondern dem (angeblich) Vertretenen die Verfahrenskosten aufzuerlegen
(vgl. Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 88 Rdnr. 11).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen aufgrund entsprechender
Erwägungen wiederum den aufgetretenen Rechtsanwälten zur Last, da die
Bezeichnung bzw. Identität der Antragstellerin und (angeblichen)
Vollmachtgeberin auch im Beschwerdeverfahren unklar geblieben ist. Da diese
Unklarheit bezüglich der Antragstellerin wiederum auch als Mangel hinsichtlich
der Bevollmächtigung fortwirkt, sind die auftretenden Rechtsanwälte auch im
Beschwerdeverfahren als vollmachtlose Vertreter bzw. aufgrund des
Veranlassungsprinzips kostentragungspflichtig.