Urteil des OVG Niedersachsen vom 18.09.2014

OVG Lüneburg: aufschiebende wirkung, stickstoff, futter, niedersachsen, umweltverträglichkeitsprüfung, moor, vorprüfung, genehmigungsverfahren, schweinehaltung, reduktion

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Untätigkeitsklage einer Umweltvereinigung gegen
immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung
für Tierhaltungsanlage
1. Gibt die Genehmigungsbehörde dem Antragsteller nach Erteilung der
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auf, ein weiteres Gutachten zu
den Voraussetzungen der Genehmigungsfähigkeit des zur Prüfung
gestellten Vorhabens beizubringen, und weigert sie sich, bis zur Vorlage
dieses Gutachtens über den Widerspruch einer Umweltvereinigung gegen
die Genehmigung zu entscheiden, so liegt ein zureichender Grund im Sinne
des § 75 Satz 3 VwGO, der das Verwaltungsgericht zur Aussetzung des
Verfahrens verpflichten würde, nicht vor.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Irrelevanz von Stickstoff-
Zusatzdepositionen anhand von Critical Loads ohne Durchführung einer
FFH-Verträglichkeitsprüfung angenommen werden kann.
OVG Lüneburg 12. Senat, Beschluss vom 18.09.2014, 12 LA 15/14
§ 4a BImSchV 9, § 4 Abs 1 S 1 BImSchV 9, § 10 Abs 1 BImSchG, § 16 BImSchG, §
34 BNatSchG, § 75 VwGO
Tenor
Der Antrag des Beigeladenen, die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer - vom 13. November 2013
zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf
30.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich als anerkannte Umweltvereinigung gegen die dem
Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur
wesentlichen Änderung seiner Tierhaltungsanlage.
Der Beigeladene ist Landwirt und betreibt in F. auf dem Rittergut G. bereits
eine Tierhaltungsanlage mit 80.000 Masthähnchenplätzen, 776
Mastschweinen, 540 Ferkelaufzuchtplätzen sowie Sauen (170 Plätze) und
Ebern (9 Plätze). Im Jahr 2011 beantragte der Beigeladene bei dem
Beklagten, ihm den Neubau von zwei Masthähnchenställen mit weiteren
100.000 Plätzen sowie entsprechenden Nebenanlagen zu genehmigen.
Ferner beantragte er die Nutzungsänderung des Sauenstalls zum
Schweinemaststall (Zahl der Mastschweineplätze zukünftig 1.470).
Nördlich der Betriebsstätte grenzen Flurstücke an, die mit Laubwald bestanden
sind. Für diese Flurstücke erteilte der Beklagte auf Antrag der Mutter des
Beigeladenen mit Bescheid vom 20. Juni 2012 die Genehmigung zur
Umwandlung von Wald in eine andere Nutzungsart (Ackerland).
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Gegen das Vorhaben des Beigeladenen erhob der Kläger Einwendungen und
rügte unter anderem eine zu hohe Stickstoff- und Ammoniakzusatzbelastung
des FFH-Gebietes „Swatte Poele“ und des nördlich der Hofstelle befindlichen
Waldes. Nach Erörterung der Einwendungen und der Vorlage mehrerer
Ergänzungsgutachten durch den Beigeladenen erteilte der Beklagte diesem
mit Bescheid vom 3. September 2012 die immissionsschutzrechtliche
Genehmigung zur wesentlichen Änderung der Anlage in Gestalt des Neubaus
von zwei Mästhähnchenställen (einschließlich Abluftreinigung), des Neubaus
von vier Futtermittelsilos, der Nutzungsänderung eines Sauenstalls zum
Schweinemaststall und der Ausrüstung des Schweinemaststalls mit einer
Abluftreinigungsanlage. Über den unter dem 2. Oktober 2012 erhobenen
Widerspruch des Klägers entschied der Beklagte nicht.
Gegen die in dem Waldumwandlungsverfahren erteilte Genehmigung erhob
der Kläger, nachdem er davon anlässlich einer Akteneinsichtnahme erfahren
hatte, Anfang des Jahres 2013 Klage. Die Anträge der Mutter des
Beigeladenen, festzustellen, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung
habe, hilfsweise die sofortige Vollziehung der Waldumwandlungsgenehmigung
anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. März 2013
- 3 B 5/13 - ab. Die hiergegen von der Mutter des Beigeladenen erhobene
Beschwerde wies der 4. Senat des beschließenden Gerichts durch Beschluss
vom 29. August 2013 - 4 ME 76/13 - zurück.
Auf die vom Kläger am 15. Juli 2013 erhobene Untätigkeitsklage gegen die
dem Beigeladenen unter dem 3. September 2012 erteilte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur wesentlichen Änderung der
Tierhaltungsanlage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. November
2013 diese Genehmigung aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Die Klage des klagebefugten Klägers sei als Untätigkeitsklage im
Sinne des § 75 Satz 1 VwGO zulässig, weil der Beklagte bislang den
Widerspruch des Klägers gegen die erteilte Genehmigung innerhalb
angemessener Frist nicht beschieden habe. Ein zureichender Grund für die
Nichtbescheidung sei nicht ersichtlich. Vergleichsverhandlungen zwischen
den Hauptbeteiligten dieses Verfahrens hätten nicht geschwebt. Besondere
Schwierigkeiten des zu entscheidenden Falles seien nicht zu erkennen. Das
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Sachen der erteilten
Waldumwandlungsgenehmigung habe die Untätigkeit des Beklagten nicht
rechtfertigen können. Auch nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidungen im
Eilverfahren habe der Beklagte im Übrigen zu erkennen gegeben, dass er
auch weiterhin den Widerspruch nicht bescheiden wolle. Auch die nunmehr
von dem Beklagten geforderte Beibringung eines Gutachtens durch den
Beigeladenen zu der Frage, ob entsprechend dem Runderlass des MU und
des ML vom 1. August 2012 die beaufschlagten Waldflächen die zusätzlichen
Immissionen ertragen könnten, vermöge einen zureichenden Grund nicht
abzubilden. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg. Die erteilte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung sei formell rechtswidrig, weil es an
der Durchführung einer ordnungsgemäßen Umweltverträglichkeitsprüfung
fehle. Die angefochtene Genehmigung sei ferner wegen des Vorliegens einer
auch nach den Antragsunterlagen in dem FFH-Gebiet „Swatte Poele“ zu
erwartenden erhöhten Stickstoffdeposition, die zumindest eine hier fehlende
(fehlerfreie) FFH-Vorprüfung erforderlich gemacht hätte, rechtswidrig. Die
Genehmigung verstoße ferner materiell jedenfalls gegen § 5 BImSchG. Die
genehmigte Tierhaltungsanlage zeige jedenfalls nicht mehr hinnehmbare
Ammoniakkonzentrationen in den angrenzenden Waldflächen auf. Ferner
verstoße das Vorhaben materiell insoweit gegen § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34
c Abs. 2 NNatG, als es zu einer zusätzlichen Stickstoffbelastung in dem FFH-
Gebiet „Swatte Poele“ führe.
II.
Der Antrag des Beigeladenen, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen,
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hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des von ihm allein in Anspruch
genommenen Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen
nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils sind begründet, wenn ein
einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit
schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Der Rechtsmittelführer muss
darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist.
Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung
beziehen.
1. Der Beigeladene macht geltend, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
Entscheidung bestünden deshalb, weil das Verwaltungsgericht die Klage des
Klägers als Untätigkeitsklage zugelassen und eine Sachentscheidung
getroffen habe, obwohl ein „zureichender Grund“ gemäß § 75 Satz 3 VwGO
dafür vorgelegen habe, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden
worden sei. Das überzeugt nicht. Im Einzelnen:
Es kann dahinstehen, ob - wie der Kläger meint - behauptete Mängel der
Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 75 Satz 3 VwGO allenfalls als
Verfahrensmängel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gerügt werden
können, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausschließlich die unrichtige Anwendung
materiellen Rechts betrifft und dies auch dann gilt, wenn geltend gemachte
Verstöße gegen das Verfahrensrecht zu Zweifeln an der Richtigkeit des
Entscheidungsergebnisses Anlass geben (vgl. dazu nur Seibert, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 124 Rdnr. 80 m. w. N.). Jedenfalls sind gegen
die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klage sei als Untätigkeitsklage
zulässig, durchgreifende Bedenken nicht zu erheben.
Der Beigeladene vertritt insoweit die Auffassung, der Beklagte habe bis zur
Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts in dem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren 4 ME 76/13 zur Waldumwandlungsgenehmigung
abwarten dürfen. Mit diesem Argument können ernstliche Zweifel schon
deshalb nicht erfolgreich begründet werden, weil der Beklagte auch nach der
Beschlussfassung des Gerichts am 29. August 2013 zur Entscheidung über
den Widerspruch keinen Anlass gesehen, sondern etwa durch Schriftsatz vom
26. September 2013 zu erkennen gegeben hat, auch weiterhin den
Widerspruch nicht bescheiden zu wollen. Weigert sich die Behörde indes, sich
mit der Sache zu befassen, so fehlt schon allein deshalb ein zureichender
Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 19.
Aufl., § 75 Rdnr. 15 m. w. N.). Davon abgesehen ist anerkannt, dass ein
zureichender Grund für die Nichtbescheidung eines Widerspruchs regelmäßig
nicht darin besteht, dass die Behörde zunächst den Ausgang eines auf
vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahrens abwarten will. Das folgt aus
der unterschiedlichen Zielrichtung von Eil- und Hauptsacheverfahren und den
verschiedenartigen Entscheidungsmaßstäben (vgl. nur OVG NRW, Beschl. v.
2.8.1991 - 4 E 851/91 -, NVwZ-RR 1992, 453; Bay. VGH, Beschl. v.
18.11.1994 - 11 C 94.2603 -, NVwZ-RR 1995, 237). Angesichts dessen kommt
es auch nicht darauf an, ob der das Hauptsacheverfahren bildende
Streitgegenstand (vollständig) mit dem Streitgegenstand des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens identisch ist.
Der Beigeladene kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, wegen der von
dem Beklagten unter dem 25. September 2013 gestellten Forderung nach
Beibringung eines Gutachtens zur Stickstoffbelastung des Waldes
entsprechend dem Gemeinsamen Runderlass des MU und des ML vom 1.
August 2012 hätte das Verwaltungsgericht nicht zur Sache entscheiden
dürfen. Auch dieser Rüge vermag der Senat nicht zu folgen. Insoweit macht
das Verwaltungsgericht zu Recht darauf aufmerksam, dass die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach Prüfung im Rahmen des
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Genehmigungsverfahrens nur erteilt werden kann, wenn sichergestellt ist, dass
die Betreiberpflichten erfüllt werden. Zu diesem Zweck hat der Antragsteller
seinem Genehmigungsantrag die Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der
Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich sind, und diese gegebenenfalls
auf Verlangen der zuständigen Behörde zu ergänzen (§ 10 Abs. 1 BImSchG, §
4 Abs. 1 Satz 1 9. BImSchV). Das schließt nähere Angaben und
Untersuchungen zu den zu erwartenden Immissionen ein (§ 4a Abs. 1 und 2 9.
BImSchV). Die Genehmigungsbehörde holt selbst Sachverständigengutachten
ein, soweit dies für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen
notwendig ist (§ 13 9. BImSchV). Es ist demgegenüber nicht Sinn des
Widerspruchsverfahrens, erstmals Prüfungen anzustellen, die notwendiger Teil
des Genehmigungsverfahrens sind. Wenn der Beigeladene in diesem
Zusammenhang meint, das Schutzinteresse des Klägers gehe angesichts der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen null, lässt er außer Acht,
dass diese Wirkung in Drittanfechtungssituationen bei fehlender
Sofortvollzugsanordnung wie auch sonst bei Widersprüchen gegen
belastende Verwaltungsakte regelmäßig eintritt und für diese Fälle in § 75 Satz
3 VwGO gleichsam mitgedacht ist. Die Bestimmung des § 75 VwGO gilt für alle
Klagen, für die ein Vorverfahren vorgeschrieben ist, also auch für
Anfechtungsklagen, und dient der Beschleunigung der Verwaltungstätigkeit
und der durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Effektivität des
Verwaltungsrechtsschutzes. Damit wäre nicht vereinbar, wenn die
beabsichtigte Nachholung der im Genehmigungsverfahren unterbliebenen
notwendigen Prüfungen einen hinreichenden Grund für die Nichtbescheidung
des Widerspruchs darstellen und einer Sachentscheidung des Gerichts
entgegenstehen würde. Dies gilt erst recht, wenn diese Prüfungen eine
erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und deren Abschluss konkret gar nicht
absehbar ist. Mithin war das Verwaltungsgericht auch unter diesem
Gesichtspunkt nicht verpflichtet, das Verfahren auszusetzen.
Ob laufende Vergleichsverhandlungen zwischen einer Behörde und einem
Kläger als zureichender Grund für die Untätigkeit der Behörde anerkannt
werden können, muss nicht weiter erörtert werden, denn derartige
Vergleichsverhandlungen zwischen dem Kläger und dem Beklagten haben
nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts und auch nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten in
der mündlichen Verhandlung nicht stattgefunden.
2. Der Beigeladene macht zur Begründung ernstlicher Zweifel an der
Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ferner geltend, das Argument
des Verwaltungsgerichts, die FFH-Vorprüfung zum FFH-Gebiet „Swatte Poele“
reiche nicht aus, halte einer kritischen Würdigung nicht stand. Das
Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die von dem Beklagten
praktizierte Heranziehung einer Irrelevanzschwelle von 3 vom Hundert des
Critical-Load-Werts ohne Berücksichtigung des Umstands, dass die
Vorbelastung des FFH-Gebiets den Critical-Load-Wert bereits mehr als das
Doppelte überschreite, und ohne zu ermitteln, darzustellen und zu bewerten,
welche weiteren Vorhaben in dem Zeitraum zwischen der Ermittlung der
Vorbelastung des Gebiets im Jahre 2007 und der Erteilung der Genehmigung
realisiert worden seien, die auch eine Auswirkung auf das FFH-Gebiet hätten,
fehlerhaft und rechtswidrig sei. Der Beklagte habe ohne eigene Prüfung die
Annahme des von dem Beigeladenen beauftragten Sachverständigen
übernommen, dass eine Schwelle von 3 vom Hundert des Critical-Load-Werts
als Bagatellschwelle gelte, ohne die Vorbelastungen zu berücksichtigen. Dem
hält der Beigeladene entgegen, eine Herabsetzung der 3 %-Regelung sei
allein dann vorzunehmen, wenn in dem Zeitraum ab dem Jahr 2007 im
„Eintragungsbereich“ des FFH-Gebietes andere Anlagen genehmigt (worden
seien) und betrieben würden, die ihrerseits zu einer Schädigung des FFH-
Gebietes führen könnten. Solche Anlagen seien nicht vorhanden. Der
Beklagte habe deshalb ohne eigene Prüfung die Annahmen des vom
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Beigeladenen beauftragten Sachverständigen übernehmen dürfen. Mit diesem
Vortrag werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die
zuständige Behörde die nach § 34 Abs. 1 BNatSchG gebotene Prüfung der
Verträglichkeit anhand der dafür erforderlichen und von dem Projektträger
vorzulegenden Unterlagen vorzunehmen hat (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG).
Das Verwaltungsgericht hat ferner die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt, wonach es für die Erheblichkeit
der Beeinträchtigung eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung im
Sinne des Art. 3 Abs. 1 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG darauf
ankommt, ob diese Beeinträchtigung einem für das Gebiet festgelegten
Erhaltungsziel zuwiderläuft. In diesem Fall ist jede Überschreitung eines
Wertes, der die Grenze der nach naturschutzfachlicher Einschätzung für das
Erhaltungsziel unbedenklichen Auswirkungen markiert, als erheblich
anzusehen. Critical Loads sind als naturwissenschaftlich begründete
Belastungsgrenzen in diesem Sinne zu verstehen. Sie sollen Gewähr dafür
bieten, dass an dem Schutzgut auch langfristig keine signifikant schädlichen
Effekte auftreten. Werden solche Grenzen bereits von der Vorbelastung
ausgeschöpft oder sogar überschritten, so folgt daraus, dass prinzipiell jede
Zusatzbelastung mit dem Erhaltungsziel unvereinbar und deshalb erheblich ist,
weil sie die kritische Grenze überschreitet oder schon mit der Vorbelastung
verbundene Schadeffekte verstärkt. Allerdings kann eine eventuelle
Zielunverträglichkeit im Hinblick auf ihren Bagatellcharakter hinzunehmen sein.
Ob dies bei einer Zusatzbelastung der Fall ist, ist indes eine
naturschutzfachliche Frage, die näherer Prüfung bedarf (vgl. zum Ganzen nur
BVerwG, Beschl. v. 5.9.2012 - 7 B 24.12 -, NVwZ-RR 2012, 922; Urt. v.
14.4.2010 - 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291, jeweils m. w. N.).
Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren hatte der
Beigeladene die Landwirtschaftskammer Niedersachsen beauftragt, im
Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung ein Immissionsschutzgutachten
zur Ermittlung der durch das Vorhaben verursachten Geruchs-, Staub- und
Ammoniakimmissionen sowie der zu erwartenden Stickstoffdeposition
anzufertigen. Das Gutachten ist (in der Ursprungsfassung) unter dem
30. August 2011 erstellt und unter dem 17. Februar und 18. Juli 2012 ergänzt
worden. Mit der ersten Ergänzung vom 17. Februar 2012 sollte das
Immissionsschutzgutachten vom 30. August 2011 näher erläutert werden,
soweit es um die Beurteilung der Auswirkungen der ermittelten
Stickstoffdeposition auf das FFH-Gebiet „Swatte Poele“ geht. In der ersten
Ergänzung berichtet die Sachverständige, dass der Critical Load für Wälder
zwischen 10 und 20 kg N je ha und Jahr und für Moor zwischen 5 und 10 kg N
je ha und Jahr liege. Demnach überschreite die Hintergrundbelastung, die für
den Wald innerhalb des FFH-Gebiets bei 45 kg N je ha und Jahr und für das
Moor innerhalb des FFH-Gebiets bei 35 kg N je ha und Jahr liege, den
jeweiligen Critical Load um mehr als das Doppelte. Daher sei zu prüfen, ob im
FFH-Gebiet „Swatte Poele“ in den Moorbereichen eine Zusatzbelastung
zwischen 0,15 kg und 0,30 kg N je ha und Jahr sowie in den Waldbereichen
eine Zusatzbelastung zwischen 0,30 kg und 0,60 kg N je ha und Jahr
eingehalten werde. Die Vorbelastungsdaten zur Stickstoffdeposition des
Umweltbundesamtes seien das letzte Mal im Jahr 2007 aktualisiert worden. Da
die vorhandenen Stallanlagen des Beigeladenen vor dieser Zeit genehmigt
worden seien, seien diese bereits in der Hintergrundbelastung enthalten.
Daher sei hier bei der Betrachtung der Irrelevanzschwelle die
Stickstoffzusatzbelastung bedingt durch die zwei neuen Hähnchenställe zu
berücksichtigen. Im Moorbereich des FFH-Gebiets würden Werte für die
Zusatzdeposition zwischen 0,08 kg und 0,20 kg je ha und Jahr erreicht. Im
Waldbereich lägen die Werte für die Zusatzdeposition zwischen 0,15 kg und
0,26 kg je ha und Jahr. Die Sachverständige schließt daraus, dass im
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Moorbereich der Mittelwert von 0,225 kg je ha und Jahr und im Waldbereich
der konservative Wert von 0,30 kg je ha und Jahr unterschritten würden. In
diesem Zusammenhang weist der Kläger indes zu Recht darauf hin, dass
nach den Berechnungen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen allein der
Betrieb der neuen Masthähnchenställe bei isolierter Betrachtung zusätzliche
Belastungen der im FFH-Gebiet geschützten Moorbereiche in einem Umfang
verursachen würde, mit dem die untere Grenze der 3 % Schwelle (teilweise)
bereits deutlich überschritten würde.
Mit der zweiten Ergänzung vom 18. Juli 2012 zum Immissionsschutzgutachten
vom 30. August 2011 wurden aufgrund der Einführung der VDI-Richtlinie 3894
(Blatt 1) und des nun geplanten Einbaus und Betriebs einer nach dem DLG-
Prüfrahmen zertifizierten Abluftreinigungsanlage im vorhandenen Stallgebäude
Nr. 3 neue Ausbreitungsrechnungen auf der Grundlage der in der erwähnten
Richtlinie genannten Ammoniakemissionsfaktoren und unter Berücksichtigung
von Emissionsminderungen aufgrund des Einsatzes von RAM-Futter, der
Strohabdeckung des Güllebehälters und des Betriebs einer zertifizierten
Abluftreinigungsanlage im Stallgebäude Nr. 3 durchgeführt. Hinsichtlich der
Stickstoffdeposition ergab sich, dass im Moorbereich des FFH-Gebiets eine
Stickstoff-Zusatzdeposition zwischen 0,07 kg und 0,15 kg je ha und Jahr
erreicht wird und im Waldbereich die Werte für die Zusatzdeposition zwischen
0,10 kg und 0,21 kg je ha und Jahr liegen. Das bedeutet, dass nach dieser
Untersuchung im Moorbereich des FFH-Gebiets die Zusatzdeposition die
untere Grenze der irrelevanten Stickstoff-Zusatzbelastung (gerade) erreicht.
Dieser Einschätzung liegt indes - wie gesagt - zugrunde, dass mit dem Einsatz
von (dort sog.) nährstoffreduziertem Futter (RAM-Futter) eine deutliche
Verringerung der Stickstoffausscheidung zu erzielen ist, die die Gutachterin u.
a. unter Verweis auf eine Publikation der Landwirtschaftskammer
Niedersachsen aus dem Jahr 2009 für die Mastschweinehaltung mit 20 % und
für die Masthähnchenhaltung mit 10 % beziffert hat
(Immissionsschutzgutachten vom 30.8.2011, S. 24; 2. Ergänzung zu diesem
Gutachten vom 18.7.2012, S. 9). Ob diese Annahmen belastbar sind, erscheint
zweifelhaft und wird nicht mit Bezug auf die VDI-Richtlinie 3894 Blatt 1
„Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen; Haltungsverfahren
und Emissionen, Schweine, Rinder, Geflügel, Pferde“ vom September 2011,
welche den Stand der Haltungstechnik und der Maßnahmen zur
Emissionsminderung bei der Haltung der genannten Tierarten beschreiben will
und darüber hinaus Konventionswerte für die Emissionen u. a. von Ammoniak
aus Tierhaltungsanlagen enthält, plausibel gemacht. Zwar geht auch die VDI-
Richtlinie 3894 Blatt 1 davon aus, dass Ammoniakemissionen verringert
werden, wenn der Stickstoffeintrag durch eine an den tatsächlichen Bedarf der
Tiere angepasste Fütterung begrenzt wird. Dies führe zu einer verringerten
Stickstoffausscheidung zwischen 5 % und 20 % je nach Tierart,
Leistungsstadium und Ausgangssituation. Die Richtlinie nennt in diesem
Zusammenhang verschiedene Fütterungsmaßnahmen, u. a. den Einsatz der
RAM-Fütterung (S. 47 f.), wobei das RAM-Futter als „Rohprotein-angepasstes
Mischfutter“ bezeichnet wird (S. 8). Im Anhang B „Minderungspotenziale“
(S. 77) wird den dort genannten Fütterungsmaßnahmen ein bestimmtes
Reduktionspotenzial zugeordnet, welches bei der Rohprotein-angepassten
Fütterung durch Phasenfütterung (2 Phasen) bis 10 %, durch
Mehrphasenfütterung (3 bis 4 Phasen) bis 20 % und durch
Multiphasenfütterung bis 40 %, jeweils als Emissionsminderungsmaßnahme
bei der Schweinehaltung, betragen soll. Abgesehen davon, dass es
angesichts der Bandbreite des Reduktionspotenzials der Rohprotein-
angepassten Fütterung in dieser Tabelle näherer Begründung bedurft hätte,
warum gerade die in den Gutachten angenommenen (festen) Prozentsätze als
gesichert angesehen werden können und die tatsächlichen
Betriebsverhältnisse zutreffend berücksichtigen, betreffen die genannten
Größenordnungen der Reduktion - wie erwähnt - auch nur die Haltung von
Schweinen (Tabelle B1) und findet sich in Tabelle B2 nur noch die Angabe
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eines Reduktionspotenzials für Milchvieh/Rinderställe, während eine
entsprechende Tabelle für die Geflügelhaltung nicht Gegenstand dieses
Anhangs ist. Das spricht dafür, dass insoweit vergleichbar gesicherte
Erkenntnisse noch nicht existieren und derartige Minderungsgrade noch nicht
ausreichend anerkannt sind (vgl. auch Kamp, AUR 2013, 294, 298; KTBL
(Hg.), Emissionen und Immissionen von Tierhaltungsanlagen - Handhabung
der Richtlinie VDI 3894, KTBL-Schrift 494, 2012, S. 69 ff.). Sie haben
jedenfalls keinen Niederschlag in der den aktuellen Stand der Haltungstechnik
beschreibenden Richtlinie gefunden. Dies alles begründet jedenfalls Zweifel
daran, dass die Annahmen zum Emissionsminderungspotenzial, wie sie dem
Immissionsschutzgutachten vom 30. August 2011 nebst Ergänzungen
zugrunde liegen, hinreichend gesichert sind. Den insoweit bereits
erstinstanzlich erhobenen Einwänden des Klägers sind der Beklagte und der
Beigeladene nicht entgegengetreten.
Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Die Abschätzung der Stickstoff-
Zusatzdeposition in den Gutachten beschränkt sich auf die Betrachtung der
geplanten Änderungen der Anlage des Beigeladenen. Bei der Beantwortung
der Frage, ob Zusatzbelastungen des Gebiets durch ein zur Genehmigung
gestelltes Projekt ausnahmsweise irrelevant und damit gebietsverträglich sind,
sind indes neben den Auswirkungen dieses Projekts summativ auch
diejenigen anderer in Betrieb befindlicher oder jedenfalls hinreichend
verfestigter Projekte einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.9.2012, a. a. O).
Dass im Umfeld des FFH-Gebiets „Swatte Poele“ (möglicherweise) weitere
Anlagen vorhanden sind, deren Auswirkungen noch nicht in die vorliegenden
Daten zur Vorbelastung eingegangen und die mit Blick auf eine
Summationswirkung zu berücksichtigen sind, macht der Kläger geltend und
verweist insoweit auf zwei konkret benannte Anlagen in der Umgebung, von
denen nach Art, Größe und Lage nicht von vornherein gesagt werden kann,
dass angesichts der von ihnen ausgehenden Emissionen eine
Beeinträchtigung des Schutzgebiets ernstlich nicht zu besorgen ist. Eine FFH-
Verträglichkeitsprüfung ist indes erforderlich, wenn solche Beeinträchtigungen
nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können (vgl. BVerwG, Urt. v.
17.1.2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1, Rdnr. 60). Vor diesem Hintergrund
erweist sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es an einer den
habitatrechtlichen Anforderungen entsprechenden FFH-
Verträglichkeitsprüfung fehle, als im Ergebnis nachvollziehbar und wird diese
Einschätzung durch die Begründung des Zulassungsantrags nicht ernstlich in
Zweifel gezogen.
Von den vorstehenden Erwägungen abgesehen, vermag das Vorbringen des
Beigeladenen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen
Entscheidung auch deshalb nicht zu begründen, weil das Verwaltungsgericht
seine Feststellung, die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche
Genehmigung vom 3. September 2012 sei rechtswidrig und verletze den
Kläger in den ihm durch das Umwelt-Rechtsbehelfs-gesetz zur Wahrnehmung
zugewiesenen Rechten, nicht nur darauf gestützt hat, dass es angesichts der
zu erwartenden erhöhten Stickstoffdeposition an einer hinreichenden FFH-
Prüfung fehle. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr selbständig tragend die
erteilte Genehmigung auch deshalb als rechtswidrig bezeichnet, weil es an der
Durchführung einer ordnungsgemäßen Umweltverträglichkeitsprüfung fehle
und die Genehmigung ferner materiell jedenfalls gegen § 5 BImSchG und auch
gegen § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34 c Abs. 2 NNatG verstoße. Gegen diese
Feststellungen und die darauf bezogenen Ausführungen des
Verwaltungsgerichts bringt der Beigeladene Einwände nicht vor. Im Fall einer
mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung des
angefochtenen Urteils bedarf es jedoch zur hinreichenden Darlegung im Sinne
des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eines geltend gemachten und vorliegenden
Zulassungsgrundes in Bezug auf jede dieser Begründungen. Daran fehlt es
hier.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG und folgt
der Wertbemessung des Verwaltungsgerichts.