Urteil des OVG Niedersachsen vom 19.06.2013

OVG Lüneburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, approbation, unwürdigkeit, widerruf, erlass, geldstrafe, umdeutung, öffentlichkeit, strafverfahren, zahnheilkunde

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Widerruf der Approbation als Zahnarzt wegen
Unwürdigkeit
Zur Wiedererlangung der Würdigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs
bereits im Zeitpunkt des Widerrufs der Approbation (hier verneint).
OVG Lüneburg 8. Senat, Beschluss vom 19.06.2013, 8 LA 79/13
§ 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 124a Abs 4 S 1 VwGO, § 124a Abs 4 S 5 VwGO, § 2 Abs
1 S 1 Nr 2 ZHG, § 4 Abs 2 S 1 ZHG
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Zahnarzt.
Im Jahre 2001 wurde der Kläger von einem italienischen Gericht wegen illegalen
Besitzes einer halbautomatischen Pistole zunächst zu einer zur Bewährung
ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie einer
Geldstrafe in Höhe von 400.000 Lire verurteilt. Durch ein weiteres Urteil des
italienischen Tribunale de Bolzano vom 1. Februar 2005 wurde der Kläger zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt, weil er am 12.
Oktober 2001 seine Zahnarztpraxis in B. in Brand gesetzt hatte, um die
Versicherungssumme für die Praxiseinrichtung in Höhe von 300.000.000 Lire zu
erlangen. In der Berufungsinstanz bestätigte der italienische Corte d'Appello di
Trento - Sezione Distaccata di Bolzano - die Entscheidung mit Urteil vom 16.
Februar 2006.
Durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 18. Oktober 2007 wurde der
Kläger wegen Abrechnungsbetrugs in zwei Fällen zu einer zur Bewährung
ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Den
abgeurteilten Betrugstaten lagen 379 Fälle (Tat 1: Abrechnungsquartale 1999)
und 596 Fälle (Tat 2: Abrechnungsquartale 2000) zugrunde. Der
Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Klägers mit Beschluss vom 7.
August 2008, hob auf die Revision der Staatsanwaltschaft den Strafausspruch
auf und verwies das Verfahren zurück. Mit weiterem Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 14. Mai 2009 wurde der Strafausspruch auf ein Jahr und drei
Monate Freiheitsstrafe festgesetzt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die
dagegen gerichtete Revision des Klägers wurde vom Bundesgerichtshof
verworfen.
Durch Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 23. April 2008 wurde der Kläger
wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 52 Fällen zu einer zur Bewährung
ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Er
hatte trotz Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über seine
Vermögenslosigkeit und Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit in der Zeit von Mai
2005 bis Ende März 2006 zahntechnische und zahnprothetische Arbeiten im
Wert von 32.873,61 EUR bestellt, aber nicht bezahlt. Die Berufung des Klägers
wurde durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. September 2009
verworfen mit der Maßgabe, dass zwei Monate wegen überlanger
Verfahrensdauer als vollstreckt galten. Die dagegen gerichtete Revision des
Klägers verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 12. Februar
2010.
Durch weiteres Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 12. März 2010 wurde der
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Kläger wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe in Höhe von 300
Tagessätzen verurteilt. Er hatte für das Jahr 2001 in Italien entstandene
Praxiskosten gewinnmindernd in die für Deutschland geltende Steuererklärung
einfließen lassen. Im Hinblick auf den gleichen Vorwurf für die Folgejahre bis
2004 wurde das Verfahren vom Gericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig
eingestellt. Der dem Kläger zurechenbare Schaden betrug 33.627,66 EUR. Die
Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 3.
August 2010 verworfen. Es änderte auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das
Urteil des Amtsgerichts Hannover im Strafausspruch ab und verhängte anstatt
einer Geldstrafe eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Unter Auflösung der in
den vorgenannten Verfahren gebildeten Gesamtstrafen setzte es eine neue
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten fest. Strafmildernd
würdigte das Gericht, dass der Kläger voraussichtlich die Approbation verlieren
werde. Zugleich ordnete es an, dass wegen überlanger Verfahrensdauer sechs
Monate als vollstreckt gelten. Das Urteil ist seit dem 1. März 2011 rechtskräftig.
Mit Bescheid vom 8. September 2011 widerrief der Beklagte die Approbation
des Klägers zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs wegen Unwürdigkeit und
Unzuverlässigkeit.
Nach Verbüßung von mehr als 2/3 der Freiheitsstrafe wurde der Kläger am 15.
November 2012 aus der Haft entlassen. Der Strafrest wurde zur Bewährung
ausgesetzt, die bis zum 15. November 2016 läuft.
Die gegen den Bescheid des Beklagten vom 8. September 2011 gerichtete
Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 20. März 2013, den
Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 28. März 2013,
abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der
Kläger zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs aufgrund der Vielzahl der von
ihm begangenen Delikte und der langen Tatzeiträume jedenfalls unwürdig sei.
Er habe seine Würdigkeit bis zum Erlass des streitgegenständlichen
Widerrufsbescheides auch nicht wiedererlangt. Abschließend hat das
Verwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung darauf hingewiesen,
dass Gründe für die Zulassung der Berufung nicht vorlägen.
Mit an das Verwaltungsgericht Hannover gerichtetem Schriftsatz vom 29. April
2013 hat der anwaltlich vertretene Kläger gegen das Urteil vom 20. März 2013
"Nichtzulassungsbeschwerde" eingelegt, Akteneinsicht beantragt und eine
"Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde" angekündigt. Mit weiterem an
das Verwaltungsgericht Hannover gerichtetem Schriftsatz vom 2. Mai 2013 hat
der Kläger "klarstellend mit(geteilt), dass Antrag auf Zulassung der Berufung
beantragt worden ist. Lediglich aufgrund eines Büroversehens wurde der Begriff
'Nichtzulassungsbeschwerde' gewählt." Mit an das Oberverwaltungsgericht
gerichtetem Schriftsatz vom 28. Mai 2013 hat der Kläger den Antrag auf
Zulassung der Berufung begründet und das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der
Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils geltend gemacht.
II.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil
des Verwaltungsgerichts ist unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
Der Zugang zum Berufungsverfahren in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten
setzt nach § 124 Abs. 1 VwGO die Zulassung der Berufung durch das
Verwaltungsgericht oder das Oberverwaltungsgericht voraus. Fehlt es, wie hier,
an einer Zulassung der Berufung im Urteil des Verwaltungsgerichts, kann die
Zulassung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu
stellen; über diesen entscheidet das Oberverwaltungsgericht (§ 124a Abs. 4
Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist
das Verwaltungsgericht hingegen - anders als etwa das Sozialgericht nach §
145 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 44) -
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nicht befugt (§ 124a Abs. 1 Satz 3 VwGO). Selbst ein Ausspruch des
Verwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Berufung, der in der hier
erfolgten bloßen Erläuterung der unterlassenen Zulassung in den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht zu sehen ist, wäre
unbeachtlich (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 20.8.2002 - 8 N 111.02 -, juris Rn. 2
m.w.N.). Auch der systematische Vergleich mit den §§ 132 Abs. 1, 133 Abs. 1
VwGO und die Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung,
Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im
Verwaltungsprozess, BT-Drs. 14/6393, S. 11: "Das Verwaltungsgericht kann
dabei nur eine positive Zulassungsentscheidung treffen, …") zeigen, dass die
Verwaltungsgerichtsordnung eine Beschwerde gegen eine Nichtzulassung der
Berufung nicht vorsieht.
Die danach unstatthafte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Berufung kann auch nicht als statthafter Antrag auf Zulassung der Berufung
ausgelegt werden.
Die Prozesshandlungen der Beteiligten eines Rechtsstreits unterliegen der
Auslegung, die den Willen des Erklärenden zu ermitteln hat. Dabei kommt es
nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf
nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive
Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen,
insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen
muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1998 - 1 B 110.98 -, NVwZ 1999, 405
m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist für den Senat nicht zweifelhaft, dass der
Schriftsatz des anwaltlich vertretenen Klägers vom 29. April 2013 allein auf eine
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das
Verwaltungsgericht zielt. Das Rechtsmittel ist eindeutig und ausdrücklich,
hervorgehoben durch Fettdruck, als "Nichtzulassungsbeschwerde" gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts bezeichnet worden. Der Kläger wendet sich
erkennbar nur gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das
Verwaltungsgericht. Auch die übrigen Ausführungen des Schriftsatzes enthalten
keinerlei auslegungsfähigen Ansatz, dass der Kläger einen Antrag auf
Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht stellen wollte.
Schließlich kommt auch eine Umdeutung der unstatthaften Beschwerde des
Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in einen statthaften Antrag auf
Zulassung der Berufung nicht in Betracht.
Der Vertretungszwang vor dem Oberverwaltungsgericht nach § 67 Abs. 4 VwGO
setzt einer gerichtlichen Umdeutung enge Grenzen. Eine Rechtsmittelerklärung,
die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat, ist einer
gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (vgl. BVerwG, Beschl. v.
9.2.2005 - 6 B 75.04 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise
dann, wenn innerhalb der noch laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels
eine Richtigstellung des erklärten bzw. Klarstellung des gewollten Rechtsmittels
erfolgt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.8.2008 - 6 C 32.07 -, Buchholz 310 § 124a VwGO
Nr. 38).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das mit einer zutreffenden
Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Verwaltungsgerichts ist den
Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des von diesen erteilten
Empfangsbekenntnisses (Bl. 163 der Gerichtsakte) am 28. März 2013 zugestellt
worden. Mithin ist die Frist zur Einreichung des Antrags auf Zulassung der
Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO am 29. April 2013, einem Montag,
abgelaufen (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§
187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Der anwaltlich vertretene Kläger hat aber erst mit
Schriftsatz vom 2. Mai 2013 eine Klarstellung des wohl Gewollten, aber bis dahin
nicht Erklärten vorgenommen.
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Soweit der Kläger mit weiterem an das Oberverwaltungsgericht gerichteten
Schriftsatz vom 28. Mai 2013 "den Antrag auf Zulassung der Berufung"
begründet hat, wertet der Senat dies als nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO
statthaften Zulassungsantrag. Dieser Antrag ist als unzulässig zu verwerfen, da
er nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO bei dem
Verwaltungsgericht eingereicht worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in
die versäumte Frist ergeben sich allein unter Berücksichtigung des geltend
gemachten Büroversehens bei der Bezeichnung des Rechtsmittels für den
Senat nicht. Fehler der Rechtsmittelschrift, insbesondere die fehlerhafte
Bezeichnung des Rechtsmittels, beruhen regelmäßig auf einem dem Beteiligten
zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der sich
insoweit mit dem Hinweis auf ein Versehen seines Büropersonals nicht
erfolgreich zu exkulpieren vermag (vgl. Kummer, Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand, 2003, Rn. 436 f. und 449).
Obwohl für den Ausgang des Berufungszulassungsverfahrens nicht mehr
entscheidungserheblich, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass der an sich
unzulässige Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung auch unbegründet
ist.
Der Kläger hat seinen Antrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel
an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO gestützt. Dieser Zulassungsgrund liegt nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im
Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der
Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des
Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung
sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA
259/10 -, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das
Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7
AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein,
das Verwaltungsgericht habe ihn zu Unrecht als unwürdig zur Ausübung des
zahnärztlichen Berufs angesehen. Selbst wenn man - hypothetisch - von seiner
Unwürdigkeit aufgrund der verübten Straftaten ausginge, habe er die Würdigkeit
zwischenzeitlich wiedererlangt. Die Straftaten, wegen der er verurteilt worden
sei, beträfen einen im Jahre 2006 endenden Zeitraum; der Schwerpunkt der
strafrechtlichen Verurteilungen beziehe sich gar auf einen Zeitraum in den
Jahren 1999 bis 2001. Seitdem habe er sich gesetzeskonform verhalten. Er
arbeite als Zahnarzt und ernähre mit dieser Arbeit seine Familie. Die Sachlage
habe sich zum Guten geändert und er habe das für die Berufsausübung
erforderliche Ansehen und Vertrauen wiedererlangt. Dem halte das
Verwaltungsgericht zu Unrecht entgegen, dass das Wohlverhalten während der
laufenden behördlichen und gerichtlichen Verfahren eine Selbstverständlichkeit
sei. Diese Annahme gehe zu seinen Lasten und finde in seiner Person keine
Grundlage. Das Verwaltungsgericht habe auch die Wahrnehmung und
Ausschöpfung gesetzlich vorgesehener Rechtsmittel und die sich daraus
ergebenden Folgen für die Dauer des Verfahrens nicht zu seinen Lasten
berücksichtigen dürfen. Hier vom Verwaltungsgericht weiter gezogene
Schlussfolgerungen seien Spekulation und nicht geeignet, die für ihn existenziell
wichtige Frage des Erhalts der Approbation zu entscheiden.
Diese Einwände sind nach dem eingangs dargestellten Maßstab nicht geeignet,
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellung, der
Bescheid des Beklagten vom 8. September 2011 über den Widerruf der dem
Kläger erteilten zahnärztlichen Approbation sei rechtmäßig, zu begründen.
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Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Gesetz über die Ausübung
der Zahnheilkunde - ZHG - ist die Approbation als Zahnarzt unter anderem dann
zu widerrufen, wenn sich der Zahnarzt nach der Approbationserteilung eines
Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit zur
Ausübung des zahnärztlichen Berufs ergibt.
Nach allgemeiner Auffassung ist ein Zahnarzt zur Ausübung des zahnärztlichen
Berufs unwürdig, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das für die Ausübung
seines Berufes unabdingbar nötige Vertrauen besitzt (vgl. BVerwG, Beschl. v.
14.4.1998 - 3 B 95.97 -, NJW 1999, 3425; Senatsbeschl. v. 18.4.2012 - 8 LA
6/11 -, juris Rn. 30 jeweils m.w.N.). Der Widerruf wegen Unwürdigkeit soll dabei
nicht das bisherige Verhalten des Zahnarztes sanktionieren, sondern das
Ansehen der Zahnärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit schützen, dies
freilich nicht als Selbstzweck, sondern um das für jede Heilbehandlung
unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu
erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen
Ausübung der Zahnheilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die
Patienten begeben. Dieses Vertrauen würde zerstört durch eine fortdauernde
Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem
Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines
Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist. Dabei muss der
Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit in einem angemessenen Verhältnis
zur Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit stehen. Anlass für den Widerruf
wegen Unwürdigkeit können deshalb nur gravierende Verfehlungen sein, die
geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand, bliebe das
Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos, nachhaltig zu
erschüttern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011 - 3 B 63.10 -, NJW 2011, 1830,
1831; Stollmann, Widerruf und Ruhen von Approbationen, in: MedR 2010, 682 f.
jeweils m.w.N.). Maßgeblich für die Beurteilung dieser
Widerrufsvoraussetzungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des
Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.8.2011 - 3
B 6.11 -, juris Rn. 9).
Das danach für die Annahme der Unwürdigkeit erforderliche schwerwiegende
Fehlverhalten hat das Verwaltungsgericht hier aufgrund einer eingehenden
Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und seines strafrechtlich geahndeten
Fehlverhaltens zu Recht bejaht. Die hierzu in der angefochtenen Entscheidung
getroffenen Feststellungen hat der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen
nicht angegriffen. Ernstliche Richtigkeitszweifel sind für den Senat insoweit auch
nicht offensichtlich.
Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus auch zutreffend festgestellt, dass
der Kläger bis zum Erlass des Widerrufsbescheides vom 8. September 2011
seine Würdigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs nicht wiedererlangt
hat.
Die Wiedererlangung der Würdigkeit setzt voraus, dass sich die Sachlage
insgesamt "zum Guten geändert hat" (BVerwG, Beschl. v. 23.7.1996 - 3 PKH
4.96 -, juris Rn. 3), also der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen
zurückerlangt hat. Das ist der Fall, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht
mehr zu besorgen ist, dass dessen selbständige Berufstätigkeit das Vertrauen
der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte (vgl.
BVerwG, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 B 36.12 -, juris Rn. 7 m.w.N.).
Der Hinweis des Klägers auf die geraume Zeitdauer zwischen seinen
strafrechtlich geahndeten Verfehlungen und dem Erlass des
Widerrufsbescheides ist für sich zwar zutreffend. Den strafrechtlichen
Verurteilungen lagen Taten aus den Jahren 1999 (LG Hildesheim, Urt. v.
18.10.2007) bis 2006 (AG Hannover, Urt. v. 23.4.2008) zugrunde, während der
Widerrufsbescheid erst am 8. September 2011 erlassen worden ist. Dieser
Zeitablauf ist für sich allein aber nicht ausschlaggebend, sondern nur ein Faktor
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unter anderen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.7.1996 - 3 B 44.96 -, Buchholz 418.00
Ärzte Nr. 95). Diesem Faktor kann hier auch nur eine untergeordnete Bedeutung
zugemessen werden. Den Taten aus den Jahren 1999 bis 2005 folgt bereits
kein beanstandungsfreies, auf eine berufliche Bewährung hindeutendes
Verhalten des Klägers. Vielmehr hatte er trotz Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung über seine Vermögenslosigkeit und Kenntnis seiner
Zahlungsunfähigkeit noch in der Zeit von Mai 2005 bis Ende März 2006
zahntechnische und zahnprothetische Arbeiten im Wert von 32.873,61 EUR
bestellt, aber nicht bezahlt. Aufgrund dieser Taten ist der Kläger durch Urteil des
Amtsgerichts Hannover vom 23. April 2008 wegen gewerbsmäßigen Betrugs in
52 Fällen zu einer zunächst zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von
einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Seit April 2006 sind erneute
Verfehlungen des Klägers zwar nicht bekannt geworden. Sein seitdem offenbar
beanstandungsfreies Verhalten ist fraglos als positiv zu bewerten (vgl. BVerwG,
Beschl. v. 15.11.2012 - 3 B 36.12 -, juris Rn. 7), hat aber allenfalls geringen
Einfluss auf die Wiedererlangung der Würdigkeit. Denn die laufenden
strafgerichtlichen Verfahren gegen den Kläger waren erst im März 2011
abgeschlossen. Einem Wohlverhalten, das unter dem Druck solcher
schwebenden Verfahren an den Tag gelegt wird, kann aber regelmäßig kein
besonderer Wert beigemessen werden (vgl. Senatsbeschl. v. 2.5.2012 - 8 LA
78/11 -, juris Rn. 12; OVG Saarland, Urt. v. 29.11.2005 - 1 R 12/05 -, juris Rn.
166; Bayerischer VGH, Beschl. v. 15.6.1993 - 21 B 92.226 -, juris Rn. 34).
Anlass, von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall ausnahmsweise
abzuweichen, besteht nach dem Zulassungsvorbringen nicht. Auch die nach
Abschluss der strafgerichtlichen Verfahren bis zum Erlass des
Widerrufsbescheides vergangene Zeit beanstandungsfreien Verhaltens des
Klägers bleibt ohne nennenswerten Einfluss für die Wiedererlangung der
Würdigkeit, da der Kläger diese Zeit überwiegend im Strafvollzug verbracht hat.
Auch unter Berücksichtigung der Art und Schwere des Fehlverhaltens und aller
sonstigen Umstände vermag der Senat nicht festzustellen, dass sich die
Sachlage insgesamt zum Guten geändert und der Kläger die erforderliche
Würdigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs bereits im Zeitpunkt des
Erlasses des Widerrufsbescheides wiedererlangt hatte.
Der Kläger hat erhebliches Unrecht verwirklicht. Er hat über lange Tatzeiträume
unter anderem hunderte einzelner Verfehlungen begangen (vgl. LG Hildesheim,
Urt. v. 14.5.2009, Bl. 171, 186 Beiakte D). Dabei hat er eine ganz erhebliche
kriminelle Energie gezeigt (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 18.10.2007, Bl. 95, 120 R
Beiakte D; LG Hildesheim, Urt. v. 14.5.2009, Bl. 171, 186 Beiakte D; LG
Hannover, Urt. v. 3.8.2010, Bl. 6, 50 R Beiakte E) und erhebliche
Vertrauensbrüche begangen. So hat er seine damalige besondere Stellung als
Delegierter der Wirtschaftsversammlung und Mitglied im
Wirtschaftlichkeitsprüfungsausschuss der kassenzahnärztlichen Vereinigung
und den damit verbundenen höheren Vertrauensvorschuss als andere
Zahnärzte ausgenutzt (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 18.10.2007, Bl. 95, 120 R
Beiakte D; LG Hildesheim, Urt. v. 14.5.2009, Bl. 171, 187 Beiakte D). Er hat aber
auch sein Praxispersonal bewusst in den von ihm begangenen
gewerbsmäßigen Betrug und die Steuerhinterziehung verstrickt und so der
Strafverfolgung oder der Gefahr einer solchen ausgesetzt (vgl. LG Hildesheim,
Urt. v. 18.10.2007, Bl. 95, 120 R Beiakte D; LG Hildesheim, Urt. v. 14.5.2009, Bl.
171, 173, 186 Beiakte D; LG Hannover, Urt. v. 3.8.2010, Bl. 6, 50, 50 R Beiakte
E). Der Kläger hat sich in hohem Maße sozialschädlich verhalten (vgl. LG
Hildesheim, Urt. v. 18.10.2007, Bl. 95, 123 Beiakte D) und maßgeblich aus
Eigennutz gehandelt (vgl. LG Hannover, Urt. v. 1.9.2009, Bl. 212, 225 Beiakte
D). Er hatte "keine Bedenken …, eine verwerfliche Tat zu begehen, indem er die
persönliche Unversehrtheit und das Eigentum Dritter gefährdet hat, um rein
persönliche Ziele zu befriedigen, die sowohl rechtswidrig als auch egoistisch"
(vgl. Tribunale de Bolzano, Urt. v. 1.2.2005, Bl. 17, 30 Beiakte D) gewesen sind.
Gegen den Kläger sind wegen des derart verwirklichten Unrechts mehrere
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Freiheitsstrafen verhängt und auch vollstreckt worden.
In diesem massiven Fehlverhalten manifestierte sich, hierauf hat das
Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen, die Neigung des Klägers, sich
selbst unter Verstoß gegen Strafvorschriften und auch unter Hinnahme
erheblicher Risiken oder sogar Schäden für Dritte unrechtmäßige
Vermögensvorteile verschaffen zu wollen. Dass diese mit der Ausübung des
zahnärztlichen Berufs nicht zu vereinbarende charakterliche Fehlhaltung des
Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides bereits beseitigt
gewesen ist, vermag der Senat nicht zu erkennen. Erforderlich ist insoweit
regelmäßig ein längerer innerer Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage
getretenen charakterlichen Mängel (vgl. Sächsisches OVG, Urt. v. 13.3.2012 - 4
A 18/11 -, juris Rn. 31 und 37). Ungeachtet der Frage, welche Dauer dieser
Reifeprozess aufweisen muss (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 12.7.2010 - AnwZ (B)
116/09 -, juris Rn. 9; v. 14.2.2000 - AnwZ (B) 8/99 -, NJW-RR 2000, 1445; v.
11.12.1995 - AnwZ (B) 34/95 -, juris Rn. 10: Dauer zwischen fünf Jahren
(leichtere Verfehlungen) und zwanzig Jahren (schwere Straftaten im
Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts), nicht jedoch vor
beanstandungsfreiem Ablauf einer von den Strafgerichten angeordneten
Bewährungszeit), war er im Falle des Klägers im September 2011 offensichtlich
noch nicht abgeschlossen. Der Kläger verbüßte seiner Zeit noch die gegen ihn
verhängte Freiheitsstrafe. Er ist erst am 15. November 2012 und damit deutlich
nach Erlass des Widerrufsbescheides aus der Strafhaft entlassen worden. In
den noch bis März 2011 laufenden Strafverfahren wirkte der Kläger zudem an
der Aufklärung der Straftaten weitgehend nicht mit (vgl. LG Hildesheim, Urt. v.
18.10.2007, Bl. 95, 114 R Beiakte D; LG Hannover, Urt. v. 3.8.2010, Bl. 6, 43 R
Beiakte E) und ließ auch eine wirkliche Einsicht in das verwirklichte Unrecht
vermissen (vgl. AG Hannover, Urt. v. 23.4.2008, Bl. 135, 142 Beiakte D). Auch
sonstige besondere Umstände, durch welche der Kläger in aktiver Weise - über
die selbstverständliche beanstandungsfreie Lebensführung während der
laufenden Strafverfahren hinaus - an der Wiederherstellung seiner Würdigkeit
gearbeitet hat, sind nicht ansatzweise ersichtlich.